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Ökologie und Ökonomie – ein Happy End?

Ausgangspunkt der folgenden Gedanken ist ein Artikel der Süddeutschen Zeitung (8./9. Sept. 2018, S. 34f.), indem der Frage nachgegangen wird, wie ökologisch sich verschiedene Produkte unseres täglichen Lebens darstellen und was davon richtig sein könnte. Dabei werden vierzehn Sachverhalte einer Beurteilung hinsichtlich ihrer ökologischen Wirkungen unterzogen.

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Das Ergebnis ist wie zu erwarten: Jeder der Sachverhalte erfordert eine andere Betrachtungsweise, weist andere Rebound-Effekte auf. Ein undurchschaubares Für und Wider, ein „Eiertanz“ – der Leser begreift nur eins: Die ökologisch richtige Entscheidung ist hochkomplex und deshalb oft nicht eindeutig zu entscheiden. Wie einfach ist im Gegensatz dazu der ökonomische Entscheidungsprozess. Klar, jeder weiß, unsere Form der Ökonomie zerstört unsere Lebensgrundlagen, aber „doch nicht heute“ und weiter reicht die ökonomische Perspektive der meisten betroffenen Menschen sowieso nicht.

Wo liegt das Problem? Die Ökonomie ist ein System, das die individuelle Devise unterstellt: „Alles mir und den anderen nichts“ oder anders ausgedrückt: es herrscht das Ziel der individuellen Gewinnmaximierung. Und was aufgrund dieser Maxime gut tut, das leitet man vom egoistischen Selbstverständnis ab. Damit ist die ökonomische Entscheidungsstruktur grundsätzlich einfach und für das Individuum überschaubar. Jede Entscheidung zu meinem Vorteil erscheint richtig. Leider geht sie meist zu Lasten der Mitmenschen und der Umwelt.

Die Ökonomie hat noch einen weiteren Vorteil gegenüber der Ökologie: das ist ihre etablierte Infra- und Führungsstruktur. In der Ökonomie gilt der Autoritarismus (der Chef bin ich), die Hierarchie und das einfache Prinzip einer fortwährenden Bereicherung (der Gier). Die Ökologie kennt weder eine schlagkräftige Infrastruktur noch eine handelnde Autorität – Die Ökologie kann nicht als Hierarchie gedacht werden, eher als selbststeuerndes Netzwerk von atemberaubender Flexibilität.

Die Ökologie kennt einseitige Kumulierung von Vorteilen nicht. Das System der Ökologie geht davon aus, dass alles mit allem verschränkt ist. Wenn einer mehr fordert als ihm im fein austarierten System zusteht, dann muss er das bewusst zum Nachteil seiner unmittelbaren und weiteren Umgebung tun. Er stellt sich gewissermaßen gegen das Netz. Das ökologische System toleriert diese dysfunktionalen Verhaltensweisen erstaunlich lange, bis es irgendwann dadurch zurückschlägt, dass Parameter, die lange als nahezu konstant angesehen wurden, sich plötzlich dramatisch verändern. Das Erstaunen ist groß. Da die Kausalität aufgrund der Komplexität aber nicht immer eineindeutig ist oder auch so dargestellt werden kann, wird die Diskussion durch die interessierten Kreise (der Ökonomie) solange am Kochen gehalten, bis der (Durchschnitts-) Bürger die Lust an dem Phänomen verliert und der ökonomische Trott wieder um sich greift.

Schon die Zusammenhänge der Ökonomie sind vielen Menschen ein Buch mit sieben Siegeln, aber Ökonomie ist verglichen mit Ökologie geradezu simpel und wird als monokausal behandelt. Die ökologischen Zusammenhänge sind in ihrer Komplexität den meisten Menschen nur schwer vermittelbar. Die Masse folgt deshalb verständnislos irgendwelchen „Sprüchen“, deren Inhalt sie weder verstehen noch beurteilen kann. Diese Feststellung gilt sowohl für die Ökonomie als auch für die Ökologie.

Nun hat die Ökonomie den Vorteil über etablierte Strukturen zu verfügen. Sie kann dem Einzelnen gewisse Vorteile im ‚Hier und Jetzt‘ versprechen: eine Beschäftigung, ein besseres Einkommen, ein größeres Auto, einen größeren Fernseher und was nicht sonst noch alles. Die Ökologie verlangt von den gleichen Menschen stattdessen Rücksichtnahme, Einschränkung, Verzicht, „Befreiung vom Überfluss“ – alles Verhaltensweisen, die für den ökonomisch konditionierten Mensch aus einer ‚anderen‘ Welt kommen. Er müsste sich aus seiner Egozentrik befreien, sich zurücknehmen, verstehen, warum er Verzicht leistet und wie Befreiung sich anfühlt. Und er wird im Rahmen seiner ökonomischen Konditionierung stets versucht sein, sich egoistisch zu fragen: „was bringt es mir“? Der Hinweis auf die Grenzen des Wachstums, die Ökologie, auf die eigene Befreiung und auf die der kommenden Generationen wird nur von einem sehr kleinen Teil der ‚Masse‘ als ausreichende Rechtfertigung einer freiwilligen Einschränkung akzeptiert werden können.

Es ist aus diesen Gründen müßig, bei der praktischen Umsetzung ökologischer Fragestellungen auf den Verstand oder gar auf die Vernunft der breiten Öffentlichkeit zu setzen. Zwar wird immer wieder Betroffenheit ausgelöst, aber sie reicht regelmäßig nicht aus, um eine kritische Masse zu erreichen, die notwendige Verhaltensänderung auf breiter Front auszulösen.

Die Politik betreibt dabei mieses Spiel, redet von Ökologie und hehren Zielen, die in ferner Zukunft erreicht werden sollen. Sie tut aber im konkreten Fall wenig bis gar nichts, weil jede ökologische Handlung darauf gerichtet sein muss, ökonomischen Handlungsspielraum einzugrenzen. Und das traut sie sich nicht, weil das neoliberale Dogma der „freien Märkte“ immer noch in den Köpfen herumspukt. „Freie Märkte“ dürfe man auch nicht demokratisieren, sie unterliegen ausschließlich den Regeln eines zweifelhaften Ökonomieverständnisses. Das Dogma vom sogenannten freien Markt geht so lange zum Brunnen bis es bricht – bis auch der letzte erkannt hat, dass das Dogma nur eine wirksame Manipulation des eigenen Gehirns ist. Die Freiräume sind da, niemand hindert uns sie zu nutzen, wenn der quasi-religiöse Glaube an das Dogma nicht wäre. Und hinter dem Dogma verschanzen sich mächtige Interessen. Denen geht es nicht um künftige Generationen, denen geht es schlicht um viel Geld im Hier und Jetzt.

Die Politik – so scheint es – wartet auf ein ökologisches „Fukushima“, auf ein Ereignis, das auch dem letzten Trottel klar macht: es muss sich etwas ändern. Aber das Ereignis wird erst dann Platz greifen, wenn möglicherweise das ‚Kind im Brunnen‘ liegt und die Handlungsspielräume klein und die Maßnahmen so scharf eingreifen müssen, dass das Problem nicht mehr wirklich steuerbar ist. Es gibt genügend Äußerungen von renommierten Fachleuten (bitte nicht mit Experten verwechseln), die auf die Folgen unseres Handelns schon heute mit aller Deutlichkeit hinweisen.

Um eine Alternative in Umrissen darzustellen, ist es immer ab einfachsten, man greift sich eines unserer lästigsten Probleme heraus: Verpackungsplastik. Dieses Zeug ist überall. Nun hat es keinen Zweck, hier auf die Vernunft der Verbraucher zu zählen, denn das Problem ist ja nicht neu und die Bequemlichkeit der Menschen wird sich nicht ändern. Also muss das Problem nicht bei der Verwendung des Materials, sondern bei der Herstellung (bei der Wurzel des Übels) angegangen werden: Und dann bitte unmissverständlich: Die Produktion von Verpackungsplastik wird ab heute in 10 Jahren untersagt. Das gibt den Herstellern eine ausreichende Frist für ihre Umstellung. Gleichzeitig wird die Herstellung von Verpackungsplastik ab sofort beim Produzenten hoch besteuert, um dem Ernst der Maßnahme Nachdruck zu verleihen. Wichtig ist jetzt, dieses Vorhaben dahingehend abzusichern, das sich keine politische Kraft für die nächsten 15 Jahre für eine Rückgängigmachung stark machen kann. (Üblicherweise verkauft man das dann als den Ausstieg aus dem Ausstieg – kennen wir doch schon!). Jetzt kann die Wirtschaft dank klarer Rahmenbedingungen ihre ganze Kreativität aufbringen und abbaubare Alternativen suchen. In 15 Jahren, wenn dann das Gesetz wieder rückgängig gemacht werden könnte, will dann keiner mehr die alten Zustände und es wäre eine gewaltige Chance für einen ökologischer Sprung nach vorn wahrgenommen.

Jetzt kommt garantiert von der Politik der Einwand der Internationalität: wenn nicht alle den Verpackungsplastikmüll ächten, warum sollten wir es? Das ist die alte Leier der Unbelehrbaren. Wenn ein Land damit anfängt, springen die anderen auch auf dieses Vorhaben, weil der Plastikmüll ein offensichtlich globales Problem darstellt. Plastik aus dem Meer fischen ist zwar nett gedacht, aber kurioser Unsinn, solange die Ursache nicht beseitigt wird.

Denken Sie bitte an die Einführung des Rauchverbots in öffentlichen Einrichtungen: Was war das ein Theater! Es wurde gedroht, geschmeichelt – der Untergang des Abendlandes stand zu befürchten. Und was ist heute: keine vernünftiger Mensch will wieder zurück zu verrauchten Lokalen. Daran sollte man sich ein Beispiel nehmen. Der Vernunft muss hin und wieder nachgeholfen werden und wenn die Menschen im täglichen Leben spüren, welche Erleichterung die Maßnahmen für das tägliche Leben darstellt, so ist die Sache akzeptiert.

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Feinstaub-Konsequenzen

Die Umwelthilfe hat in einem ersten Schritt darauf aufmerksam gemacht, dass die Exekutive wohl auf Anweisung der Politik gewisse Grenzwerte zwar misst, sie aber trotz eines Verstoßes gegen geltendes Recht nicht nutzt, um Maßnahmen zur Einhaltung dieser Grenzwerte einzuleiten. Der nächste Schritt der Umwelthilfe war die Klage gegen diverse Städte vor den Verwaltungsgerichten, die sie alle für sich entscheiden konnten.

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Die Exekutive und ihre politischen Spitzen wurden damit systematisch in die Enge getrieben, endlich aktive Maßnahmen aufzunehmen. Dabei kann offen bleiben, ob nun Fahrverbote die einzig mögliche Lösung darstellt. Und wieder ist die Politik nicht in der Lage, darauf angemessen zu antworten. Es passiert außer Aktionismus nichts. Die Koordinationserfordernisse haben den gesamten Elan aufgefressen. Als Folget holte die Umwelthilfe den nächsten Hammer aus dem Sack und droht den politischen Spitzenpersonen Zwangsmaßnahmen an und kommt damit juristisch durch. In meinen Augen ist das eine politische Bankrotterklärung der politischen Kräfte unseres Gemeinwesens.

Die (falsche, aber nachvollziehbare) Versuchung der Exekutive, durch den Abbau von Messeinrichtungen das Problem zu lösen, ist auch gescheitert. Die Umwelthilfe und andere Umweltverbände, teilweise sogar Privatleute haben sich mobile Messvorrichtungen besorgt und haben sie offiziell eichen lassen. Die Öffentlichkeit ist also auf die Ergebnisse der kommunalen Messungen nicht mehr angewiesen. Die ‚privaten‘ Messungen zeigen, dass Feinstaub nicht nur ein Problem einiger weniger Verkehrstrassen in Großstädten ist, sondern viel weitere Kreise zieht.

Dummerweise hat eine Think Tank-Einrichtung eine Aussage getroffen, dass durch den Feinstaub jährlich 6.000 Tote zu verzeichnen seien. Die methodische Vorgehensweise, die zu dieser Aussage führt, ist aber so windig, dass der Aussage kein Glauben zu schenken ist. Aber die Aussage ist nun mal ‚geboren‘ und es wird viel Diskussionen und Aufgeregtheit auslösen bis diese Zahl wieder im Papierkorb der Geschichte verschwindet.

Das soll aber keinesfalls heißen, dass Feinstaub gesundheitlich unbedenklich sei. Die gesetzlichen Grenzwerte bestehen zu Recht. Sie sind vor Jahrzehnten in einem demokratisch legalen Verfahren festgelegt worden und sind seit dieser Zeit für die Politik und die Exekutive verbindlich. Das Empörende an den Zusammenhängen ist der Versuch der politischen Spitzen, die Überschreitungen des Grenzwertes zu übersehen bzw. zu bagatellisieren. Dabei werden fraglos die monetären Interessen der Autoindustrie gegen die grundsätzliche Gesundheitsbeeinträchtigung einer Mehrzahl von Bürger aufgerechnet. Diese Art Abwägungen vollziehen sich im politischen Alltag leider täglich. Sie sind aber nicht immer so offensichtlich.

Wenn Fahrverbote, die gerichtlich durchgesetzt werden können, von den politischen Spitzen nicht umgesetzt werden, drohen persönliche Zwangsmaßnahmen. Es ist einem Politiker nicht zuzumuten, für die Fehler der Autoindustrie in Haft genommen zu werden. Da wird der Politiker verständlicherweise seine Verteidigungslinien für den Industriezweig aufgeben und entscheidet sich für die gesetzlich gebotene Maßnahme. Dabei gibt es, nach meinen Informationen, eine technische Lösung des Problems. Das würde die Problematik elegant entspannen. Aber es würde die Autoindustrie eine Stange Geld kosten und dazu sind sie (noch) nicht bereit. Lieber bringt sie ihre steten Befürworter auf der politischen Ebene in die Bredouille und zerschlagen damit Schritt für Schritt ihr politisches Porzellan.

Die Politik und insbesondere die Industrie versucht dem Bürger damit zu drohen, dass durch die Feinstaubmaßnahmen Arbeitsplätze verloren gehen könnten. Wie heißt es in politischen Kreisen dann immer so schön: Sie übersehen die Chancen für viele neue Arbeitsplätze. Das beurteilen zu wollen, erscheint mir angesichts der großen Problemstellungen vermessen, denen sich dieser Industriezweig auf absehbare Zeit gegenüber sieht. Da gibt es größere und machtvollere, teilweise technologisch bedingte Einflüsse auf die Beschäftigungslage dieser Branche als ausgerechnet die Feinstaub-Problematik. Schwieriger sind die Folgen eines Fahrverbots für die Infrastruktur der ÖPNV zu beantworten, die für eine solche (relativ plötzliche) Veränderung keine zusätzlichen Kapazitäten verfügbar hat. Gleiches gilt für den Lieferverkehr in die Innenstädte, die mehrheitlich mit dieselbetriebenen Lkws erfolgt. Dort ist aber vielfach (insbesondere bei den neueren Typen) die vorgesehene technische Lösung vorgesehen. Sie wird aber von den Betreibern aus Kostengründen und mangelndem öffentlichen Druck vernachlässigt und oft nicht verwendet.

Die Autoindustrie vermittelt uns den Eindruck, dass ihre neuen Pkw (die nach dem Betrug hergestellt werden) technisch so ausgestattet seien, dass die Feinstaub-Grenzen möglicherweise in der Zukunft kein Problem darstellen. Aber die Pkw kommen gegenwärtig nicht auf den Markt, weil deren Zertifizierung durch die öffentlichen Stellen nicht schnell genug umgesetzt werden kann. Vor dem Dieselskandal hätte die öffentliche Hand sich auf Aussagen der Industrie verlassen und hätte dadurch für einen Übergang Zeit und Handlungsspielraum gewonnen. Nach dem Betrug ist auch hier das Eis dünn geworden. Man schaut lieber selber nach.

Wenn man sieht, wieviel öffentliche Infrastrukturmaßnahmen vom Staat vorgenommen werden müssten, um das Feinstaubproblem durch ein Fahrverbot in den Griff zu bekommen und man andererseits erkennen kann, dass es eine private technische Lösung gibt, so wäre ich geneigt, der Industrie eine deutliche Ansage zu machen, bevor ich befürworten würde, die Kosten für die zusätzliche öffentliche Infrastruktur in Deutschland letztlich dem Steuerzahler aufzubürden. Da wedelt der Schwanz wohl mit dem Hund.

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Zur Rolle der Infrastruktur im Gemeinwesen

Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass eine funktionierende Infrastruktur für das Gemeinwesen (Kommune, Land oder Staat) eine mindestens gleichgroße Bedeutung für den Wohlstand besitzt als die meisten Unternehmen zusammengenommen. Diese recht steile These lässt sich recht einfach plausibel machen: Denkt euch alle die tollen Dax-Unternehmen ohne unsere Infrastruktur. Da bleibt schlagartig nicht mehr so viel Glanz. Was damit zum Ausdruck kommt, ist die hochgradige Abhängigkeit unserer realen und virtuellen Wirtschaft von einer funktionsfähigen Infrastruktur.

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Infrastruktur ist aber kein Begriff der Ökonomie. Kein Lehrbuch verliert hierzu mehr als ein paar dürre Worte. Es ist aber für jeden Interessierten erkennbar, dass die Infrastruktur einer Volkswirtschaft einen wesentlichen, vielleicht sogar den wesentlichsten Beitrag zum Wohlstand leistet. Stellen Sie sich vor, die Energieversorgung bricht zusammen, die Wasserversorgung setzt aus oder die Verkehrssysteme kollabieren. Infrastruktur ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Wohlstand und für wirtschaftlichen Erfolg.

Wenn wir aber von Infrastruktur sprechen, sprechen wir nicht von großartigen Unternehme(r)n – wir sprechen von einer außergewöhnlichen Leistung unseres Gemeinwesens. Infrastruktur wurde und wird noch immer über Steuergelder bereitgestellt; kein Infrastrukturprojekt, das der Allgemeinheit dient, wurde von der ‚Wirtschaft‘ bereitgestellt. Es ist die Leistung des Gemeinwesens für ihre Mitglieder, wobei sich die Infrastruktur dadurch auszeichnet, dass die Leistung vielfach unentgeltlich und prinzipiell für alle bereitgestellt wird.

‚Unentgeltlich‘ deshalb, weil die Finanzierung mehrheitlich über Steuern oder öffentliche Schulden erfolgt. Erst in jüngster Zeit wird versucht, diesen alten Grundsatz zu ökonomisieren und entgeltlich darzustellen (Lkw-Maut, Dobrints Versuch der Einführung einer Pkw-Maut), weil die politisch gewollte Verarmung der öffentlichen Haushalte ein verändertes Finanzierungsverfahren erfordert. Man muss sich aber klar darüber sein, dass damit ein Monopol, also eine Wirtschaftsform, die keinen Markt toleriert, auf einen Quasi-Markt übertragen wird. Das gibt größte Verzerrungen und widerspricht im Grund unserer bisherigen Wirtschaftsform.

Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Infrastrukturmaßnahmen ausschließlich durch das Gemeinwesen als Träger der Maßnahme errichtet. Das Gemeinwesen beauftragte Unternehmen mit der Durchführung und Umsetzung. Die Vorgehensweise setzt Know-how bei der öffentlichen Hand voraus, um die technische Durchführung der jeweiligen Maßnahme sachgerecht kontrollieren und beurteilen zu können. Auf diese Kapazitäten glaubte man im Rahmen der Verschlankung der öffentlichen Hände Schritt für Schritt verzichten zu können. Stattdessen meinen die beteiligten Juristen, dass man diese Problematik am grünen Tisch über Verträge so gestalten kann, dass am Ende ein Werk geschaffen wird, das den hohen Qualitätsanforderungen einer Infrastruktur (hohe Lebensdauer, geringe Reparaturanfälligkeit) gerecht wird. Die technische Objektbegleitung vor Ort wird auf ein Minimum herabgeschraubt. Es gibt oft keine enge prozessbegleitende technische Kontrolle von Seiten des Auftragsgebers mehr. Großprojekte dieser Art lassen sich im Detail nicht am grünen Tisch entscheiden. Es muss Kompetenz vor Ort erreichbar sein. Fehlt sie, schlägt das ausführende Unternehmen den einfachsten und bequemsten (meist auch billigsten) Lösungsweg ein.

Schauen Sie sich den Berliner Flughafen an. Haben Sie von vergleichbaren Problemen beim Bau des Frankfurter Flughafens oder des Münchner Flughafens gehört? Hat sich seit dieser Zeit das Problem so stark gewandelt, dass dieses Desaster in Berlin unvermeidlich wurde? – Ich behaupte: Es gibt bei der öffentlichen Hand keine Fachkräfte mehr, die eine solche Aufgabe strukturieren, die notwendigen Kontrollen aufbauen und dann die Beauftragung der Maßnahme sinnvoll durchführen können. Das Gemeinwesen baut nie selbst, es nimmt immer Unternehmen unter Vertrag. Dazu braucht es im Gemeinwesen erfahrene Ingenieure, die solche Aufgaben stemmen können – da reichen keine pfiffigen Juristen, auch keine griffelspitzenden Ökonomen, die jede Ausschreibung dann ‚billigst‘ vergeben müssen.

Infrastrukturmaßnahmen sind ähnlich zu beurteilen wie Maßnahmen der Forstwirtschaft, auf die die Formulierung des Nachhaltigkeitsprinzips zurückgeht. Infrastrukturmaßnahmen unterliegen keinem Markt mit seiner intendierten Kurzatmigkeit und kurzsichtigen Profitabilität, weil derartige Maßnahmen nur alle zwei oder drei Generationen anfallen und die sogenannte Rentierlichkeit in ganz anderen Dimensionen laufen als sich das Vertreter einer kurzfristig orientierten Marktökonomie vorstellen können. Infrastruktur schafft die Voraussetzungen, dass nachfolgend Markt stattfinden kann.

Schauen Sie sich die Elbphilharmonie an: Was wurde da gezetert wegen aktueller Budgetüberschreitungen. Sie hat – so mein Informationsstand – fast das Doppelte des ursprünglich veranschlagten Betrages gekostet. Und was ist heute: es ist ein Wahrzeichen Hamburgs und ein Publikumsmagnet und ein Schwerpunkt der Hamburger Kulturszene. Der Besucherstrom ist gigantisch und über die Finanzierungen redet keiner mehr. Es gibt Dinge, die entziehen sich einer rein ökonomischen Betrachtungsweise.

Toll Collect war und ist ein ökonomisiertes Infrastrukturprojekt – oder was sonst? Wie kann man Projekte von der Größe ausschließlich im Vertrauen auf kleingedruckte Verträge einfach aus der öffentlichen Hand geben und keiner straffen öffentlichen Controllingstrategie unterwerfen? Dafür fehlen aber die Leute. Man konnte bei der Vergabe den Eindruck gewinnen: „Gott sei Dank, wir haben ein Konsortium gefunden, das uns von allen Problemen freistellt“. Dass dieses Konsortium aus ‚Kapitalgeiern‘ bestehen könnte, dass es (den Meldungen zufolge) Abrechnungsbetrug gegeben hat, scheint den Akteuren der öffentlichen Hand unvorstellbar gewesen zu sein. . Wie kann man eine solche Aufgabe mit einem solchen Finanz-Volumen – auch wenn sie einfach aussieht – außer Haus geben, ohne sich intensive Gedanken zu machen, wie dieses Konglomerat eng kontrolliert wird und wer hier das ‚Sagen‘ hat.

Die öffentliche Hand hat offensichtlich zugelassen, dass Toll Collect als ein privatrechtliches Unternehmen geführt wird. Die Eigentumsrechte liegen bzw. lagen bei dem Konsortium. Die Einsichtsrechte der öffentlichen Hand beschränkten sich demnach wahrscheinlich auf die eines aktienrechtlichen Aufsichtsrates. Ansonsten hat man nur die schmalen Rechte eines Kunden. Das reicht doch nicht, wenn es sich um ein jährliches Umsatzvolumen von 7 Mrd. Euro handelt und der größte Teil der 7 Mrd. Euro Gelder der öffentlichen Hand sind. Toll Collect verwaltet nur „treuhänderisch“ für die öffentliche Hand dieses Mauterhebungsverfahren. Der Bund muss sich aber aus rechtlichen Gründen raushalten; (er hat dummerweise keine Eigentumsrechte an der Firma). Was für eine bescheuerte Konstruktion!

Toll Collect als privatrechtliche Firma kann der öffentlichen Hand den Zugang zu den Unterlagen verweigern. Es geht um große Summen. Aber die öffentliche Hand hat keine Möglichkeit, wirkliche Einsichts- und Prüfungsrechte geltend zu machen. Jetzt ist jedoch ein hübscher ‚Lapsus‘ passiert: Der alte Vertrag mit den Eigentümern von Toll Collect läuft vertragsgemäß aus und ein neuer Vertrag ist noch nicht fertig verhandelt. Es entsteht dadurch eine Lücke von wenigen Monaten, in den die Eigentumsrechte an Toll Collect jemandem zustehen müssen. Aber es steht noch kein neuer Kapitalgeber zur Verfügung. Also muss (wie so oft) die öffentliche Hand einspringen. Sie wird also kurzfristig Eigentümerin und hätte jetzt die Möglichkeit, all die Untersuchungen durchzuführen, auf die sie vorher keinen Zugriff hatte. Das Dumme ist nur, es gibt leider juristische Möglichkeiten, dass sich die bisher beteiligten Aktionärs-Unternehmen, für alle Fälle, für die noch keine Verjährung eingetreten ist, einen ‚Persilschein‘ (Freistellung von jeder Haftung) ausstellen lassen. Es bleibt die Frage, wie hart traut sich die öffentliche Hand hier verhandeln?

Es wäre ernsthaft zu überlegen, ob nicht Toll Collect künftig im Eigentum der öffentlichen Hand bleibt. Dem neuen Konsortium wird nur das Recht übertragen, Verwaltungsdienstleistung für das Unternehmen anzubieten. Was bedeutet das? Das Unternehmen bleibt unverändert ein privates Unternehmen, das sich aber zu hundert Prozent im Eigentum der öffentlichen Hand befindet. Die Verwaltung des Unternehmens übernimmt gegen Gebühr ein Serviceunternehmen (ohne irgendwelche Eigentumsrechte geltend machen zu können). Aus der Eigentümerstellung lassen sich dann weitgehende Rechte zur Einsichtnahme und Kontrolle ableiten. Das Geld und die damit verbundene Informationen kommen zu hundert Prozent bei Toll Collect (und insbesondere seinem Eigentümer) an und stehen damit quasi von Anfang an unter Aufsicht der öffentlichen Hand. Das Service-Unternehmen ist Dienstleister und stellt monatliche Rechnung an Toll Collect, um seine erbrachten Leistungen abzurechnen. Entspricht die Leistung des Serviceunternehmens nicht den Erwartungen des Eigentümers, hat er die Möglichkeit, den Service zu kündigen und den Anbieter auszutauschen. Es kommt im real existierenden Kapitalismus darauf an, immer eine Position anzustreben, die dem Unternehmer (in diesem Fall der öffentlichen Hand) die uneingeschränkte Macht gibt, im Rahmen der Gesetze frei zu handeln und sich um Gottes willen nicht abhängig zu machen (wie das bei der alten Struktur der Fall war).

Die Wirtschaft hat entdeckt, dass man mit Infrastruktur leicht viel Geld verdienen kann und drängt mit Nachdruck in dieses Geschäftsfeld. Das Ziel ist letztendlich die Übernahme dieses lukrativen Feldes. Gegenwärtig gibt man sich moderat und übt sich in „partnerschaftlichem“ Verhalten (PPP = Private Public Partnership). Man argumentiert, dass man der öffentlichen Verwaltung ‚lästige‘ Aufgaben abnehmen will. Man vermittelt den Eindruck, private Unternehmen könnten das effizienter. Und man nutzt den privaten Status des Vertragsverhältnisses, um eine vollständige Intransparenz über die Geschäftsentwicklung aufzubauen. Diese angestrebte Intransparenz lässt man sich auch noch vertraglich absichern.

Parallel wird durch politisch gewollten Entzug von Finanzmitteln der Kostendruck in der Verwaltung erhöht. Einige Kommunen sehen sich gezwungen, auf solche dubiosen Angebote einzugehen. Es wird dabei aber vergessen, dass die öffentliche Hand ein Monopol aus der Hand gibt, das nur der öffentlichen Hand zustehen kann, weil sie keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt und dem Grundsatz der Gleichbehandlung verpflichtet ist. Beides ist mit einem privaten Unternehmen nicht zu erreichen. Egal, was die private Seite erzählt, das Ziel ist und bleibt, das Monopol zu ‚melken‘, sonst verhält sich der private Unternehmer regelwidrig.

Infrastruktur ist m.E. die wesentlichste Komponente, die Wirtschaftssysteme erfolgreich macht. Bezahlt wird die Infrastruktur immer noch schwerpunktmäßig von den vielen Lohnempfängern, die keine oder nur wenige Möglichkeiten haben, ihre Steuerlast zu umgehen. Das sehen viele Unternehmer natürlich anders, aber es ist Fakt. Trotzdem kann die öffentliche Hand eine Form finden, wie sie in gewissen Grenzen Private mitspielen lässt. Sie muss aber immer darauf bestehen, sich die Unabhängigkeit der Entscheidungen (schlicht ausgedrückt: die Macht) zu erhalten. Das Feld ist so lukrativ, dass bei entsprechender Verhandlungsführung die privaten Anbieter einlenken werden. Das muss die öffentliche Hand begreifen lernen, um auf Augenhöhe mit der gleichen Rigorosität um den Machterhalt erfolgreich zu verhandeln.

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Ein Beitrag zu Rechts und Links in der Politik

Das Rechts-Links-Schema stammt aus dem 18. Jahrhundert und ist eng mit der Leitidee der Aufklärung verknüpft. Die Leitidee der Aufklärung lässt sich am besten mit dem Ziel eines universellen Humanismus umschreiben. Konkret geht es dabei um die Vorstellung, dass alle Menschen nicht gleich, aber gleichberechtigt sind. Der Kant’sche Imperativ des „Wage Dich Deines Verstandes zu bedienen“ findet hier seine politische Form. „Jeder Bürger soll einen angemessenen Teil an allen Entscheidungen haben, die das eigene gesellschaftliche Leben betreffen.“

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Aus dieser These leitet sich dann konsequent die Herrschaftsform einer Demokratie als politische Selbstbestimmung ab. Als Folge dieser Herrschaftsform haben „alle Machtstrukturen ihre Existenzberechtigung nachzuweisen und sich der Öffentlichkeit gegenüber zu legitimieren. Zentrale Bereiche der Gesellschaft, insbesondere die Wirtschaft, dürfen nicht von einer demokratischen Legitimation ausgeklammert werden“ (Rainer Mausfeld, s.u.).

Die zur Zeit der Aufklärung vorherrschende Regierungsform war der Absolutismus. Die Forderung nach Demokratie bedeutete das Eintreten für den sozialen Wandel in Richtung von größerer Gleichheit in politischer, wirtschaftlicher und sozialer Hinsicht. Die Idee der Demokratie auf der Grundlage dieses Humanismus hatte zur Zeit der Aufklärung eine solche Zustimmungswelle ausgelöst, dass die Väter der US-amerikanischen Verfassung sich ernsthaft überlegten, wie sie diese revolutionäre Begeisterung unauffällig einhegen können. George Washington und sein Machtzirkel waren in diesem Sinne keine Demokraten, aber zum gänzlichen Verhindern der demokratischen Idee war es einfach zu spät. Die Demokratie wurde nun dadurch eingehegt, dass künftig „Korsettstangen“ in das demokratische Herrschaftssystem eingezogen wurden. Seit dieser Zeit wird als Lösung die repräsentative Demokratie als alternativlos penetriert, um von der eigentlichen Grundform einer demokratischen Herrschaftsform abzulenken.

Alles, was diesem universellen Humanismus entsprach, galt damals und gilt auch heute noch als „Links“. Links im politischen Sinne hat also in einem ersten Schritt nichts zu tun mit Sozialismus oder gar Kommunismus, sondern ‚links‘ ist eine Haltung, die auf der Grundlage fußt, dass alle Menschen (ohne Ausnahme) gleichberechtigt sind. Da dieser Zustand noch lange nicht erreicht ist, ist für eine linke Haltung das Streben nach sozialem Wandel hin zu einer größeren Gleichberechtigung logisch und unausweichlich.

Was aber ist aus diesem Blickwinkel nun eine rechte Position in der politischen Auseinandersetzung? Betrachtet man es aus der Perspektive der Aufklärung des 18. Jahrhunderts, so sind das alle Positione, die den Machterhalt der alten Eliten sicherten, die die absolutistischen Strukturen unterstützten und die den universellen Humanismus (alle Menschen sind gleichberechtigt) vehement abgelehnt haben und im Grunde heute noch ablehnen. Da eine rechtskonservative Haltung keine eigenständige Vision für den Menschen besitzt, arbeitet sich die rechte Haltung unablässig seit etwas mehr als zwei Jahrhunderten an der linken Position, also am Bild des Humanismus und seiner intendierten Gleichberechtigung, ab. Aufgrund einer fehlenden visionären Perspektive für Mensch und Gesellschaft ist bei der rechten Haltung Obstruktion (wir wissen nicht besser, aber wir sind dagegen) ein häufiges Mittel der Wahl. Als Begründung muss dann eine besondere Art des Pragmatismus herhalten.

Historisch gesehen war die rechte Haltung meist ein Ausdruck der jeweils herrschenden Mächte, die ihre Haltung damals wie heute mit Chauvinismus („Wir sind etwas Besonderes“), Exzeptionalismus („Das gilt aber doch nicht für uns“), Totalitarismus („systematische Unterwerfung unter eine bestimmte Ideologie der Machtausübung“) oder mit Faschismus begründete. Das verwunderliche ist, dass auch als links bezeichnete Haltungen zu den gleichen totalitären Auswüchsen wie der rechte Flügel in der Lage sind (vgl. Sozialismus, Kommunismus). Diese als links klassifizierten Haltungen hatten ihren Bezug zum universellen Humanismus – als ihrer ursprünglichen Basis – komplett verloren und sie haben sich dem rechten Machtverständnis in einer totalitären Umsetzung unbemerkt angeschlossen. Das ist ein klassischer Seitenwechsel, der medientechnisch immer gerne als „links“ verkauft wird.

Bis vor etwa 30 Jahren sah es so aus, als ob die linke Haltung den Takt vorgibt und rechts als ‚Reaktion‘ dann darauf antwortet. Links hatte all die Jahre den Vorteil, eine Haltung und ein Menschenbild präsentieren zu können, die sowohl friedlich als auch egalitär einzigartig ist und war. Die rechte Politik macht diese idealistische Haltung eines universellen Humanismus gerne mit dem Begriff des „Gutmenschentums“ lächerlich, weil sie glaubt, im Erhalt eines orientierungslosen Status quo einen größeren Realismus an den Tag zu legen.

Da das Denken von rechter Politik immer auf einem systematischen Unterschied unter den Menschen aufbaut, fehlt ihm Friedfertigkeit nach innen und nach außen. Diese Haltung favorisiert gezielt den Unterschied (den Chauvinismus), der bei jeder Gelegenheit herausgekehrt wird (wir sind die Besseren, die Erfolgreichen, die Eliten). Diese Tendenz im rechten Denken findet dann in den 70iger Jahren mit dem Durchbruch der Ideologie des Neoliberalismus seine Erfüllung.

Der Neoliberalismus hat sicherlich viele Väter. Der wohl bedeutendste ist Friedrich August von Hayek, der 1947 zusammen mit einer Reihe von strikt marktwirtschaftlich denkenden Ökonomen die Mont Pélerin Gesellschaft am Genfer See gründete und sie die nächsten Jahrzehnte auch leitete. Mitglieder der Freiburger Schule (Vertreter des ‚ordoliberalen‘ Ökonomieverständnisses in Deutschland) waren ebenfalls Gründungmitglieder. Wilhelm Röpke leitete die Gesellschaft sogar kurzfristig (1961-62).

Der strategisch denkende von Hayek hat dabei leidenschaftslos die vergangenen Erfolge seiner politisch-linken Gegner studiert: Er versuchte zu verstehen, wie der Sozialismus und auch der Kommunismus so viele Anhänger hat rekrutieren können, obwohl dieser ursprünglich „linke“ Ansatz seine Wurzeln und damit die aufklärerische Grundidee des Humanismus in ihr Gegenteil drehte, ohne die Gefolgschaft der Massen zu verlieren. Damit fand er seine künftige Bestimmung: Als Ökonom war er nur recht mittelmäßig und seine ökonomische Grundlagen sind und bleiben überaus fragwürdig. Aber als ökonomisch orientierter Politstratege gewann er ein beachtliches Format, wobei er sich lange im Hintergrund hielt und systematisch am Ausbau des Netzwerkes der Mont Pélerin Gesellschaft (MPG) webte. Sein Ziel war es, weltweit möglichst viele Köpfe der Ökonomie (die sogenannten Vermögens-Eliten) für seine ökonomisch geprägte Machtidee zu gewinnen. Er baute im Laufe von über zwanzig Jahren weltweit hunderte von „Think Tanks“ auf, die, von der Wirtschaft finanziert, den Zweck hatten, in aller Stille die neoliberale Machtidee als ökonomisch verbrämtes Gedankengut unter den mit Ökonomie befassten Persönlichkeiten zu verbreiten. Das ist der MPG bis in die 70iger Jahre auch gelungen. Margret Thatcher und der damalige US-Präsident Ronald Reagan (beeinflusst durch ihre neoliberal geprägten Beraterstäbe) zeigten sich für die Machtidee der MPG empfänglich.

Was stellt nun die neoliberale Ideologie des Friedrich von Hayek und der MPG dar? Theoretischer Ausgangspunkt ist das, was man in der Ökonomie allgemein und unauffällig als Marktwirtschaft bezeichnet. Rainer Mausfeld liefert eine kurze Zusammenfassung:

Es ist die Ideologie des ‚freien Marktes‘. Der ‚freie‘ Markt verkörpert durch sein Wirken Rationalität. Er dürfe daher nicht behindert werden. Die ‚Marktkräfte‘ muss man sich selbst überlassen. Staatliche Eingriffe (gelten) ebenso wie (demokratiebedingte Einschränkungen) als ‚Marktstörungen‘.“

Auf dem Markt treffen sich Angebot und Nachfrage. Der Markt gilt dann als effizient, wenn auf beiden Seiten atomistische (also sehr kleinteilige) Verhältnisse herrschen. Die Rentabilität eines solchen Marktes ist aufgrund der atomistischen Struktur relativ gering. Deshalb wird der ‚freie‘ Markt besonders favorisiert. Frei heißt in diesem Fall, dass es keine Einschränkungen hinsichtlich der Angebots- und Nachfragestruktur gibt. Und deshalb tendieren ‚freie‘ Märkte zu Oligopolen. Die mächtigsten Teilnehmer dominieren die jeweilige Marktsituation.

Der ‚freie‘ Markt verkörpert im Neoliberalismus so etwas wie ‚Natur‘ oder wie den ‚(Markt)Gott‘, dessen unsichtbare Hand zu rationalen Entscheidungen führe. Der ‚freie‘ Markt wird deshalb verschiedentlich als ökonomischer Religionsersatz bezeichnet. Alles, was der Markt hervorbringt, ist angeblich rational ableitbar. In diese ‚natürlichen Vorgänge‘ darf niemand eingreifen. Das, was der ‚Marktgott‘ hervorbringt, ist folglich „alternativlos“, m.a.W.: es lohnt sich nicht, über Alternativen nachzudenken. Und wenn das Wirken des ‚freien‘ Marktes alternativlos ist, wird automatisch jede Kritik mundtot gemacht (wie kann man sich gegen einen ‚Marktgott‘ aussprechen oder die ‚Naturabläufe‘ des ‚freien‘ Marktes in Frage stellen?).

Je unvollkommener Märkte sind (und das sind reale ‚freie‘ Märkte in aller Regel), desto interessanter sind sie für renditesuchende Anbieter. Die Chancen steigen, überdurchschnittliche Renditen zu erzielen. Das ist das Feld, auf dem sich unsere Geldeliten wohlfühlen. Den Vorteil des Neoliberalismus hat dieser Personenkreis sofort verstanden und hat sich mehrheitlich auf seine Seite geschlagen.

Was hat diese Ideologie des Neoliberalismus bei den Geldeliten ausgelöst? Einerseits haben sie schnell erkannt, dass sich damit noch besser Geld verdienen lässt. Es hat aber darüber hinaus einen Effekt, den Mausfeld wie folgt beschreibt: „Sie (die Ideologie des Neoliberalismus) gibt der Klasse der Reichen ein neues (nie da gewesenes) Klassenbewusstsein und führt zu einer massiven Verschmelzung und ideologischen Homogenisierung ökonomischer und politischer Eliten (sowie deren Medien).“

Warum lassen das die Bürger so einfach geschehen? Hier ist die vom Neoliberalismus unterstellte ‚Naturgesetzlichkeit‘ ein wesentlicher Stützpfeiler. Mausfeld führt dazu aus: „Sie (die Naturgesetzlichkeit) dient der Revolutionsprophylaxe, indem die massive Umverteilung von unten nach oben und der Abbau demokratischer Strukturen als ‚Naturgesetzmäßigkeiten freier globalisierter Märkte‘ ausgeben wird, zu denen es somit keine Alternative gäbe.“

Damit schließt sich der Kreis: Die Aufklärung hat uns ein Ideal eines Menschenbildes hinterlassen, das von Gleichberechtigung aller Menschen und einem demokratischen Herrschaftssystem ausgeht. Diese „linke“ Haltung hat das politische Denken der letzten 200 Jahre (sicherlich mit vielen Um- und Irrwegen) überstanden. Ihren realen Höhepunkt hatte dieses Denken vermutlich in den 70iger Jahren, als mit „mehr Demokratie wagen“ noch Wahlen gewonnen werden konnten. Just auf dem Höhepunkt der Realisierung der ‚linken‘ Haltung taucht eine Ideologie auf, die man als ‚rechte‘ Haltung klassifizieren muss, weil sie nicht vom Menschen spricht, sondern vom Markt(gott), der besser weiß, was für die Menschen gut ist. Die Ideologie der ‚rechten‘ Haltung interessiert sich weder für mehr Gleichberechtigung noch für mehr Demokratie. Sie verkörpert das glatte Gegenteil: Sie favorisiert den Unterschied, sie nutzt Abhängigkeiten ohne jede Scham aus – mit anderen Worten, sie entlastet die Kaste der ‚Reichen‘ von jeder Rechtfertigung ihres Wohlstandes. Die Ideologie des Neoliberalismus macht die Reichen zu einer neuen Klasse mit einem eigenen Klassenbewusstsein und der Bezug auf den Markt(gott) macht es auch möglich, nicht mehr nur Obstruktionspolitik zu betreiben. Der Markt(gott) gibt der ‚rechten‘ Haltung erstmals seit vielen Jahrzehnten eine (Klassen)Perspektive, die aufgrund der vermeintlichen ‚Natürlichkeit‘ ihrer Argumentation scheinbar keine Alternative zulässt. Manche mögen meinen, man sei am Ende der Geschichte angekommen.

Die ‚linke‘ Ideologie (der Aufklärung) geht unverändert davon aus, dass alle Menschen gleichberechtigt sind und die Menschen an der Realisation dieser Idee im Rahmen des Herrschaftsmodells der Demokratie arbeiten sollen. Diese Perspektive beschimpfen die Vertreter der ‚rechten‘ Ideologie und des Neoliberalismus verächtlich als „Gutmenschentum“.

Aber was ist mit dem Menschenbild der ‚rechten‘ Haltung? Es gibt gegenwärtig schlicht keines!! Der Mensch kommt in der gegenwärtig ‚rechten‘ Perspektive nur als Produktionsmittel, Konsument, Verbraucher und Wahlvolk (ohne Einfluss), ergänzt durch einen ausgeprägten Chauvinismus, vor. Die rechte Ideologie fordert und fördert dabei menschliche Eigenschaften, die seit über 2000 Jahren als die dunkle Seite unserer Existenz beschrieben werden kann. Sie pflegt den Egoismus, den Narzissmus, die Gier, die Rücksichtslosigkeit, den Wettbewerb als Strategie der gezielten Vereinzelung, Selbstüberschätzung (Ich!) und Maßlosigkeit des wirtschaftlichen Handelns. Mit anderen Worten: der ideologische Ansatz des Neoliberalismus als Ausdruck einer ‚rechten‘ Haltung fußt auf einer Idee des Gegenteils des ‚Gutmenschentums‘. Dafür gibt es bis heute leider keine treffende Bezeichnung. ‚Schlechtmenschentum‘ wäre eine zu billige Retourkutsche.
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Prof. Dr. Rainer Mausfeld, Vortrag auf Youtube: Wie werden politische Debatten gesteuert? https://www.youtube.com/watch?v=bw5Px3rR9Jo

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Wirtschaftlicher Boom – Gesellschaftliche Spannungen

Die Privatbank Berenberg hat unter dem 22.Mai 2018 im Rahmen ihrer Reihe Berenberg Makro eine Studie (29 Seiten) zum Thema „Wirtschaftlicher Boom – Gesellschaftliche Spannungen“ veröffentlicht. Als Autor zeichnet Dr. Jörn Quitzau verantwortlich.

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Die Studie folgt stramm den Anforderungen und Klischees der Mainstream-Ökonomie und des Neoliberalismus. Die Mehrzahl der angewendeten Erklärungsmuster sind heute in der Volkswirtschaft üblich, aber decken oft mehr zu als sie erklären können. Trotz der Kritik ist es anzuerkennen, dass Quitzsau den Schritt wagt und Sachverhalte zu erklären versucht, die in der ökonomischen Theorie in der Regel nicht existieren noch wahrgenommen werden. Gesellschaftliche Spannungen sind keine ökonomischen Kategorien und er verweist die Probleme erwartungsgemäß auf die Arbeitsgebiete der eigentlichen Sozialwissenschaften.

Das darf nicht wundern: Die moderne Ökonomie versteht sich mehrheitlich als den Naturwissenschaften näher stehend und weniger den Sozialwissenschaften. Die hochgradige Mathematisierung der Ökonomie kann als eine Folge dieses merkwürdigen Selbstverständnisses verstanden werden.

Quitzau versucht sich in Erklärungen zu Fragen der ‚Gesellschaftlichen Spannungen‘. Seine Erklärungen lassen erkennen, dass seine Perspektive auch in diesen Fragen strikt und eng dem Einmaleins der Ökonomie verhaftet ist. Sie macht ihn blind für jede Erkenntnis, die außerhalb des ökonomischen Denkens liegt. Dabei baut er einen theoretischen Gegensatz auf, der in der Praxis keiner ist oder so auch nicht schlüssig erklärt werden kann:

„Beim gesellschaftlichen Trend zu mehr Individualität und Verschiedenheit verliert das Gemeinsame an Bedeutung.“ Diese Aussage der Studie zeugt von besonderer theoretischer Blindheit: Der Trend könnte ein Beobachtung sein, er ist aber keinesfalls ein Begründung, warum das Gemeinsame abnehmen soll. Die Idee, dass dieses Verhalten durch ökonomische (neoliberale) Forderungen begründet oder zumindest befeuert wird, kommt ihm dabei nicht. Der ‚Trend‘ macht die Zusammenhänge so schön anonym.

Unsere Wirtschafts- und Sozialpolitik folgt dem neoliberalen Credo, dass jeder einzelne der Schmied seines Glückes sei. Er könne sich keinesfalls auf Solidarsysteme stützen (Ich-AG, Minijobs, u.a.). Die dadurch angestrebte Vereinzelung der Menschen und die einherschreitende Vergötterung des Egoismus und Narzissmus sind deutliche Zeichen einer Entsolidarisierung. Und als Folge verliert das Gemeinsame an Einfluss auf das politische Geschehen. Damit verliert das Gemeinsame aber keinesfalls an Bedeutung für die Menschen.

Es bleibt die Frage, ob tatsächlich mehr Individualisierung und Verschiedenheit – wie behauptet – zu Tage tritt. Ich halte diese steile These für falsch: Individualisierung ist ein Prozess, der vom Individuum ausgeht, das sich schrittweise weiter differenziert. Diese Differenzierung könnte dann zu mehr Verschiedenheit führen. Aber das liegt doch gar nicht vor: Was wir beobachten können, ist eine steigende Vereinzelung (die den Menschen politisch aufgedrängt wird) gepaart mit einen zunehmenden Egoismus, der auch eine Folge der Vereinzelung sein kann. Das ist etwas komplett anderes als die These einer verstärkten Individualisierung.

Führt die Tatsache, dass der Konsum, der gegenwärtig abertausende von Kunden ‚beglückt‘, die mehrheitlich gleich gekleidet sind und denen die gleichen Wünsche vermittelt werden, zu mehr Individualität? Mir kommt bei solchen Bildern eher der Begriff Konformität in den Sinn und das ist m.E. das Gegenteil von Individualität und Verschiedenheit. Je mehr es gelingt, die Menschen zu vereinzeln und gleichzeitig ihre Ansprüche konformer zu gestalten, desto erfolgreicher ist unser Wirtschaftssystem: es kann billig in großen Mengen die weitgehend konformen Bedürfnisse einer massenhaften Zahl von Kunden befriedigen und dabei ziemlich risikolos viel Geld verdienen. Hier degeneriert Vielfalt zur Einfalt!

Eine zweite Aussage der Studie lautet: „ Der Markt liefert den Menschen individuelle, maßgeschneiderte Lösungen:“ Das gilt, wenn überhaupt, nur für einen großen Geldbeutel. Für Otto Normalverbraucher hält der Markt weder individuelle noch maßgeschneiderte Lösungen vor. Der bessere Begriff wäre doch wohl Masse statt Klasse! Wenn der Verbraucher Glück hat, und den Manipulationen des Zeitgeschmacks erliegt, findet er eine Lösung seines Problems: Der Markt liefert nämlich gar nichts. Er stellt bestenfalls etwas zur Verfügung und wenn mir das nicht zusagt, ist mein individueller Ansatz schon am Ende. Zudem wird der Kunde oft durch massive Werbung in einer Weise manipuliert, dass seine Individualität i.d.R. nur auf ganz kleiner Flamme wahrgenommen werden kann.

Dann kommt der neoliberale Hammer: Aus den obigen Markt-Überlegungen, deren Praxistauglichkeit in Frage steht, leitet der Autor dann die These ab: „Bei Kollektivgütern, …, die nicht über den Markt, sondern vom Staat bereitgestellt werden, gilt hingegen: „One size fits all.“ Das erfordert von den Bürgern Kompromissfähigkeit im politischen Bereich, die sie aus anderen Bereichen kaum noch gewohnt sind.“ Es wird also allen Ernstes behauptet, weil der Staat seine Gemeingüter einheitlich und für alle gleich bereitstellt, dass dieses Verhalten einer „One size fits all“ – Strategie entspricht und dass deshalb das ‚Gemeinsame‘ (dessen Eigenschaften der Autor leider nicht herausarbeitet) an Bedeutung verliert. Da fällt mir fast der Griffel aus der Hand.

Max Weber hat hier zum Verwaltungshandeln vor mehr als 100 Jahren die wesentlichen Merkmale zusammengetragen: Handeln für alle nach gleichen Grundsätzen, handeln strikt nach Gesetz, frei von Korruption und Beziehungen, unabhängig von politischer Einflussnahme. Hier legen die Nicht-ökonomen einen großen Wert darauf, dass hier der Grundsatz der Gleichbehandlung(„the law fits all“) gilt. Das ist die eine Seite der Medaille. Für die Gemeingüter, die die öffentliche Verwaltung den Bürgern bereitstellt, gilt primär der Grundsatz der Grundversorgung. Jeder Bürger sollte ohne marktwirtschaftlichen Gewinnaufschlag eine qualitativ intakte Grundversorgung erhalten. Die Vorstellung, die vermutlich hinter dem Argument des Autors steckt, ist der Wunsch der neoliberalen Ideologie, diese Grundversorgung den Regeln eines Marktes zu unterwerfen, damit ein kleiner, exklusiver Kreis damit viel Geld verdienen kann. Das wird aber nicht zum Ausdruck gebracht, sondern es wird i.d.R. die Behauptung in die Welt gesetzt, dass die Aufgabe der Grundversorgung ein privater Unternehmer viel effizienter erledigen könnte. Das Dumme dabei ist, dass die angebliche Effizienz des privaten Unternehmers aufgrund des Monopols, das bei der Grundversorgung herrscht, den Bürger richtig viel Geld kosten wird. Die Frage nach der Qualität wollen wir hier gar nicht ansprechen.

Fassen wir nochmals zusammen: Die Zunahme der gesellschaftlichen Spannungen sind nicht eine Folge des Booms (wie die Überschrift etwa erwarten lässt). Wenn wir von Spannungen innerhalb der Gesellschaft sprechen, dann liegen die Gründe gewiss nicht in einer zunehmenden Individualisierung und Verschiedenheit. Sie sind in den Bestrebungen einer neoliberalen Politik zu finden, den Menschen zu vereinzeln. Er soll für sein Schicksal allein verantwortlich sein. Solidarität mit den Zukurzgekommenen wird gestrichen. Dafür werden der Egoismus und der Narzissmus herausgestellt und bewusst gepflegt. War vor nur 30 Jahren der Egoismus eine fraglos existente, aber fragwürdige Eigenschaft, so wird heute der Egoismus quasi als die ‚Erleuchtung‘ verstanden. Narzissmus wird seit mindestens zwei Jahrtausenden als ein Fehlverhalten oder auch als eine Art Krankheit behandelt. Narzissmus war in der griechischen Klassik ein Stoff für Tragödien. Heute macht man Narzisten zu Präsidenten – auch eine Art Tragödie. Das spaltet die Gesellschaft. Die Gemeinschaft hat ihren Wert an sich verloren. Stattdessen wird der „Hero“ verehrt, der sich (meist) auf Kosten der Gemeinschaft seinen Namen schafft.

Im Text (S. 9 ff.) wird dann die Verteilungsfrage angerissen und weggebügelt. Die Umfrageergebnisse, die der Autor darstellt, führen auf Platz eins die unterschiedlichen politischen Ansichten als Problem an. Die Diskrepanz von Arm und Reich wird als zweiter wesentlicher Grund für gesellschaftliche Spannungen angesehen. Dabei ist die Diskrepanz der politischen Ansichten vernachlässigbar. Dieser mentale Aspekt ist einer freiheitlich-demokratischen Politik inhärent. Der Aspekt von Arm und Reich ist aber ein materieller, gewissermaßen faktischer Gesichtspunkt, der dadurch sein besonderes Gewicht erhält. Er wird vom Autor leider als unbedeutend charakterisiert, weil die Ungleichheit immer schon bestand.

Wenn man dann das dargebotene Schaubild zur Hand nimmt (S. 10) und feststellen muss, dass innerhalb von rd. 50 Jahren 80% der amerikanischen Gesellschaft kaum Einkommenszuwächse zu verzeichnen haben (über die Inflation spricht hierbei niemand) und 20% im gleichen Zeitraum nahezu 200 % zulegen konnten, dann scheint hier doch ein wesentlicher Grund für gesellschaftliche Spannungen zu liegen. Das will natürlich die Klientel einer Berenberg –Bank nicht hören. Also versucht man davon abzulenken.

Man fragt sich, warum es zu diesem Thema keine deutschen Zahlen gibt. Das ist eine unmittelbare Folge der gezielten Aussetzung der Vermögensteuer in den 1990iger Jahren durch die damalige Regierung Kohl. Seit dieser Zeit haben wir in Deutschland zur Frage der Vermögensverteilung im oberen Segment keine valide Statistik mehr. Deutsche Zahlen zu diesem Segment basieren regelmäßig auf windigen Schätzungen, ähnlich jenen, die jedes Jahr bei Forbes die angeblich reichsten Personen der Welt präsentieren. Schätzungen dieser Art sind meist aufgrund der hohen Fehleranfälligkeit konservativ niedrig angelegt und deshalb im Grund aussagenlos.

In der einseitigen Zusammenfassung endet die Studie mit einer Feststellung, die unterschiedlich verstanden werden kann: „Gute Wirtschaftspolitik nimmt die Menschen so, wie sie tatsächlich sind (und nicht wie sie sein sollten)“. Der Autor führt diese Aussage in einigen interessanten Aspekten aus. Er macht deutlich, wieviel mehr Varietät das Verhalten des Wirtschaftssubjekts aufweisen kann. Als logische Konsequenz wäre zu fragen, ob und wie sich diese Varietät auch in den volkswirtschaftlichen Aussagen widerspiegeln? Stattdessen wird stereotyp auf die alten Muster zurückgegriffen und festgestellt: „Die Marktwirtschaft … ist das ideale Wirtschaftsmodell für Menschen, die überwiegend eigennützig handeln und die mit unterschiedlichen (…) Fähigkeiten (…) ausgestattet sind. Der Eigennutz und das Gewinnstreben treiben den Einzelnen zur Leistung an.“ Mit diesem alten Spruch werden all die zuvor beschriebenen Analysen und ökonomischen Verhaltensdifferenzierungen wieder zunichte gemacht. Sie werden wieder über den alten Leisten von Eigennutz und Gewinnstreben geschlagen. Der Begriff des Wettbewerbs fehlt hier noch, um die Mantra unseres Wirtschaftssystems komplett zu machen.

Aber ist das richtig? Die vielfältige Wiederholung macht die Sache nicht besser. Führen diese Begriffe zurück zu mehr Gemeinsamkeit und zu weniger gesellschaftlichen Spannungen? Hat nicht die völlig undifferenzierte Forcierung genau dieser drei Begriffsinhalte die Spannungen ausgelöst? Ist es nicht einzusehen, dass es sehr wohl in einer Gesellschaft eine beachtliche Zahl von Menschen gibt, deren Verständnis von Eigennutz oder Egoismus und  Gewinnstreben nicht ausgeprägt ist? Sie können nicht verstehen, warum sie z.B. ihren ärztlichen Ethos auf dem Altar des Eigennutzes opfern sollen?

Es sind nicht alle Menschen willens und bereit für ein ‚paar Dollar mehr‘ sich ihre (altruistische oder gemeinwohlorientierte) Einstellung abkaufen zu lassen. Es ist nicht so, dass alle Menschen das ökonomische Ideal von ausgeprägtem Eigennutz, Wettbewerb und Gewinnstreben verinnerlicht haben. Und genau diese Menschen repräsentieren im Kern den Kit, der unsere Gesellschaft zusammenhält. Dieser Kit schafft die Voraussetzungen für Gemeinschaft und Vertrauen, damit die Egoisten sich ihre Vorteilnahme überhaupt leisten können.

Ohne diese Gemeinschaft (zu der sie wenig oder nichts beizutragen wissen) könnten sie auch keinen „Erfolg“ haben. Denn für einen, der Erfolg hat, muss es viele geben, die diese Art von  ‚Glück‘ nicht für sich in Anspruch nehmen können oder wollen. Die Leistung spielt dabei nur bedingt die Rolle, die unser Wirtschaftssystem dem Erfolgreichen zurechnet. Wir fokussieren uns auf die Egomanen, vergessen aber, dass der Egomane ein Milieu benötigt, das ihm die Chance gibt, sich hervorzutun.

Hier herrscht es ein völliges Ungleichgewicht in der (wirtschaftlichen) Betrachtungsweise: Die Egoisten sind die ‚Heros‘ und die, die das Milieu geschaffen haben, damit es Heros überhaupt geben kann, existieren weder im Bewusstsein der politischen Eliten noch in der wirtschaftlichen Theorie. Erst wenn wir beide Seiten der Medaille wirklich verstanden haben, werden wir in der Lage sein, eine Wirtschaftstheorie entwickeln, die der Vernunft (und nicht irgendwelchen die Zukunft kommender Generationen zerstörender Interessen) gerecht wird.

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Ist die Globalisierung schon tot?

Seit Donald Trump die USA führt, lässt sich beobachten, dass das transatlantische Verhältnis Schaden genommen hat. Die Haltung der Regierungen in USA und auch die eher rechtsgerichteten Nationen in Europa lassen einen Trend erkennen, der die alten Strukturvorstellungen in Frage stellt. Die Einführung von (Straf-)Zöllen und das gezielt ungenierte Ausleben von nationalen Egoismen (‚America first‘) in den USA und in einigen europäischen Staaten hat das politische Klima erheblich verändert.

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Bis zur Präsidentschaft von Donald Trump erschien die globale Strategie der Großkonzerne hinsichtlich einer globalen Vereinheitlichung der Märkte und möglichst einheitlicher Produkte bei einheitlich globaler Ausbeutung von Arbeitskräften unaufhaltsam. Kurioserweise taucht dann ein Präsident auf, der sich als Geschäftsmann im Amt versteht und hebt wesentliche Voraussetzungen dieser Strategie mit einem simplen Federstrich auf. Statt Globalisierung treten Verhaltensweisen in den Vordergrund, von denen viele meinen, dass sie aus der Mottenkiste der Vorkriegszeit stammen. Eine gewisse Verunsicherung, ja Verwirrung lässt sich feststellen. Die heilige Kuh der Globalisierung, der sich alle Marktteilnehmer anzupassen hätten, scheint geschlachtet. Die ‚Killer‘ sind ausgerechnet jene Kräfte, die konservativ eine eher altbackene Ordnung vertreten, die unsere ‚Eliten‘ – egal, ob für oder gegen Globalisierung –mehrheitlich schon lange als überwunden angesehen haben.

Die Strategie der Großkonzerne, die unter dem Namen der Globalisierung verkauft wird, droht an der ablehnenden Haltung großer Teile der Bevölkerung zu scheitern. Der nationalistische Rechtsruck ist u.a. auch eine Folge der Globalisierung, weil die betroffenen Menschen weder einbezogen noch gefragt wurden. Globalisierung dient auch nicht den Menschen, Globalisierung dient primär dem großen Kapital. Da die real Betroffenen oder auch vermeintlich Betroffenen im Parteienspektrum des Mainstreams keine Stimme erhalten, gehen sie nach rechts außen, dort, wo ihnen versprochen wird, dass sie ein politisches Gewicht darstellen.

Der europäische Gedanke sieht sich ähnlichen Tendenzen ausgesetzt. Europa ist seit Jahrzehnten mit zunehmender Konzentration der Macht in Brüssel für den Wähler ein Abstraktum geworden. Es ist trotz der Bemühungen der Politik nicht gelungen, Europa über den Kopf hinaus in die emotionale Wahrnehmung breiterer Wählerschichten zu transportieren. Europa (eine im Grunde grandiose Idee) ist über den Verstand hinaus nur schwer greifbar. Als Folge fühlen sich Teile Europas nicht oder nicht mehr angemessen repräsentiert. Sie suchen ihr Heil in einer Art ‚Kleinkariertheit‘ des nationalistischen Verständnisses. Auch hier wird deutlich, dass die Strategie der Großkonzerne gescheitert ist oder zumindest zu scheitern droht. Nationalismus und Globalisierung sind diametrale Widersprüche. Der im Nationalismus implizierte wirtschaftspolitische Ansatz einer „Beggar, my neighbour“-Politik steht gegen ein weitgehend offenes Verständnis der Welt im Rahmen des globalen Handels. Das, was bei der Globalisierung des Welthandels das Großkapital abgreifen will, wird jetzt tendenziell „nationalisiert“. Es ist u.a. eine Antwort auf die nicht zu duldenden Gewinnverschiebungen, die die Großkonzerne in den letzten Dekaden gegen die berechtigten Ansprüche der Nationalstaaten durchgesetzt haben.

Ist eine Antwort der Mainstream-Politik zu erkennen?

Die politischen Reaktionszeiten auf Strafzölle sind aufgrund der Abstimmungen in der EU recht lange. Selbst auf die nationalistischen Umtriebe einiger Mitgliedsländer in der EU gibt es noch keine einheitliche Meinung. Nur in dem Land, in dem demnächst gewählt wird, hat man sich eine Strategie zurecht geschustert. Die Reaktion der CSU auf den Rechtsruck ist die Forcierung des Begriffs „Heimat“ und zunehmend auch eine durch die gesetzliche Lage nicht gedeckte Form der „Flüchtlingspolitik“. Sie glaubt damit das Politik-Defizit füllen zu können. Ob aber der altbackene und inhaltslos verwendete Begriff der Heimat die richtigen Akzente setzt, erscheint sehr fraglich. Was könnte denn ein politisch relevantes Aktionsfeld eines „Heimatministeriums“ sein, abgesehen vom Stimmenfang am rechten Rand des politischen Spektrums? Werden nicht die potenziell rechten Wähler ganz offensichtlich mit ihrem Anliegen für ‚dumm‘ verkauft?

Die martialisch anmutende Flüchtlingspolitik wäre rechtlich umstritten und humanitär eine Katastrophe angesichts der verbleibenden Größe des realen Problems. Es kommen ja nicht mehr Hunderttausende, sondern in weiter abnehmender Tendenz etwa knapp 200.000 Flüchtlinge pro Jahr. Das ist ein „Krieg“ um nichts, ähnlich wie die Frage der Familienzusammenführung. Die geschätzten Zahlen zum Familiennachzug liegen bei weit unter einem Hundertstel Prozent unserer Bevölkerung. Gibt es nichts Wichtigeres?

Die konservativen Kreise haben schon vor Jahrzehnten das Defizit zwischen Anspruch und Wirklichkeit beklagt, indem sie sich vehement gegen die „Vereinigten Staaten von Europa“ ausgesprochen haben und stattdessen lautstark für ein „Europa der Vaterländer“ plädierten. Auch hier ist der Begriff unglücklich gewählt und historisch vorbelastet. Aber gemeint war, dem großen, schwerfassbaren Begriff der „Vereinigten Staaten“ (ohne Berücksichtigung regionaler Eigenschaften und Besonderheiten) einen Begriff gegenüberzustellen, der den betroffenen Menschen vertrauter erscheinen soll. Die Wähler haben dieses Vorgehen bisher akzeptiert, aber fühlen sich trotzdem zu einem recht großen Teil abgehängt oder sogar als irrelevant. Und genau das ist die politische Haltung des Neoliberalismus: es gibt (Geld-)Eliten, die das Sagen haben, und ein Heer von ‚Irrelevanten‘. So jedenfalls verstehen die Apologeten des Neoliberalismus unsere Welt. Das Heer der Irrelevanten wird auf ein Heer von Konsumenten reduziert, um die Umsätze hochzuhalten, damit die Eliten weiterhin ungeniert ‚Profit‘ machen können. Vor dieser Sichtweise wirkt die „Heimat“-Debatte recht altbacken und wird m.E. den Frust der Irrelevanten nicht beseitigen können.

Es müssen nicht die „Vaterländer“ aus der Mottenkiste der Geschichte hervorgeholt werden oder die „Heimatvereine“ plötzlich ein politisches Profil erhalten, sondern es muss wieder insgesamt „Politik für Menschen“ gemacht werden und nicht für die ‚Wirtschaft‘ oder für den ‚Markt‘. Man muss sich endlich davon lösen, die Welt einseitig nur durch die Brille des Kapitals, oder der Arbeitnehmer und Konsumenten zu sehen. Dazu gehört auch eine Politik, deren Vertreter nicht den Lobbyisten auf dem Schoß sitzen (oder umgekehrt), sondern die offensiv auf die Menschen zugeht und dem Lobbyismus und seinen Fehlentwicklungen klare Grenzen setzt.

Der sogenannte Dieselskandal zusammen mit dem Feinstaub-Skandal offenbart doch ein trauriges Politikverständnis. Die Politik hat einem gigantischen Betrug Vorschub geleistet: Bei den betrügerischen Werten zum Abgas hat sich die Regierung offenen Auges auf die Täuschung der Verbraucher eingelassen und beim Feinstaub ist bei bekannter zehnjähriger Sachlage und einer klaren gesetzlichen Regelung nichts passiert. Man hat versucht, den offensichtlichen schädlichen Einfluss des Feinstaubs für die Gesundheit der Menschen mit dem ‚Gold‘ der Wirtschaft aufzuwiegen. Man kann einerseits verheerende Folgen für die Glaubwürdigkeit der Wirtschaft erwarten und muss andererseits eine Bankrotterklärung des politischen Handelns feststellen, das doch zum ‚Wohle des Deutschen Volkes‘ erfolgen sollte. Darüber spricht aber keiner laut und öffentlich, es wäre wahrscheinlich für die sogenannten ‚Eliten‘ zu blamabel.

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Digitalisierung und Bürokratie

Mit der Digitalisierung versprechen manche Kreise ein neues Zeitalter, das sie in großartigen Farben schildern. Kritischere Geister sehen eher große soziale Probleme auf uns zukommen, weil die Erwerbsarbeit stark rückläufig sein wird und viele Menschen damit ihre Identität verlieren könnten. Digitalisierung wird bisher aber seltsamerweise nicht mit Bürokratisierung in Verbindung gebracht, obwohl Bürokratie eine Organisationsform ist, die man als Vorläufer der Digitalisierung bezeichnen kann.

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Bürokratie gilt als ein Moloch, der insbesondere vom Liberalismus als Feind der Freiheit angesehen wird. Dabei ist Bürokratie auf keine gesellschaftliche Organisationsform beschränkt. Der Liberalismus war immer schon auf diesem Auge blind und hatte stets nur die öffentliche Bürokratie im Fokus und vernachlässigte die Tatsache, dass Bürokratie in Unternehmen den gleichen Grundsätzen folgen.

Bürokratie gilt als effektiv und effizient, wenn einerseits sichergestellt werden kann, dass sie nur repetitive (sich wiederholende) Aktivitäten entwickeln und wenn zweitens sichergestellt werden kann, dass vor die bürokratische Verarbeitung ein Filter gesetzt wird, der nur solche Problemstellung an die Bürokratie weitergibt, für die in den bürokratischen Strukturen Problemlösungsalternativen geschaffen wurden. Was heißt das? Bürokratie befasst sich primär nur mit ‚wohldefinierten‘ Problemstellungen, d.h. zu den an die Organisation herangetragenen Problemen bestehen klare und relativ einfache Lösungsschritte und die bürokratische Lösung kann als gültig und abschließend betrachtet werden. Treffen ‚schlechtdefinierte‘ Problemstellungen, deren Lösung neue Vorgehensweisen verlangen (kurz: kreative Lösungswege) auf die bürokratischen Strukturen, dann ist Bürokratie regelmäßig überfordert und die Effektivität und Effizienz dieser Strukturen werden erheblich beeinträchtigt oder sogar aufgehoben.

Beispiel: „Sie haben ein technisches Problem und suchen Hilfe beim Hersteller. Sie rufen an und sie finden Kontakt zu dem oben angeführten Filter: Er fragt sie nach dem Produkt (dann wählen sie die Eins), oder nach dem Service (dann wählen sie die Zwei) u.s.w…. Dann erst kommen sie mit ihrem auf diese Weise vorstrukturierten Problem zum Callcenter und dürfen ihr Problem schildern (sie hoffen dabei, dass in der Schulung des Callcenters ihr Problem besprochen wurde und die Person sich auch daran erinnert). Wenn sie die ‚richtige‘ Frage gestellt haben, erhalten sie eine Standardantwort (das bürokratische System wurde ‚richtig‘ in Anspruch genommen), im anderen Fall beginnt der „Buchbinder Wanninger“ – sie werden von A nach B, von B nach C usw. verbunden und geben irgendwas entnervt auf. Dann wird ihr Vorurteil, dass Bürokratie Mist ist, wieder einmal bestätigt.“

Übertragen wir ‚Bürokratie‘ in die digitale Sprache: Das, was Bürokratie effektiv und effizient macht, ist ein Algorithmus, der in diesem Fall nicht elektronisch arbeitet, sondern mit Menschen, die arbeitsteilig den Arbeitsplan (den Algorithmus) abarbeiten, um zur gewünschten Lösung zu kommen. Die Algorithmen der Bürokratie sind einfacher gestrickt als jene im digitalen Umfeld, aber die Grundproblematik ist die gleiche. Das zu lösende Problem muss in allen Lösungswegen durchdacht werden, um diese Wege dann auch in einem sinnvollen Algorithmus ausdrücken zu können. Lösungswege, die der Schöpfer des neuen Algorithmus nicht erkennt, werden künftig auch nicht existieren. Algorithmen sind – vergleichbar mit der Bürokratie – effektiv und effizient, wenn Problemstellung und Algorithmus zusammenpassen. Wählt der „Filter“ (die Organisationsspitze) einen Algorithmus, der nicht zum Problem passt, kann man nicht erwarten, dass ein sinnvolles Ergebnis entsteht. Es ist nicht auszuschließen, dass die gegenwärtigen und künftigen Algorithmen komplexere Strukturen zulassen als wir sie von der gegenwärtigen Bürokratie erwarten können. Wir müssen uns aber darüber klar werden, dass der prozessuale Unterschied zwischen Algorithmus und Bürokratie minimal ist.

Wenn also Bürokratie als eine Form der Organisation verstanden wird, bietet sie sowohl im öffentlichen als auch im privaten Rahmen lt. Max Weber unter gewissen Einschränkungen eine lange Reihe von Vorteilen. Von den liberalen Denkern wird diese Organisationsform vehement abgelehnt und als Alternative oder sogar im Gegensatz zur Gewinnorientierung gesehen. Dabei wird nicht das Organisationsprinzip verteufelt, sondern die Tatsache, dass Bürokratie auch ohne Gewinnorientierung funktioniert. Erst die Einführung der Gewinnorientierung macht aus liberaler Sicht aus der Bürokratie eine ‚gute‘ Bürokratie, weil es mit Hilfe des Gewinnstrebens möglich sei, Führung und Verantwortung zu dezentralisieren. Diese Fähigkeit wird der Bürokratie der öffentlichen Hand mangels Gewinnstrebens abgesprochen.

Man bemüht sich deshalb im öffentlichen Bereich um Entbürokratisierung und setzt dabei seltsamer Weise auf die Digitalisierung! Nach meiner These ist Digitalisierung nur ein anderes Wort für Bürokratisierung, weil sowohl die Bürokratie als auch die Digitalisierung auf die gleichen Instrumente zurückgreifen. Es ist in beiden Fällen das Instrument des Algorithmus. Auf dem Wege von der Bürokratie zur Digitalisierung muss durch die massive Eliminierung des Menschen aus dem algorithmischen Prozess die Stringenz der künftigen digitalen Algorithmen deutlich höher liegen als vorher. Der Mensch in bürokratischen Strukturen hatte immer noch auf jeder Hierarchiestufe eine gewisse Bandbreite des Handelns, um eventuelle Defizite des bürokratischen Algorithmus ausgleichen. Dem digitalen Algorithmus wird dieses Korrektiv fehlen. Deshalb müssen in der Digitalisierung die Regelungsvorgänge umso differenzierter gefasst werden, um Fehlentwicklungen zu vermeiden. Digitale Bürokratie wird also um ein Vielfaches enger und „bürokratischer“ und damit machtvoller sein, als das alte Bürokratie-Modell. Im alten Modell konnte man an die Vernunft der diversen Akteure in dem Prozess appellieren. Im digitalen Prozess wird man diese Akteure einfach nicht mehr finden.

Diese Auffassung hat zur Folge, dass mit fortschreitender Digitalisierung ein Effekt der zunehmenden Bürokratisierung aller Prozesse nicht zu vermeiden ist. Ob wir das wollen, hängt von uns hier und heute ab. Späterer Protest wird wenig politische Resonanz finden können.

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Feinstaub, Digitalisierung und Lkw-Maut

Nach einer mehrwöchigen Reise durch Norddeutschland zurück, muss ich feststellen, ich weiß nicht, wo man sinnvollerweise anfangen soll. Manche Entwicklungen sind ja recht erfreulich: Auch die deutsche Justiz meint jetzt wohl, Herrn Winterkorns Aktivitäten kritisch beurteilen zu müssen. Auf jeden Fall tut sich hier etwas trotz des Zögerns der Politik. Aber der öffentliche Druck scheint es möglich zu machen.

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Feinstaub

Hamburg will nach einer Meldung die Dieselfahrzeuge aus der Innenstadt aussperren, um ihr problembewusstes Handeln zu unterstreichen. Was ist denn mit den Container- und Kreuzfahrtschiffen, die den Hamburger Hafen besuchen? Dagegen ist der Feinstaub von Dieselautos wohl vernachlässigbar. Aber im Hafen gibt es keine Stationen, die Feinstäube gemessen – so meine Informationen vor Ort – demnach ist der Hafen auf dem Papier absolut feinstaubfrei. So einfach ist das!

In München wurden aufgrund der gleichen Probleme auch einige der innerstädtischen Messstationen versetzt, und schon ist das Problem dank fehlender Daten weitgehend entschärft. Das ist keine Lösung, sondern nur ein Datenbetrug: Die Messdaten sagen doch nichts über die Wirklichkeit aus – es kann zum Himmel stinken, wenn aber keine Messdaten dazu vorliegen, kann der Gestank im öffentlichen Bewusstsein nicht ankommen.

Die EU hat sich entschlossen, die Bundesregierung wegen der laxen Anwendung ihrer Feinstaubrichtlinien zu verklagen. Wie wirkt ein solches Verhalten? Die diversen Gesetze und Verordnungen zur Eindämmung der Feinstaubbelastung in den Städten wurden von der Politik dem Wähler gegenüber stets als großer Fortschritt verkauft. Im gleichen Atemzug signalisiert offensichtlich die Regierung den Vertretern der Wirtschaft: Das ist nur unsere Kür vor den „lästigen“ Wählern – nichts wird so heiß gegessen, wie es gekocht wird.

Mit der Folge, dass sich die Exekutive, angeregt durch die Wünsche der Politik, auf Regelungen und halbseidene Vereinbarungen eingelassen hat, die „cum grano salis“ nur als Betrügereien einzustufen sind. Der sogenannte „Dieselskandal“ ist zu einem guten Teil auch ein Skandal der Exekutive, die sich in die krummen Geschäfte der Autoindustrie hat hineinziehen lassen oder im „vorauseilenden Gehorsam“ die notwendige Zivilcourage nicht aufgebracht hat, die Politik an Recht und Gesetz zu erinnern. Wenn nicht bei Gesetzesverstößen, insbesondere der ‚Großkopferten‘, die als (fragwürdige) Elite eine Vorbildfunktion für sich in Anspruch nehmen, nicht hart durchgegriffen wird, allein um klar zu demonstrieren, dass insbesondere auch für diese ‚Klasse‘ der Wortlaut des Gesetzes gilt, dann droht mittelfristig das gesellschaftliche Chaos. Da kann es auch kein Freikaufen geben, wie es heute auf der obersten Ebene durchaus üblich ist. Vergleichen Sie einmal die Strafen, die bei Normalbürgern und jenen straffälligen Eliten ausgesprochen werden – wenn es irgend geht, wird die Strafe mit einer Geldauflage auf Bewährung ausgesetzt und der Normalbürger wandert hinter Gittern, gilt dann als vorbestraft und ist für sein weiteres Berufsleben im Abseits.

Digitalisierung

Die Kanzlerin hat sich vermehrt zur Digitalisierung geäußert. Dabei befasst sie sich vornehmlich mit Fragen der Wirtschaft und der Technologie und macht deutlich, dass die Politik glaubt, die Bedeutung dieses Phänomens verstanden zu haben. Über die andere Seite der Medaille, nämlich zur Frage, wie sich diese Technologie möglicherweise zukünftig auf die Menschen und deren Arbeitsplätze, auf die gesamte Erwerbsarbeit insgesamt auswirken könnte, hat die Kanzlerin bisher kein Wort verloren.

Jedem, der sich mit dieser Frage detaillierter auseinandersetzen möchte, sei an dieser Stelle das Buch von David Richard Precht – Jäger, Hirten, Kritiker (Goldmann, 2018) ans Herz gelegt. Einer begründeten Analyse folgen schwerpunktmäßig Elemente einer humanen Utopie, wie wir und insbesondere unsere Politiker mit den absehbaren Folgen der Digitalisierung umgehen sollten. Sie finden vieles, was ich auch schon ausgeführt habe, nur schöner formuliert, gründlicher recherchiert und mit einem optimistischeren Zungenschlag. Interessant in diesem Zusammenhang ist auch das Gespräch zwischen Precht und Gregor Gysi (https://www.youtube.com/watch?v=KO3qo6ofK4c) vom 6. Mai 2018.

Maut

Es ist immer wieder erschreckend, wenn aus geheimen Verhandlungen Informationen an die Öffentlichkeit gelangen. Seit offensichtlich 14 Jahren verhandelt die BRD vor einem (privaten) Schiedsgericht Forderungen gegen die Eigentümer der Toll-Collect. Diese Gesellschaft wurde gegründet, um das Kassieren der LKW-Maut zu privatisieren – eine klar umrissene Aufgabe. Toll Collect ist eine Institution der Großindustrie und hat es in den Anfangsjahren nicht geschafft, zeitnah ein funktionierendes Abrechnungssystem auf die Beine zu stellen. Der Verdacht geht jetzt soweit, dass die eklatante Verzögerung der Umsetzung nicht auf Unfähigkeit, sondern auf Vorsatz zurückzuführen sei.

Mit Ende des alten Vertrages und bis zur Abwicklung der neuerlichen Ausschreibung wird der Bund vorübergehend Eigentümer der Toll Collect werden und hat damit unbegrenzten Zugriff auf deren bis dato privaten Unterlagen. Man munkelt, dass dieser Sachverhalt dazu beigetragen habe, dass jetzt kurz vor Ende der Vertragslaufzeit eine Einigung herbeigeführt wurde, um Fakten zu schaffen. Bei dem Kompromiss wurde vermutlich (so ist das unter Juristen üblich) auch die Einstellung jeglicher juristischer Untersuchung gegen die Eigentümer und das Management vereinbart. Man erteilt eine sogenannte Entlastung, d.h. man schneidet bei der Einigung alle weitergehenden privatrechtlichen Ansprüche ab.

Das ganze System der Mauterhebung dürfte heute wohl vollautomatisch erfolgen. Trotzdem wird – man könnte sagen – aus ideologischen Gründen – das Kassieren der Maut privatisiert. Die Aufgabe steht jetzt wieder zur Ausschreibung, weil der alte Vertrag nach 15 Jahren ausläuft. Die erwarteten Umsätze belaufen sich künftig auf 7.5 Mrd. Euro pro Jahr, die das Inkassounternehmen nach Abzug seiner Kosten an den Bund überweist. Da sich die Telekom wieder um den Zuschlag bemüht, dürfen wir davon ausgehen, dass diese Inkassotätigkeit attraktiv vergütet wird. Wenn der Bund das Unternehmen in eigener Regie weiterführen würde, könnte man diese attraktive Vergütung sparen, weil der Bund die Leistung ohne Gewinnaufschlag durchführt. Man könnte also die Transportwirtschaft entlasten oder dem Steuersäckel einen höheren Beitrag zukommen lassen.

Die Zusammenarbeit läuft unter dem Begriff der Öffentlich-Privaten Partnerschaft (ÖPP). Das Besondere an diesen ÖPP-Verträgen sind deren Geheimhaltungsklauseln, die gewöhnlich zwischen den Parteien vereinbart werden. Das ganze Geschäft wird somit der Öffentlichkeit bewusst entzogen, obwohl das Geldaufkommen ähnlich einer Steuer ausschließlich an den Staat abgeführt werden soll und muss. Man könnte zu der Auffassung gelangen, dass hier Einnahmequellen des Bundes der öffentlichen Kontrolle entzogen werden sollen. Dieser Eindruck wird auch durch die Geheimhaltung des Schiedsgerichtsverfahrens unterstrichen.

Wie ich schon in einem hier veröffentlichten Beitrag festgestellt habe, gibt es zu den ÖPP-Verträgen der öffentlichen Hand keinerlei Transparenz. Es werden auch zentral keine Unterlagen geführt und die Rechnungshöfe des Bundes und der Länder haben nach meinen Informationen auch keinen Zugriff. Insgesamt lassen informelle Gespräche mit Beamten die Vermutung zu, dass das gesamte ÖPP-Geschäft für die öffentliche Hand als eher nachteilig einzustufen ist. Das Verhalten der angesprochenen Beamten lässt erkennen, dass dieser Punkt für sie extrem heikel ist: Sie sind von ihren vorgesetzten Stellen unter Androhung von Karrierekonsequenzen zum Stillschweigen verpflichtet. Was des einen Nachteil ist, ist des anderen Vorteil – von privater Seite wird deshalb versucht, ständig neue Projekte aufzulegen. Meinem Eindruck nach ist die Verwaltung bemüht, diesem politischen Irrwitz, wo immer es geht, einen Riegel vorzuschieben. Hier muss dringend Transparenz geschaffen werden und öffentlich eine unabhängige Bewertung der Frage erfolgen, ist die Öffentlich-Private Partnerschaft ein sinnvoller Konstrukt oder nur eine Möglichkeit, unter Ausschluss der Öffentlichkeit die öffentliche Hand zu melken?

Übrigens: haben Sie noch etwas von der Pkw-Maut gehört? Es war ein großes Thema unseres vormaligen Verkehrsministers Alexander Dobrint und hat ob seiner verqueren Argumentation enorme Wellen geschlagen. Aber: ein völlig unbekannter bayerischer Politiker ist plötzlich bundesweit bekannt, wohl nicht wegen seiner Führungsqualitäten, aber es hat seiner Karriere sehr geholfen. Es ist merkwürdig ruhig geworden. Sollte die CSU dieses kostspielige Aufregerthema zur Positionierung des Herrn Dobrint still und heimlich entsorgt haben?

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Abschaffen oder umbauen – private KV und Riester-Rente

Katarina Kutsche kommt in der SZ vom 9.4.2018 zu dem einfachen Schluss, dass die private Krankenversicherung abgeschafft werden sollte. Der regelmäßige Zeitungsleser ist am meisten verblüfft, dass die Begründung der Abschaffung sich nicht (wie im Wirtschaftsteil gewohnt) mit den Marktverwerfungen, den möglicherweise entgangenen Provisionen und der ‚notleidenden‘ Versicherungswirtschaft beschäftigt, sondern dass Kutsche schlicht vom Menschen her argumentiert, der sich, einmal auf die private Krankenversicherung festgelegt, wirtschaftlich keinen Gefallen getan hat.

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Ich kenne eine beachtliche Zahl von sogenannten ‚Solounternehmern‘, die den Fehler begangen haben, sich aus der gesetzlichen Versicherung zu verabschieden oder nie drin waren; Rentner, die den Beitrag der privaten Versorgung sich nicht mehr leisten können; Beamte des unteren und mittleren öffentlichen Dienstes, denen das gleiche blüht. Also die private Krankenversicherung abschaffen!

Einverstanden – aber dann müssen zumindest für eine Übergangszeit Übertritte in die gesetzliche Krankenversicherung möglich sein, wobei die aufgelaufenen Rückstellungen der Privaten Versicherer der gesetzlichen Versicherung zufließen müssen. Das nimmt den Privaten natürlich die Chance, sich das Ende ihres Geschäftsmodells mit einen schönen Ertrag zu versüßen.

Gleichzeitig muss man dafür sorgen, dass alle Bürger in Deutschland automatisch Teil der gesetzlichen Krankenversicherung werden. Es steht jedem frei, sich darüber hinaus mit Zusatzversicherungen zu versorgen. Wenn alle Bürger eine automatische Mitgliedschaft erwerben, wird man für diejenigen, die keiner Erwerbstätigkeit nachgehen können (egal aus welchem Grunde), eine Lösung anbieten müssen. Angesichts der künftig erwarteten Wirkungen der Digitalisierung auf den Arbeitsmarkt müssen hier rechtzeitig sinnvolle Modelle entwickelt werden, die auch bei hohen Arbeitslosenquoten noch umsetzbar sind.

Wenn man schon beim Durchputzen ist, sollte man auch die schwachsinnige Riester-Rente umbauen. Welcher Schwachkopf hat den Gedanken aufgebracht, das Vermögen der Altersversorgung der unteren Einkommensbezieher in Form der Riester-Rente an die Börse zu bringen? Was sollen Fonds für diese Einkommenskreise? Hat sich schon einmal jemand die Mühe gemacht und die langfristige Rentabilität von Fonds kritisch zu hinterfragen? Dazu ist mehr erforderlich als nur eine einfache Statistik, die uns glauben machen will, dass langfristig die Börse „regelmäßig“ um ca. 3% steigt. Diese Aussage ist doch nur möglich, wenn gedanklich eine imaginäre Trendlinie gezogen wird. Das ist aber nicht die Wirklichkeit, sondern ein in der Realität nicht existierender Konstrukt, der sich immer nur für die Vergangenheit darstellen lässt. Niemand kann in den „Trend“ investieren!

Wer an der Börse nicht dauernd ein Auge auf diese Anlageform hat, wird sein blaues Wunder erleben. Alle, die an der Börse „spielen“ (und nicht nur dort), müssen aus ihrer Lebenssituation heraus akzeptieren können, dass der Schuss auch nach hinten losgehen kann – das ist immer ein Risikogeschäft und da hat eine Altersversorgung der ‚kleinen Leute‘, die auf eine hohe Sicherheit angelegt sein muss, nichts verloren. Da nützt auch das Geschwätz von der Diversifikation nichts – es bleibt ein Risiko, das für den sogenannten kleinen Mann (mit geringem bis mittleren Einkommen) keine Basis für eine Altersversorgung darstellen kann.

Die vertraglichen Auszahlungsgarantien dieser Fonds gelten doch nur so lange, wie die Fonds oder der Versicherer liquide sind, keine Finanzblasen platzen, keine Schuldenkrisen den Markt durcheinander wirbeln. Finanzkrisen haben wir inzwischen alle paar Jahre. In der Altersversorgung muss auf einen Horizont von 30 Jahre oder mehr investiert werden mit der Nebenbedingung, dass über eine Inanspruchnahme (im Fall einer Lebenskrise) jederzeit verfügt werden kann. Kapitalistische Unternehmen sind nicht auf die Ewigkeit programmiert. Das ganze Wirtschaftssystem baut auf erfolgreichen Vierteljahresreports auf: Altersversorgung aber ist ein Institut, das auf 30 bis 50 Jahre angelegt sein muss. Da besteht ein elementarer Interessenskonflikt zu Lasten der kleinen Anleger. Also abschaffen bzw. umbauen!

Die Lösung im Rahmen des Umbaus: Keine unseriösen Versprechungen mehr, keine Provisionen (ohne jede Erfolgsgarantie), geringe Verwaltungskosten, seriöse transparente Ergebnisse: Das Ansparen erfolgt durch eine öffentliche Einrichtung, die wie eine Kapitalsammelstelle organisiert wird. Das Kapital der Anleger wird nicht an der Börse platziert, sondern in relativ sichere Einrichtungen des öffentlichen Wohnungsbaus investiert, die z.B. durch Mieteinnahmen moderate Renditen erwirtschaften, die der Altersversorgung gutgeschrieben werden.

Alle Stiftungen, die einen Geldbetrag hinterlegt haben und auf Zinseinnahmen angewiesen sind, haben gegenwärtig ein Problem, ihren Stiftungsaufgaben nachzukommen. Erfreuliche Ausnahmen sind nur jene Stiftungen, deren Vermögen in langfristig rentierlichen Immobilien steckt.

Das führt uns zu weiteren Gesichtspunkten  des Abschaffens und Umbauens: Markus Söder, neuer Ministerpräsident Bayerns und ehemaliger Finanzminister, hat vor Jahren, als die Löcher der Alpe-Adria-Gruppe bei der Landesbank immer größer wurden, die ‚glorreiche‘ Idee vertreten und umgesetzt, die Löcher durch den Verkauf von 30.000 öffentlich finanzierten und damit in gewissen Grenzen preisgebundenen Wohnungen in Bayern an ein großes privates Immobilienunternehmen zu verkaufen. Das Alpe-Adria-Loch scheint geschlossen. Wir können aber den exorbitanten Mietanstieg in München zu einem guten Teil auch auf die Folgen aus diesem ‚Deal‘ zurückführen.

Man darf davon ausgehen, dass Markus Söder sich im Rahmen des geplanten Deals ein Wertgutachten hat anfertigen lassen, allein schon deshalb, um dem Vorwurf eines zu niedrigen Verkaufspreises einen Riegel vorzuschieben. Was aber solche Wertgutachten gewöhnlich nicht berücksichtigen (es ist nicht Teil des üblichen Bewertungsverfahrens), ist die Erkenntnis, dass die Freigabe von 30.000 Wohnungen(!) aus einer Preisbindung dem Markt einen gigantischen Preis-Impuls versetzt. Diesen Effekt, der sich dadurch ergibt, dass ein großer Teil des Immobilienmarktes, der vordem unter öffentlicher Einflussnahme stand, ausschließlich dem privaten Gewinnstreben überlassen wird. Es sollte niemanden wundern, wenn dann die Mieten durch die Decke gehen. Diese Gesichtspunkte hätte das Gutachten ebenfalls erfassen und bewerten müssen, zumindest für die 30.000 Wohnungen. So gesehen hat Markus Söder den ganzen Komplex zu billig verhökert und Gemeineigentum zum Nachteil der Bürger verschleudert.

Jetzt (!) wurde politisch erkannt, dass öffentlicher Wohnungsbau für den Wohnungsmarkt extrem wichtig ist. Aber die Planungen in der Regierungserklärung (2018) von 2.000 Wohnungen in den kommenden Jahren in Bayern ist angesichts des Verkaufs von 30.000 Wohnungen wohl ein schlechter Witz. Wenn wir den oben angeführten Gedanken von einer öffentlichen Einrichtung aufgreifen, die als Grundlage des Umbaus der Riester-Rente vorgesehen wird, die Kapital sammelt und diese Gelder in den öffentlichen Wohnungsbau investieren würde, so wären in kurzer Zeit die öffentliche Wohnungsbaufinanzierung gesichert und der Zuwachs von öffentlichem Wohnungsraum würde dem Bedarf eher entsprechen können. Die Errichtung und Verwaltung übernehmen die kommunalen Wohnungsbaugenossenschaften. Das Programm wäre unschlagbar.

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Aussagen der Politik zur Ökologie – zunehmend Humbug

Harry G. Frankfurt empfiehlt das Wort Humbug anstelle des kräftigeren „Bullshit“ zu setzen, um das gleiche auszusagen. Er meint, es sei höflicher und harmloser. Nun will ich nicht harmloser sein, aber etwas in mir verbietet den Begriff „Bullshit“ bei schriftlicher Kommunikation zu verwenden – m.a.W. er kommt mir angesichts der politischen Aussagen zur Ökologie leider viel zu oft über die Lippen.

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Egal, mit wem man spricht, jeder schüttelt mit dem Kopf, wenn es um die Generationenfrage geht, wie soll es weiter gehen? Ist das angeblich unverzichtbare Wirtschaftswachstum die Lösung dieser Frage? Die Mehrzahl der Bürger folgt (ohne besondere ökonomische Kenntnisse) ihrem ganz natürlichen Instinkt: So kann es nicht weiter gehen! Und diese Mehrzahl steht damit im Widerspruch zu den Aussagen unserer Regierung.

Nichts auf dieser Welt wächst in den Himmel, das wissen die Bäume am besten, aber die Ökonomie träumt immer noch davon, dass es möglich sei, das sogenannte Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Wenn das den Bäumen gelänge, so würden sie in den Himmel wachsen. Ich habe aber noch keinen solchen Baum gesehen, der es trotz Dünger und guter Pflege je geschafft hat.

Jeder Physiker winkt ab, wenn man ihn auf ein Wachstum ohne Ressourcenverbrauch anspricht. Nur die Ökonomen sind eifrig dabei, den Mythos zu pflegen, ohne ihn mit Inhalt füllen zu können. Ihre windigen Argumente liefern der Politik den Vorwand, behaupten zu können, ein „grünes“ Wachstum sei möglich und zu erreichen.

Es wurde auf der politischen Ebene bisher riesige Anstrengungen unternommen und enormes Geld der Steuerzahler in sogenanntes „gründes“ Wachstum gesteckt. Es ist ein politisches Problem. Die Energiewende soll durch den Einsatz von erneuerbaren Energiequellen umgesetzt werden. Es wurden Milliarden in diesem Markt versenkt, aber die Zahlen zum CO2 – Ausstoß wollen einfach nicht sinken. Die lange Zahlenreihe zum CO2-Verbrauch weist in Folge des Abbaus der alten DDR-Industrie und deren industriellen Dreckschleudern für die Zeit 1990 bis etwa 2000 einen Rückgang aus. Diese Tatsache wurde als großer Erfolg der Klimapolitik und der Energiewende gefeiert. Heute sind wir wieder deutlich in einem höheren Verbrauch. Wann war dann nochmals ein Rückgang zu verzeichnen? In der Finanzkrise, als eine Reihe von Unternehmen ihre Leistungen stark zurückgefahren haben oder ihren Geschäftsbetrieb sogar aufgeben mussten. Aber schon im Folgejahr stieg der Ausstoß wieder auf das alte Niveau (und darüber hinaus).

Könnte es nicht sein, dass die Idee, den Wandel unseres Wirtschaftens (allein) über die Technologie erreichen zu wollen, ein grundsätzlicher Fehlgriff ist? Der Technologieansatz hat politisch natürlich seinen Charme. Die Technologie sind nicht wir. Technologie ist eine Sache, die nur richtig eingefädelt werden muss und schon ist der Erfolg gesichert. Wir, die eigentlichen Verursacher, können uns da fein raushalten. Das ist ein riesiger Trugschluss, den uns die Politik und die Ökonomie als ihr dienstbarer Knecht verkaufen wollen. Hierzu soll ein (zugegeben einfaches) Beispiel die Zusammenhänge versuchen zu erklären:

Angenommen, wir verfügen über eine neue Technologie, die in einem Wirtschaftssektor eine Ressourceneinsparung von 25% ermöglicht. Das wäre für sich genommen ein enormer Schritt in eine technologiegetragene Zukunft. Nehmen wir ein in diesem Sektor tätiges Unternehmen, das diese Technologie erfunden hat und anwendet. Die Rohstoffmengen und -kosten sind durch die Anwendung der Technologie (der Einfachheit halber) um 25% gesunken. Das Unternehmen produziert also deutlich ressourcenschonender als zuvor und verfügt dadurch in seinem Markt aus der 25%igen Kostensenkung über einen zusätzlichen Deckungsbeitrag. In einem ersten Schritt bleibt der Preis gleich, nur die technischen Faktorkosten sind um 25% gesunken.

Das könnte man als einen Beitrag zur Nachhaltigkeit betrachten, weil knapper Rohstoff nachhaltig eingespart wird. Die positiven Auswirkungen dieser Technologie bleiben den anderen Marktteilnehmern aber nicht verborgen. Insbesondere die zusätzliche Deckungsbeitragssteigerung ruft im Markt bei den Wettbewerbern Begehrlichkeit hervor. Andere Unternehmen des Marktsegments steigen mit derselben oder einer leicht abgewandelte Form der eingesetzten Technologie ein und werfen ihre Produkte auf den Markt. Wegen des tendenziellen Überangebots entsteht Wettbewerb. Der zusätzliche Deckungsbeitrag gibt ja auch Raum für einen Preiskampf. Am Ende des Preiskampfes sind alle Unternehmen auf einem Preisniveau, das etwa 25% unter dem alten Niveau liegen wird, d.h. die Einführung der effizienteren Technologie hat das Preisniveau gesenkt und die Unternehmen haben bei gleicher Absatzmenge etwa 25% ihres vormaligen Umsatzes verloren.

Aber die Gesamtsituation hat sich – bis hierher – ökologisch verbessert – weniger Ressourcenverbrauch und konsequenterweise auch weniger CO2-Ausstoß! Nur haben wir die Rechnung ohne die Unternehmen gemacht, die eine Umsatzeinbuße von besagten 25% nicht klaglos wegstecken. Sie werden alle politischen und manipulativen Hebel in Bewegung setzen und versuchen, die Absatzmengen zumindest so weit zu erhöhen, dass der Umsatzeinbruch ausgeglichen werden kann. Sofern ihnen das gelingt, war die ‚gute‘ Technologie ökologisch ein ‚Schuss in den Ofen‘ – von wegen Ressourceneinsparung!? Man nennt eine solche Entwicklung einen ‚Rebound‘. Diesen Vorgang kann man als Leitlinie für alle technologischen Ansätze zur Lösung der Wachstumsfrage verwenden. Es gibt immer wieder interessante Ansätze, die aber insbesondere dann, wenn sie wirksam werden, regelmäßig durch einen sogenannten Rebound-Effekt in ihrer Wirkung für den CO2-Verbrauch verpuffen.

Niko Paech, Professor in Siegen und ein Vertreter der Postwachstumsökonomie, bezeichnet den beschriebenen Vorgang als Produktivitätsfalle, weil immer dann, wenn eine neue Technologie Ressourceneinsparungen ermöglichen, steigt die Produktivität des Prozesses. Es kann damit billiger produziert werden, aber der dann einsetzende Preiskampf um die erhöhten Deckungsbeiträge führen dazu, dass die Preise sinken und damit die kapitalistischen Propagandamaschine zu laufen beginnt, um die Umsatzeinbuße durch erhöhte Absatzzahlen zumindest wieder auszugleichen. Wenn die Aufholjagd grundsätzlich unterbunden werden könnte, so hätten wir einen Fall von „Degrowth“, denn das Wachstum wäre dann negativ (wenn es so etwas semantisch überhaupt gibt). Und jede neue Effizienz steigernde Technologie, die wir einsetzen könnten, hätte einen vergleichbaren Effekt. Der Ressourcenverbrauch würde sich langsam, aber stetig reduzieren. Das System des Kapitalismus sieht aber die Möglichkeit, eine Aufholjagd zu unterbinden, nicht vor. Vielmehr lebt dass System von dieser Aufholjagd. Sie ist gewissermaßen sein Treibsatz.

Niko Paech kommt deshalb zu der Auffassung, dass der gesamte technologiegestützte Ansatz des „grünen“ Wachstums u.a. auch aus den obigen Gründen keinen Erfolg haben kann, obwohl die Politik quer durch alle Fraktionen und gestützt durch die Mainstream-Ökonomie dieser Chimäre nachläuft wie einem „Rattenfänger von Hameln“. Viele vermuten, dass irgendwas nicht stimmen kann (die Zahlen und Ergebnisse dieser Entwicklungsstrategie sind auch nach über 20 Jahren einfach zu schlecht), aber man kann mit dieser Wahnsinnsidee trotzdem viel Geld verdienen und die ökonomische Maschinerie wunderbar am Laufen halten – leider zum Nachteil künftiger Generationen.

Auffällig bei dieser Betrachtungsweise ist der Versuch, die Menschen, die letztlich das Problem verursachen, bei der Diskussion um sinnvolle Lösungen herauszuhalten. Solange der Fokus auf der Technologie liegt, erwarten wir eine Lösung, bei der wir Menschen nicht beteiligt werden müssen. Die Technologie wird es schon richten. Wir, die Akteure in diesem Spiel, scheinen in der glücklichen Lage, unser Verhalten nicht ändern zu müssen.

Wenn wir diese Technologie bezogene Haltung aufgeben würden und uns klar machen, dass wir, die Akteure, unser Verhalten verändern müssen (auch wenn uns vielleicht die eine oder andere Technologie eine Brücke bauen kann), dann ist der von Niko Paech vertretene Ansatz zur Postwachstumsökonomie eine durchaus diskussionswürdige Alternative. Insbesondere, weil Niko Paech inzwischen deutlich konkretere Vorstellungen über die wirtschaftlichen Folgen des Postwachstumsszenarios entwickelt hat. Dabei wird deutlich, dass dieser Ansatz durchaus Hand und Fuß hat. Offen bleibt aber in jedem Fall die Prognose, wie der Wandel (der Prozess des Übergangs) vonstattengehen könnte.

Paech kann, so mein Eindruck, aufgrund der Erfordernis einer völligen Umkehr des übersteigerten Konsumdenkens außer der Einsicht und Vernunft leider keinen hinreichenden Grund finden, warum die Mehrzahl der Bürger die Ideologie des Konsums aufgeben und sich von der ‚Befreiung‘ vom Konsum anstecken lassen sollten. Er ist wohl bei der anzustrebenden Verhaltensänderung auf den absehbaren Crash unseres Wirtschaftssystems (das ‚Desaster‘) angewiesen. Selbst wenn es heute schon gute Gründe für die Notwendigkeit einer ‚Befreiung‘ gibt, wird die Sorge um Einkommen und Status viele Menschen daran hindern, sich freiwillig und bewusst auf das Wagnis einer Postwachstumsökonomie einzulassen.

Die Postwachstumsökonomie zeigt unter dem Begriff „Wachstumsgrenzen“ genügend gute Gründe auf, warum unser Wirtschaftsmodell des „Immer schneller, immer höher, immer weiter“ an sein Ende kommen wird. Neben den bekannten ökologischen Grenzen, der erkennbaren Erschöpfung von vielen, für unser Wirtschaftssystem unentbehrlichen, aber nicht substituierbaren Rohstoffen kommt auch der Mensch selbst an seine natürlichen Grenzen: wir wollen die wachsende Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen nicht länger tolerieren. Der Massenkonsum frisst uns psychisch – wir haben gar nicht mehr die Zeit, die Dinge, die wir kaufen oder kaufen sollen, wirklich zu nutzen oder zu genießen. In den letzten zehn Jahren hat sich der Verbrauch von Pharmazeutika zur Behandlung von Depressionen vervielfacht.

Das sollte eigentlich genügen, um zu erkennen, dass das „Weiter so“ keine realistische Alternative ist. Der Wandel wird also entweder durch ein Desaster (einen Zusammenbruch) eingeleitet oder durch die vernunftgesteuerte Erkenntnis einer Mehrzahl von Menschen erreicht, die so nicht weitermachen wollen. Ob dabei die Alternative der Postwachstumsökonomie die einzig mögliche Alternative darstellt, bleibt abzuwarten. Zumindest ist sie eine denkbare Entwicklung, die dem ‚Design‘ als einem geplanten Wandel eine gewisse Chance gibt. Das ‚Desaster‘ sollten wir versuchen uns zu ersparen.

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