Ausgangspunkt der folgenden Gedanken ist ein Artikel der Süddeutschen Zeitung (8./9. Sept. 2018, S. 34f.), indem der Frage nachgegangen wird, wie ökologisch sich verschiedene Produkte unseres täglichen Lebens darstellen und was davon richtig sein könnte. Dabei werden vierzehn Sachverhalte einer Beurteilung hinsichtlich ihrer ökologischen Wirkungen unterzogen.
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Das Ergebnis ist wie zu erwarten: Jeder der Sachverhalte erfordert eine andere Betrachtungsweise, weist andere Rebound-Effekte auf. Ein undurchschaubares Für und Wider, ein „Eiertanz“ – der Leser begreift nur eins: Die ökologisch richtige Entscheidung ist hochkomplex und deshalb oft nicht eindeutig zu entscheiden. Wie einfach ist im Gegensatz dazu der ökonomische Entscheidungsprozess. Klar, jeder weiß, unsere Form der Ökonomie zerstört unsere Lebensgrundlagen, aber „doch nicht heute“ und weiter reicht die ökonomische Perspektive der meisten betroffenen Menschen sowieso nicht.
Wo liegt das Problem? Die Ökonomie ist ein System, das die individuelle Devise unterstellt: „Alles mir und den anderen nichts“ oder anders ausgedrückt: es herrscht das Ziel der individuellen Gewinnmaximierung. Und was aufgrund dieser Maxime gut tut, das leitet man vom egoistischen Selbstverständnis ab. Damit ist die ökonomische Entscheidungsstruktur grundsätzlich einfach und für das Individuum überschaubar. Jede Entscheidung zu meinem Vorteil erscheint richtig. Leider geht sie meist zu Lasten der Mitmenschen und der Umwelt.
Die Ökonomie hat noch einen weiteren Vorteil gegenüber der Ökologie: das ist ihre etablierte Infra- und Führungsstruktur. In der Ökonomie gilt der Autoritarismus (der Chef bin ich), die Hierarchie und das einfache Prinzip einer fortwährenden Bereicherung (der Gier). Die Ökologie kennt weder eine schlagkräftige Infrastruktur noch eine handelnde Autorität – Die Ökologie kann nicht als Hierarchie gedacht werden, eher als selbststeuerndes Netzwerk von atemberaubender Flexibilität.
Die Ökologie kennt einseitige Kumulierung von Vorteilen nicht. Das System der Ökologie geht davon aus, dass alles mit allem verschränkt ist. Wenn einer mehr fordert als ihm im fein austarierten System zusteht, dann muss er das bewusst zum Nachteil seiner unmittelbaren und weiteren Umgebung tun. Er stellt sich gewissermaßen gegen das Netz. Das ökologische System toleriert diese dysfunktionalen Verhaltensweisen erstaunlich lange, bis es irgendwann dadurch zurückschlägt, dass Parameter, die lange als nahezu konstant angesehen wurden, sich plötzlich dramatisch verändern. Das Erstaunen ist groß. Da die Kausalität aufgrund der Komplexität aber nicht immer eineindeutig ist oder auch so dargestellt werden kann, wird die Diskussion durch die interessierten Kreise (der Ökonomie) solange am Kochen gehalten, bis der (Durchschnitts-) Bürger die Lust an dem Phänomen verliert und der ökonomische Trott wieder um sich greift.
Schon die Zusammenhänge der Ökonomie sind vielen Menschen ein Buch mit sieben Siegeln, aber Ökonomie ist verglichen mit Ökologie geradezu simpel und wird als monokausal behandelt. Die ökologischen Zusammenhänge sind in ihrer Komplexität den meisten Menschen nur schwer vermittelbar. Die Masse folgt deshalb verständnislos irgendwelchen „Sprüchen“, deren Inhalt sie weder verstehen noch beurteilen kann. Diese Feststellung gilt sowohl für die Ökonomie als auch für die Ökologie.
Nun hat die Ökonomie den Vorteil über etablierte Strukturen zu verfügen. Sie kann dem Einzelnen gewisse Vorteile im ‚Hier und Jetzt‘ versprechen: eine Beschäftigung, ein besseres Einkommen, ein größeres Auto, einen größeren Fernseher und was nicht sonst noch alles. Die Ökologie verlangt von den gleichen Menschen stattdessen Rücksichtnahme, Einschränkung, Verzicht, „Befreiung vom Überfluss“ – alles Verhaltensweisen, die für den ökonomisch konditionierten Mensch aus einer ‚anderen‘ Welt kommen. Er müsste sich aus seiner Egozentrik befreien, sich zurücknehmen, verstehen, warum er Verzicht leistet und wie Befreiung sich anfühlt. Und er wird im Rahmen seiner ökonomischen Konditionierung stets versucht sein, sich egoistisch zu fragen: „was bringt es mir“? Der Hinweis auf die Grenzen des Wachstums, die Ökologie, auf die eigene Befreiung und auf die der kommenden Generationen wird nur von einem sehr kleinen Teil der ‚Masse‘ als ausreichende Rechtfertigung einer freiwilligen Einschränkung akzeptiert werden können.
Es ist aus diesen Gründen müßig, bei der praktischen Umsetzung ökologischer Fragestellungen auf den Verstand oder gar auf die Vernunft der breiten Öffentlichkeit zu setzen. Zwar wird immer wieder Betroffenheit ausgelöst, aber sie reicht regelmäßig nicht aus, um eine kritische Masse zu erreichen, die notwendige Verhaltensänderung auf breiter Front auszulösen.
Die Politik betreibt dabei mieses Spiel, redet von Ökologie und hehren Zielen, die in ferner Zukunft erreicht werden sollen. Sie tut aber im konkreten Fall wenig bis gar nichts, weil jede ökologische Handlung darauf gerichtet sein muss, ökonomischen Handlungsspielraum einzugrenzen. Und das traut sie sich nicht, weil das neoliberale Dogma der „freien Märkte“ immer noch in den Köpfen herumspukt. „Freie Märkte“ dürfe man auch nicht demokratisieren, sie unterliegen ausschließlich den Regeln eines zweifelhaften Ökonomieverständnisses. Das Dogma vom sogenannten freien Markt geht so lange zum Brunnen bis es bricht – bis auch der letzte erkannt hat, dass das Dogma nur eine wirksame Manipulation des eigenen Gehirns ist. Die Freiräume sind da, niemand hindert uns sie zu nutzen, wenn der quasi-religiöse Glaube an das Dogma nicht wäre. Und hinter dem Dogma verschanzen sich mächtige Interessen. Denen geht es nicht um künftige Generationen, denen geht es schlicht um viel Geld im Hier und Jetzt.
Die Politik – so scheint es – wartet auf ein ökologisches „Fukushima“, auf ein Ereignis, das auch dem letzten Trottel klar macht: es muss sich etwas ändern. Aber das Ereignis wird erst dann Platz greifen, wenn möglicherweise das ‚Kind im Brunnen‘ liegt und die Handlungsspielräume klein und die Maßnahmen so scharf eingreifen müssen, dass das Problem nicht mehr wirklich steuerbar ist. Es gibt genügend Äußerungen von renommierten Fachleuten (bitte nicht mit Experten verwechseln), die auf die Folgen unseres Handelns schon heute mit aller Deutlichkeit hinweisen.
Um eine Alternative in Umrissen darzustellen, ist es immer ab einfachsten, man greift sich eines unserer lästigsten Probleme heraus: Verpackungsplastik. Dieses Zeug ist überall. Nun hat es keinen Zweck, hier auf die Vernunft der Verbraucher zu zählen, denn das Problem ist ja nicht neu und die Bequemlichkeit der Menschen wird sich nicht ändern. Also muss das Problem nicht bei der Verwendung des Materials, sondern bei der Herstellung (bei der Wurzel des Übels) angegangen werden: Und dann bitte unmissverständlich: Die Produktion von Verpackungsplastik wird ab heute in 10 Jahren untersagt. Das gibt den Herstellern eine ausreichende Frist für ihre Umstellung. Gleichzeitig wird die Herstellung von Verpackungsplastik ab sofort beim Produzenten hoch besteuert, um dem Ernst der Maßnahme Nachdruck zu verleihen. Wichtig ist jetzt, dieses Vorhaben dahingehend abzusichern, das sich keine politische Kraft für die nächsten 15 Jahre für eine Rückgängigmachung stark machen kann. (Üblicherweise verkauft man das dann als den Ausstieg aus dem Ausstieg – kennen wir doch schon!). Jetzt kann die Wirtschaft dank klarer Rahmenbedingungen ihre ganze Kreativität aufbringen und abbaubare Alternativen suchen. In 15 Jahren, wenn dann das Gesetz wieder rückgängig gemacht werden könnte, will dann keiner mehr die alten Zustände und es wäre eine gewaltige Chance für einen ökologischer Sprung nach vorn wahrgenommen.
Jetzt kommt garantiert von der Politik der Einwand der Internationalität: wenn nicht alle den Verpackungsplastikmüll ächten, warum sollten wir es? Das ist die alte Leier der Unbelehrbaren. Wenn ein Land damit anfängt, springen die anderen auch auf dieses Vorhaben, weil der Plastikmüll ein offensichtlich globales Problem darstellt. Plastik aus dem Meer fischen ist zwar nett gedacht, aber kurioser Unsinn, solange die Ursache nicht beseitigt wird.
Denken Sie bitte an die Einführung des Rauchverbots in öffentlichen Einrichtungen: Was war das ein Theater! Es wurde gedroht, geschmeichelt – der Untergang des Abendlandes stand zu befürchten. Und was ist heute: keine vernünftiger Mensch will wieder zurück zu verrauchten Lokalen. Daran sollte man sich ein Beispiel nehmen. Der Vernunft muss hin und wieder nachgeholfen werden und wenn die Menschen im täglichen Leben spüren, welche Erleichterung die Maßnahmen für das tägliche Leben darstellt, so ist die Sache akzeptiert.
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