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Das Geldsystem als Teil unserer Infrastruktur

Ein Interview mit Stephanie Kelton in der SZ unter der Rubrik „Reden wir über Geld“ forderte den Leser heraus und regt an, zu ihren Gedanken etwas weiter auszuholen. Frau Kelton zählt zu den Kritikern des Neoliberalismus. Sie vertritt einen Postkeynesianismus, was leider weder bei ihrer Vorstellung als Person noch bei dem Interview zur Sprache kam. Ein Hinweis hätte die Einordnung ihrer Aussagen erleichtert.

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Die Diskussion drehte sich ums Geld. Dabei wurde in Umrissen deutlich, dass Frau Kelton eine deutlich andere Sicht auf das Geld und dessen Theorie hat, als die Mehrzahl der SZ-Leser. Man nennt ihre Sicht Modern Money Theorie (MMT = moderne Geldtheorie). Im Folgenden wird versucht, einige Gesichtspunkte dieser Theorie vereinfacht darzustellen.

Jeder nutzt das Geldsystem und nur wenige verstehen es. Deshalb soll das Bild eines Verbrennungsmotors die Funktion des Geldes veranschaulichen: Ein Verbrennungsmotor wird sehr präzise konstruiert und zusammengebaut. Alle Teile sind komplett und an der richtigen Stelle eingebaut. Zum Schluss wird der Anlasser montiert und der Motor angeworfen. Nach kurzer Zeit bleibt der Motor abrupt stehen, weil durch die vielen beweglichen Teile Reibung entstand und die Reibungswärme die Teile verändert. Was fehlt? Es fehlt das Öl als Schmier- und Kühlungsmittel. Die verwendete Darstellung ist technisch sicherlich verbesserungsfähig, aber als grobes Modell für die Wirtschaft mag es seinen Zweck erfüllen.

Unser Wirtschaftssystem kann man auch mit einen Motor vergleichen. Dieses System erfordert zum möglichst effizienten Arbeiten ebenfalls ein „Schmiermittel“ – und das ist das Geld. Wenn wir die Vielzahl von Transaktionen immer ohne ein Geldsystem abwickeln müssten, also Ware gegen Ware tauschen wollten, würde das Wirtschaftssystem vermutlich zusammenbrechen oder doch nur auf sehr kleiner Flamme funktionieren. Geld ist das optimale Tauschmittel in einem modernen Wirtschaftssystem, indem jedem Wirtschaftsgut eine Anzahl Geldeinheiten zugerechnet werden, die dann im weiteren Prozess den Preis des Gutes repräsentieren. Damit werden die unterschiedlichsten Güter vergleichbar gemacht.

Doch was ist Geld? Es ist die schlichte Vereinbarung der gesetzgebenden Körperschaft eines Staates, das das nationale Geld, das dann auch einen Namen erhält (DM, Euro, Pfund, u.s.w.), jetzt das offizielle Zahlungsmittel sei, mit dem man seine Transaktionen mit den staatlichen Stellen abwickeln kann. Andere Zahlungsmittel akzeptiert der Staat in aller Regel nicht. Der Staat verfügt dabei über ein Monopol (das Monopol der Geldschöpfung), das er an eine Zentralbank abgeben kann, aber nicht muss. Diese Einrichtung überwacht ggfs. auch die Einhaltung des staatlichen Monopols.

Wie macht, wie schöpft man Geld? Durch eine einfache Buchung der Monopolstelle: Aktiva an Passiva (das ist der buchhalterische Vorgang). Das Recht zur Umsetzung dieses Vorgangs kann auf die Zentralbank beschränkt sein oder kann auch unter Auflagen an das Bankensystem weitergereicht werden. Die Aktiva repräsentieren Vermögen und die Passiva stellen die zugehörige Finanzierung des Vermögens dagegen. Vereinfacht ausgedrückt: Vermögen (Aktiva) gegen Schulden (Passiva). Da wir aber in einem Geldschöpfungsprozess sind, trifft der Begriff ‚Schuld‘ nicht den Kern des Vorgangs.

Wer mit T-Konten umzugehen versteht, kann die obige Aussage relativ leicht nachvollziehen. Wer diese Hilfsmittel nicht kennt, der hat schlechte Karten. Ich kenne keine bessere Darstellungsform mit einer vergleichbaren Konkretheit. T-Konten sind das Handwerkszeug des Buchhalters. Wenn etwas schwierig wird, vergegenwärtigt man sich die Vorgänge über T-Konten auf einen Stück Papier und kommt in aller Regel zur richtigen Entscheidung. Wem das zu abstrakt ist, den darf ich auf einen Beitrag von Volker Pisper verweisen ( https://www.youtube.com/watch?v=g-pNlHa07P4 ), der alle wesentlichen Aspekte in unnachahmlicher Weise darstellt.

In den üblichen Darstellungen des Wirtschaftskreislaufs, der die Geldschöpfung als solche gar nicht erfasst, ist Geld als Tauschmittel einfach vorausgesetzt. Es ist so selbstverständlich, dass es als wichtiges Element in diesem Kreislauf gar nicht explizit auftaucht: Wenn zwei Wirtschaftssubjekte eine Transaktion veranlassen, so ist der, der eine Sache erhält, Schuldner (und muss zahlen) und der andere, der die Sache verkauft, ist Gläubiger (und erhält das Geld). In den Darstellungen zum Wirtschaftskreislauf werden die Rechtsbeziehungen dargestellt, aber das Geld (die Zahlung als Solche) scheint nicht auf.

Die Einrichtung, die neues Geld schöpfen und in den Umlauf bringen kann, ist nicht „Schuldner“ im eigentlichen Sinne des Wortes sein. Es fehlt an der Gegenleistung. Viel eher haben die Passiva der Geldschöpfungseinrichtung den Charakter von Kapital, das ganz oder teilweise ausbezahlt wird und dadurch die Geldschöpfungseinrichtung in eine Gläubigerposition bringt (sie kann das ausbezahlte Geld grundsätzlich zurückfordern).

Das staatliche Geldschöpfungsmonopol gibt der jeweiligen Regierung die Möglichkeit, jederzeit jede notwendige Aufwendung zu finanzieren. Bildlich gesprochen, die Regierung wirft die Gelddruckmaschine an und „schöpft“ oder „schafft“ den entsprechenden Ausgabenbetrag. Aus der Sichtweise der alten Geldtheorie ist diese Vorgehensweise gar nicht vorgesehen. Da war Geld aufgrund seiner historischen Bindung an Edelmetalle begrenzt und es war absolut unseriös, mehr Geld zu schöpfen, als Edelmetall im Besitz der Regierung vorhanden war. Das heutige Geld ist ein sogenanntes Fiat-Geld, das weder an Edelmetall noch an sonst eine materielle Sache gekoppelt ist. Es ist schlicht die Vereinbarung, dass eine Nation oder ein Staat sich diese Währung gibt und der Staat garantiert, dass die Währung auch die einzige innerhalb der Grenzen des Geltungsbereichs ist. Wer also einfache und schnelle Transaktionen wahrnehmen will, ist auf die Verwendung des definierten Fiat-Geldes angewiesen. Wenn das Vertrauen in die Anerkennung als allgemeines Zahlungsmittel verloren ginge, ist das Fiat-Geld ganz schnell nichts mehr wert. Es ist damit die Aufgabe der Regierung, dafür zu sorgen, dass es keine Gründe gibt, dass die Bürger der Währung das Vertrauen entziehen.

Eine Eigenschaft gilt für das Geld im Allgemeinen: Es wird durch den Staat geschaffen. Die Geldschöpfung wird auf der Passivseite des Vorgangs verbucht und hat dort buchhalterischen „Schuldcharakter“. Diese Tatsache hat dazu geführt, dass in der alten Geldtheorie behauptet wird, der Staat mache Schulden und das sei eine große Sünde. Was sich aber nur wenige klarmachen, dass das Vermögen, das den „Schulden“ gegenübersteht, in den Händen des Privatsektors ist. Es gibt keine Schulden, bei denen nicht der eine als Schuldner angesehen wird und der andere über mehr Geld verfügt. Das ist ein unvermeidliches Wechselspiel. M.a.W.: Je höher die ‚Verschuldung‘ der öffentlichen Haushalte, umso reicher (oder besser: vermögender) ist der Privatsektor. Dass das Geld nicht bei jedem ankommt, ist dann leider eine Frage der Vermögensverteilung.

Im alten Modell einer Edelmetall gebunden Währung ist es sinnvoll, dass die Regierung im Rahmen ihres Haushaltes „spart“ (was immer das im Einzelnen heißen mag), weil die Geldschöpfung an die Menge des vorhandenen Edelmetalls geknüpft ist. Die verfügbare Geldmenge war also begrenzt. Je mehr Geld im Regierungsapparat für nicht investive Aufgaben fixiert wurde, desto mehr Geld fehlte im Wirtschaftssystem. Also sollte im Haushalt gespart werden, damit dem (private) Wirtschaftssektor genügend Geld zur Verfügung stand. Hier wurde vermutlich die Idee der „sparsamen schwäbischen Hausfrau“ geboren. Und hier hat diese Sichtweise eine gewisse Berechtigung. Also gehen wir davon aus, dass der Grundgedanke der öffentlichen Haushaltsführung im alten Geldsystem die Sparsamkeit war.

Im Modell eines Fiat-Geldsystems ist die Metapher der „sparsamen schwäbischen Hausfrau“ kein sinnvoller Ansatz. Er ist geradezu grotesk. Die Regierung besitzt das Geldschöpfungsmonopol, das im Prinzip unbegrenzt ist und sie soll sparsam sein. Hierfür gibt es überhaupt keinen vernünftigen Grund, der sich aus der Haushaltspolitik ergeben könnte. Der Sparfimmel, den Herr Schäuble auf die Spitze trieb, hat uns zwar eine gegenwärtig prosperierende Wirtschaft ermöglicht, aber unsere Infrastruktur hat in den letzten 30 Jahren aufgrund des Sparfimmels heftig gelitten. Die Straßen, die Brücken, die öffentlichen Gebäude, die Bildung, das Sozialwesen, die Deutsche Bahn, das Mobilnetz, usw. – all das ist heruntergekommen und es wird Jahrzehnte dauern, bis wir wieder mit viel Geld ein akzeptables Zustandsniveau erreichen werden. Dabei ist die Infrastruktur die Grundlage dafür, dass der private Sektor erfolgreich sei kann, m.a.W. wir haben unsere Erfolgsgrundlagen Stück für Stück verheizt. Wenn wir nicht bald eine andere politische Einstellung übernehmen, wird es sich über kurz oder lang auch in einem Rückgang unserer wirtschaftlichen Erfolgsaussichten niederschlagen.

Deshalb ist mit dem Fiat-Geldsystem ein völlig anderes politisches Verhalten erforderlich. Nicht Sparsamkeit ist das oberste Ziel, sondern Funktionalität muss das oberste Ziel sein. Was heißt das? Das Geldschöpfungsmonopol muss Teil der Wirtschaftspolitik werden. Wichtige Aufgaben des Staates stehen dabei nicht unter dem Vorbehalt, dass nicht genug Geld dafür vorhanden ist. Das Geld kann unbegrenzt geschöpft werden. Aber: bei einem Motor, der zu viel Öl erhält, sinkt der Wirkungsgrad, so ist es auch mit dem Wirtschaftssystem. Wenn die Geldschöpfung zu hoch wird, übersteigt die angeregte Wirtschaftsleistung die vorhandenen (Produktions-) Kapazitäten. Die Folge ist i.d.R. Inflation. Also ist es funktional nicht sinnvoll, durch überzogene Geldschöpfung das Wirtschaftssystem so anzuregen, dass Inflation entsteht. Das ist m.E. der Kernsatz einer Geldpolitik der modernen Geldtheorie (MMT= Modern Money Theory).

Wenn der Staat das uneingeschränkte Recht hat, Geld zu schöpfen, so hat er auch die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass funktional überschüssige Geldmengen wieder aus dem Verkehr gezogen werden. Das kann durch Abgaben oder ähnlichem geschehen. Das Geld darf dann aber nicht in den Haushalt fließen, sondern muss so wie die Geldschöpfung geschieht, wieder neutralisiert werden: Durch die Generalumkehr des einfachen Buchungssatzes, der vormals das Geld schöpfte. Eine andere, vermutlich einfachere Lösung liegt in der Bildung einer Rücklage, in der die überschüssige Geldmenge stillgelegt wird (aus dem Verkehr gezogen wird). Bevor dann zu einem späteren Zeitpunkt neues Geld geschöpft wird, sind erst einmal die Rücklagen der Vorjahre wieder aufzulösen.

Durch die zum Ausdruck gebrachte ‚Souveränität‘ des Staates über das Geld- bzw. Währungssystem wird auch deutlich, dass die Politik wieder das letzte Wort haben wird und haben soll. Sie mischt sich nicht mehr als heute in die einzelnen Wirtschaftsaktivitäten ein, aber sie ist die Hüterin des finanziellen „Grals“ und hat letztlich die Entscheidung über den „goldenen Zügel“ und damit über den Grad der „Schmierung“ des Wirtschaftsmotors unter der Nebenbedingungen, Inflation zu verhindern und die Funktion der Wirtschaft zu fördern, die ausschließlich in der Versorgung der Gesellschaft liegen kann.

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Ist Gier menschlich?

In der Wochenendausgabe der SZ vom 8./9.Dezember 2018 wurde im Wirtschaftsteil ein Samstagessay von Werner Bartens mit der Überschrift „Gier ist menschlich“ veröffentlicht. Im ersten Schritt hatte ich den Essay überblättert. Am Donnerstag, den 20.12.2018 wurden dann in der SZ einige Leserzuschriften vorgestellt, die sich gegen die Aussage von Bartens heftig zur Wehr setzten. Ich habe die Ausgabe wieder herausgesucht. Bartens will die Gier hoffähig machen, verharmlosen, aber so wie Bartens Gier darstellt, ist sie Krankheit oder Sucht. Das gilt es klar darzustellen.

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Unser Wirtschaftssystem lebt von der Gier. Wenn also im Wirtschaftsteil Gier als harmlos, als menschlich oder gar wertvoll dargestellt wird, fragt man sich schon, welche Absicht dahinter steht. Und damit bekommt der Essay Gewicht.

Die Leserbriefe haben sich zum Teil auf Erich Fromm bezogen, der die Forderung aufgestellt hat, weniger Haben als mehr Sein ins Leben zu bringen. Fromm ist mir nur oberflächlich vertraut. Ich möchte deshalb einen anderen Argumentationsweg einschlagen.

Es ist auf den ersten Blick richtig: Gier ist menschlich, solange wir uns auf dem Feld der Biologie befinden. Die Gier ist Teil unseres Selbsterhaltungstriebs. Die biologische Gier zeichnet sich aber dadurch aus, dass sie nicht grenzenlos ist. Hunger als Gier nach Nahrung endet, wenn der Hunger gestillt ist. Mehr geht dann nicht mehr oder führt zur Übelkeit. Bei Durst als Gier nach Flüssigkeit gilt das Gleiche. Selbst im Rahmen der Fortpflanzung oder der Sexualität gilt die Tatsache: mit der Befriedigung ist die Gier erstmal vorbei.

Nun gibt es Ausnahmen. Es gibt Menschen, die essen und trinken ständig zu viel und/oder das Falsche. Das ist eine Frage des Informiert seins oder das Verhalten ist mehr oder weniger krankhaft. Wer das biologische Maß nicht halten kann, bei dem die Befriedigung der Gier nicht zur Sättigung seines Verlangens führt, hat i.d.R. ein gesundheitliches Problem, das man mit dem Wort Sucht i.w.S. umschreiben muss.

Der Autor Bartens, der uns leichtfüßig klar machen will, dass Gier menschlich ist, spricht in seinen Beispielen, die er ins Rennen führt, nicht von biologischer Gier. Er spricht von monetärer Gier und diese Gier ist die einzig denkbare, bei der eine Sättigung nicht eintritt und bei der eine Sättigung auch systemisch nicht vorgesehen ist. Bei allen anderen Formen von Gier hat uns die Natur einen Riegel vorgeschoben, damit die Gier uns nur zeitweilig treibt bis Befriedigung wieder eingetreten ist. Auch die monetäre Gier hat im Grunde bei den meisten Menschen eine rationale Grenze: man kann nicht gleichzeitig in zwei Autos sitzen, man kann sich nur einmal satt essen, man kann zur gleichen Zeit nur in einem Haus wohnen. M.a.W.: Die Mehrzahl der Menschen hat auch bei der monetären Gier eine einfache Balance: Wieviel mehr muss ich mich einbringen oder von meiner Freizeit oder Freiheit aufgeben, um eine höhere monetäre Befriedigung zu erzielen. Diese Betrachtung der Work-Life-Balance wird mit steigendem Einkommen und wachsendem Arbeitsdruck immer wichtiger und begrenzt normalerweise die monetäre Gier des Menschen. Das hier beschriebene Vorgehen trifft auf die Masse der Bevölkerung zu.

Und es geht um Geld gegen Leistung, es geht um das, was man Verdienst nennt. Monetäre Gier setzt aber erst dort ein, wo die Frage, ob die Person überhaupt noch (über Leistungseinsatz) verdient, fragwürdig wird. Eher erlöst die Person ein Einkommen, das nicht mit seiner unmittelbaren Leistungsfähigkeit verknüpft werden kann.

Die Beispiele, die Bartens heranzieht, sind absolute Ausnahmesituationen. Wer von uns Normalbürgern verdient oder besser erlöst schon zweistellige Millionenbeträge im Jahr? Das entspricht mehr als dem Lebenseinkommen eines statistischen Durchschnittsverdieners. Da ist doch die beschriebene Gier eine absolute Ausnahmesituation, in die 99 Prozent der Bevölkerung gar nicht kommt. Und nun erzählt Herr Bartens, dass wir doch davon ausgehen sollen, dass diese monetäre Form der Gier menschlich sein soll. Die beschriebene Gier ist eindeutig nicht mehr menschlich, sie ist krankhaft und ich wäre Herrn Bartens sehr verbunden, wenn er diese Krankheit nicht als das Normale verkauft, sondern als das, was es ist: eine heftige Suchterkrankung, die wir leider in unserer Gesellschaft in der Kategorie „Hero“ darstellen und nicht erkennen wollen, dass er eine ganz arme psychopathische Kreatur repräsentiert. Und da wäre ich dann sicherlich wieder bei Erich Fromm.

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Wer manipuliert wen?

Auf verschiedenen Politikfeldern lassen sich die Zusammenhänge kaum erklären, ohne sich die Frage zu stellen, wer manipuliert hier wen.

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Beginnen wir mit dem sogenannten „Diesel-Skandal“. Dieselfahrzeuge gelten seit einigen Monaten als die größten „Dreckschleudern“, weil die US-Behörden festgestellt haben, dass bei diesem Motorentyp die europäische (zumindest die deutsche) Autoindustrie wohl in ihrer Gesamtheit den Verbraucher getäuscht (oder deutlicher: betrogen) hat. Wohl gemerkt, nicht unsere Behörden haben diesen Betrug aufgedeckt, sondern die US-Amerikaner, die natürlich mit der Dieselphilosophie ein Produktions- und Absatzproblem haben. Der Dieselmarkt wird von den europäischen Autobauern dominiert. Läge der Fall anders, wäre möglicherweise die Sache weiter vertraulich unter dem Tisch gehalten worden.

Der Betrug der Autoindustrie liegt darin begründet, dass die verkauften Automobile in keiner Weise die Abgaswerte erfüllen, die deutsche bzw. europäische Regelungen vorschreiben. Statt alles daran zu setzen, diese Vorgaben zu erfüllen, hat sich die Industrie (wohl auch mit Billigung der Politik) fatalerweise auf einen Betrug eingelassen, wurde damit angreifbar (erpressbar) und „da haben wir den Salat“. Es wäre jetzt töricht, die USA zu beschuldigen, dass sie diesen schmutzigen Deal aufgedeckt haben. „Der Krug geht so lange zum Brunnen, bis er bricht“.

Aber ist es sinnvoll, sich ausschließlich über die „schmutzigen“ Dieselfahrzeuge zu echauffieren? Die ‚Benziner‘ sind zwar nicht im Fokus, aber ihre Bilanz als „Dreckschleudern“ ist keineswegs besser. Aber darüber spricht keiner. Die Medien greifen im vorauseilenden Gehorsam das Thema erst gar nicht auf. Was man aber feststellen kann, dass plötzlich das Auto als Mittel der Mobilität deutliche Kritik erfährt. Der Blick der Presse weitet sich in ganz kleinen Schritten. Man kann feststellen, dass das Automobil als „Wert-“ oder „Statussymbol“ rapide an Bedeutung verliert. Es wird offensichtlich, dass das Tabu, Automobile als etwas Besonderes zu bewerten und nicht einfach auf ihre Mobilitätsfunktion zu reduzieren, gebrochen wird.

Die Aktion der US-Amerikaner, den Betrug aufzudecken, ist nachvollziehbar. Auf diese Weise konnten sich die USA lästigen Wettbewerb vom Leibe schaffen und auch versuchen, die Meinung der Käufer zu Gunsten amerikanischer Benziner zu beeinflussen. Der Hebel der Amerikaner war die Aufdeckung des Abgasbetrugs. Das hat die deutsche (und die europäische) Autoindustrie viel Geld gekostet und es gibt leider Zeitgenossen, die das Geld gegen den gesetzlichen Anspruch ausspielen wollen. Man droht sogar mit dem Untergang der europäischen Automobilindustrie. Über einhunderttausend Arbeitsplätze werden ins Spiel gebracht. Die alte Leier, wenn gar nichts geht, droht man mit Arbeitsplätzen. Es ist schon unverfroren, zu versuchen, die Tatsache des Betrugs durch eine weitere Ungesetzlichkeit aus dem Bewusstsein der Menschen zu löschen: durch politische Erpressung. Ich komme eigentlich nicht umhin, festzustellen, dass sich die ‚Fratze des Kapitalismus‘ selten so ungeniert dargestellt hat, als in dieser unwürdigen Auseinandersetzung.

Neben dem Cum-Ex-Skandal (Anlagebetrug zu Lasten des Staates um mehr als 50 Milliarden Euro) dürfte wohl dieser Betrug bisher die zweithöchsten Kosten verursacht haben. Dabei wurde nicht der Staat geschädigt, sondern die anonyme kleinteilige Masse der Verbraucher. Es bleibt abzuwarten, wie die Musterklage gegen VW ausgeht. Wenn dieses Klageverfahren überhaupt etwas bewirken kann, ist es dazu verdonnert, erfolgreich zu sein. Es müssen in dem Verfahren einige Dinge klargestellt werden: Wer hat betrogen? Wie drückt sich die Verantwortlichkeit der Vorstände dafür aus? Es muss klargestellt werden, dass auch dann, wenn sich die Politik fälschlicherweise einbinden lässt, die Betrugsverantwortlichkeit immer letztlich beim Handelnden liegt: Betrügerisch denken ist sicherlich unmoralisch, Betrug realisieren ist strafbar. Wenn die Politik dabei korrumpierbar ist, sollte es sich aufgrund drakonischen Strafen und Folgekosten jedes Unternehmen dreimal überlegen, ob es vorsätzlich einen ungesetzlichen Weg zu gehen bereit ist.

Dabei sind die Kapitaleigner und ihre Dividenden vorerst nicht betroffen. Betroffen sind wieder mal Abertausende Verbraucher oder Kunden, die erst betrogen wurden und jetzt aufgefordert werden, sich doch, bitte schön, neue Autos zu kaufen, weil die Bundesregierung den Wechsel zugunsten der Automobilindustrie subventioniert (vgl. das impertinente Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes im November 2018 – seit wann ist die Regierung der Büttel der Autoindustrie?). Wo bleibt da die viel beschworene Unabhängigkeit der Exekutive?

Im Falle des Diesel-Skandals waren es (leider) die USA, die die ungesetzlichen Machenschaften ans Licht der Öffentlichkeit brachten. Im Fall des Feinstaubs ist es die Umwelthilfe e.V., die durch ganz einfaches Klagen vor den Verwaltungsgerichten einer eindeutigen Gesetzeslage wieder Geltung verschafft hat. Seit über zehn Jahren kennt die Politik das Problem der ständigen Überschreitung der Grenzwerte insbesondere an Verkehrsknotenpunkten. Gehandelt hat sie nicht. Sie hat zu Lasten des Bürgers verschämt weggeschaut. Der Grund: man darf doch der heiligen Kuh, der Automobilindustrie, nicht zu nahe treten und die Automobilindustrie wiederum hat im Vertrauen auf ihren großen politischen Einfluss alles unterlassen, was das Problem hätte mildern oder lösen können. Da taucht dann ein kleiner Verein auf, sieht die Lücke im System der verabredeten Korruption und bringt das Problem vor Gericht und hat einen durchschlagenden Erfolg!

An anderer Stelle habe ich den sogenannten NGOs dringend empfohlen, zu untersuchen, ob sie nicht auf ihrem jeweils beackerten Feld die gleiche Strategie wahrnehmen können. Das Nachteilige dieser Situation ist jetzt, dass die Politik auch daraus lernen wird und noch nichtssagendere, unpräzisere Gesetze und Verordnungen erlassen wird, um dieser Strategie künftig das Wasser abzugraben. Zum Glück gibt es noch die Europäische Union, die europaweit relativ klare Vorgaben macht.

Nun findet insbesondere die CDU das Verhalten der Umwelthilfe als ‚unangemessen‘. Als ich von der Aktion der Umwelthilfe erfuhr, wurde ich gleich mitinformiert, dass hinter der Umwelthilfe „Kräfte“ stünden, die unsere Automobilindustrie ‚fertig‘ machen wollen. Die Finanzierung des Vereins sei hochgradig fragwürdig. Das meiste von diesen Äußerungen ist Unfug (bullshit). Wenn der Verein mit seinem Vorgehen für den Bürger und Wähler im Gegensatz zur Politik das einzig Richtige tut, so kann es mir völlig egal sein, wie er finanziert wird. Die CDU hat nun angeregt, die Gemeinnützigkeit des Vereins in Frage zu stellen, mit dem stillen Wunsch, ihm damit die finanzielle Basis zu entziehen. Und damit soll der angebliche „Nestbeschmutzer“ aus dem Verkehr gezogen werden. Bis jetzt war ich der Auffassung, die CDU würde mehrheitlich rechtsstaatlich denken und handeln.

Der nächste Fall ist der des Klimawandels. Und das ist auch der undankbarste. In dem Phänomen „Klimawandel“ laufen so viele unterschiedliche Strömungen zusammen, dass jeder glaubt, mit Berufung auf den Klimawandel, sein ‚Süppchen‘ kochen zu können. Klimawandel ist zweifelsohne auch ein natürliches, aber sehr langfristiges Phänomen. Die Langfristigkeit macht es uns schwer, wir denken lieber in kleinen überschaubaren Zeiträumen. Schon ein Generationen übergreifendes Denken ist uns ökonomisch im Sinne von Nachhaltigkeit nicht zu vermitteln. Wir verstehen zwar, was das bedeutet, aber der gute ‚Wille‘ scheint manchmal durch, aber das ‚Fleisch‘ ist regelmäßig zu schwach.

Neben den natürlich begründbaren Einflüssen kommen nun Einflüsse hinzu, die durch unsere Lebensweise ausgelöst werden. Denken wir nur an die riesigen Mengen von „Abgasen“, die im Rahmen von Produktionsprozessen und Verbrennungsprozessen stündlich freigesetzt werden und die von unserer Atmosphäre auf irgendeine Weise absorbiert werden müssen. Der Ausdruck ‚Abgase‘ ist mit Bedacht gewählt, weil unsere gegenwärtige Wahrnehmung ausschließlich auf den Ausstoß von CO2 gelenkt wird. Alle springen um das CO2 herum wie um das goldene Kalb. Aber unsere Abgasmenge lässt sich doch nicht nur auf das CO2 reduzieren. Das Gas CO2 ist, so mein Kenntnisstand, in den Abgasen mengenmäßig gar nicht so prominent und ob es wirklich den schädlichsten Anteil der ‚Abgase‘ darstellt, war nicht in Erfahrung zu bringen.

Die Frage, ob der Klimawandel menschengemacht oder natürlich ist, ist m.E. die falsche Frage. Das Klima hat sich in den letzten Jahrtausenden immer verändert, unabhängig von der Industrieproduktion der letzten 250 Jahre. Wenn wir zudem wissen, dass unsere Abgas-Situation die Atmosphäre erheblich belastet und wir auch begründet feststellen können, wie im einzelnen (unter Laborbedingungen) diese Abgase wirken, so dürfen wir ohne falschen Zungenschlag behaupten, dass unsere Produktions- und Lebensweise mit ihren enormen Abgas-Mengen, die in die Atmosphäre gelangen, den Klimawandel beeinflussen bzw. verstärken. Wer etwas anderes behauptet, müsste Mechanismen aufzeigen, wie die Atmosphäre den Feinstaub, meinetwegen auch das CO2, das damit verbunden ist, überproportional abbaut oder bindet. Hier habe ich keine wirklich problemlösenden Ansätze gefunden.

Was ich aber für fatal halte, dass so getan wird, als ob das Phänomen sich auf das Gas CO2 reduzieren ließe. Wenn Smog in Peking, Delhi oder in Frankfurt oder München herrscht, dann sind die Anwohner gleichermaßen betroffen, aber ist das Co2 – ein unsichtbares, geruchloses Gas, das in relativ geringer Konzentration in unserer Atmosphäre auftritt, der wahrhaft Schuldige? Alle Maßnahmen, die wir gegenwärtig ins Auge fassen, sehen eine drastische Reduzierung des CO2 vor. Alle starren auf die CO2-Statistik und stellen fest: die bisherigen Maßnahmen schlagen nicht an. Der CO2-Ausstoß nimmt unverändert zu. Die Fokussierung auf das CO2 übersieht – möglicherweise – mit Absicht, dass wir ja auch ein Feinstaubproblem nicht nur in Kreuzungsbereichen des innerstädtischen Verkehrs haben, sondern auch in der Summe unserer globalen Abgase i.w.S.. Wenn wir – wie oben dargestellt – feststellen, dass die Politik den Feinstaub zwar regelmäßig misst, aber nur das CO2 diskutiert, dann könnte es doch sein, dass die Feinstaubproblematik viel virulenter ist als die CO2-Frage, über die wir nahezu jeden Tag in den Nachrichten hören. Versteckt sich hinter der CO2-Blase möglicherweise eine viel größere Feinstaubproblematik, deren Beseitigung oder Reduzierung viel radikalere Maßnahmen verlangen würde, wie die unendliche Geschichte mit den CO2– Reduktionsbemühungen, angefangen mit den Konferenzen in Rio, Kyoto, Paris und jetzt Katowice. Man könnte vermuten, dahinter verbirgt sich ein riesiges Täuschungsmanöver, um die Wirtschaft vor den berechtigten Forderungen der Bürger nach ‚frischer‘ Luft zu schützen.

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Progressiv oder Konservativ? – eine Abgrenzung

Der Begriff „Progressiv“ soll in diesem Zusammenhang das Gegenteil von „Konservativ“ sein. „Fortschrittlich“ wäre auch ein Gegensatz zu ‚Konservativ‘. Es geht im Folgenden darum, die gängigen Gegensätze in ihren groben Verzweigungen darzustellen und zu diskutieren.

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Vielfach gehen die Verwender dieses Gegensatzes davon aus, dass das eine das andere ausschließt. Da melden sich, ohne dass die Begriffe weiter definiert sind, erste Zweifel an. Im Kreis konservativ denkender Menschen fühle ich mich i.d.R. nicht wohl. Ich fühle mich eingeengt. Deren Haltung ist mir nicht nachvollziehbar und sie können mich nicht inspirieren. Im Kreise von progressiven, insbesondere jungen Menschen stelle ich fest, dass ich, wenn ich ehrlich bin, oft recht konservative Haltungen an den Tag lege. Das beunruhigt mich zwar nicht, es führt mich aber zu dem Schluss, dass die angeblich gegensätzlichen Haltungen von Progressiv und Konservativ sehr wohl in einem Menschen zur gleichen Zeit vorhanden sein können. Wir sind offensichtlich so vielschichtig angelegt, dass wir auf bestimmten Feldern eine progressive Haltung einnehmen können und gleichzeitig auf anderen Felder möglicherweise stockkonservativ argumentieren. Um diese Erkenntnis etwas formaler zu fassen: Progressiv und Konservativ sind im Menschen keine sich ausschließenden Zustände, sie müssen gedacht werden als die Enden eines Kontinuums und der Übergang erfolgt fließend.

Progressive Einstellungen werden gerne mit dem Begriff „Links“ gebrandmarkt und an der konservativen Haltung klebt meist der Begriff „Rechts“. Zum Verständnis müssen wir m.E. in die Zeit vor und während der Aufklärung (oder der französischen Revolution) zurückgehen. In Frankreich hat der im Niedergang befindliche Absolutismus versucht, das Volk dadurch einfangen zu können, dass man Bürgerversammlungen, Regionalparlamente und Ähnliches einsetzte. Diese Versammlungen fanden unter dem Vorsitz eines Präsidenten statt und die Anspruchsträger wurden dann, wenn sie bestehende Rechte wahren wollten (wie Eigentum, Absolutismus, Kirche, strukturelle Macht, bestehenden Einfluss, u.ä.) auf der rechten Seite platziert. Es gab keine Parteien, sondern nur Bürger. Jene Bürger, die Ansprüche an die Veränderung der bestehenden Lebensumstände der Menschen stellten, wurden auf der linken Seite des Versammlungsraumes platziert. Das ist der ursprüngliche Ausgangspunkt für unsere Debatten über „Links“ und „Rechts“. Man kann also progressive, fortschrittliche, ja revolutionäre Ansprüche an die Gesellschaft als Ansprüche der linken „Seite“ verstehen. Diejenigen, die schon über Besitz, Macht und Einfluss verfügten, sahen ihre bestehenden Rechte in Gefahr und argumentierten „rechts“, indem sie auf ihre Rechte pochten und das bestehende System möglichst unverändert erhalten wollten. An diesen Basisstandpunkten hat sich im Prinzip bis heute wenig geändert.

Das soeben Beschriebene sind im Wesentlichen machtpolitische Gesichtspunkte. Parallel hatte sich auch die Geisteshaltung in der damaligen Welt gedreht: Mit Spinoza wurde die geistige Säkularisierung eingeleitet. Etwa ein Jahrhundert später hat Kant dann dem Individuum zugerufen: „Wage Dich Deines Verstandes zu bedienen!“ Der Untertan mutierte zum Bürger. Folglich soll „jeder Bürger (…) einen angemessenen Teil an allen Entscheidungen haben, die das eigene gesellschaftliche Leben betreffen“(Mausfeld). In seinen Ausführungen „Zum ewigen Frieden“ entwickelt Kant in einem kurzen Gedankengang, dass die Demokratie die einzige Herrschaftsform sei, die in der Lage ist, Frieden zu schaffen und zu erhalten. Die Leitidee der Aufklärung lässt sich am besten mit dem Ziel eines universellen Humanismus umschreiben. Konkret geht es dabei um die Vorstellung, dass alle Menschen frei und nicht gleich, aber gleichberechtigt sind. Die geforderte Brüderlichkeit in den Thesen der französischen Revolution war eine Vorstufe zur Forderung nach einer unveräußerlichen Menschenwürde. Die Leitidee enthält auch „eine (optimistische) Einschätzung der Fähigkeit der Menschheit, zu einer besseren Existenzform zu finden.“ (Wikipedia) Mit anderen Worten: Die Linke hatte auf der Grundlage der Aufklärung eine neue Lebensperspektive für die Menschheit entworfen und hatte damit einen riesigen Erfolg, wie wir gleich sehen werden.

Was machten die Rechten? Sie wurden von der damals noch basisdemokratischen Demokratie-Bewegung schlicht überrannt, weil die Idee so zündete, dass sich die Idee zu einer Bewegung entwickelte. Die Rechte versuchte angesichts des politischen Drucks eine ‚Haltet die Gäule‘-Strategie zu entwickeln. Der demokratische Schwung war offensichtlich nicht zu stoppen. Die Rechte sah nur zwei Möglichkeiten, den ‚Karren‘ in eine andere Richtung zu lenken: man entwickelte einerseits den Gedanken einer „liberalen“ Demokratie, indem man jetzt die Freiheitsforderung des Menschen mit Eigentum verband (Eigentum macht frei). Und andererseits schuf man mit der amerikanischen Verfassung das erste repräsentative Demokratiemodell, indem man der ursprünglich basis-demokratischen Herrschaftsform wesentliche Korsettstangen einzog und der besitzenden und gebildeten Klasse über die Eigentumsgarantie die Möglichkeit eines besonderen Herrschaftsrechts schuf. Heute wird die repräsentative Demokratie als alternativlos dargestellt und viele Demokraten, die der Linken zugerechnet werden können, haben nicht einmal bemerkt, dass sie hier einer geschickten Strategie der „Rechten“ aufgesessen sind.

Soviel zur Geschichte der Demokratie. Wir haben jetzt vier Begriffe: einerseits links und rechts, andererseits progressiv und konservativ. Ich sehe keine großen Probleme, wenn man Links und Progressiv als weitgehend aus einer Quelle gespeist versteht. Hier gehen die Wurzeln auf die Zeit der Aufklärung zurück und das Wohl des Menschen steht im Fokus der politischen Diskussion. Bei den Begriffen konservativ und rechts wird es aber schwieriger. Es ist keine Frage, dass die letzten beiden Begriffe einen gemeinsamen Kern aufweisen, aber Besitzstandserhaltung, Eigentum und Statuswahrung, die die Rechten politisch zum Ausdruck bringen, sind keine zwangsläufig konservativen Aspekte. Auffällig ist, dass die rechte Seite immer nur das Vermögen (Eigentum und Macht) in den Mittelpunkt ihrer Argumentation stellt.

Konservativ könnte man wörtlich mit ‚bewahren‘ und/oder ‚erhalten‘ übersetzen. Diese Übersetzung verkennt aber, dass auch der Konservatismus anerkennt, dass sich die Erde dreht, m.a.W.: das Verharren im Status quo kann damit nicht gemeint sein. Eine vorsichtige Entwicklung erscheint dem Konservatismus vermittelbar zu sein. Konservativ und Rechts treffen sich dort, wo es um Vorteilserhaltung, um die Erhaltung von strukturellen Regelungen wie Eigentum und Macht geht. Rechts ist dabei der deutlich politischere Begriff als konservativ. Letzterer ist m.E. eine Denkhaltung, während Rechts aus meiner Sicht nur eine Form der Erhaltung struktureller Machtausübung ist.

Prof. Werner J. Pazelt hat (Quatour Coronati Nr. 55) ein paar ergänzende Gesichtspunkte konservativen Denkens zusammengetragen: konservatives Denken versteht sich danach als „Akzeptieren eines größeren Ordnungszusammenhangs, dem Festhalten am Wert von Hierarchien (und) dem Lernen eher aus Erfahrung denn aus Ideen“ (S.33). Als Ordnungszusammenhang wird dabei auf den „göttlichen Heilsplan“ des Christentums als auch auf die Ordnung der Natur selbst verwiesen. Bei der Hierarchie wird auf die Vergangenheit verwiesen und deren ordnungssichernde Komponenten bemüht. Das Lernen aus der Erfahrung könnte sich auch am universellen Algorithmus der Evolution orientieren. Gemeint ist schlicht die Orientierung am Bewährten.

Es fehlt mir die kritische Haltung zur Position von W. Pazelt. Je öfter man den Artikel liest, desto mehr kommt man zu der Erkenntnis, dass Kritik an der dargestellten konservativen Haltung gar nicht Diskussionsgegenstand sein soll. Deshalb nur wenige Anmerkungen: Ob der Bezug auf einen ‚göttlichen Heilsplan‘ angesichts steigender Kirchenaustritte so glücklich gewählt ist, ist zu bezweifeln. Auch der Bezug auf die Ordnung der Natur erscheint fragwürdig. Die Ordnung der Natur ist doch etwas, was der Mensch in die Natur hineinprojiziert. Die Ordnung der Natur gibt es doch nur in unserem Denken. Das ist also kein Fels in der Brandung. Der Hinweis auf die ordnungssichernde Hierarchie erscheint mir als Ideologie, weil nicht klar ist, warum Hierarchie ordnungssichernd sein soll. Hierarchie ist ein Machtinstrument und keine natürliche Ordnung, sie ist über Jahrtausende ein von Menschen geschaffenes Instrument und dient in erster Linie dazu, Unfreiheit zu stiften. Dabei wird aber so getan, als ob Hierarchie etwas Naturnotwendiges, Unausweichliches sei. Dabei lassen wir es bewenden, denn Pazelt versucht hier im Grunde nur das konservative Element zu beschreiben. (Ganz zufrieden bin ich damit nicht, kann aber nichts Besseres bieten.)

Pazelt ergänzt dann das Bild des Konservativen (S. 35). Er wird gewissermaßen offensiv, parteilich und fordert, die Konservativen sollten ihre Haltung ihren Mitstreitern über ein Dreieck vermitteln. „An der linken Spitze dieses Dreiecks steht „gerechte Ordnung“. (…) An der Spitze jenes Dreiecks (…) steht „Nachhaltigkeit“ oder, in leicht anderer Betrachtungsweise, „aufrechterhaltbare Entwicklung“. An der rechten Spitze jenes Begriffsdreiecks steht „Patriotismus“.“ Der Begriff ist recht abstrakt und soll mit so etwas wie Heimatbezug übersetzt werden. Die Forderungen, die mit den ersten beiden Ecken des Dreiecks verbunden werden, sind schlicht vernünftig – statt „gerechte Ordnung“ könnte da auch einfach nur „Gerechtigkeit“ als Ziel anführen. Dieser Begriff ist keinesfalls exklusiv konservativ, schon die alten Griechen sahen in ihm eine Kardinaltugend eines funktionierenden Staates. Die Nachhaltigkeit ist auch kein exklusiver Begriff mehr. Die Grünen reiten mit diesen Begriff schon seit Jahren durchs Land und können ihn weder durch- noch umsetzen. Allein der „Patriotismus“ bleibt demnach den Konservativen als politisches Ziel exklusiv. Das ist aber kein wirklich attraktives Feld. Insbesondere als es immer noch eine beachtliche Zahl von Menschen gibt, die den Gedanken an Europa oder größere Zusammenhänge noch nicht aufgegeben haben. Das schließt aber zugegebener Maßen ein Heimatgefühl des Bürgers nicht aus, ist aber m.E. als politische Aussage keinesfalls zielführend.

Gleichzeitig ist der Versuch, das konservative Element kämpferisch zu formulieren zweischneidig. Es gibt keinen Parade-Konservativen. Wie schon am Anfang beschrieben, hat das Konservative in jeder politischen Richtung eine andere Ausprägung. Wenn wir der Auffassung zustimmen können, dass die Intensität der konservativen Haltung auch vom Lebensalter abhängt, so wird diese Dreieckskonstruktion ziemlich dubios. Gerechtigkeit als solche ist m.E. kein ausschließlich konservativer Wert, er zieht sich auch und gerade bei den sogenannten Progressiven durch ihr Denken und Handeln. Das gleiche gilt für Nachhaltigkeit – das ist doch keine Erfindung einer konservativen Haltung, sondern wurde von der Landwirtschaft seit Jahrhunderten praktiziert und wurde dann erstmals vor rd. 200 Jahren in der Forstwirtschaft ausformuliert und ist heute in aller Munde. Nur wird die Forderung nach Nachhaltigkeit politisch nicht umgesetzt. Das liegt vielleicht gerade am konservativen Denken, das einen „Fortschritt“ in Bezug auf die Nachhaltigkeit nur in sehr kleinen Schritten akzeptieren kann und insbesondere die politische Rechte ist sich der Tatsache bewusst, dass Nachhaltigkeit nur mit Vermögenseinbußen zu realisieren ist.

Es gibt unabhängig vom eigentlichen Konservatismus noch eine weitere Form der rechten Politik, also einer Politik, die auf Eigentum, Besitz und Statuserhaltung (oder gezielt auch deren Mehrung) ausgerichtet ist. Das Denken von rechter als auch von konservativer Politik baut – so wird es oben beschrieben – immer auf einem systematischen Unterschied unter den Menschen auf (siehe das ausgeprägte Hierarchiedenken). Es fehlt ihm an Friedfertigkeit nach innen und nach außen. Diese Haltung favorisiert gezielt den Unterschied (den Chauvinismus), der bei jeder Gelegenheit herausgekehrt wird (wir sind die Besseren, die Erfolgreichen, die Eliten). Diese Tendenz im Denken der politischen Rechten findet dann in den 70iger Jahren in dem Durchbruch der Ideologie des Neoliberalismus seine vorläufige Erfüllung.

Was hat diese Ideologie des Neoliberalismus ausgelöst? Einerseits haben die Eliten schnell erkannt, dass sich damit noch besser Geld verdienen lässt. Es hat aber darüber hinaus noch einen Effekt, den Prof. Mausfeld wie folgt beschreibt: „Sie (die Ideologie des Neoliberalismus) gibt der Klasse der Reichen ein neues (nie da gewesenes) Klassenbewusstsein und führt zu einer massiven Verschmelzung und ideologischen Homogenisierung ökonomischer und politischer Eliten (sowie deren Medien).“ Wichtig erscheint, dass es sich hier nicht zwangsläufig um einen konservativen Ansatz handelt. Der neoliberale Ansatz ist aber eindeutig der politischen Rechten zu zurechnen.

Versuchen wir ein Fazit zu ziehen:

Die erste Feststellung war, dass es offensichtlich Menschen gibt, die sich bevorzugt mit dem Menschen und einem „guten Leben“ – wie das die alten Griechen ausgedrückt haben –befassen. Ihre Haltung wird durch die intellektuellen Errungenschaften der Aufklärung unterstützt: Alle Menschen sind gleichberechtigt (aber nicht unbedingt gleich in ihrer Art) und frei. Alle Menschen sind vernunftbegabt. Und jeder sollte über seine Angelegenheiten selbst und unabhängig bestimmen. Damit war die Demokratie in den Köpfen der Menschen seit der Zeit der Aufklärung verankert. Was dann daraus wurde, ist ein anderes Thema.

Diesem Anspruch steht die Haltung der vom Konservatismus geprägten Menschen gegenüber: Er denkt auch über den Menschen und sein Heil nach, hängt aber an einer überkommenen Gesamtschau, die man mit einem „göttlichen Heilsplan“ umschreiben kann. Diesen Heilsplan gibt es schon mind. seit 2.000 Jahren. Ich denke, dass dieser monotheistische „Heilsplan“ ein wesentlicher Grund ist, dass die konservative Haltung sich bevorzugt auf das gesellschaftliche Steuerungsinstrument der Hierarchie stützt. (Gott nutzt es, warum nicht auch der Mensch?) Ob sich der konservative Mensch darüber im Klaren ist, dass die Verherrlichung der Hierarchie Implikationen umfasst, die es erst mal zu erkennen gilt? Hierarchie steht im Gegensatz zur Gleichheit. In einer Hierarchie wird es schwer alle Menschen als gleichberechtigt zu betrachten. Wenn die Idee der Hierarchie gilt, wird es auch mit der Menschenwürde fraglich. Aus welchem Grunde sollte die Hierarchiespitze den Nachgeordneten eine uneingeschränkte Menschenwürde zubilligen? Das ist nur auf Augenhöhe denkbar. Das sind alles Ideen, die nur dann realisiert werden können, wenn Hierarchie nicht das Mittel der Wahl ist. Unfrieden wird besonders dann gestiftet, wenn Konflikte über Hierarchie ausgehandelt werden. Das soll hierzu genügen. Das Lernen aus der Erfahrung ist als konservative Tugend schwer identifizierbar. So wie die Nachteile der Hierarchie einem im Konservativen verharrenden Menschen schwer vermittelbar sind, so ist es m.E. auch mit dem Lernen aus der Erfahrung. Theoretisch ist das richtig, aber viele kennen das Popper’sche Falsifizierungskriterium. Das stellt letztlich auch Lernen aus Erfahrung dar. Und wie schwer ist es, dieses Kriterium richtig anzuwenden? Zudem: Bevor man etwas falsifizieren kann, muss man „Netze ausgeworfen haben“(Popper), um Ideen zu „fischen“.

Kommen wir zur politischen Seite dieses Spiels: Hier finden wir die noch heute geltenden Begriffe von Links und Rechts, die sich aus der Sitzordnung in den Gremien zur Zeit der Aufklärung herleiten lässt. Wichtig ist dabei das Verständnis der Begründung dieser Sitzordnung: Die Teilnehmer, die sich für Selbstbestimmung, für die Stärkung der Vernunft, für Gleichberechtigung und letztlich auch für Demokratie, kurz: für die Rechte der Menschen, einsetzen, wurden auf die linke Seite des Versammlungsraumes verwiesen. Diejenigen Teilnehmer, die die bestehende Struktur, ihr persönliches Vermögen, ihre Macht und Einfluss (kurz: die bestehende Macht) vertraten, wurden auf die rechte Seite des Versammlungsraumes verwiesen.

Damit haben wir auch schon wesentliche Inhalte der politischen Linken und der politischen Rechten umrissen: Die Linke war auf das Schicksal des Menschen fixiert und war davon beseelt, das Los der Menschen zu verbessern (universeller Humanismus). Die Rechte dagegen hatte nicht das ‚Volk‘ oder das ‚Vaterland‘ oder sonstige hehre Ziele im Blick, sondern nur die Aufrechterhaltung ihres jeweiligen Status quo, ihres Einflusses und letztlich ihrer Macht. Im Prinzip will die Linke etwas, was ihnen die Rechte streitig macht. Dabei ist nicht ausgeschlossen, dass dieses Spiel als Nullsummenspiel angesehen werden muss: das was die Linken erreichen wollen, erreichen sie nur auf Kosten der Rechten.

Aus dieser Darstellung heraus, kann man eine These wagen: Die Linke hatte durch ihre Idee eines universellen Humanismus in den letzten zweihundert Jahren eine Vision, die sie versuchte, über den Zeitlauf Schritt für Schritt zu realisieren. Die Rechte hat keine Vision – sie arbeitet sich an der Verhinderung der Realisierung einer linken Vision ab.

Die Linken haben eine Idee. Die Rechten haben primär nur die Verteidigung ihrer Privilegien. Hier kommt jetzt der Konservatismus ins Spiel. Die Rechten vereinnahmen die konservative Haltung als konstitutives Element ihres Handels. Auf diese Weise braucht die Rechte keine Vision, die sie den Linken entgegenstellen kann. Sie giriert sich als konservativ, wobei das erhaltende Moment des Konservatismus wie geschaffen ist, um ihre bestehenden Ansprüche zu untermauern. Der Heilsplan, die Hierarchie und das Lernen aus der Erfahrung (‚keine Experimente‘) passt doch zur rechten Politikauffassung wie der Deckel auf den Topf. Endlich hat man so etwas wie eine Theorie. Dieses Moment hat dann der Neoliberalismus noch verstärkt, als er sich in den 70iger Jahren des letzten Jahrhunderts durchsetzen konnte. Jetzt war man an einem Punkt, bei dem man auch den Konservatismus nicht mehr als theoretische Grundlage benötigte. Der Neoliberalismus verstand es, den Markt mit allen seinen Verzweigungen als ein Naturereignis darzustellen. Den Heilsplan braucht es nicht mehr, die Natur des Marktes zeigt sich anspruchsloser. Zur Hölle mit der Hierarchie, die Marktideologie regelt das Phänomen scheinbar demokratisch ebenso wie das Lernen – was sie hervor bringt, gilt als gut und richtig und kann angeblich auch durch Erfahrung keinesfalls verbessert werden.

Damit kommen wir zum Schluss. Es war ein weiter Bogen vom Individuum mit seinen unterschiedlichen Haltungen, über das im politischen Sinne linke und rechte Bild des Menschen bis hin zum Neoliberalismus, der meiner Meinung nach das geschafft hat, was zweihundert Jahre rechte Politik nicht geschafft haben: die Verbrüderung oder Homogenisierung der Reichen und Mächtigen. Damit ist der Vision eines universellen Humanismus der Linken ein gefährlicher und gewichtiger Gegner entstanden. Der ist nicht konservativ, wie oft behauptet wird, – der ist nur neoliberal, aber das haben auch die konservativen Kräfte in unserem Lande noch nicht verstanden.

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Soziale Medien – ein Fortschritt?

Soziale Medien haben sich offensichtlich weitgehend durchgesetzt. Man kann sich mit Recht fragen, ob deren Erfolg einen wirklichen Fortschritt oder nur eine neuerliche Gelddruckmaschine darstellt. Über Sokrates gibt es eine Anekdote, die aus Argumenten seiner Verteidigungsrede zusammengestellt wurde und die unter dem Namen „Die drei Siebe des Sokrates“ verbreitet wird.

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Sie hat meist folgende Form: „Einst (vor 2.500 Jahren) wandelte Sokrates durch die Straßen von Athen. Plötzlich kam ein Mann aufgeregt auf ihn zu und rief: „Sokrates, ich muss Dir etwas über Deinen Freund erzählen, …“ „Halt ein“ unterbrach ihn Sokrates, „bevor Du weitererzählst. Hast Du die Geschichte, die Du mir erzählen möchtest, durch die drei Filter gesiebt?“ „Die drei Filter? Welche drei Siebe?“ fragte der Mann überrascht. „Lass es uns ausprobieren“ schlug Sokrates vor. „Der erste Filter ist das Sieb der Wahrheit. Bist Du Dir sicher, dass das, was Du mir erzählen willst, wahr ist?“ „Nein, ich habe gehört, wie es jemand erzählt hat.“ „Aha, aber dann ist es doch sicher durch das zweite Sieb gelangt, das Sieb des Guten? Ist es etwas Gutes, was Du mir über meinen Freund erzählen möchtest?“ Zögernd antwortet der Mann: „Nein, das nicht. Im Gegenteil …“ „Hm“, meinte Sokrates, „jetzt bleibt uns nur noch das dritte Sieb der Notwendigkeit. Ist es notwendig, dass Du es mir erzählst, was Dich so aufregt?“ „Nein, nicht wirklich notwendig“, antwortete der Mann. „Nun“, fasst Sokrates lächelnd zusammen, „wenn Du von der Geschichte, die Du mir erzählen willst, nicht weißt, ob sie wahr ist, sie für mich nicht gut ist und sie nicht notwendig ist, dann vergiss sie besser und belaste mich nicht damit.

In den Sozialen Medien werden mehrheitlich Meinungen und Belanglosigkeiten gehandelt. Das Geschäftsmodell der Sozialen Medien ist es nicht, Erkenntnisse zu produzieren, Wahrheiten nachzuspüren, Gemeinschaft zu vermitteln. Die Sozialen Medien bieten in erster Linie dem unbedeutenden Normalbürger eine Plattform, auf der er sich anonym produzieren kann. Herr Niemand mutiert zu einem Herrn Wichtig. (Bei den Damen ist das auch nicht besser.)

Es gibt dem Unbedeutenden das Gefühl, Beachtung geschenkt zu bekommen. Für dieses neue Gefühl hat er sozial aber noch keine Kompetenz entwickelt. Er glaubt sich im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses und kann mit dieser Perspektive nicht umgehen. Die Möglichkeiten, die sich ihm zu bieten scheinen, kommen ihm gigantisch vor. Aber es ist wie mit allen sozialen Aktivitäten, sie erfordern ein Mindestmaß an Bildung und Kompetenz, um die sich bietenden Möglichkeiten sinnvoll einschätzen und nutzen zu können.

Und hier ist es verblüffend, dass ausgerechnet ein Mann, der vor 2.500 Jahren gelebt hat (und sich von den sogenannten Sozialen Medien ganz bestimmt keine Vorstellung hat machen können), aus einer einfachen menschlichen Vernunft heraus, Grundsätze entwickelt, die auch die Problematik der heutigen sozialen Medien grandios entschärfen könnten. Wenn jeder, der sich in den Sozialen Medien tummelt, die „drei Siebe“ regelmäßig anwenden würde, gäbe es keine Sozialen Medien in der heutigen Form. Die Mehrzahl der Aussagen in diesen Netzen würde schlicht an der Frage nach der Wahrheit, an der Frage nach den Empfindungen meines Adressaten (die ich mit der Nachricht auslöse) und letztlich an der Frage nach der Notwendigkeit scheitern.

Wahrheit ist zweifelsohne ein hoher Anspruch. Es geht dabei nicht um die „Wahrheit“ im absoluten Sinne – es geht einfach um die Frage nach der Seriosität der Aussage. Es geht um die Frage, kann eine getroffene Aussage überhaupt richtig sein. Hörensagen ist keine seriöse Quelle. ‚Meinen‘ ist es auch nicht. Wir leben heute in einer Welt, in der die wenigsten Dinge noch direkt erfahren werden. Die Mehrzahl unserer Informationen ist aus zweiter oder dritter Hand und damit ist unsere Wertung oder Einschätzung hinsichtlich ihrer Seriosität besonders wichtig und auch schwierig. Und wenn man zu der Einsicht gelangt, dass es der Nachricht an Seriosität mangelt, dann sollte man die Konsequenz ziehen und ihre Verbreitung unterlassen, auch und gerade dann, wenn mediale Aufmerksamkeit winkt. Das ist natürlich genau der Knackpunkt, an dem die sozialen Medien überhaupt kein Interesse haben. Denn wer Hirn entwickelt, schädigt das banale Geschäftsmodell, das auf der schlichten Eitelkeit der Menschen aufbaut.

Die Idee des Guten ist eine ganz einfache menschliche Eigenschaft: Im persönlichen Umgang miteinander müssen wir gewisse Höflichkeitsformen wahren, sonst werden wir sozial ausgeschlossen. Wenn aber plötzlich der Umgang anonym wird, sehen manche darin einen Grund, diese Grundregel des menschlichen Umgangs aufzugeben. Man merkt bedauerlicherweise, wie schwach unser Selbstverständnis begründet ist, wenn eine soziale Kontrolle im persönlichen Umfeld wegfällt. Andererseits befeuert die gewollte Anonymität der Sozialen Medien deren Attraktivität. Aller Frust und jede Beeinträchtigung, die man je erfahren hat, kann im Netz frei herumlaufen. Die Rücksichtnahme, die zwar einschränkt und im persönlichen Umfeld noch hin und wieder Platz greift, wird zugunsten einer üblen Nachrede von der Kette gelassen. So funktioniert aber Gemeinschaft nicht. Wer friedlich interagieren will, muss sich solcher Exzesse enthalten.

Das Sieb der Notwendigkeit ist der rationale Teil in dem System. Eine echte Nachricht muss so gestaltet sein, dass sie für den Empfänger „Not wendet“. Dem Empfänger muss ohne die Nachricht etwas Wesentliches fehlen. Wenn die Nachricht im wahrsten Sinne des Wortes „Bullshit“ darstellt, kann auf diese Nachricht locker verzichtet werden, ohne das der Überbringer als auch der Empfänger das Gefühl entwickeln müssen, etwas versäumt zu haben. Dem Ansatz steht aber eine ausgeprägte Neigung des Menschen entgegen: die Neugier – eine besonders lästige und unauffällige Form der Gier, getarnt durch das Bestreben, angeblich Bescheid wissen zu müssen. Notwendige Nachrichten sollen die „Not“ des Anderen „wenden“, die Nachricht befriedigt aber nicht ‚notwendig‘ meine egoistischen Bedürfnisse der Neugier.

Sokrates werden in der Anekdote die Worte in den Mund gelegt: „… und belaste mich nicht damit.“ Hier schlüpft einem offensichtlich neuzeitlichen Designer von Anekdoten ein simpler Spruch über die Lippen, die sich die Anwender von Sozialen Medien oft nicht klar machen. Die Anwendung des Medium hat gewisse marginale Vorteile, aber sie werden durch eine Steigerung von Belastung erkauft. Man gewinnt nichts, erst recht keine Aufmerksamkeit und Beachtung durch eine Community, ohne seinen Preis in der Währung von verlorener Freiheit dafür zu bezahlen. Sozial ist bei diesen Medien überhaupt nichts. Der soziale Gesichtspunkt ist rein virtuell. Sie haben und sie finden keine „Freunde“ im Netz, das ist ein Marketingtrick, der bewusst die Vereinzelung fördert. Und Vereinzelung ist doch wohl das Gegenteil von sozialem Umgang. Freunde zu haben, ist ein Privileg, das sich nicht über eine Anzahl von virtuellen Kontakten bestimmt lässt. Wenn Freunde existieren, dann sind es jene aus Fleisch und Blut, mit denen man sich auch dann treffen würde, wenn es keine sogenannten Sozialen Medien gäbe. Allein die Form der Verabredung ist möglicherweise digital beeinflusst. Nutzen Sie die drei Siebe in diesem Sinne – sie werden sich großartig fühlen, denn sie haben es geschafft, sich von dem Herdenverhalten loszusagen und mit Hilfe der „drei Siebe“ einen eigenen Standpunkt einzunehmen. Das ist nicht immer einfach, aber überaus interessant!

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Notfallvorsorge – was wäre wenn?

Auf einer Herbstwanderung hat uns ein Wettersturz aus unserer Komfortzone gerissen. Wir mussten unsere Notfallvorkehrungen in Anspruch nehmen, die wir schon seit über 20 Jahren im Rucksack mitführen und zu denen ich mich schon manches Mal ernsthaft gefragt habe, ob deren stete Mitführung sinnvoll ist oder nur das Rucksackgewicht erhöhen.

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Am Abend in der Unterkunft war die Notvorsorge dann allgemeines Diskussionsthema. Alle waren sich einig, dass im Falle von Bewegung in freier Natur und abseits der Zivilisation solche Vorkehrungen absolut notwendig sind. Was ist aber mit unserem Leben in der Komfortzone eines organisierten europäischen Gemeinwesens?

Bei dieser Frage teilten sich die Meinungen. Und der Grund dafür lag in der unterschiedlichen Vorstellungskraft und deren konsequenter Anwendung. Was ist denn denkbar? Unsere Gemeinwesen haben für Krisenfälle ein gewisses Maß an Schutzvorkehrungen getroffen und zudem gibt es ein Bundesamt für Notfallhilfe und Katastrophenschutz (BBK), das versucht, Vorbeuge- und Einsatzmaßnahmen ggfs. zu koordinieren.

Aus den Diskussionen schälte sich heraus, dass die Elektrizität den Angelpunkt unserer Infrastruktur darstellt. Fällt die Elektrizität für einen längeren Zeitraum aus, wird es mit unserem gewohnten Komfort äußerst kritisch. Alle unsere Annehmlichkeiten wie Heizung, Kochen, Telefon, Mobilfunk, Internet, elektrifizierter ÖPNV u.v.a.m. sind Funktionen, die ohne elektrische Energie nicht arbeiten können. Selbst Ölheizungen benötigen zur Zündung elektrische Energie und Umwälzpumpen, die das warme Wasser im Haus zirkulieren lassen. Ähnliches gilt für Gas. Es gibt zwar an vielen kritischen Punkten Notstromaggregate, aber deren Einsatz ist nur für Stunden ausgelegt, selten für Tage. Ihr hoher Kraftstoffverbrauch ruft Versorgungsengpässe hervor. Tankstellen sind ohne Strom nutzlos. In der Wasserversorgung steht möglicherweise das Wasser zur Verfügung, aber die Pumpen, die den notwendigen Wasserdruck aufbauen könnten, arbeiten nicht mehr. Denken Sie an die riesigen Kühlaggregate im Groß- und Einzelhandel. Und denken Sie nicht zuletzt an die eigenen Kühlaggregate und die dort gelagerten Waren, die u.U. schneller verderben als Sie sie verzehren könnten. Die Möglichkeit, sie in gewohnter Weise zu zubereiten, fehlt. Das ist eine völlig ungewohnte Situation, auf die die Mehrzahl der Bürger in keiner Weise eingerichtet ist und bisher auch keinen Gedanken an ein solches Szenario verschwendet hat.

Derjenige, der eine Wanderung plant, hat eine Vorstellung von dem, was schiefgehen könnte und hat für diesen Fall hoffentlich einen Plan B. Der Bürger, der in unserer Komfort-Blase lebt, nimmt diesen Komfort als selbstverständlich und reagiert u.U. äußerst unwirsch, wenn er feststellen muss, der gewohnte Komfort steht ernsthaft und nachhaltig in Frage. Zugegeben, im Rückblick haben unsere Verwaltungsstrukturen es geschafft, uns von größeren Schäden frei zu halten. Aber wie bei Wanderungen, bei denen 20 Jahre lang nicht wesentliches passiert, tritt der „GAU“ plötzlich und unvermutet ein. Dabei bleibt die Frage, wie bereitet man sich darauf vor? Die Wahrscheinlichkeit eines solchen „GAU“ ist sehr gering, aber gerade deshalb umso elementarer für den komfortgeplagten Bürger. Dabei meine ich nicht den kleinen Stromausfall und die kleinen „Unpässlichkeiten“, die nach wenigen Minuten oder maximal einer Stunde zu beheben sind. Es muss schon dicker kommen.

Und wie bereitet man sich darauf vor? Wir haben es ja nicht mit einem Risiko zu tun, das man rechnerisch ermitteln könnte – es geht hierbei um Ungewissheit. Und wir wissen aus den Diskussionen in der Vergangenheit über die Atomreaktoren und deren angeblich geringe Risiken hinsichtlich des „GAU“, dass das alles nur „Beruhigungspillen“ waren. Man könnte auch sagen: „Nonsens on Stilits“ – Unsinn auf mathematisch hohem Niveau, nur gab es keinen vernünftigen Bezug zur Realität. Es ist also wenig sinnvoll, den Fehler zu wiederholen. Wir kennen die Eintrittswahrscheinlichkeit nicht.

Man muss deshalb die Fragestellung verändern: Es geht nicht um die Frage, ob und wie der Komfort-„Gau“ eintritt, sondern es muss sich um die Frage drehen, was brauche ich, um meine höchstpersönliche kleine Mindestkomfortzone aufrechterhalten zu können. Die Mindestkomfortzone muss so ausgestaltet sein, dass ich trotz der Komforteinbrüche meine physische und psychische Handlungsfähigkeit den Umständen entsprechend erhalte. Je stabiler die persönlichen Verhältnisse gestaltet werden können, desto eher ist man in der Lage, sich und anderen in dieser Situation zu helfen. Dieser Gesichtspunkt ist m.E. von großer Bedeutung: Je größer die Einbußen an Komfort sind, umso mehr ist der Einzelne auf die Zusammenarbeit mit seiner unmittelbaren Umgebung angewiesen. Niemand lebt für sich allein, besonders nicht in Notzeiten. Geben Sie alle Gedanken an ‚Me first‘, Wettbewerb und Markt auf. Diese Hirngeburten ohne echten Inhalt werden sich in Luft aufgelöst haben. Jetzt kommt es darauf an, dass Sie Nägel mit Köpfen machen können – ganz elementar und im wahrsten Sinne des Wortes.

Das Bundesamt legt seinen Schwerpunkt auf die Vorratshaltung. Ich möchte hier einen etwas anderen Ansatz vorschlagen: Die Survival-Literatur pflegt den Minimalkomfort-Ansatz und geht davon aus, dass zum Überleben die Eliminierung von Nässe und Wind die erste Priorität hat. Danach kommt das Erfordernis der Wärmezufuhr, gefolgt von der Befriedigung von Durst. Durst beeinträchtigt sehr rasch unseren Denkapparat und lässt uns Risiken falsch einschätzen, also hat dieser Faktor eine hohe Priorität, um unsere Handlungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Erst dann kommt die Frage nach Nahrungsmitteln. Und der Mensch hält es relativ lange ohne Essen aus. Aber mit zunehmendem Nahrungsmangel über Tage entstehen natürlich körperliche Defizite, die auch durch psychische Veränderungen verstärkt werden können. Das sind die eher theoretischen Grundlagen allen Strebens bei einem Zusammenbruch unserer Komfortzone.

Es nützt wenig, nur Essensvorräte zu besitzen. Man muss sie auch zubereiten können. Der Hinweis, dass viele Nahrungsmittel auch ungekocht verzehrt werden können, ist richtig, aber wie schön ist es, in all der Tristesse verlorenen Komforts etwas Warmes zu sich nehmen zu können. Es baut ungeheuer auf, und darauf kommt es an. Also braucht man neben den Nahrungsmitteln einen einfachen Kocher und den nötigen Brennstoff in ausreichender Menge.

Wir können davon ausgehen, dass unsere Leitungsnetze unter den angesprochenen Umständen ausfallen. Wir sind absehbar von allen gewohnten Informationsquellen abgeschnitten, aber wir sollten wichtige Informationen wissen, um unser weiteres Handeln darauf abstimmen zu können Es ist wichtig, Informationen über Funk (Radio) zu erhalten. Batteriebetriebene Kleinradios (plus Ersatzbatterien) oder auch (mit einem Dynamo versehene) Notradios sind hier hilfreich und lassen sich ggfs. im Vorfeld kostengünstig erwerben.

Die Idee, Wasser in Eimern, Badewannen u.ä. zu speichern, setzt immer voraus, dass wir sehenden Auges in einen Komforteinbruch laufen. Stellen Sie sich vor, es gibt einen öffentlichen Aufruf, Wasser zu horten. Da kommt nach wenigen Minuten kaum ein Tropfen mehr aus dem Wasserhahn, weil alle gleichzeitig zapfen. Das hält auch das beste Versorgungssystem nicht durch. Es bleibt aber in einer Krise richtig, wann immer es sich anbietet, Wasservorräte anzulegen. Es könnte ja noch dicker kommen.

Nun zur letzten Frage: Muss man vor einem Komfort-Einbruch Angst haben? Hierzu ein klares Nein! Wenn wir einen Komforteinbruch erleiden, so ist das ohne Frage ärgerlich, aber wenn es alle trifft, so ist das wie Schicksal. Man muss das Beste daraus machen. Und man sollte ein wenig die allgemeine politische Situation im Auge behalten, dass der Komforteinbruch einen nicht gänzlich unvorbereitet trifft. Hin und wieder hilft es, sich in Gedanken vor Augen zu führen, dass der Komfort, in dem wir zu leben gewohnt sind, sehr hoch und nicht selbstverständlich ist. Noch besser ist es, sich z.B. jährlich wenigstens einmal aus der Komfort-Blase zu verabschieden und sich die Freude zu gönnen, die Techniken des einfacheren Lebens zu üben.

Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem plötzlichen Einbruch kommt, bleibt gering, ist aber leider nicht ausgeschlossen. Wie immer gilt: Nutze Deinen Verstand, folge den erkannten Prioritäten und bleib ‚cool‘.

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Abheben durch Selbstverständlichkeiten?

Vor kurzem erhalte ich einen Katalog eines Versandhandelsunternehmens, das als Nischenanbieter ausgesuchte Produkte für gehobene Ansprüche verkauft. Auf der letzten Seite finde ich dort eine Ausführung zur Produktphilosophie, die ich mit großem Interesse gelesen habe: „Qualität, die hält; Funktion, die was taugt; Gestaltung, die morgen noch überzeugt (verkürztes Zitat)“. Das sprach mich auf den ersten Blick an, bis ich mich fragte, was will mir das Unternehmen damit sagen:

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Das sind doch eigentlich Selbstverständlichkeiten, sonst ist das doch gar kein verkaufsfähiges Produkt. Die Tatsache, dass das Unternehmen diese „Philosophie“ zum Ausdruck bringen kann oder muss, lässt einen dann schon zweifeln. Wenn die Aussage für das eigene Unternehmen richtig ist (ich habe keinen Grund zu zweifeln), was produzieren eigentlich die anderen? Oder anders gewendet – die allgemeinen Produkte auf dem Markt sind dann ohne Qualität, sie sind funktionslos und sie sind eigentlich nicht nachhaltig, weil sie das Morgen nicht erreichen? Sie sind mit anderen Worten „gekaufter Müll“?

Das ist sicher überspitzt interpretiert, aber es ist eine logische Folgerung aus der Aussage: alle diejenigen, die dieser Produktphilosophie nicht folgen (und das muss offensichtlich eine Mehrheit der Produzenten sein, sonst ist die Art der Aussage zur Produktphilosophie überflüssig), produzieren nur Waren, die diese Mindestanforderungen nicht erfüllen können oder wollen. Dann produzieren sie also „Müll“? Ich will nicht ausschließen, dass das stimmt – viele unserer Produkte erfüllen zweifelsohne die intendierte Negativbeschreibung (keine Qualität, keine nachhaltige Funktion, und eine miserable Gestaltung (Verarbeitung), die das Produkt das Licht eines neuen Tages scheuen lässt.

Wenn dieses Versandunternehmen die Produktphilosophie für sich in Anspruch nimmt, so darf man doch davon ausgehen, dass dieses Unternehmen der Auffassung ist, das ihre Produkte eine Ausnahme darstellen. Und die Aussage soll ja auch ein Alleinstellungsmerkmal beschreiben. Es bringt zum Ausdruck, dass die selbstverständlichen Produkteigenschaften von vielen Unternehmen zumindest ihres Industriezweiges nicht erreicht werden. Es wird der Verdacht vieler Abnehmer nun indirekt von kompetenter unternehmerischer Seite bestätigt: Das, was die Industrie Euch normalerweise verkauft, erfüllt nicht die Selbstverständlichkeit von angemessener Qualität (die hält), von Funktion, (die taugt) und von einer Gestaltung (die auch morgen noch überzeugt).

Entlarvt diese Aussage nicht große Teile unseres Wirtschaftssystems? Es geht dort nicht um Qualität, um Funktion oder um Gestaltung, es geht, so scheint es, nur ums Geld. Das Produkt richtet sich nicht nach Qualität, Funktion und Gestaltung. Das Produkt dient ausschließlich dazu, als Massenprodukt Umsatz zu generieren. Das Produkt, das dem Kunden Qualität, ‚Funktion und Gestaltung vorgaukelt und verspricht, ist für eine Mehrzahl der Hersteller nur Mittel zum Zweck. Der eigentliche und alleinige Zweck ist es, maximale Geldzuflüsse zu generieren.

Man könnte nun aus der Produktphilosophie des obigen Versandhauses schließen, dass es das primäre Ziel des Unternehmens sei, Produkte mit Qualität, Funktion und Gestaltung bereitzustellen unter der hinreichenden Nebenbedingung, damit ausreichend Geld generieren zu können. Konsequent angewendet würde diese Vorstellung bedeuten, dass dieses Versandhaus keinen maximalen Gewinn ansteuert, sondern nur einen auskömmlichen. Damit folgt das Unternehmen einer Idee, die sich mit unserem gegenwärtigen Verständnis von Wirtschaft nicht unbedingt vereinbaren lässt. Wenn das Versandhaus börsennotiert wäre, könnten die Aktionäre die Unternehmensleitung zwingen, dem maximalen Geld nachzustreben und die Produktphilosophie aufzugeben. Eigentümer-Unternehmer sind (Gott sei Dank) diesem Zwang nicht unterworfen.

Unser Wirtschaftssystem geht aber indirekt davon aus, dass sich auch Eigentümer-Unternehmer diesem Diktat zur Geldmaximierung letztlich unterwerfen müssen, weil die Theorie behauptet, man könne im Kapitalismus erfolgreich nur im Strom der Gewinnmaximierungshypothese schwimmen. Die kreditgebenden Banken würden letztlich schon dafür sorgen. Was natürlich zu beweisen wäre.

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Unternehmer oder Investor – Versuch einer Abgrenzung

Wir können beobachten, dass das Ansehen der Investoren politisch überproportional hoch gehandelt wird. Aber was ist ein Investor? Seine Funktion ist primär die einer Bank. Der Investor stellt dem Unternehmen Kapital gegen Gesellschaftsanteile zur Verfügung. Eine Bank würde sich auf ein Darlehen beschränken und Zins und Sicherheiten verlangen. Der Investor übernimmt etwas mehr Risiko und lässt sich das Risiko im Erfolgsfalle auch kräftig vergolden. Als Folge ist das Investorengeld im Erfolgsfall deutlich teurer als der Kredit, weil die Handlungsfreiheit des Unternehmers verloren geht und der entstehende „Zins“ horrend sein kann bzw. der möglicherweise auch anstehende Ausstieg des Investors das Unternehmen zur Unzeit in Schwierigkeiten bringen kann.

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Zum Unternehmer kann man sich entwickeln. Investor ist man, weil diese Funktion voraussetzt, dass der Investor a priori über Geldmittel verfügt. Wer das Investorengeschäft auf der Grundlage von Krediten betreiben will, verlässt den Bereich des Investors und kommt sehr rasch in den größeren Risikobereich des Unternehmers, was der Investor im Grund vermeiden will.

Was ist ein Unternehmer? Die Antwort ist schwieriger: Er hat eine Idee, und verfügt oft nicht über die notwendigen Finanzmittel. Es geht ihm um Umsetzung, um Realisierung, um seine Vision, Es geht ihm um Ressourcen, um technische Effizienz, auch um technische Brillanz und natürlich um Erfolg, den er aber weniger in Geld misst als an der Freude und Genugtuung, etwas Ausgewöhnliches schaffen zu können oder es geschaffen zu haben. Soweit ein Unternehmer sein ‚Unternehmen‘ realisiert hat, erfüllt es ihn mit Stolz und er wird das Unternehmen auch in schlechten Zeiten nicht leichtfertig aufgeben, nur weil es eng wird oder die Gewinne ausbleiben. Er fühlt sich seinen Mitarbeiter verpflichtet, die ihn bei der Realisierung seiner Vision unterstützt haben. Unternehmer sein ist eine ganzheitliche Aufgabe, die im Grunde technische, soziale und wirtschaftliche Aspekte in einer Person vereint. Das ist mit der Grund, warum sich nicht jeder zum Unternehmerdasein drängt.

Unternehmer sind auch nicht nur erfolgreich. Wir sehen oft nur die ‚Erfolgreichen‘ als Spitze des Eisbergs. Viele Unternehmer (so z.B. Teile der großen Gruppe der Selbständigen) arbeiten mehr als der Durchschnitt, und haben ein akzeptables Auskommen ohne sich fürs Alter große Perspektiven leisten zu können. In beachtlich vielen Fällen droht hier Altersarmut. Aber über die spricht niemand, während ein beachtlicher Teil des tertiären Sektors unserer Wirtschaft von diesen Solounternehmern lebt. Sie sind ein Teil dessen, was man den Mittelstand nennt, der aber nicht auf der Sonnenseite, sondern eher etwas im Schatten ihr Dasein fristen.

Unternehmer werden nicht geboren. Das Leben oder das Umfeld führen Menschen i.d.R. in diese Aufgabe. Im positiven Falle verfügt er Schritt für Schritt über die vielfältig notwendigen sozialen und durchsetzungsfähigen Eigenschaften für diese Rolle, für die er sich auch zunehmend intrinsisch motivieren kann. Im negativen Falle ist die Rolle des Unternehmers für den Betroffenen die einzige Lösung, um einen gewissen wirtschaftlichen Erfolg zu erzielen. Seine Persönlichkeit ist so strukturiert, dass die Person subaltern nicht arbeiten will und kann. Es fehlt ihm an der Fähigkeit zur Unterordnung und Anpassung, auch an der Fähigkeit Kritik hinzunehmen, ohne dabei das Gefühl zu haben, man gebe seine Persönlichkeit auf. Wieder andere Unternehmer sind vom Geld Getriebene: Sie haben eine ‚Krämerseele‘ entwickelt, besitzen wenig soziale Kompetenzen, sind meist aber von sich und ihren Fähigkeiten sehr überzeugt. Ihr Mitarbeiterkreis bleibt (hoffentlich) sehr klein, weil sie als Vorgesetzte oft menschlich versagen.

Es gibt aber auch „sogenannte“ Unternehmer. Die meisten Vorstände von großen Publikumsaktiengesellschaften werden die Frage, ob sie sich als Unternehmer verstehen, bejahen. Das ist aber nicht richtig. Sie sind hoffentlich hochkarätige Fachleute, aber sie sind und bleiben gehobene Angestellte, die keinerlei unternehmerisches Risiko tragen. Sie müssen für ihre Fehlentscheidungen i.d.R. nicht geradestehen und erhalten dann, wenn ihre Aufgabe durch den Aufsichtsrat beendet wird, einen goldenen Handschlag, der oft das Vielfache des Lebenseinkommens eines einfachen Mitarbeiters darstellt. Trotzdem hat ihr Verhalten sich oft den Eigenschaften angeglichen, die oben als kennzeichnend für den Unternehmer aufgeführt wurden. Aber das wichtigste Element fehlt einfach: Das Risiko des Vorstand ist auf das Arbeitsplatzrisiko beschränkt und wird dann auch noch durch ungewöhnlich hohe Abfindungen abgefedert.

Es gibt für den Unternehmer aber auch signifikante Abhängigkeiten. Da unser Beispiel-Unternehmer nur über wenig Geld verfügt, wird er feststellen müssen, dass mit zunehmend wirtschaftlichen Erfolg sein Finanzbedarf steigt. Die Bank hat irgendwann alle denkbaren Sicherheiten absorbiert und sieht sich nicht mehr in der Lage, weitere Kredite bereit zu stellen. An diesem Punkt kommt nun der Investor ins Spiel und er kennt die üblichen Engpässe. Er ist in einer finanziell komfortablen Situation und nutzt den längeren Hebel aus, an dem er sitzt. Der Unternehmer, der es bislang verstanden hat, Technik, Sozialbezug und Wirtschaftlichkeit unter einem Dach zu vereinen, erhält jetzt einen Geldgeber, der ihm seine Selbstständigkeit nimmt bzw. einschränkt. Der Investor kann und will ihm ins Geschäft reinreden. Dabei fehlt dem Investor i.d.R. aber der ganzheitliche Ansatz. Er konzentriert sich auf sein investiertes Geld und dessen Vermehrung. Alle anderen Aspekte des unternehmerischen Daseins sind ihm nachgeordnet. Er will das Unternehmen ja nicht führen, sondern seinen Einsatz mehren.

Um mit Aristoteles zu reden: Der Unternehmer sieht sich primär dem Gedanken der Ökonomik verpflichtet und mit der Aufnahme eines Investors in sein Unternehmen ändert sich der Fokus vom „klugen Wirtschaften“ des Ökonomen sehr rasch zu einem neuen Schwerpunkt, der als eine Konsequenz aus der Lehre der Bereicherung (Chremastik) bezeichnet werden kann. Für den Investor „ist jede Ware ein Mittel, die dem Zweck dient, insbesondere das eingesetzte Geld zu vermehren.“ (vgl. Brodbeck, Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie, Darmstadt, 2000, S. 195) Der Unternehmer hängt am finanziellen Tropf: einmal dabei, gibt es kaum mehr ein Entrinnen. „Geld ist auch eine Quelle jener „Ratio“, deren Inhalt sich auf das bloß quantitative Mehr reduziert.“ (Brodbeck, S. 195)

Die Figur des ‚Unternehmers‘ gibt es seit Jahrhunderten, völlig losgelöst von den jeweils geltenden Wirtschaftssystemen. Der ‚Investor‘ dagegen ist eine Erfindung des Neoliberalismus und eine Folge des Wandels der Banken. Er repräsentiert jene Ausprägung der Gewinnmaximierung, die auch den Neoliberalismus befeuert. Der Unternehmer ist in seinem Handeln viel zu sehr den vielfältigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Abhängigkeiten ausgesetzt, um so einfach und klar zu bestimmen, was denn nun Gewinnmaximierung im Konkreten sei. Nur der Investor ist so eindimensional auf die Prämisse „Geld aus Geld machen zu wollen“ angelegt, dass diese Forderung überhaupt wirtschaftlich vernünftig umsetzbar ist. Die Vorstellung, dass Gewinnmaximierung sich auf einen Jahresüberschuss reduzieren lässt, ist lächerlich. Das ist ein Maß der Rechnungslegung und erfasst auch Sachverhalte, die einen Investor nicht unbedingt interessieren. Es ist hoffentlich erkennbar, dass der Investor nur jenen Teil des Unternehmers wahrnimmt, der von der eigentlichen Unternehmensgrundlage abgelöst werden kann und der sicherstellt, dass Geld aus dem investierten Geld erzielt werden kann. Ganz einfach: das Unternehmen im Ganzen wird zur einer Ware. Dort ist dann die angestrebte Gewinnmaximierung relativ leicht umsetzbar.

Vergleichbares findet man in Großkonzernen. Der Konzernvorstand kümmert sich nur noch bedingt um die Produkte, mit der der Konzern sein Geld verdient. Der Vorstand kümmert sich um die Finanzierungsgrundlage und ist dabei in einer dem Investor vergleichbaren Lage. Es werden nicht Produkte ge- oder verkauft, sondern gleich ganze Unternehmen und Unternehmensteile.

In der ‚Höhle der Löwen‘ (dem Fernsehformat) wird die Investorenrolle drastisch und plakativ demonstriert. Da sitzen die Damen und Herren Investoren in dicken Sesseln (die wie Geldsäcke aussehen) und lassen sich Unternehmer vorführen, denen sie u.U. ihre Selbstständigkeit abkaufen wollen. Die vorgefundenen guten (Ideen) will der Investor ggfs. nutzen (ohne deren Entwicklungskosten zu bezahlen), das Unternehmensrisiko bleibt bei den Alt-Unternehmern und das Risiko des Deals ist gemessen am Vermögen der Investoren „peanuts“. Und die Arbeit machen dann die anderen. Man darf in diesen Kreisen natürlich unterstellen, dass auch die Beratung der Alt-Unternehmer durch die Investorenfirmen vergütet wird. (Darüber spricht man öffentlich natürlich nicht). Und wenn das „Mehr“ ausgereitzt ist, wird nach den Regeln der Bereicherungslehre verfahren: den ‚Laden‘ schließen oder günstig aussteigen, was bringt mehr? Unter Investoren gilt der Primat der Gewinnmaximierung; nur einfach Gewinne zu erwirtschaften, ist schlicht zu wenig.

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Eine andere Perspektive

Unser Verständnis von Ökonomie wird geprägt durch die „liberale Demokratie“, ein Modell, das nach Aussage von Francis Fukuyama nach der Auflösung des Sozialismus allein übrig geblieben ist („Das Ende des Menschen“, S. 31) Was das Modell auszeichnet, wird erst mit den gelesenen Seiten klarer, aber bleibt ein unbestimmter Begriff. Es ist aber im täglichen Leben erkennbar, dass in der Verfolgung dieses Gedankenmodells der politische Einfluss der Wirtschaft überproportional wächst und der der Politik ständig sinkt. Der Grund liegt u.a. darin, dass die Ökonomie der liberalen Demokratie strikt auf einem Nutzenkalkül aufbaut (Utilitarismus) und den Eindruck erweckt, alle politischen Auseinandersetzungen wären eine Frage der Optimierung:

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„Die moderne neoklassische Wirtschaftstheorie geht von einer Vorstellung der menschlichen Natur aus, die postuliert, dass Menschen rational nach ihrem Vorteil streben. Die Ökonomen lehnen ausdrücklich jeden Versuch ab, zwischen einzelnen Zweckdienlichkeiten Unterschiede zu machen oder hier Prioritäten zu setzen. (…) Die reduktionistische Strategie (der Ökonomie), die der utilitaristischen Ethik zu Grunde liegt, ist von eleganter Einfachheit, und genau deshalb spricht sie viele an. Sie enthält das Versprechen, dass Ethik in eine Art Wissenschaft von klaren Optimierungsregeln um geformt werden kann. Das Problem besteht allerdings darin, dass die Natur des Menschen viel zu komplex ist, um auf einfache Kategorien wie „Schmerz“ oder „Lust“ reduziert zu werden.“ (Fukuyama, S. 166) Die Rationalität ist grundsätzlich in Frage zu stellen, weil der Mensch keine kardinale Zielstruktur aufweist: Er kann emotional durchaus zwei sich widersprechende Ziele verfolgen. „Es gibt kaum ein von Menschen formuliertes Urteil über Gut und Böse, das nicht von starken Emotionen begleitet ist, ob nun von Sehnsüchten, Verlangen, Abneigung, Abscheu, Zorn, Schuld oder Freude. (…) Der Prozess der Begründung von Werten ist prinzipiell kein rationaler, weil seine Ursprünge aus dem „Sein“ der Emotionen kommen.“ (S. 167).

Umso erschreckender ist es, dass der wesentliche Teil unserer Gesellschaft mit Theorien beeinflusst wird, deren Schlichtheit und meinetwegen auch „Eleganz“ so einseitig ist, dass man sich fragt, ob das keiner merkt und sich dagegen wehrt. Zumal es ein uraltes Konzept gibt, das zwar weniger „elegant“ ist, dafür aber deutlich mehr Kontingenzen zu erfassen in der Lage ist. Es stammt von Platon und ist versteckt in seine Ausführungen zum Staat zu finden: Er geht davon aus, dass die Seele (d.h. der Mensch mit seinen Antrieben) „aus drei Elementen bestehe: einem begehrenden Teil (…), einem energischen oder stolzen Teil (Thymos) und einem rationalen (vernünftigen) Teil.“ Der begehrende Teil (die Begierde oder die Suche nach Nutzen) ist das, was der Utilitarismus unverändert verherrlicht. Der rationale, vernünftige Teil des Menschen dient im täglichen Leben der Entscheidungsfindung zwischen Nutzen und sozialer Anerkennung. Der Thymos (eine Kategorie, die im Zusammenhang mit Ökonomie völlig neu ist) wird am besten mit der Frage nach der gesellschaftlichen Anerkennung beschrieben („Mein Verlangen rät mir vielleicht, den Kampfplatz zu verlassen, aber mein Thymos oder Stolz bringt mich dazu, aus Furcht vor Schande standzuhalten“ (S. 168)). Hegel soll diesen Aspekt als „Kampf um (soziale) Anerkennung“ beschrieben haben. Was nutzt es z.B. eine rational richtige Wirtschaftsentscheidung getroffen zu haben, der aber aus Gründen des Thymos die soziale Anerkennung verweigert wird. „Viele gedankenlose Kommentatoren von heute rümpfen die Nase über Platons allzu simple Psychologie, die die Seele in drei Teile zerlegt. Dabei übersehen sie allerdings, dass viele (eigentlich die Mehrzahl der) Denkschulen des zwanzigsten Jahrhunderts, darunter die Psychoanalyse, der Behaviorismus und der Utilitarismus (und damit die Ökonomie), noch einfacher gestrickt sind.“(S.169) Sie billigen dem Menschen nur eine begehrende Komponente zu und sehen in der Vernunft nur ein instrumentelle Funktion. Der Thymos als dritte wesentliche Kraft im Wesen des Menschen hat es erst gar nicht in die öffentliche Wahrnehmung geschafft.

Das ökonomische Kalkül ist in seiner angeblichen „Eleganz“ (oder einfach: in seiner intellektuellen Schlichtheit) schon bemerkenswert. Alles Handeln erfolgt aus der gleichen Grundlage: aus der Gier. Dabei wird nicht unterschieden, ob das Handeln eines Wall-Street-Bankers oder das Handeln einer Mutter Theresa in Indien beurteilt wird. Beide sollen durch das Handeln ihren Nutzen maximieren. Dabei ist es etwas schwammig ausgedrückt: Der Banker will keine Nutzenanteile kumulieren, er will Geld sehen. Der dezente Hinweis auf seine erfolgreiche Nutzenanhäufung wird ihm nur ein müdes Lächeln abringen können. Konkret heißt das, dass Nutzen in unserem ökonomischen Umfeld gleichbedeutend mit Geld ist. Ob das nun die theoretische Ökonomie Nutzen nennt oder nicht, dürfte ihm völlig gleichgültig sein.

Wenn wir uns aber den Aktivitäten einer Mutter Theresa nähern, und von ihr sagen, dass sie ihren Nutzen maximiert, so träfe das mit großer Wahrscheinlichkeit bei ihr auf wenig Verständnis. Dieser Frau irgendeine Form der Gier zu unterstellen, ist schon ziemlich vermessen, insbesondere als wir Gier in Nutzen und Nutzen dann in Geld umsetzen. Ihr fehlt doch jedes persönliche Streben nach Geld. In seinen Anmerkungen erläutert Fukuyama die Anwendung des Gieraxioms bei Mutter Theresa wie folgt: „Die Nutzeneinheit würde im Fall von Mutter Theresa einer bestimmten Form von psychischer Befriedigung entsprechen“ (Kap. 7, Anmerkung 17). Eine schwachsinnigere Erklärung ist kaum denkbar. Deshalb hat sie Fukuyama auch unkommentiert (mit einem Augenzwinkern) aufgegriffen. Wäre es nicht viel sinnvoller, die Motivation einer Mutter Theresa aus dem Thymos abzuleiten, aus der Freude helfen zu können oder aus der hohen gesellschaftlichen Wertschätzung, die die Frau für ihre Arbeit am Menschen erfährt. Aber so differenziert kann die Ökonomie nicht argumentieren. Sie verlöre ihre „Eleganz“ oder Schlichtheit, gewönne aber an Präzision und Inhalt.

Ähnlich problematisch steht es um die ökonomische Rationalität. Sie hat mit Vernunft bei Gott nichts zu tun. Rationalität im Sinne der Ökonomie ist wie ein Algorithmus zu beurteilen. Der Algorithmus der Rationalität führt in ein geschlossenes Modell, bei dem alle Randbedingungen bekannt sind (alle Alternativen, mit ihren dezidierten Nutzeneinheiten und einer einfachen Zielfunktion). Die Rationalität fußt auf einem Entscheidungsmodell, sie ist aber nicht in der Lage, Vernunft in der Form zu entwickeln, dass reflektiert werden kann, ob der Algorithmus auf die anstehende Problemstellung überhaupt anwendbar ist und ggfs. zu einem sinnvollen Ergebnis führt. Diese Fragestellung kann ökonomische Rationalität nicht beantworten und das will sie auch gar nicht. Sie verlöre dabei ja ihre Eleganz. Dabei kommt die Eleganz aus der formalen Form, aber nicht aus einer vernünftigen Anwendung. Vernunft und Rationalität sind offensichtlich nicht das Gleiche – Rationalität gilt nur unter sehr eingeschränkten Randbedingungen (die oft in der Realität nicht gegeben sind), gilt oft nur kurzfristig und blendet jeden vernunftbetonten Versuch einer längerfristigen Beurteilung der Sachlage aus. Hierfür reicht die Komplexität des Algorithmus i.d.R. nicht aus.

Wenn wir uns schon mit Platons Verständnis vom Menschen beschäftigt haben, so ist es nur ein kurzer Weg zu seinem Schüler Aristoteles. Er unterscheidet zwischen Ökonomik als „das kluge Wirtschaften des Hausverwalters, (der) Ziele und Zwecke gegeneinander abwägt“ (Karl-Heinz Brodbeck, Die fragwürdigen Grundlagen der Ökonomie, Darmstadt, 2000, S. 195) und der „Bereicherungskunde“ (Chremastik) des Kaufmanns. „Für den Kaufmann ist jede Ware ein Mittel, die dem Zweck dient, das Geld zu vermehren. (…) Dieses ‚kaufmännische Kalkül‘ erfährt einen seelischen Niederschlag und prägt einen Charakter, den Max Weber die „Kaufmannsseele“ nennt“ (Brodbeck, S. 195 u. Anmerkung 36).

Wir schenken dem Typus der ‚Kaufmannsseele‘ viel öffentliche Beachtung und manche wollen den sogenannten Erfolgen dieser Menschen nacheifern. Die Ökonomie hat dafür eine einfache Formel gefunden: egal wie niederträchtig die Motive der Handelnden sind, in Summe steigern sie angeblich den Wohlstand (zumindest der Wenigen). Niemand hat bisher diese Aussage verifizieren können, aber sie schwirrt in den Köpfen der „Kaufmannsseelen“ herum und dämpft deren schlechtes Gewissen. Ist es nicht viel schlichter und ehrlicher, wenn wir davon ausgehen, dass positive Beiträge mit hinreichender Sicherheit den Wohlstand aller steigern? Nehmen wir den unfassbar großen Beitrag des Ehrenamtes in und für unsere Gesellschaft. Da ist mit Nutzenmaximierung nichts zu erklären. Es ist ein Amt ohne Geld. Es wäre aber mit dem thymotischen Ansatz Platons sehr gut darstellbar. Das Ehrenamt findet in einer Atmosphäre der Offenheit und der sozialen Anerkennung statt, es macht Freude und es nutzt der Gemeinschaft. Das Ehrenamt  – so könnte man es auch umschreiben – ist die gesellschaftliche Reparaturwerkstätte, in der alle die Widerwärtigkeiten und Schäden aufgefangen werden, die durch die individuelle Gier der „Krämerseelen“ ausgelöst wird. Das Merkwürdige ist, manchmal braucht auch die kranke Kaufmannsseele ein bisschen Ehrenamt, um zum seelischen Gleichgewicht zurück zu finden.

Es gibt Menschen, die tummeln sich in unserem Wirtschaftssystem wie der Fisch im Wasser. Sie haben offensichtlich eine „Kaufmannsseele“ entwickelt. Sie verkörpern die Gier, die unserem Wirtschaftssystem zu Grunde liegt. Der Kaufmann nutzt die Austauschfunktion des Geldes und “missbraucht sie, um mehr Geld zu erwerben“(Brodbeck). Das Gegenstück zur ‚Kaufmannsseele‘ sind jene Menschen in unserer Gesellschaft, denen die Gier zwar vertraut ist, die ihr aber keine entsprechende Bedeutung beimessen können. Meist handelt es sich i.d.R. um Personen, die sehr technik- oder auch sozialbezogen denken und handeln. Ein gutes Beispiel könnte der Arzt sein: als Arzt ist er ein grundsätzlich sozial orientierter Mensch, der sich hoffentlich seinem Hippokratischen Eid verpflichtet fühlt und alles Menschenmögliche veranlasst, um Menschen in Not zu helfen. (Nennen wir das die Sachorientierung) Das medizinische System zwingt diesem Arzt nun eine Verhaltensweise auf, die sich Schritt für Schritt den Ausprägungen einer Krämerseele nähert: er hat sich der ökonomischen Rationalität des Medizin-Systems zu unterwerfen. Es gibt auch Mediziner (der Begriff Arzt ist dann m.E. nicht mehr anwendbar), die es hervorragend verstehen, ihr medizinisches Wissen erfolgreich zu vermarkten. Ihnen fehlt aber i.d.R. jenes ‚Gen‘, das einen guten Arzt auszeichnet. (Sie haben sich von der Sachorientierung zur Geldorientierung entwickelt oder waren immer schon dort) Der Mediziner wird über diesen Vorwurf leicht hinwegsehen können, weil er seine Leistungen an seinem persönlichen Einkommen misst und weniger an seinen ärztlichen Erfolgen. Er hat sich damit für die „Kaufmannsseele“ entschieden. Glücklicher Patient, der an einen echten Arzt gerät!

Fatal ist nicht die Tatsache, dass sich bei den Menschen mindestens diese beiden Strukturtypen von alters her unterscheiden lassen, sondern die Erkenntnis, dass die Geldorientierung (oder sollen wir sagen, die Orientierung an der finanziellen Gier) im Gegensatz zur Sachorientierung unsere Lebensgrundlagen zerstören. Gier nach Geld kennt keine Grenzen, Gier in der Sache mag möglich sein, ist aber immer begrenzt.

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Diesel und notwendige Kante – eine unendliche Geschichte

Die Unterhändler der Autoindustrie geben sich hart und uneinsichtig. Und die Politik geht – wie immer – darauf ein. Ich verweise auf meine hier dargestellten Ausführungen zum Feinstaub. Es ist erschreckend: Die Automobilindustrie hat betrogen. Das ist zwischenzeitlich unstreitig. Ob es noch justiziabel ist, wird mit jedem Verhandlungstag unwahrscheinlicher.

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Die Verjährung droht und man wird sich wieder Mal ganz einfach einigen können, wenn die Verjährung für alle Betrugsfälle gegriffen hat. Der Imageschaden ist immens, aber der juristische Druck ist dann raus.

Die Politik eiert

Die Politik ist mit dem bisherigen Ergebnis natürlich nicht zufrieden. Sie eiert zwischen den Positionen hin und her. Das Hauptdruckmittel der Industrie gegenüber der Politik sind die Arbeitsplätze in der Automobilindustrie. Hier ist die Politik in einer Zwickmühle: egal, was passiert, die Automobilindustrie wird in den nächsten paar Jahren dramatisch Arbeitsplätze abbauen müssen, aber nicht als Folge des Dieselskandals, sondern aus Folge der Tatsache, dass die Automobilität in Form des privaten PKWs an ihre Grenzen stößt. Aber das sagt die Industrie natürlich nicht, sondern sie wird ggfs. die Politik dafür verantwortlich machen. M.a.W.: egal, was die Politik tut und macht, sie steht immer am Pranger – und dann wäre es doch gleichgültig, aus welchem Grund. Das hat zur Folge, dass Härte in den Verhandlungen von Seiten der Politik absolut angebracht wäre: die Politik hat nichts zu verlieren, was nicht schon verloren wäre. Sie wird sich so oder so den künftigen Schuldzuweisungen der Industrievertreter und deren Medien erwehren müssen.

Es drohen Fahrverbote in diversen Städten. Und es werden die Geschütze geladen, um bei fehlender Umsetzung persönliche Konsequenzen für die politischen Spitzen einzuleiten. Die Automobilindustrie will mit der ihr zur Verfügung stehenden Macht vermeiden, dass sie als Verursacher die Last der Konsequenzen aus dem Betrug trägt. Ein merkwürdiges Ansinnen – offensichtlich hat die Industrie immer noch nicht verstanden und akzeptiert, dass sie betrogen hat, und wenn sie so weiter macht, verliert sie auch noch den letzten Rest ihres ramponierten Ansehens.

Die Automobilindustrie will indirekt die öffentlichen Hände zwingen, im Falle von Fahrverboten enorme Zusatz-Investitionen in den öffentlichen Nahverkehr vorzunehmen. Schon heute wird in den Metropolregionen das Automobil eher als Hindernis denn als schnelles und bequemes Transportmittel angesehen. Ein weiterer Effekt muss sein, dass die Subventionen, die heute auch in die Automobilindustrie fließen, vernünftiger Weise nicht mehr zur Verfügung stehen können. Und es wird doch klar, dass in den Verhandlungen eventuelle Subventionen oder Überbrückungen wegen des Dieselskandals kein Platz finden kann. (Vorausgesetzt, die Politik schafft es, der Machtanmaßung konsequent die Stirn zu bieten.) Welcher demokratische Staat kann es sich denn leisten, betrügerisches Verhalten auch noch zu belohnen!

Klare Kante

Die dänische Regierung hat verlauten lassen, dass der Verkauf von Verbrennungsmotoren ab 2030 (also in nur 12 Jahren) in Dänemark verboten wird. Das ist eine klare Ansage! Der Vorteil Dänemarks liegt in der Tatsache, dass dieses Land über keine nennenswerte Automobilindustrie verfügt – also hält sich der Aufschrei der Betroffenen sehr in Grenzen. Aber jeder Betroffene (auch im Ausland) kann sich jetzt darauf einstellen.

Vergleichbare Erwartungen in eine klare Ansage habe ich für Verpackungsplastik gefordert (es hat mir nur verständlicherweise keiner gehört). In zehn Jahren wäre Schluss damit und die Industrie, die sich immer wieder als so flexibel verkauft, hätte jetzt zehn volle Jahre Zeit, den größten Teil des Plastikverpackungsmülls zu vermeiden und sich dafür auf nachhaltigere Produktlösungen zu besinnen. Was die dänische Politik kann, sollte man auch von der unsrigen erwarten dürfen.

Mancher wird argumentieren, dass Verpackungsplastik zu unscharf abgegrenzt ist. Einverstanden, dafür gibt es Fachleute – aber wenn wir z.B. 85% des Verpackungsplastikmülls nicht mehr produzieren, kann er auch logischerweise nicht mehr in der Landschaft herumfliegen und die Meere verseuchen. Das Übel ist an der Wurzel zu packen und es darf nicht an den Symptomen herumgedoktert werden. Und es soll mir kein Unternehmer klagen, dass zehn Jahre nicht genug Zeit darstellen. In unserer heutigen Zeit ist ein Produkt, das man zehn Jahre lang unverändert lässt, ein Dinosaurier, ein Auslaufmodell. Der Innovationssprung, der jetzt erwartet wird, ist eben ein bisschen größer als sonst, aber für die Mehrzahl machbar. („Ein guter hält es aus, und um die anderen ist es nicht schad‘“, sagt der Bayer – das klingt hässlich (ist es auch), aber es entspricht exakt unserer Philosophie des kapitalistischen Wirtschaftens).

Jetzt kommt dann sofort wieder das Totschlagargument: das müsse international geregelt werden. Lieber Leser, da wartet doch jeder auf den anderen und bewegt sich nicht. Das ist Mikado-Politik. Einer muss den Anfang machen und sich trauen, dann springen die anderen hinten auf.

Natürlich ist diese Veränderung kein Spaziergang. Es wird Verwerfungen geben. Aber einen stärkeren Handlungsspielraum für die Ökologie ist nur zu haben, indem wir den Handlungsspielraum der Ökonomie einschränken. Das ist politisch ein steiniger Weg, aber alles andere ist Humbug (um das Wort „Bullshit“ zu vermeiden).

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