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Verdeckte Wortbedeutungen – die Wirklichkeit verschleiern (2)

Die Ziele des Neoliberalismus lasst sich auf drei Worte verdichten: Privatisierung, Steuersenkung und Sozialabbau. Die Privatisierung wurde unter dem ersten Teil der Reihe behandelt. Hier wollen wir uns mit dem Begriff der Steuersenkung oder Steuerentlastung beschäftigen, um herauszufinden, was damit gemeint sein könnte.

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Die Vertreter des Neoliberalismus streben danach, den Staat und hier insbesondere die öffentlichen Dienstleistungen als überflüssig oder gar schädlich zu diskreditieren. Das hängt wieder eng mit dem Bestreben zusammen, Privatisierungen durchzusetzen, wo kein Bürger eine solche wünscht oder erwartet. Je „schlanker“ die öffentliche Hand durch wegfallende Einnahmen wird, desto leichter lassen sich Vertreter der öffentlichen Hand ‚überreden‘ oder zwingen, Gemeineigentum zu privatisieren.

Die öffentliche Hand hat sich in den letzten Jahren damit beholfen, fehlende Einnahmen aufgrund von Steuerentlastungen durch vermehrte Schuldenaufnahme zu kompensieren. Dieses Vorgehen wurde natürlich von den Vertretern des Neoliberalismus durchschaut und versucht zu unterbinden. Es wurde deshalb schnell ein Gesetz geschmiedet, das unter dem Namen ‚Schuldenbremse‘ bekannt geworden ist. Sie werden erkennen: man versucht die Einnahmenseite durch Steuersenkungen zu kürzen und man verbaut den öffentlichen Händen den zweifelhaften Ausweg in den Finanzmarkt, indem man eine gesetzliche Schuldenbremse einführt. Das Ergebnis kann man sich leicht vorstellen: Die Finanzen der öffentlichen Hand geraten zwischen alle Mühlsteine mit der Folge eines steten Abbaus von Personal- und Sachkosten. Der Service der öffentlichen Hand wird schlechter. Die Bürger ärgern sich darüber und müssen zudem feststellen: es gibt riesige Reparaturstaus im Bereich der Infrastruktur (verkommene Schulgebäude, Brückenreparaturen, katastrophale Straßenzustände, Netzprobleme u.a.m.).

Dabei ist Geld vorhanden. Nahezu jeden Tag hören wir, wie erfreulich sich die Einnahmenseite der öffentlichen Haushalte entwickeln. Aber die Politik bekommt die Gelder nicht dahin, wo es brennt. Die Politik hat durch die anhaltende ‚Sparpolitik‘ die Verwaltungen der öffentlichen Hände systematisch personell ausbluten lassen, um die Handlungsfähigkeit der Verwaltungen zu erschweren. Und sie schafft damit sogenannte ‚Sachzwänge‘ im Rahmen des Reparatur- und Investitionsstaus, um dann – berühmt berüchtigt –‚alternativlos‘(!), die notwendigen Maßnahmen zu privatisieren.

Diese Zusammenhänge lassen sich auch anders interpretieren: Die Schuldenbremse trifft nicht nur die öffentliche Hand, sondern auch die Vermögenden in diesem Lande. Wenn die öffentliche Hand Schulden macht, wer sind dann die Gläubiger? Das sind i.d.R. die Vermögenden, die ein ausgeprägtes Interesse daran haben, auf dem Finanzmarkt eine sichere und einfache Anlage in Form von öffentlichen Anleihen vorzufinden. In Zeiten sehr niedriger Zinsen ist das zwar nicht sehr attraktiv, aber die Zeiten werden sich ändern.

Erst beschließen wir Steuersenkungen (weniger Einnahmen der öffentlichen Hand), deren Löwenanteil den Vermögenden zugutekommt. Dann muss die öffentliche Hand zur Deckung ihrer Ausgaben vermehrt Schulden machen. Die öffentlichen Anleihen sind dann wieder eine sichere zinstragende Geldanlage der Vermögenden. So wird bei dem Geschäft auf beiden Seiten zu Lasten des Gemeinwesens verdient.

Die Schuldenbremse schränkt die öffentliche Hand ein; vorausgesetzt, das Gesetz wurde besser konzipiert als das Gesetz zur Mietpreisbremse. Wenn nun die öffentliche Hand feststellt, dass im Rahmen einer Konjunkturflaute die Einnahmen rückläufig wären, so ist ja nicht ausgeschlossen, dass sich der Gesetzgeber all der Wohltaten für die Vermögenden (Schlupflöcher, Vergünstigungen u.ä.) erinnert und jetzt, da die Verschuldung weitgehend ausgeschöpft ist, daran geht, eine Wohltat nach der anderen dem Prinzip der Gleichbehandlung opfert und Schritt für Schritt die Vergünstigungen und Schlupflöcher einkassiert. Klingt gut – aber das ist eine Rechnung ohne die finanziellen Eliten!

Steuersenkungen sollen die öffentliche Hand zur Effizienz ‚erziehen‘, so die Idee des Neoliberalismus. Dabei wird der Effizienzbegriff auf das begrenzt, was über Geld bewertet werden kann. Geld ist die Denomination für Kosten und ‚Effizienz‘ wird ganz einfach auf ‚Sparen‘ reduziert. Der Nutzen, den eine Ausgabe gewöhnlich schafft, fällt in der Diskussion komplett unter den Tisch.

Steuersenkung ist ein einfaches Mittel, um bei Wahlen die Aufmerksamkeit der Wählerschaft zu erregen. Die Forderung nach Steuersenkung vermittelt dem unbedarften Wähler in erster Linie den Eindruck, dass seine Steuerlast deutlich verringert wird, wenn er die ‚richtige‘ Entscheidung bei der Wahl trifft. Es wird deshalb von den Benutzern dieses Arguments eine Steuer-„Reform“ angestrebt. Die meisten Menschen verbinden mit einer Steuerreform primär eine Herabsetzung ihrer Einkommensteuer. Andere Steuerarten sind für das Gros der Steuerpflichtigen ohne Bedeutung, weil diese anderen Steuerarten im Wesentlichen dort zur Anwendung kommen, wo es nach Vermögen riecht – also bei den – sagen wir – zehn Prozent Mitbürger am oberen Ende der Einkommenspyramide. In der Presse werden aber die politisch versprochenen Steuersenkungen als „große Steuerreform“ intensiv beworben und dargestellt, wobei meistens das statistisch ermittelte Durchschnittseinkommen (rd. 33.400 Euro p.a. brutto in 2016) die Grundlage der Darstellungen ist. Für dieses Einkommen werden dann i.d.R. zwischen 300 bis 400 Euro p.a. künftige Steuereinsparung ausgelobt (ca. 1%) und als großer Erfolg der Politik dargestellt.

Was diese Rechnungen regelmäßig nicht darstellen, ist die Tatsache, dass Vermögende (der Begriff „Reiche“ geht mir nur schwer über die Zunge) einen Großteil ihres jährlichen Vermögenszuwachses (entspricht einem erweiterten Einkommensbegriff) gar nicht über die Steuerkategorie ‚Einkommen‘, sondern über die steuerliche Einkommenskategorie ‚private Kapitalerträge‘ erzielen. Und Kapitalerträge werden seit mehr als einem Jahrzehnt nur noch pauschal mit fünfundzwanzig Prozent zzgl. Soli besteuert. Jede legale Möglichkeit der Umwidmung des Vermögenszuwachses auf die Kategorie Kapitalerträge führt also zu einer Steuerersparnis von bis zu 20 Prozentpunkten bei den Begünstigten, wenn man sonst im Spitzensteuersatz 45 Prozent abzuführen hätte. Diese Darstellung dient der Bewertung des Angebots der üblichen Steuerersparnis von rd. 1 Prozent (man nennt so etwas auch die Brosamen vom Tisch des Herrn). Das ist ein ‚Almosen‘ im Vergleich zu den üblichen Steuerspareffekten, die im Umfeld der Vermögenden regelmäßig im Rahmen einer solchen „Reform“ von der Öffentlichkeit unentdeckt gehandelt werden. Wenn Sie also wieder einmal von den Parteien auf eine Steuerentlastung angesprochen werden, lassen Sie sich auch die in der geplanten Steuerreform intendierten Steuerentlastungen für die Vermögenden vorrechnen, damit Sie merken, wann Sie wie (wieder mal) mit Almosen abgespeist werden.

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Statt einer Neujahrsansprache 2017

Ein weiteres Jahr neigt sich dem Ende zu. Man hört die Ansprachen und man fragt sich, gibt es nicht auch etwas Richtungsweisendes. In den letzten Tagen des Jahres ist mir eher zufällig ein Buch in die Hände gefallen. Seine letzten Seiten, fand ich, könnten (leicht gekürzt) auch als Silversteransprache gut Verwendung finden.

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Der verwendete Begriff des Sozialisten hat hier einen ungewohnten Bedeutungsinhalt. Da der Neoliberalismus sich aus der Position eines Gegners des realen Sozialismus entwickelt hat, ist in der Denkweise dieser Ideologie alles Sozialismus, was nicht dem radikal freien Markt huldigt. Auch der Autor Rutger Bergman zählt zu dieser Art von ‚Sozialisten‘.

Rutger Bergman, Utopien für Realisten, 2017, S. 252ff.(Hervorhebungen durch V.F.):

„(…) Die Linke (scheint) die Kunst der Politik vergessen zu haben. Noch schlimmer ist, dass viele linke Intellektuelle und Politiker aus Angst vor Wahlniederlagen versuchen, radikale Positionen in ihrem eigenen Lager zu unterdrücken. Ich möchte diese Haltung als ‚Underdog-Sozialismus‘ bezeichnen.

Es handelt sich um ein internationales Phänomen, das rund um den Erdball bei linken Intellektuellen und in progressiven Bewegungen (…) zu beobachten ist. Der Underdog Sozialist ist zu der Überzeugung gelangt, dass die Neoliberalen das Spiel der Vernunft, der Mäßigung und der Statistik beherrschen, während den Linken nur der Appell an das Gefühl bleibt. (…) Die Underdog-Sozialisten sehen ihre einzige Mission (leider nur) darin, die Gegenseite zu kontrollieren und zu bremsen. Sie kämpfen gegen Privatisierung, gegen das Establishment, gegen die Sparpolitik. Sie sind gegen so vieles, das man sich fragt, ob es irgendetwas gibt, das die Underdog-Sozialisten befürworten. (…)

Und allzu oft hat man den Eindruck, als gefiele es den Linken sogar zu verlieren. Als wären die Fehlschläge, der Niedergang und die Abscheulichkeiten nur dazu da, zu beweisen, dass sie die ganze Zeit Recht hatten. (…)

Die Underdog-Sozialisten haben leider vergessen, dass die Linke eine Geschichte der Hoffnung und des Erfolges erzählen sollte. (…) Wenn man nicht in der Lage ist, seine Ideale einem normalintelligenten Zwölfjährigen zu erklären, so ist man vermutlich selber schuld. Was wir brauchen ist eine Erzählung, die Millionen normaler Menschen etwas sagt.

(Und ) … als erstes müssen wir uns die Sprache des Fortschritts wiederaneignen.

Reformen? Ja, natürlich! Bauen wir den Finanzsektor vollkommen um. Zwingen wir die Banken, höhere Rücklagen zu schaffen, damit sie in die nächste Krise nicht sofort wieder ins Wanken geraten. Zerschlagen wir sie, wenn es nötig ist, damit das nächste Mal nicht (wieder) die Steuerzahler die Rechnung bezahlen müssen (…). Benennen und zerstören wir alle Steuerparadiese, damit wir die Reichen endlich dazu zwingen können, einen ihrer Leistungsfähigkeit entsprechenden Beitrag zu leisten (…).

Mediokratie? Her damit. Bezahlen wir die Leute endlich entsprechend ihrem wirklichen Beitrag. Dann würden Müllmänner, Krankenschwestern und Lehrer eine deutliche Gehaltserhöhung bekommen, während Lobbyisten, Rechtsanwälte und Banker draufzahlen müssten. Wer einer Arbeit nachgehen will, die der Allgemeinheit schadet, soll es ruhig tun. Aber er wird mit deutlich höheren Steuern dafür bezahlen müssen.

Innovation? Selbstverständlich. Noch heute werden große Mengen von Talent vergeudet. Gingen die besten Studenten in der Vergangenheit in die Wissenschaft, in den öffentlichen Dienst und in die Bildung, so entscheiden sie sich heute für Finanzen, Recht und Internetfirmen wie Google und Facebook. Halten wir einen Moment inne, um über die Milliarden an Steuergeldern nachzudenken, die investiert werden, um die besten Köpfe der Gesellschaft auszubilden – nur damit sie lernen, andere möglichst effizient auszubeuten. Das ist zum Verrückt werden. Stellen wir uns vor, wie anders die Welt aussehen könnte, wenn sich die Besten und Klügsten unserer Generation den größten Herausforderungen unserer Zeit widmen würden: Dem Klimawandel zum Beispiel, oder der Bevölkerungsalterung, oder der Ungleichheit. Das wäre eine echte Innovation.

Effizienz? Genau darum geht es. Nehmen wir folgendes Beispiel: Jeder Dollar, den wir in einen Obdachlosen investieren, bringt uns den dreifachen Ertrag, da wir uns Ausgaben für medizinische Versorgung, Polizeieinsätze und Gerichtsverfahren sparen. Stellen wir uns vor, was wir mit der Beseitigung der Kinderarmut erreichen könnten. Derartige Probleme zu lösen ist sehr viel effizienter als zu versuchen, sie lediglich „unter Kontrolle zu halten“, denn die Eindämmung kostet langfristig sehr viel mehr.

Abbau des Bevormundungsstaats? An die Arbeit. Streichen wir diese nutzlosen, anmaßenden Hilfsmaßnahmen für Arbeitslose – jene Art von Ausbildungsmaßnahmen, die in Wahrheit nur die Arbeitslosigkeit verlängern-, und hören wir auf, die Empfänger von Sozialleistungen zu drillen und zu erniedrigen. Geben wir jedermann ein Grundeinkommen – Wagniskapital für das Volk -, damit Menschen ihr Leben selbst in die Hand nehmen können.

Freiheit? Nichts brauchen wir mehr. Heute sitzt mehr als ein Drittel der Beschäftigten in „Bullshitjobs“ fest, in Tätigkeiten, die diese Menschen selbst als sinnlos empfinden. (Dies erinnert) mich an all die freiberuflichen Journalisten, die PR-Artikel für verhasste Unternehmen schreiben müssen, um ihre wichtigen Recherchen finanzieren und Artikel schreiben zu können, in denen sie zweifelhafte Praktiken ebensolcher Unternehmen anprangern. Wir haben die Welt auf den Kopf gestellt: Im modernen Kapitalismus müssen wir die Dinge, die unserem Leben Sinn geben, mit dem Ertrag überflüssiger Aktivitäten finanzieren.

Es ist an der Zeit, die „Arbeit“ neu zu definieren. (…) (Am Ende ihres Lebens) bedauerten die Menschen (am meisten), dass sie nicht ihr Leben gelebt hatten, sondern eines, das die Umwelt von ihnen erwartet hatte. (…)

…Die Underdog-Sozialisten müssen (…) zuerst aufhören, in ihrer moralischen Überlegenheit und ihrem überholten Vorstellungen zu schwelgen. Jeder, der sich als progressiv betrachtet, sollte nicht nur Energie, sondern auch Ideen, nicht nur Empörung, sondern auch Hoffnung verbreiten und die Ethik mit einer aggressiven Verkaufstaktik verbinden. Dem Underdog-Sozialisten fehlt die entscheidende Eigenschaft, um politische Veränderungen herbeizuführen: die Überzeugung, dass es wirklich einen besseren Weg gibt, dass die Utopie tatsächlichen Wirklichkeit werden kann. (…)

Mein (…) Rat lautet: Legen Sie sich eine dickere Haut zu. Lassen Sie sich von niemandem etwas einreden. Wenn wir die Welt verändern wollen, müssen wir unrealistisch, unvernünftig und ungehörig sein. Vergessen Sie nicht: Auch die Menschen, die für die Abschaffung der Sklaverei, für das Frauenwahlrecht und für die Homosexuellenehe eintraten, wurden anfangs für verrückt erklärt. Sie waren Verrückte, bis die Geschichte ihnen recht gab.“

In diesem Sinne ein Frohes Neues Jahr.

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Versteckte Wortbedeutungen – die Wirklichkeit verschleiern (1)

Friedrich August von Hayek, einer der Gründervater des Neoliberalismus, hat die Durchsetzungschancen von neoliberalem Denken schon 1944 wie folgt beschrieben: „Die erfolgreichste Technik besteht darin, die alten Worte beizubehalten, aber ihren Sinn zu ändern.“ Dieses Verfahren beherrscht der Neoliberalismus bis heute mit beachtlichem Erfolg. Man nimmt Worte, die den Zuhörer positiv stimmen und unterlegt diese positiven Begriffe mit neoliberalem Gedankengut, in der Erwartung, dass die Zuhörerschaft diesen Etikettenschwindel nicht realisiert.

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Die Autoren der Sendung „Die Anstalt“ haben den Neoliberalismus auf den Punkt gebracht. Danach lässt er sich überaus treffend auf die Begriffe „Privatisierung, Steuersenkung und Sozialabbau“ reduzieren. Aber auch Begriffe wie Freiheit, Reform, Freihandel, und Globalisierung (u.a. mehr) sind solche psychologischen „Uboote“, d.h. sie schlüpfen über die grundsätzlich positive Wahrnehmung weitgehend unbemerkt in unseren Sprachgebrauch, meinen aber etwas komplett anderes. Sind sie dann im Sprachgebrauch verankert, war der „Brainwash“ erfolgreich und es ist harte Arbeit, diese ideologiegeprägten Konnotationen in den Köpfen der Menschen wieder zu löschen.

Beginnen wir im heutigen Beitrag mit dem Begriff der Privatisierung.
Privatisieren kann man nur etwas, was bislang nicht im Privatbesitz Einzelner ist. Hier sind zwei öffentliche Aktivitäten zu unterscheiden: die erwerbswirtschaftliche Beteiligung und die Bereitstellung von Nutzungen aus Gemeineigentum. Ein besonderer Dorn im Auge der Vertreter der radikalen Marktauffassung sind hier in erster Linie Beteiligungen an Industrieunternehmen (z.B. VW in Niedersachsen). Die öffentliche Hand hat über diesen Hebel einen gewissen, aber geringen Einfluss auf das Verhalten dieser Unternehmen, was die ‚Marktvertreter‘ als Ausgangspukt für Korruption ansehen und in diesem Sinne penetrieren. Die Organisationsform der öffentlichen Wirtschaftsbeteiligung ist heute schon zu einem hohen Prozentsatz privatwirtschaftlich organisiert, d.h. sie besteht in Form von Aktienpaketen, die die öffentliche Hand wie jeder andere Anleger erwirbt und im Eigentum hält. Die Pakete sind meist Minderheitsanteile.

Wenn die Pakete Mehrheiten repräsentieren, dann handelt es sich um umgewandelte Bestände aus Gemeineigentum, für das das öffentliche Monopol gezielt und kontrolliert einem künftigen Wettbewerb geöffnet wird. Ob dann letztlich eine ‚Privatisierung‘ im engeren Sinne folgt, steht auf einem anderen Blatt (z.B. Die Bahn) und hat mit der Leistungserstellung nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen auch nichts mehr zu tun, denn es geht dann nur noch um eine finanzwirtschaftliche Transaktion der Anteile von der öffentlichen Hand in private Hände gegen Entgelt. Das Unternehmen ist davon nur insoweit betroffen als die Zielsetzung sich natürlich radikal ändert: der öffentliche Versorgungsauftrag wird einer Aufforderung zur schlichten Gewinnmaximierung zugunsten der Aktionäre.

Wirklich Privatisieren kann man also nur Gemeineigentum, das durch Steuergelder über Generationen geschaffen wurde. Das Gemeineigentum steht im öffentlichen Besitz. Und der Nutzen des Gemeineigentums steht prinzipiell jedem Bürger zu einem Kostenpreis zur Verfügung. Das Gemeineigentum umfasst im Wesentlichen die Infrastruktur des Landes und repräsentiert mit Einschränkungen das sogenannte ‚Volksvermögen‘ im eigentlichen Sinn. 2014 war der Saldo aus Investitionen und Schuldenlast noch positiv. Bei weiterer Privatisierung fallen die Vermögensgegenstände weg und man kann nur hoffen, dass dann der jeweilige Privatisierungserlös die damit einhergehenden Schulden deckt. Man sollte die Frage stellen, ob die öffentliche Hand dabei auch angemessene Erlöse erzielt. Sie ist sich oft nicht im Klaren, dass sie mit dem Markt, den sie durch den Verkauf freigibt, den privaten Eigentümern ein Feld überlassen, dessen künftige Profitabilität ihre Vorstellungskraft meist sprengt. Aber die Profitabilität müssten sie sich als ebenbürtige Verhandlungspartner bezahlen lassen. Manche Privatisierungsbemühung würde dann ihre Vorteilhaftigkeit verlieren.

Wenn nun Politiker die Privatisierung als politisches Ziel formulieren, so wollen sie dieses Vermögen, das ihnen nicht gehört und an dessen Aufbau sie auch nicht mitgewirkt haben, an einzelne private Personen ‚verhöckern‘, die das dezidierte Ziel haben, damit Geld zu verdienen. Was zeichnet Privateigentum aus? Privateigentum drückt aus, dass der Gebrauch eines Vermögens rechtlich nur dieser privaten Person (dem Eigentümer) zusteht. Diese Person kann jede andere Person legal vom Gebrauch des Wirtschaftsgutes unter Androhung von Strafe ausschließen. Das macht das Privateigentum wirtschaftlich so attraktiv.

Der Privatier kann die Nutzung seines Eigentums gegen Entgelt freigeben. Dabei spielen nicht nur die Kosten eine Rolle, sondern auch der vom Eigentümer erwartete Gewinn. Was ist die Folge? Die Nutzung des Gemeingutes wurde bisher nur über Kosten verrechnet, der Private verrechnet die Kosten zuzüglich eines respektablen (oder maximalen) Gewinns. Die Nutzung als Gemeingut wird allen Bürgern teilweise unter Ansatz von Kosten, teilweise auch unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Wird Infrastruktur privatisiert, so entsteht eine Gebühr, weil der Privateigentümer den Nutzen des privatisierten Gutes künftig abgegolten haben will. Andernfalls geht sein Geschäftsmodell nicht auf.

Man fragt sich natürlich, mit welchem Recht wird von den Bürgern finanziertes Gemeineigentum von der Politik an Privat verkauft. Gemeingüter werden im Regelfall unter einem staatlichen Monopol zur Verfügung gestellt (Wasser, Dienstleistungen). Diese Monopolstellung kann durch die Privatisierung oft nicht aufgelöst werden und der Privatier macht dann ein richtiges „Schnäppchen“. Kein Privatier würde auf dieses Geschäft eingehen, wenn er sich nicht aus den Resten der Monopol- oder Oligopolstellung des ehemaligen Gemeingutes einen besonders „nachhaltigen Gewinn“ verspräche. Der private Erwerber will primär niemanden mit Infrastruktur versorgen (das wird als Aufgabe wieder dem Staat zugewiesen), sondern er will mit seiner Investition (Geldeinsatz) in Infrastruktur schlicht Geld verdienen. Er sieht seinen ‚Beitrag‘ vermutlich darin, dass er vorgibt, den Staatshaushalt finanziell von den Kosten der Infrastruktur entlasten.

Die neoliberale Begründung zur Notwendigkeit der Privatisierung ist haarsträubend und bar jeder praktischen Vernunft. Hauptargument ist die einfache Behauptung, dass Private die öffentlichen Werte angeblich effizienter verwalten könnten, weil pauschal „die Bürokratie“ dazu nicht in der Lage sei. Ergänzend muss man natürlich darauf hinweisen: es geht nur um die öffentliche Bürokratie, obwohl die Bürokratien der Großkonzerne mit den gleichen Problemen kämpfen. Es ist der Nachteil der schieren Größe einer bürokratischen Organisation, egal ob die Bürokratie einem unternehmerischen oder einem öffentlichen Zweck zuarbeitet. Also wird die angeblich bessere Befähigung als Argument vorgeschoben, um die Privatisierung voranzutreiben.

Ziel der Privatisierungsbestrebungen im Neoliberalismus ist die Übernahme alle erwerbswirtschaftlichen Aktivitäten der öffentlichen Hand, die Übernahme aller öffentlichen Infrastruktureinrichtungen und letztlich auch die Übernahme der Daseinsvorsorge (vgl. Deutsche Bank Research v. 20.1.2010,S.4f.)). Wenn heute noch beim Gemeingut der Gesichtspunkt einer Versorgung der Bürger im Vordergrund steht, wird bei erfolgter Privatisierung das Gewinnstreben des Betreibers das Handeln bestimmen und der Bürger darf sich dann mit der schlichten Rolle des entrechteten Konsumenten arrangieren. Bei dem Versorgungsgedanken steht der Solidargedanke dahinter, dass alle Bürger die gleiche Qualität erhalten. Bei Privatisierung wird der Gewinn maximiert, egal ob die Qualität dabei halbiert wird, oder ob für zahlungskräftige ‚Kunden‘ gegen „kleinen“ Aufpreis dann eine entsprechend bessere Qualität bereitgestellt wird.

Also Augen auf, wenn es um die Argumente zur Privatisierung geht – es geht nie um Vorteile für den Bürger oder die Allgemeinheit. Das wird auch aus der lateinischen Wurzel des Wortes privare deutlich: „jemanden einer Sache berauben“ – warum vergessen wir diesen ‚unverschleierten‘ Aspekt immer wieder. Thorstein Veblen hat diesen Gesichtspunkt schon vor rd. hundert Jahren dargestellt und diskutiert. „Wo sich die ökonomischen Funktionen des Menschen auf den Besitz von Reichtum beziehen, (…)und mit dem (Reichtum) Manipulationen und Finanzoperationen durchgeführt werden, dort fördert die Erfahrung im ökonomischen Leben das räuberische Temperament und die räuberischen Denkgewohnheiten.“

Der Neoliberalismus kennt im Übrigen keine Bürger und keine Gesellschaft. Er kennt nur vereinzelte Individuen, Konsumenten und Verbraucher. Die treibende Kraft zur Privatisierung ist stets die Privatwirtschaft, die erkannt hat, dass etablierte Märkte wenig Phantasien vom schnellen Geld zulassen, weshalb sie ständig interessiert ist, neue Märkte zu etablieren, die diesen Traum noch unterstützen können. Sie wollen sich durch den Erwerb eines Gemeingutes künstlich ein neues Marktsegment schaffen, wo der mündige Bürger (leider eine selten gewordene Spezies) unter dem Primat der Versorgung keine marktwirtschaftlich notwendige Lösung erkennen kann.

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Das Glyphosat und Schmidtchen Schleicher

Christian Schmidt, stellvertretendes Vorstandsmitglied der CSU und amtierender kommissarischer Bundeslandwirtschaftsminister, war der Auffassung, er müsse ein wenig Politikgeschichte machen, bevor er wieder in der Anonymität verschwindet. Was könnte diesen Mann geritten haben, dass er die Bundesregierung und geschätzte 80 % der deutschen Wähler in der Glyphosat-Abstimmung hat auflaufen lassen?

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Er ist damit für eine künftige Bundesregierung absehbar nicht mehr vermittelbar. Vielleicht werden ihm seine testosteron-gesteuerten Parteigenossen in Bayern ob seines Alleingangs ihre Bewunderung aussprechen, aber ob sie sich trauen, ihm auch noch heikle politische Aufgaben zu übertragen, erscheint zweifelhaft. Herr Schmidt sitzt jetzt politisch – so hat es den Anschein -zwischen allen Stühlen. Und er kann nur hoffen, dass die oft strapazierte Vergesslichkeit der Bürger schnell Gras über seinen „Verrat“ wachsen lässt.

Die genannten Argumente lassen Herrn Schmidts Aussage wie eine ziemlich kurzsichtige Reaktion aussehen. Eine solche Annahme ist i.d.R. trügerisch, weil zu einfach. Was wie ein Ausrutscher aussieht, hat möglicherweise Methode. Aber was könnte sein Verhalten geleitet haben? Auf seiner Website betont er sein christliches Engagement. Das passt hier nicht zusammen, denn Glyphosat hat mit christlichen Werten wenig gemein. Vielleicht wollte er für die industrielle Landwirtschaft einen Meilenstein setzen, in der Hoffnung, dass die Landwirte ihm künftig seine Stimme geben. Auch das wirkt zu kurz gesprungen: Die Zahl der Landwirte ist stark rückläufig und die Frage ist doch, ob Schmidt künftig überhaupt noch politischen Einfluss hat. Vielleicht hat er seinen Ausstieg aus der Politik geplant. Aufgrund des „Verrats“ kann er dann beim Bauernverband und politisch ähnlich gelagerten Einrichtungen für eine neue Aufgabe vorsprechen. Damit bewegen wir uns aber schon auf sehr dünnem Eis. Er muss, wenn wir uns seine ‚Stiefel‘ gedanklich anziehen, vermutlich außerhalb der Politik die Vorteile suchen, die er sich aus seinen Alleingang für seine Person verspricht.

Da bleibt aber nicht viel: Christian Schmidt hat sich mit der Entscheidung für eine bestimmte Klientel eingesetzt und nicht zum Wohle der Bundesrepublik (wie der Verfassungsauftrag lautet). Glyphosat ist nach meinen Auskünften zwar keine Notwendigkeit, aber es erleichtert der industriellen Landwirtschaft die tägliche Arbeit erheblich. Gleichzeitig sichert die Entscheidung von Christian Schmidt den Konzernen Monsanto und Konsorten für die nächsten fünf Jahre einen gigantischen Gewinn in Milliardenhöhe. Wenn man jetzt unterstellt, dass Schmidt aus dieser Ecke Vorteile gewährt werden und er sie auch annimmt (wenn die erste Aufregung verflogen ist), so kommt man schnell an einen Punkt, der als Korruption klassifiziert werden muss. Die Agroindustrie ist darin geübt. Der gegenwärtig legale Weg, den Vorwurf der Korruption abzuschütteln, ist eine Cooling-Down-Phase, ähnlich der, die Exkanzler Schröder die Aufgabe bei Gazprom legal möglich machte. Ob damit der ‚Geruch‘ besser wird, erscheint zweifelhaft.

Die Diskussion über Glyphosat (und vergleichbare Gifte) müssten wir eigentlich als geschichtliche „Wiederholungssendung“ erkennen: Vor über 50 Jahren hieß das „landwirtschaftlich absolut unentbehrliche“ Gift DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan), ein Insektizid und starkes Berührungsgift. Unser heutiger Problemstoff Glyphosat fällt aber in die Gruppe der Herbizide. Letztere werden auf Grünpflanzen ausgebracht und zersetzen die Pflanzen innerhalb von Stunden radikal von innen heraus. Die Pflanze kann sich davon nicht erholen. Sie wird ‚ausradiert‘. Beide Substanzen sind giftig für Mensch und Tier. Bei Glyphosat gibt es deshalb enge Vorschriften über Schutzanzüge und Atemmasken einerseits und eine beschränkte Zahl von Anwendungen pro Saison.

Für DDT wurde nach einer langen politischen Auseinandersetzung nachgewiesen, dass es hormonähnliche Wirkungen bei Mensch und Tier hat. Das war 1970 das Aus für DDT. In einer vergleichbaren Auseinandersetzung steckt heute die Diskussion über Glyphosat. Und man kann dabei feststellen, dass Monsanto und Konsorten Stück für Stück ihre meist selbstgefertigten oder unter ihrer Aufsicht in Auftrag gegebenen Unbedenklichkeitsprognosen zurücknehmen müssen. Wäre es nicht ein so gigantisches globales Milliarden-Geschäft, es wäre es mit Sicherheit schon längst verboten.

Der Vergleich von DDT mit Glyphosat ist unter chemischen Gesichtspunkten nicht ganz richtig, aber hinsichtlich der Auswirkungen auf die Biosphäre durchaus vergleichbar. DDT können wir heute noch bei Menschen nachweisen, die schon vor dem Verbot von DDT im Jahre 1970/71 gelebt haben. Zu DDT gab es eine bahnbrechende wissensbasierte Kampfschrift in USA: Rachel Carson – Silent Spring. Die Biologin Carson demonstrierte als Schreckensszenario einen schönen sonnigen Frühling, in dem keine Vögel mehr existierten, weil sie durch DDT alle umgebracht wurden. Heute könnte die Kampfschrift vielleicht als ‚Die Akte Glyphosat‘(Wien, 2017) bezeichnet werden. Ein Buch, in dem mit vielen Dokumenten dargestellt wird, mit welchen fragwürdigen Methoden dieses Herbizid vermarktet wurde.

Beide Gifte sind molekular so stabil, dass sie absehbar nicht zerfallen. Ob das je der Fall sein wird, ist nicht abschätzbar. DDT ist nach seinem Verbot vor über 50 Jahren in der Biosphäre immer noch als DDT und nicht über Zerfallsprodukte nachweisbar. Heute schon wissen wir, dass Glyphosat ebenfalls in Mensch, Tier, Milch, Käse, Trinkwasser, usw. – quasi überall –  nachweisbar ist. Noch gilt die Menge als unbedenklich, aber das Gift reichert sich im Organismus an. Glyphosat ist eine Substanz, die hochgradig resistent gegen Zerfall ist. Glyphosat gibt es unter dem Namen Roundup seit 1970. Man könnte also den Eindruck gewinnen, dass Glyphosat die finanzielle Erfolgsstory des DDT (ab 1970 verboten) bei Monsanto fortführen konnte.

Und vor diesem Hintergrund glaubte nun Herr Schmidt, es vor sich und seinen Wählern verantworten zu können, die Anweisung aus Berlin zu ignorieren und aktiv für eine weitere fünfjährige Zulassung von Glyphosat zu stimmen. Es wird wohl dazu führen, dass Frankreich plant und Deutschland hoffentlich mitzieht, Glyphosat national vom Markt nehmen werden. Hoffentlich?! Es ist bedauerlich, dass durch eine solche eigenmächtige und unbedachte Handlung eines Herrn Schmidt auch noch der Gemeinschaftsgedanke der EU gegen die Wand gefahren wird.

Wir beklagen uns, dass rd. achtzig Prozent der Insekten sowohl von den Arten als auch von ihrer jeweiligen Menge her, in den letzten Jahrzehnten verloren gegangen sind. Wir beklagen uns, dass die Zahl der Vögel stark rückläufig ist. Wir können wohl nicht Glyphosat dafür ausschließlich verantwortlich machen, aber das Gift übernimmt einen großen Anteil daran: Wenn die Grünpflanzen mit Gift zersetzt werden, haben viele Organismen im Boden keine ausreichende Nahrungsgrundlage mehr. Und deren Fressfeinde müssen sich der aufgezwungenen Diät anschließen, und so zieht sich der Faden durch unsere Umwelt. Es ist ähnlich wie mit den Vögeln: wenn sie keine Nahrung mehr finden, ziehen sie weiter oder verhungern. Oder Bienen: Sie leben vielfach von den Blüten des „Grünzeugs“, das Glyphosat vernichtet. Und es liegt immer eine Nahrungskette vor, aus der das Gift willkürlich ein paar Glieder der Kette heraussprengt. Das hat Folgen für den fortschreitenden Abbau der Biodiversität. Dabei wird immer unterstellt, dass das Gift sich daran hält, nur „Grünzeug“ zu vernichten. Aber auch das ist nicht sicher!

Vielleicht fällt auf, dass das häufig genannte Argument, dass Glyphosat im Verdacht stehen könnte, krebserregend zu sein, noch gar nicht ins Feld geführt wurde. Der Streit über die Meinungshoheit in dieser Frage ist deshalb so peinlich, weil die verschiedenen Gremien in der EU mehrheitlich immer die gleichen Mitglieder haben. Diese Gremien tun so, als ob sie unabhängig entscheiden – aber die personelle Verflechtung zwischen diesen Gremien ist beängstigend. Deshalb ist die Feststellung dieser drei Fachgremien, dass Glyphosat ungefährlich sei, bestenfalls als eine Meinung zu interpretieren. Aber es klingt natürlich viel besser, wenn man sagen kann, drei „renommierte“ Fachgremien hätten diese Feststellung unisono getroffen. Klar, es sind ja die gleichen Personen. Die Weltgesundheitsbehörde kommt hier inzwischen zu einer anderen Einschätzung und kann die gesundheitliche Schädigung nicht ausschließen. Aber das passt den Lobbyisten der Agrochemie nun ganz und gar nicht. Da war es ein ausgesprochener Glücksfall, dass an der argumentativen Engstelle Herr Schmidt die Bühne betrat und der aussichtslosen Sache zuletzt noch den „richtigen“ Dreh gab. Ein kleiner Tipp: behalten Sie Herrn Christian Schmidt über die kommenden Jahre unter Beobachtung: keiner trifft in solch einem Umfeld eine weitreichende Entscheidung gegen seine Interessen ohne einen hinreichend persönlichen Vorteil! Den gilt es nun zu finden.

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Nochmals das Grundeinkommen

Zum Grundeinkommen haben sich jüngst Kardinal R. Marx und der Redakteur der SZ Ulrich Schäfer in der SZ (20. und 21.11.2017) geäußert. Das erfreuliche daran ist, dass das Problem Industrie 4.0 oder die Digitalisierung mal eine Plattform gefunden hat, die nicht nur von Ökonomen beherrscht wird.

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Die Kernaussage von R. Marx lässt sich etwa wie folgt zusammenfassen: „Wer meint, man könne eine Gesellschaft aufbauen, indem man einen großen Teil mit dem Grundeinkommen versorgt und ansonsten die Unterhaltungsindustrie auf sie loslässt, liegt meiner Ansicht nach falsch. Denn Arbeit ist nicht irgendetwas, sondern die Arbeit gehört auch zur Grundkonstitution des Menschseins.“ In einer weiteren Aussage sieht er durch die angestrebte ‚Ruhigstellung der Betroffenen‘ „das Ende der Demokratie“ eingeleitet. Marx folgt hier der Katholischen Soziallehre und deren Leitbild vom arbeitenden Menschen. Dieses Bild stammt nach meinem Verständnis aus der Bibel (im Schweiße Deines Angesichts … usw.) und ist dadurch über die Jahrhunderte Teil unserer Kultur geworden.

Die alten Griechen (aus der vorchristlichen Zeit) haben sich bzw. den Menschen nicht über Arbeit definiert. Das Bild des arbeitenden Menschen muss deshalb auch nicht für alle Zukunft gelten. Und wenn wir uns über Aspekte der Zukunft unterhalten, sollten wir nicht mit Mustern argumentieren, die sicher die letzten 2000 Jahre die Welt bestimmt haben, aber deshalb nicht automatisch die Zukunft bestimmen können.

Das Grundeinkommen ist in meinen Augen eine Metapher eines Lösungsansatzes auf die absehbaren Herausforderungen, denen die Gesellschaft gegenüberstehen wird. Metapher deshalb, weil es nur einen Lösungsansatz beschreibt, der eine Antwort auf die absehbaren Veränderungen darstellt. Ich bin mir nicht sicher, ob R. Marx sich der Tragweite einerseits und der Wirksamkeit der neoliberalen Ideologie andererseits klar ist. Das Problem ist nicht die Digitalisierung als solche, das Problem ist die erwartete Umsetzung der Digitalisierung in einem neoliberalen Umfeld, dessen Menschenbild aber so gar nichts mit dem Menschenbild der Katholischen Soziallehre gemein hat.

Der Neoliberalismus ist ausschließlich auf die Bedürfnisse von Menschen zugeschnitten, die dem neoliberalen Begriff von ‚Elite‘ entsprechen. Und das ist ein kleiner, aber vermögender, möglicherweise hochvernetzter Kreis. Das Fatale ist, dass viele Mitmenschen, die sich gemeinhin als Mittelstand verstehen, sich in ihrem Selbstbildnis gern als Teil dieser ‚Elite‘ verstehen. Die neoliberale ‚Elite‘ lässt diese Mittelstandsgruppe gerne in ihrem Irrglauben. Aus der Sicht der neoliberalen ‚Elite‘ sind alle anderen Teilnehmer in dem großen Hayekschen Gesellschaftsspiel ‚Ignoranten‘ (ignorants) und sie gelten als ‚irrelevant‘. Die Aufgabe der Ignoranten ist es, den demokratischen Anstrich des Gesellschaftsspieles aufrecht zu erhalten. Sie werden nach der alten römischen Regel „Brot und Spiele“ heute  der Unterhaltungsindustrie überlassen.

In dieser menschenunwürdigen Klassifizierung haben die Irrelevanten für den Neoliberalismus eine weitere und wichtige Funktion. Es geht um den Konsum. Die Irrelevanten repräsentieren das Masseneinkommen der Konsumenten, die über Werbung und Marketing Tag ein Tag aus manipuliert werden, damit das, was die Wirtschaft bereitstellt, auch konsumiert wird. Und hier beginnt nun das Grundeinkommen ökonomisch relevant zu werden: Wenn die Digitalisierung im großen Stil Menschen aus ihren Arbeitsverhältnissen entlässt, verliert das kapitalistische System rapide an Kaufkraft und droht zusammenzubrechen. Die Digitalisierung wird international vorangetrieben, also wird der Rückgang der Kaufkraft in allen entwickelten Nationen zu verzeichnen sein. Das kann nicht im Interesse der Eliten sein – also wird es aus der sicht der ‚Eliten‘ eine Lösung dieses Problems geben. Und der Arbeitstitel zur Lösung lautet gegenwärtig „Bedingungsloses Grundeinkommen“ zur Erhaltung der Massenkaufkraft. Die Schöpfer der Idee zum Grundeinkommen hatten natürlich einen deutlich altruistischeren, menschlicheren Ansatz – aber wie so oft in der Politik droht das nette kleine Baby bei der neuen Nährmutter Neoliberalismus dank des reinen Nützlichkeitsgedanken zu einem rabiaten Monster zu verkommen.

Diese Darstellung ist nicht ermutigend, noch passt sie in das optimistische Bild, das uns die Medien regelmäßig vorgaukeln. Die Ausführungen von R. Marx und seine Sorge um die Demokratie sind vor dem hier entwickelten Hintergrund überaus berechtigt. Er hofft, dass das von ihm umrissene Bild einer künftigen Gesellschaft nie Realität werden darf. Aber sind wir nicht auf dem besten Weg in diese Zukunft?

Ulrich Schäfer versucht in seinem Beitrag das dargestellte Bild durch einen überzogenen Optimismus zu ergänzen. Als Anhänger des ‚Marktglaubens‘ hofft er, dass mit der Einführung der Digitalisierung über die Zeit wohl neue Berufe geschaffen werden (wie es in allen Perioden des wirtschaftlichen Wandelns in der Vergangenheit der Fall war) und plädiert für die Gestaltung eines sozialverträglichen Übergang. Leider hat Ulrich Schäfer nicht bemerkt, dass es in den vorherigen Perioden des Wandels nicht das Ziel war, den Menschen aus dem Prozess umfassend zu eliminieren, sondern die jeweils neuen Technologien mit menschlicher Hilfe umzusetzen. Die Digitalisierung ist die erste Technologie, die gezielt gegen die Teilhabe des Menschen arbeitet. Im Zeitalter des Neoliberalismus wird der Mensch zum Kostenfaktor degradiert und muss als solcher minimiert oder sogar eliminiert werden. Einerseits verlieren die Menschen ihre Arbeit durch die Digitalisierung, andererseits wird jede neu einstehende Funktion oder Position wieder der gleichen kritischen Kostenfrage unterworfen: „nehmen wir einen (teuren) Menschen oder digitalisieren wir gleich!“ Das ist die entscheidende Veränderung bei der Einsetzung der neuen Digital-Technologie gegenüber der Vergangenheit. Sein Optimismus erscheint hier also völlig unbegründet und fehl am Platze.

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Geostrategische Zusammenhänge – ein Versuch

Wir sind es gewöhnt, uns um unsere kleine Welt zu sorgen. Unser Politikverständnis ist lokal oft sehr begrenzt. Die Aufgeregtheit der lokalen Medien über Nichtigkeiten schlägt gern in die gleiche Kerbe. Hin und wieder wird das Getrommel zu viel und die Vernunft fühlt sich beleidigt. Es ist dann an der Zeit, sich von dem kleinkarierten und überflüssigen Hickhack freizumachen und mal die internationale Brille aufzusetzen: Zu versuchen zu verstehen, was uns wirklich berühren und unsere ‚Schläfrigkeit‘ tatsächlich stören sollte. Wenn das überhaupt möglich ist.

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Global gibt es auf politischer Ebene vier bis fünf große und aktive Teilnehmer: das sind einmal die USA, das sind weiter Europa, Russland und China. Indien ist nicht so präsent, wäre aber durchaus auch ein echter Kandidat. Wo es aktive ‚Spieler‘ gibt, gibt es auch passive Mitspieler – das sind jene, auf deren Rücken das ‚politische Spiel‘ stattfindet und stattgefunden hat. Afrika erscheint hier als der herausgehobene Kontinent, den alle aktiven Spieler der Weltpolitik (mit Ausnahme vielleicht von China) in den letzten paar hundert Jahren in einer Weise ausgeplündert haben. China versucht gegenwärtig dieses ‚Defizit‘ in Sachen Kolonialisierung durch umfangreiches ‚Landgrabing‘ auszugleichen.

In Afrika fühlt sich gegenwärtig eine größere Zahl von Menschen so drangsaliert, dass sie sich auf den gleichen Weg machen wie ihre Rohstoffe. Dabei sind sie auf der Flucht vor den indiskutablen Zuständen in ihrer alten Heimat. Sie haben nichts mehr zu verlieren als ihr Leben und die relativ wenigen, die es letztlich schaffen, stehen heute vor den Zäunen Europas. Und Europa ist im Grunde hilflos und uneins. Eigentlich besteht die Pflicht der Ausbeuter, (so muss man wohl das gern zitierte Verursachungsprinzip interpretieren), Afrika wieder zu „begrünen“, es vor Ort wieder lebenswert und handlungsfähig zu machen. (Das Wort ‚Entwicklungshilfe‘ sollte man dabei nicht in den Mund nehmen, das ist nur ein anderer Name für Ausbeutung zum Vorteil der Industrienationen.)

Wenden wir uns im Folgenden den wenigen aktiven Spielern zu. Die gewählte Einteilung ist zugegeben sehr grobmaschig, aber eine differenzierte Sichtweise würde erheblich mehr Recherchen verlangen, die für einen „Versuch“ zu viel Aufwand bedeuten.

Die internationale Politik ist ausschließlich durch Interessenlagen geprägt, die mit Freiheit, Demokratie, Menschenwürde, und einem friedlichen Miteinander nur dann verknüpft werden, wenn es darum geht, die unterschiedlichen Interessen auch durchzusetzen. Politik enthält immer viel Wortgeklingel: je mehr die Politik die ‚hohen‘ Werte betont und in die Diskussion einbringt, desto mehr besteht die Gefahr, dass genau diese Werte unterlaufen werden sollen. Wann immer Krieg angezettelt wird, sind die „hohen“ Werte nicht weit: dann „verteidigen wir unsere Freiheit am Hindukusch“, wollen einen zum Hitler stilisiertes Monster Saddam Hussein „hinwegfegen“, um der „Demokratie eine reale Chance zu geben“ und seine nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen unschädlich zu machen. Dieses unsägliche Geschwätz lässt sich in nahezu alle internationalen Brennpunkten auf den Zeitraum der letzten zwanzig bis dreißig Jahre feststellen, in einer Zeit, in der wir uns (zu Recht) rühmen, in Europa (relativ) friedliche Zeiten zu genießen.

Die USA sind seit über 120 Jahren dabei, der imperiale Machtfaktor im Kräftespiel der Weltpolitik zu werden. Während der Zeit der Sowjetunion (1917 – 1989) mussten sie sich zurückhalten und schweren Herzens ein sozial akzeptables Gegengewicht zur kommunistischen Ideologie darstellen. Mit der Auflösung der Sowjetunion fühlte sich der kapitalistische Westen als Sieger und sah sich dazu berechtigt, kapitalistische Strukturen mit Hilfe des Neoliberalismus überall auf der Welt anzustreben. Dabei war der Neoliberalismus im ersten Schritt eine ökonomische Ideologie des radikalen Marktes, hat sich dann aber schnell gewandelt und muss heute als politisch wirkmächtige Kraft angesehen werden. Es geht nicht mehr um Ökonomie, es geht inzwischen um die globale Macht. Der Neoliberalismus ist eine amerikanische Erfindung, hat sich dort am weitesten durchsetzen können und ist heute die herrschende Ideologie (in seiner Radikalität nur noch vergleichbar mit der des ehemaligen Kommunismus). Dabei ist das Ziel des Neoliberalismus, alles und jedes einem Markt (Wettbewerb) zu unterwerfen. Dazu muss alles und jedes einen Preis angeheftet bekommen und der einzige Weg, an diese bewerteten Güter zu gelangen, ist Geld, insbesondere viel Geld. Aus allem muss sich Profit schlagen lassen: auch aus Kultur, Bildung, Gesundheit, Soziale Maßnahmen, selbst aus Gefängnissen, Krankenhäusern, Pflegeeinrichtungen u.a.. Der Nebeneffekt dieser Ideologie ist die gezielte Vereinzelung des Menschen. Solidarität ist ein Verhalten, das nicht in den Neoliberalismus passt und von ihm systematisch Schritt um Schritt zerstört wird. Alle Einrichtungen, die auf solidarischer Basis funktionieren, werden bekämpft und wenn möglich aufgelöst. So steht unser Rentensystem unter Beschuss; im Immobilienmarkt und im Versicherungsmarkt wurden alle Organisationen, die das Wohl seiner Mitglieder im Fokus hatten (Genossenschaften, Versicherungen auf Gegenseitigkeit u.ä.), eliminiert, um dem privaten Finanzinteresse den gewünschte freien Zugriff auf den Profit zu verschaffen. Seit Jahren werden die Universitäten mit der Forderung einer Drittmittelfinanzierung konfrontiert. Man könnte auf die Idee kommen, dass die Freiheit der Wissenschaft verkauft wurde, weil mit jeder Drittmittelbeschaffung auch Teile der wissenschaftlichen Freiheit verloren gehen. Denn wer zahlt, schafft an! – so das neoliberale Credo. Da hat die wissenschaftliche Freiheit keine Chance mehr.

Für die USA kommt dann noch hinzu, dass sie über eine völlig überdimensionierte Armee verfügt. Das US-amerikanische Militärbudget liegt bei weit über 600 Mrd. Dollar (2017). Russland verfügt nur über etwa ein Zehntel dieser Summe (ca. 67 Mrd. Dollar) und wird uns bei diesem (schmalen) Budget nahezu täglich als schlimmer Aggressor verkauft. Der Grund für den Ausbau der militärischen Stärke in den USA liegt einmal in dem imperialen Ziel der Weltherrschaft und zum anderen in dem militärisch-industriellen Komplex, ein Geklüngel auf höchster politischer Ebene, vor dem schon Präsident Eisenhower bei seiner Verabschiedung aus dem Präsidentenamt (in den fünfziger Jahre des letzten Jahrhunderts) eindringlich gewarnt hat. Heute legen die USA Verhaltensweisen an den Tag, die deutlich imperiale Züge tragen. Wer sich nicht den Zielen der USA unterwirft und zum Kreis der „irrelevanten Staaten“ des Neoliberalismus zählt, aber über Ressourcen verfügt, wird mit Krieg, Bürgerkrieg, Terror (sogenannte Stellvertreterkriege) überzogen oder wie das jetzt heißt, zu einem „System Change“ gezwungen. Diese Maßnahmen haben in der letzten 30 Jahren in mehr als zwanzig Kriegen in den betroffenen Ländern bewusst nur Chaos und Instabilität hinterlassen und Millionen Menschenleben gekostet. Die Rohstoffsicherung war dabei regelmäßig das auslösende Motiv.

China hat sich im letzten Jahrzehnt zu einem wesentlichen Mitspieler gemausert. Das kommunistische System hat sich geöffnet und betreibt heute so etwas wie einen Staatkapitalismus mit privaten Elementen. Der chinesische Markt ist eng gesteuert, riesig und er entwickelt sich erst. China beteiligt sich zwar an der internationalen Politik, ist aber aufgrund seines enormen internen Marktes nicht auf den Weltmarkt fokussiert. Seine günstigen Produktionsbedingungen haben neben den Europäern auch die US-Amerikaner auf den Plan gerufen, wobei es sich inzwischen zeigt, dass die USA weit mehr von China kauft als umgekehrt. In USA sind die Unternehmen untergegangen, die dem chinesischen Preiswettbewerb nicht gewachsen waren. Diese Waren werden jetzt bevorzugt in China gefertigt und in die USA exportiert. Die Folge ist ein hoher US-$-Forderungsbestand in China, der so hoch ist, dass jede Währungsveränderung des Dollars China große Probleme bereiten könnte. Gleichzeitig beklagt der neue amerikanische Präsident die hohen Verbindlichkeiten gegenüber China, die sich so gar nicht in das Bild des erfolgreichen Imperialisten einfügen wollen. China ist im Wesentlichen immer noch mit sich selbst beschäftigt. Sein Binnenmarkt bietet noch viele Alternativen, während die USA mit Sorge auf seine teilweise Abhängigkeit von China blickt. Wie das weitergeht, bleibt abzuwarten. Das Imperium USA ist gegenwärtig militärisch kaum in Frage zu stellen, aber vielleicht finden die Chinesen einen Weg, die militärische Stärke zu umgehen. Ihre Geschichte gibt da Hoffnung.

China hat auch erkannt, dass nicht nur der Seeweg für ihr Land von großer Bedeutung sein kann. Gegenwärtig baut China mit großem Investitionsaufwand die alte Seidenstraße zu einer modernen Transfertrasse aus. Sie soll in weiten Bereichen schon fertiggestellt sein. Damit rückt China näher an Russland und an Europa, was dem Warenaustausch fraglos dienlich ist. Diese Entwicklung beobachtet das Imperium aber mit Argusaugen. Die letzten 120 Jahre waren die USA bestrebt, Europa an sich zu binden und war deshalb stets versucht, einen Keil zwischen Europa und Russland zu treiben. Die gegenwärtige Putin-Schelte ist mit Sicherheit Teil dieser Strategie, die unsere Medien bereitwillig aufgegriffen haben.

Dem Imperium ist die Vorstellung ein Gräuel, dass Europa und das rohstoffreiche Russland eine Allianz bilden könnte. Man stelle sich weiter vor, dass über die Transfertrasse auch noch China relativ enge (Wirtschafts-)Beziehungen zu Europa aufbauen wird. Das wäre eine Konstellation, die das Imperium nicht unberührt lassen kann. Die gegenwärtige „Mitte“ der Welt könnte sich auf diese Weise vom Atlantik nach Eurasien verlagern und das Imperium müsste sich mit einer Randlage abfinden. Allein bei dem Gedanken hört man schon die „Säbel“ des Imperiums rasseln.

Russland ist dabei in einer schwierigen Lage. Das Imperium versucht über den Westen Vladimir Putin herauszufordern und an der östlichen Hintertür stehen am Ural China als potente Wirtschaftsmacht, mit dem Ziel, das weite Land besser zu nutzen als es Russland bisher vermocht hat. Die Europäer verhalten sich als brave „Vasallen“ des Imperiums und mucken nicht auf, obwohl die Chancen einer Kooperation mit dem Osten eine glänzende Entwicklung versprechen könnte. Damit ist eine engere Zusammenarbeit Russlands mit der EU vorerst schwierig bis ausgeschlossen, ohne dass das Imperium sich herausgefordert fühlen wird.

Putin gilt als Buhmann der westlichen Presse. Aber was ist die Alternative? – Wir wissen über die Strukturen und Strömungen der Politik in Russland viel zu wenig; und auch das könnte ein Ziel der Propaganda des Westens sein. Alle potenziellen Zusammenhänge, die oben als denkbar dargestellt wurden, würden aber hinfällig, wenn Russlands Führung in einem politischen Chaos versinkt. Die Strategie der USA, Europa von Russland fernzuhalten, wäre dann zumindest für die nächsten Jahrzehnte erfolgreich aufgegangen.

Hinzu kommt die Vertragsbrüchigkeit der Nato. Bei der deutschen Wiedervereinigung hat die Nato zugesagt, eine Ausweitung ihres Einflussbereiches nach Osten zu unterlassen. Diese Zusage wurde mehrfach gebrochen. Und jetzt wird in der Ukraine ein „System Change“ mit Milliarden US-Dollar Einsatz der USA vorangetrieben. Die alte (zugegeben korrupte) Regierung wurde aus dem Amt geputscht und eine neue, westlich orientierte (genauso korrupte) Regierung eingesetzt. Die Zusammenhänge um diesen Putsch sind (wie so oft beim ‚System Change‘ des Imperiums) noch nicht offiziell geklärt und werden auch nicht öffentlich verbreitet. Tatsache ist, dass große Teile der ukrainischen Bevölkerung die neue Regierung mit ihrer strikten Westorientierung ablehnt und –mit Unterstützung von Russland – gegen diese kämpft.

Russland hatte vor Jahren in einem Akt einer schwer nachvollziehbaren Großzügigkeit die Krim mit dem Standort der Schwarzmeerflotte in Sewastopol an die Ukraine übertragen. Dieser militärstrategisch heikle Punkt kann aus russischer Sicht verständlicherweise nicht dem „System Change“ des US-Imperium überlassen werden. Putins Regierung hat eine völkerrechtlich unanfechtbare Lösung gefunden und hat schnell durch eine Abstimmung die Trennung der Krim von der Ukraine durchgesetzt. Es ist nach der überwiegenden Mehrzahl der Fachleute keine Annexion im Sinne des Völkerrechts, sondern eine Abtrennung, die auf einer mehrheitlichen Entscheidung der dortigen Bevölkerung aufbaut. Die strategische Herausforderung Russlands war bezüglich seiner Schwarzmeerflotte gewaltig und die Reaktion Russlands erscheint bemerkenswert geschickt. Hier liegt vermutlich auch der Grund, warum der Westen hinsichtlich der behaupteten „Annexion“ so aufgebracht ist. Man glaubte sich schon auf der Siegerstraße und nun wurde die Sache auch noch völkerrechtlich korrekt durchgeführt, d.h. eine Klage vor einem internationalen Gerichtshof wäre diesbezüglich aussichtslos. Deshalb wird laufend die Propagandamaschine des Westens mit dem Begriff der „Annexion“ gefüttert und es vergeht kein Tag, an dem dieser falsche Sachverhalt (man nennt so etwas jetzt „Fake News“) nicht gebetsmühlenartig wiederholt wird.

Die dargelegten Ausführungen lassen die sonst üblichen Freundschaftsbekundungen in Richtung des Imperiums vermissen. Es wurde aber bewusst vermieden, in Gehässigkeit auszubrechen. Das US-Imperium, handelt aus ihrem Selbstverständnis heraus folgerichtig und ist damit in weiten Teilen auch nachvollziehbar. Aber man muss nicht gutheißen, was bei diesen Handlungen zutage tritt. Für diese kurze Zusammenstellung wurde keine Recherche angestrengt, es geht einfach nur darum, mit einer möglichst unabhängigen und Vernunft betonten Grundeinstellung die Dinge aus der Sicht eines politisch interessierten Bürgers zu beleuchten und einen Zusammenhang herzustellen wie er in der Presse leider nicht vorkommt und auch nicht diskutiert wird. Dass sich bei diesem weiten Feld auch ggfs. Fehleinschätzungen einschleichen und Lücken deutlich werden können, ist nicht ausgeschlossen.

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Indirekte Steuersenkung

Der Markt wird immer schwieriger, die Bedürfnisse sind eigentlich gedeckt. Den Konsum nochmals zu steigern erfordert einen hohen Einsatz an finanziellen Ressourcen. Zusätzlich sind die Unternehmensleitungen durch den Kapitalmarkt getrieben, immer höhere Gewinne zu erwirtschaften. Das neoliberale Mantra: „Privatisierung, Steuersenkung und Sozialabbau“ hat dabei dank der politischen Erfüllungsgehilfen eine neue Ausprägung gefunden: Das Geschäftsmodell der ‚indirekten Steuersenkung‘ durch staatliche Maßnahmen!

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Die Politik hat mit Blick auf die staatliche Verschuldungssituation dafür gesorgt, dass der Zins niedrig bleibt. Diesen Vorteil nutzen aber nicht nur die staatlichen Stellen, auch die Unternehmen können damit ihre Gesamtkapitalrendite (Rendite vor Fremdkapitalzinsen) tendenziell in eine Eigenkapitalrendite verwandeln, weil die Fremdkapitalzinsen gegen Null streben. Die Kapitaleigner müssen nicht mehr für das zur Verfügung gestellte Fremdkapital nennenswerte Zinsen aufbringen. Das spart gegenüber einer früher üblichen Zinslast von 4 – 6 % (und mehr) auf den Fremdkapitalbestand erheblichen Aufwand. Der Ertrag aus der Zinssenkung erhöht den Gewinn und fließt ausschließlich den Kapitaleignern zu. Was heißt das im Klartext: Die Zinsen wurden in früheren Zeiten an die Bank geleistet und belasteten das Unternehmensergebnis vor Steuern. Bei einer Nullzinspolitik entfallen die Zinsen weitgehend. Der freigewordene Gewinn wird den Anteilseignern zugeschlagen.

Diese Entwicklung beflügelt wieder die Börse, die ja nun feststellt, dass allgemein das Kurs-Gewinn-Verhältnis deutlich gesunken ist und dass – nach deren Verständnis – wieder Luft für einen neuerlichen Anstieg bei den Börsenkursen vorhanden sei. Was die Börse nicht sehen will, ist die heiße Luft des Gewinnanstiegs, weil keine Unternehmensleistung dahinter steckt, sondern nur eine lapidare zinspolitische Maßnahme der EU.

Nachdem die Unternehmen die Zinsmarge erfolgreich ausgenutzt haben und dabei feststellen konnten, wie leicht Gewinnsteigerungen durch staatliche Maßnahmen erzielbar sind, wächst die Begehrlichkeit und das Geschäftsmodell der ‚indirekten Steuersenkung‘ kommt zur Anwendung. Dazu braucht man ein Unternehmen, das Gewinn erwirtschaftet, denn nur wenn es Gewinne gibt, sind nach herrschender Auffassung auch Ertragsteuern fällig. Und sie betragen ohne Sondereinflüsse in Deutschland etwa 30%. Wenn es also gelingt, diese Steuerlast legal abzustreifen, würde sich die Eigenkapitalrendite um den Betrag der Steuerentlastung erhöhen lassen. Wer einmal in der Wirtschaft tätig war, weiß, dass solch hohe Gewinnsteigerung über den Markt nur in Ausnahmefällen und nur unter großem Einsatz von finanziellen Ressourcen und einer gehörigen Portion Risiko zu schaffen ist. Die hohe Attraktivität des Geschäftsmodells der ‚Steuergeschenke‘ begründet sich gerade darin, dass weder der Einsatz zusätzliche Ressourcen bindet, noch ist das Geschäftsmodell mit Risiko behaftet.

Es ist zwar moralisch abzulehnen, aber angesichts einer solchen Chance werden die Herren des Geldes regelmäßig schwach, verweisen auf den Markt und seine zweifelhafte Ethik, zumal die ausländischen Wettbewerber dieses Geschäftsmodell schon lange nutzen. Und die zusätzliche Attraktivität liegt nun darin, dass keine Maschinen angeschafft werden müssen, kein Personal erforderlich und das Risiko dank der politischen Einstellung in unserem Lande recht überschaubar und klein ist (wenn nur nicht diese verdammten „Leaks“ wären!). Je weniger im Unternehmen von diesem besonders effizienten Geschäftsmodell wissen, desto besser! Ein ganz kleiner Kreis im Unternehmen ist in der Lage, das ganz große Geld zu machen – oft sogar legal. Dafür müssen dann zwar erhebliche Summen an „Konstruktionskosten“ für bestimmte Fachleute abgedrückt werden, aber die sind im Wesentlichen nur einmal fällig. Die laufende Betreuung wird auch nicht billig, aber bei dem Volumen der meisten Nutzer dieses Geschäftsmodells (Konzerne) sind das „Peanuts“.

Die meisten Politiker in Deutschland kennen die Zusammenhänge, aber eine sinnvolle Vorgehensweise verbietet die neoliberale Ideologie (der Staat hat sowieso zu viel Geld und Macht und Privatisierung ist immer gut), oder sie erstickt in dem Kompetenzgerangel in Deutschland (NRW puscht die Steuerfandung, Bayern rühmt sich, hier kein Personal vorzuhalten) und sie scheitert am massiven Einfluss der Lobbyisten jener Unternehmen, die diese Löcher zu ihrem Vorteil weiter nutzen wollen. Die dazu geplanten Maßnahmen der EU werden seit Jahren durch die fehlende Zustimmung der Bundesregierung nicht wirksam. Und wir reden hier nicht von Steuerhinterziehung – also einem illegalen Mittel dem Staat Steuern vorzuenthalten. Nein – es sind in der Mehrzahl legale und damit bekannte Schlupflöcher, die der Staat aus welchen Gründen auch immer nicht stopfen will. Ganz offensichtlich fehlt bei uns der politische Wille hierzu oder sagen wir es anders: die Politik sitzt auf dem Schoß der Wirtschaft. Es stünden zusätzlich jährlich zwei- bis dreistellige Milliarden Euro Steuerbeiträge zur Verfügung, wenn man sich die Mühe machen würde, diese Löcher zu stopfen.

Das Chaotische an diesem Zustand ist, dass wir einen Finanzminister hatten, der die schwarze Null ‚reitet‘ und den Bürgern dafür Zugeständnisse abringt, während die Eigentümer des ‚großen Geldes‘ unbehelligt Milliarden in die eigene Tasche lenkt. Wenn man die politischen Eiertänze sieht, wenn der Harz IV Satz erhöht werden soll und dann mit hässlichen Argumenten gestritten wird, ob 5 Euro pro Person vertretbar sind, dann fasst man sich an den Kopf – wo sind denn da die Prioritäten? Im gleichen Atemzug flutschen Millionen Steuergelder unwiderruflich mal schnell in private Taschen. Ist sich die Politik nicht darüber im Klaren, das die Merkel‘sche Aussage: ‚es geht uns gut‘, nur eine weitgehend gekaufte Potemkin‘sche Fassade darstellt, weil Nullzins und Milliarden Steuergeschenke die Konjunktur und insbesondere den Kapitalmarkt beflügeln. Dahinter steht aber keine wirklich erkennbare Leistung, sondern nur eine hässliche Umverteilung von unten nach oben: Das ist ein Skandal, denn diese Alimentierung der Vermögenden wird mangels Gelegenheit vom „kleinen Mann“ überhaupt nicht realisiert. Es geschieht in Einkommens- und Vermögenssphären, die ihm völlig fremd sind. Er nimmt es scheinbar hin, ständig gemolken zu werden, angeblich, ohne es zu bemerken. Wie lange noch?

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Ökonomischer Irrwitz

Die Wirtschaftswissenschaften teilen sich in eine makroskopische Vorgehensweise (Volkswirtschaftslehre oder Economics) und einen mikroskopischen Ansatz, der gewöhnlich mit Betriebswirtschaftslehre oder Business Administration bezeichnet wird. Beide Ansätze gehen ursprünglich auf ein gemeinsames Menschenbild zurück, das den Menschen auf den ‚Entscheider‘ reduziert.

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Alles, was dieser ‚Modellmensch‘ tut, ist angeblich rational begründbar. Dieses ‚seltsame Tier‘ nennt man unter Ökonomen den homo oeconomicus. Es zeichnet sich dadurch aus, dass es keiner Emotionen besitzt und wenn doch, dann in der Lage ist, diese rational zu begründen.

Dieser Modellmensch ist mit einer Rationalität begabt, die übermenschlich ist – er kommt den Göttern nahe – aber man muss an ihn und sein Verständnis von Rationalität glauben. Er löst angeblich jedes Problem mit logisch-rationaler Schärfe, kennt immer im Voraus alle Alternativen der Problemlösung und muss nur noch gemäß seinem Ziel der monetären Gewinnmaximierung die „richtige“ Alternative auswählen. Alles was nicht monetär gefasst werden kann, ist nicht Gegenstand seiner Rationalität. Vernunft spielt bei ihm also nur insoweit eine Rolle, als er das Vernünftige in Geld ausdrücken kann.

Dieser emotionale ‚Krüppel‘ war einvernehmlich die Diskussionsgrundlage der Ökonomie. Nicht lange nach dem Kriege entwickelte sich unter dem Druck der Märkte ein Wissensgebiet in der mikroskopischen Ökonomie, das wir heute Marketing nennen. Es befasst sich intensiv mit der Frage, wie man den konkreten Menschen (also nicht den ‚Krüppel‘) durch Manipulation dazu bringt, mehr zu konsumieren als er braucht. Das neue Fach ‚Marketing‘ hat natürlich mit der gemeinsamen Basis des homo oeconomicus begonnen. Die Vertreter dieses Faches haben aber sehr schnell realisiert, dass die meisten Menschen nicht rational, sondern eher emotional handeln. M.a.W. dieses Wissensgebiet hat die Sichtweise des homo oeconomicus auf den Müll der Methodengeschichte gepackt. Es hat sich durch die Psychologie und Soziologie inspirieren lassen, um zu erreichen, dass nachweislich erfolgreiche Methoden der Vermarktung entwickelt werden können. Der Modellmensch kann das nicht leisten. Er ist viel zu abstrakt und zu weit vom wirklichen Leben entfernt, als dass mit ihm solche Methoden begründet und bereitstellt werden könnten.

Rationale Entscheidungen sind im wirklichen Leben nicht ausgeschlossen, aber wird bei jeder Entscheidung die Ratio bemüht? Wieviel Entscheidungen mit weit tragenden Folgen werden routinemäßig getroffen? Haben wir im wirklichen Leben die Informationen, die notwendig sind, um eine rational begründbare Entscheidung herbei zu führen? Nein! Und die Industrie ist heute mit Hilfe des Marketings intensiv bemüht, uns vom Pfad der Rationalität abzulenken. Die Emotion wird strapaziert. In der Erwartung, dass unsere Emotion wohl in aller Regel stärker auf unsere Entscheidungen durchschlagen als die viel besungene Ratio.

Damit bewegt sich die Ökonomie in einem irrwitzigen Rahmen: Der makroskopische Teil dieses Untersuchungsgebietes glaubt steif und fest an die Rationalität der Entscheider. Das Marketing tut genau das Gegenteil – es werden Milliarden Euro eingesetzt, den Entscheider von der Ratio wegzulocken, um ihm die Welt der Emotionen zu vermitteln. Wenn die Ratio irgendeinen wesentlichen Einfluss auf unsere Konsumentscheidungen hätte, wäre jede Werbung nutzlos, weil ja der Verstand des Menschen sofort erkennen würde, dass er überrannt werden soll. Und das würde dazu führen, dass diese Methoden weitgehend ohne Einfluss blieben. Das Gegenteil ist zu beobachten. Eine Industrie, in der Wettbewerb stattfindet, kann sich kein exzessives Marketing leisten, wenn es keine Erfolge aufzuweisen hätte. Das können wir als einen starken Hinweis werten, dass Marketingmethoden keinem methodischen ‚Glauben‘ entspringen, sondern durch viele Fakten belegt werden können. Die gleiche Erwartung auf die Grundlagen der Ökonomie (Economics) zu richten, läuft aber ins Leere bzw. in die schöne neue Welt des ‚Glaubens und Hoffens‘.

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Für eine schlüssige Mobilitätspolitik

Wir nehmen den Betrug der Autoindustrie hinsichtlich der Abgas- und Verbrauchsangaben zu ihren Produkten verärgert zur Kenntnis und hoffen auf die Justiz. Man erkennt auch, dass die Politik ihr Heil in einer forcierten Elektro-Doktrin zu finden hofft. Die Wasserstofftechnologie für Antriebe spielt politisch offensichtlich keine große Rolle. Am Horizont zeichnet sich die Idee vom autonomen Fahren ab.

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Gleichzeitig droht die Politik mit dem Beharren auf dem vollmundigen Klimaziel sich lächerlich zu machen, weil der gute Wille erklärt wird, aber das „Fleisch“ in der Regel viel zu schwach ist, um sich gegen die industriellen Interessen durchzusetzen.

In den Metropolregionen verzichten viele jüngere Menschen schon heute auf ein Auto, nicht weil sie es sich nicht leisten können, sondern weil sie nicht wissen, wohin damit, wenn der Feierabend kommt. Und ganz ehrlich, es wird immer wieder behauptet, das Auto sei schneller als der ÖPNV in der Überwindung der Entfernung, aber angekommen, muss der Fahrer so lange nach einem Parkplatz suchen, dass der mögliche Vorsprung sich schnell verflüchtigt. Der Öffentliche Personen Nahverkehr (ÖPNV) wird Jahr für Jahr ein wenig leistungsfähiger, aber das Haupttransportmittel der meisten Menschen  – das  Automobil – wird von Jahr zu Jahr in den Metropolen unattraktiver. Das Automobil scheint sich in diesen Räumen selbst ad absurdum zu führen.

Die Gemengelage ist sehr unübersichtlich und es gibt – wie immer in solchen komplexen Zusammenhängen – keine einfache Lösung, die mit ein paar kleinen Korrekturen den Status quo fortschreibt. Das wäre politisch zwar am einfachsten durchzusetzen, aber die erkennbaren Umbrüche sind zu groß.

Der klassische Verbrennungsmotor wird uns noch einige Jahre begleiten. Diese Technologie ist ausgereift und die Infrastruktur steht. Man wird an dem Schadstoffausstoß ein wenig herumflicken, um ihn nicht ganz aus dem Ruder laufen zu lassen. Das Automobil ist sowohl in den Metropolregionen als auch auf dem flachen Land eingeführt und entspricht weitgehend unseren Erwartungen an diese Technologie. Wir vergiften uns nur allmählich und in den Metropolen wird die Blechlawine, die sich täglich durch die Straßen wälzt, hinsichtlich Lärm, Schmutz und Platzverbrauch unerträglich.

Wenn man nun das gleiche Szenario mit der E-Mobil-Technologie beschreiben will, entfallen Schadstoffausstoß der PKWs und der Lärm. Damit wäre die Situation ein bisschen besser. Was ist aber mit dem gewerblichen Verkehr, den wir unter dem Begriff LKW erfassen? Von dem LKW-Verkehr wird im Rahmen der E-Mobilität überhaupt nicht gesprochen. Als ob es keine LKWs gäbe! (Ausgerechnet die Post befaßt sich mit dieser Frage, weil sie auf dem deutschen Automobilmarkt mit ihrem Anliegen keinen Produzenten gefunden hat).

Ist der Kohlendioxydausstoß bei einer E-Mobilität wirklich geringer? Der Strom muss ja produziert werden und entwickelt dabei CO2. Die Frage, ob hier dann wirklich Kohlendioxyd eingespart wird, ist nicht abschließend geklärt, solange nicht ausschließlich erneuerbare Energien zum Einsatz kommen.

Das E-Mobil hat eine recht begrenzte Reichweite. Das kennen wir aus den Anfangsjahren des Verbrennungsmotors auch noch. Kraftstoff zu fassen war und ist eine Sache von zehn Minuten, Elektrizität in Batterien zu speichern ist noch eine Sache von Stunden. Die dazu notwendige Infrastruktur muss erst noch aufgebaut werden. Die Kosten werden erheblich sein. Eine Größenordnung ist mir nicht bekannt. Die Batterien sollen nur 10 – 15 Jahre verwendbar sein, dann müssen sie ausgewechselt und ‚entsorgt‘  werden. Einerseits liegen die damit verbundenen Kosten  weit jenseits des halben Fahrzeugneupreises (je nach Größe des Fahrzeugs). Andererseits ist die Entsorgung solcher Autos vorprogrammiert: wer investiert in ein 15 Jahre altes Auto nochmals den halben Anschaffungspreis. Das ist völlig unrealistisch. E-Mobilität wird dadurch richtig teuer. Die Umweltschäden, die diese Technologie in der Dritten Welt auslöst, werden noch mehr Afrikaner zum Anlass nehmen, ihr Heil unter Lebensgefahr in Europa zu suchen.

Ein weiterer Mangel der so verstandenen E- Mobilität liegt darin, dass wir nichts sparen: Der heutige Energieverbrauch unserer Verbrennungsmotoren wird auf das Stromnetz übertragen. Wenn meine Informationen richtig sind, fahren wir mit den gegenwärtigen Energienetzen an der Kapazitätsgrenze. Wenn also dann alle E-Mobile ihren „Kraftstoff“ aus dem Strom-Netz beziehen, müssten die erforderlichen Kapazitäten schon heute in Angriff genommen und vielleicht verdoppelt oder verdreifacht werden, um diesem Ansturm gerecht werden zu können. Ist das der Fall? Nach meiner Kenntnis passiert diesbezüglich gegenwärtig  nichts.

In den bisherigen Betrachtungen taucht die Option des autonomen Fahrzeugs nur am Rande auf. Das autonome Fahren ist im Grunde ein Taxi ohne menschlichen Fahrer. Was bedeutet das für die Mobilität? Das autonome Fahren ist in einem ersten Schritt völlig unabhängig von der Antriebstechnologie. Ob Verbrennungsmotor oder Elektromotor oder gar ein Wasserstoffantrieb, das ist dem autonomen Fahrer (dem Algorithmus) völlig gleichgültig.

Mit dem autonomen Fahren wird der Besitz eines Automobils jeden Charme verlieren. Der Besitzer kann sich in den Metropolregionen über die Größe seines Autos sozial nicht mehr differenzieren. Die Autohersteller werden bequeme Einheitsfahrzeuge bereit stellen, die man immer dann, wenn man sie braucht, ruft und benutzt. Was ist die Folge? Heute ist ein Auto bei den meisten Menschen eine überaus unwirtschaftliche Anschaffung: Das Auto steht ca. 22 Stunden eines Tages auf der Straße, nimmt Platz weg und wird in den zwei Stunden des Tages im Schnitt etwa 25 – 50 km bewegt, um dann wieder zu stehen. Ein autonom gesteuertes Fahrzeug ist im Prinzip 24 Stunden (abzüglich ‚Kraftstoff‘-Aufnahme und Service) unterwegs. Wenn es A nicht nutzt, nutzt es B. Die Bestellung eines Fahrzeugs erfolgt digital. Wenn man davon ausgeht, dass morgens und abends eine große Nachfrage nach Fahrzeugen auftreten wird, ist trotz allem festzustellen, dass die absolute Zahl von Fahrzeugen durch das autonome Fahren drastisch sinken wird. Für Städte gibt es Simulationen, die davon ausgehen, dass der Fahrzeugbestand dort aufgrund der veränderten Fahrtechnologie auf zehn Prozent des gegenwärtigen PKW-Bestandes sinken würde. Neunzig Prozent des Bedarfs an Autos lösen sich dann in Luft auf. Was für einen Platz gewönne man in den Städten!

Das autonome Fahren würde damit auch aus Umweltgesichtspunkten selbst bei den bestehenden Verbrennungsmotoren einen Beitrag zur Reduzierung von CO2 leisten können, den sich die Regierung in ihren kühnsten Träumen nicht erhofft hat. Deshalb ist auch bei der Beurteilung der E-Mobilität mit Vorsicht zu argumentieren: E-Mobilität zusammen mit autonomem Fahren senkt die PKW-Zahlen drastisch und damit die zu erwartenden Infrastrukturaufwendungen und senkt mit gewissen Einschränkungen aufgrund der geringeren Automobilzahlen auch den Energiebedarf und die  damit verbundenen Infrastrukturfolgekosten in der Energieversorgung. Vor diesem Hintergrund sollte man nicht mit einer fragwürdigen E-Doktrin durch die Lande ziehen, sondern vielmehr dafür sorgen, dass sich das autonome Fahren realisiert und politisch durchgesetzt wird. Hier liegt offensichtlich einer der Dreh- und Angelpunkte, gewissermaßen die Schnittmenge der anstehenden Probleme.

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Private Altersversorgung – quo vadis?

Unter der Überschrift „versichert und verkauft“ deutet Herbert Fromme in der SZ an was den Versicherungsnehmern wohl blühen wird. Die großen alten Versicherungs -„Dampfer“ wie Viktoria-Leben, Hamburg-Mannheimer oder Volksfürsorge, die immer mit dem Brustton der Überzeugung ihre Leistungen darstellten, sind in Schwierigkeiten und wollen ihre Versicherungsnehmer wie lästige Fliegen loswerden.

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Der Markt unterliegt ständigen Veränderungen
Der Markt hat sich grundlegend zum Nachteil der Versicherungswirtschaft und ihre alten Zusagen verändert. Die Verträge mit den Versicherungsnehmern (VN) sind aber gleichgeblieben und keiner dieser Versicherungsdampfer konnte sich vorstellen, dass das kurzfristig orientierte Geschäft in einer Marktwirtschaft mit einer zwanzig- oder gar dreißigjährigen Zusage von Anfang an im Konflikt stehen könnte. Eine Zusage auf dreißig Jahre ist mit einer kapitalistischen Marktwirtschaft nicht vereinbar, weil die langfristige Bindung dem Grundgedanken unseres Wirtschaftssystems widerspricht. Das will zur damaligen Zeit aber niemand gemerkt haben.

Rendite steht im Vordergrund
Das ausschließliche Ziel der Versicherungswirtschaft ist es Rendite zu machen. Der Versorgungsgedanke ist nur Marketinggerede. Der Versorgungsgedanke war bei den ‚Versicherungen auf Gegenseitigkeit‘ oder bei den ‚genossenschaftlich organisierten Versicherern‘ noch darstellbar. Hier war der Versicherungsnehmer nicht nur die Kuh, die man melken wollte, sondern er hatte auch Gestaltungsrechte oder sein Wohl war Teil der Satzung. All diese „lästigen“ Einschränkungen hat man aber über Bord geworfen als man sich als Kapitalunternehmen unter dem Beifall der Politik an der Börse präsentierte. Heute stehen die Versicherungsunternehmen zum Verkauf und die Versicherungsnehmer gleich mit.

Verschiebung der Risiken
Die neuen Versicherungsverträge garantieren nichts mehr und sind allgemein auf Fondsbasis aufgebaut. Mit anderen Worten, das für den Altersversorgungsgedanken breiter Massen notwendige Sicherheitsversprechen wird abgestreift und dafür werden Policen angeboten, die das Erfolgsrisiko von der Kapitalgesellschaft auf den VN übertragen. Nach dem alten System war die Versicherung in der Haftung und wenn sie groß genug war, konnte man sicher sein, dass die Rücklagen auch dann reichen, wenn der Markt Kapriolen schlägt. Heute liegt das Risiko voll und ganz bei VN, der aber aufgrund der Vertragsgestaltung den Fonds nicht wechseln kann, wenn er merkt, dass das Fonds-Management wenig Fortüne besitzt. All die Freiheiten, die ein Anleger hat, sind ihm genommen. Beim ‚rein‘ in den Vertrag gibt es vielleicht eine Wahl, dann ist der VN aber über die Dauer des Vertrages bis zu dreißig Jahren der Gefangene des Vertrages und der Leistungsfähigkeit des Fonds. Diese Erkenntnis gewinnt der VN meist erst im Laufe der Vertragslaufzeit. Der Fondsmanager kennt diese Konsequenz des Vertrages von Anbeginn. Was sollte ihn dazu bewegen, ein maximales oder wenigsten optimales Ergebnis für den VN zu erzielen – bestenfalls sein sportlicher Ehrgeiz, und das ist eine sehr dünne Grundlage.

Effizenzsteiegerung durch Zusammenlegung
Jetzt werden die alten Vertragsbestände oder gleich die ganze Gesellschaft verkauft. Ich bin mir nicht sicher, ob die Käufer am Kapitalmarkt die Bestände weiterhin in Deutschland führen werden. Es wäre denkbar, dass die Vertragsverwaltungen in den Konzernen zusammengelegt werden. Die Entscheidungen über Zweifelsfragen werden dann möglicherweise im Ausland getroffen. Da kann es dann schwierig werden, eine Klageschrift wirksam zustellen zu wollen. Wenn sie einen kompetenten Ansprechpartner jenseits der stereotypen Aussagen des deutschsprechenden Callcenters haben wollen, dürfen sie sich als Folge der Globalisierung in fremder Sprache üben.

Deutschlandrente
Nach Auskunft wird als Ersatz der privaten Altersversorgung über eine „Deutschlandrente“ diskutiert. „Die Beiträge für die Deutschlandrente werden vom Staat eingezogen, der sie von privaten Fondsmanagern verwalten lässt und selbst kein Gewinninteresse verfolgt. Die Kosten wären sehr niedrig. In Schweden funktioniert das gut.“ Das klingt auf den ersten Blick recht vielversprechend. Insbesondere, wenn der Staat zumindest für kleinere Rentenverträge eine gewisse Sicherheitsgarantie abgäbe. Aber: Ist es den Befürwortern dieses Ansatzes klar, dass Fonds heute mehrheitlich nicht durch realen Kauf und Verkauf von Wertpapieren agieren, sondern Fonds-Bestände hält, die mehrheitlich aus Derivaten und Terminkontrakten bestehen – also aus heißer Luft, die nur solange einen Wert darstellen, solange der Markt reibungslos funktioniert und sichergestellt ist, dass die Derivate und die realen Anteile deckungsgleich sind. Wir wissen doch aus anderen Quellen, dass der Derivatemarkt um ein Vielfaches größer ist als reale Transaktionen vorhanden sind. Hier wird ein Risiko aufgebaut, das der Staat eigentlich gar nicht tragen will. Da er aber die Finger im Spiel hat, wird es eine Fülle von Regressansprüchen geben, wenn der Markt einmal zusammenbricht und deutlich wird, dass außer heißer Luft nichts da ist, dem man einen Wert beimessen könnte.

Risiken aus Finanzprodukten
Die Begeisterung für Finanzprodukte ist in der Branche und in der Politik so groß, dass sich niemand die Frage stellt, ob der Markt nicht in den nächsten paar Jahren wieder einen Zusammenbruch erlebt wie 2008/2009. Wir haben ja nichts geändert! Warum müssen wir immer wieder die gleichen Fehler machen? Geld ist nur eine Konvention, Finanzprodukte sind eine Konvention auf Basis einer Konvention. Aktien sind der monetäre Ausdruck eines realen Hintergrundes. Wenn die Konvention aufgehoben wird, bleibt der reale Wert des Unternehmens grundsätzlich bestehen. Wie er sich dann in Geld ausdrückt, muss offen bleiben, aber der reale Wert lässt zumindest hoffen. Für Finanzprodukte gibt es hier keine Hoffnung – sie lösen sich in Luft auf. Und alle Welt schaut, wo sie eine Institution findet, die sie für die riesigen Verluste haftbar machen kann. Da wird dann aber nichts mehr sein.

Das Risiko der staatlichen Organe
Wenn in diesem Zusammenhang der Staat die Finger im Spiel hat, ist klar, bei wem man seine Forderung ablädt und die Politik wird über den üblichen Wählerdruck nicht umhin können, hier weitgehende Zugeständnisse machen zu müssen. Dann doch lieber gleich das bestehende Rentensystem erweitern und heute alle Arbeitskräfte zu Beitragszahlern machen (also auch Unternehmer, Selbstständige und Beamte). Und das ganze System ohne Kapitalmarkt aufbauen. Der Kapitalmarkt ist viel zu fragil und volatil, um die für eine Altersversorgung notwendige Sicherheit zu gewährleisten. Wie wir inzwischen leidvoll wissen, bricht der Finanzmarkt in regelmäßigen Abständen zusammen, wenn wir ihm in friedlichen Zeiten nur genug Zeit geben, um Blasen zu entwickeln. Das ist für eine Rente keine seriöse Lösung. Zumindest nicht für die unteren Einkommensgruppen, die auf diese Rente im Alter bitter angewiesen sind.

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