Brexit

Das Phänomen Brexit hat viele Gesichter. Die  jungen Menschen in Großbritannien, die eher Europa als ihre Heimat ansehen denn ihren jeweiligen Nationalstaat, nutzen ohne viel nachzudenken die Vorteile der EU  und werden sich verwundert die Augen reiben, wenn sie bei der Einreise in die EU plötzlich als Ausländer behandelt werden, ihre berufliche Freizügigkeit verlieren und ihr Regelaufenthalt auf drei Monate beschränkt wird. Die Entwicklung macht aber auch deutlich, dass es mindestens zwei unterschiedliche Strömungen in den Ländern der EU gibt: Die europäische Fraktion, die das Zusammenrücken akzeptiert und die nationale Fraktion, die zurück zu irgendwelchen alten Zeiten möchte, weil die EU ihnen keine ausreichende Identifikation bietet.

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Das Phänomen wird noch deutlicher und gravierender, wenn wir die Fragestellung auf die Ebene der Globalisierung heben. Globalisierung ist eine Idee der Großkonzerne und deren Strategen, um die teilweise sehr individuellen Teil-Märkte für ihre Bedürfnisse zu gestalten und insbesondere zu vereinheitlichen. Globalisierung wird uns als ein Produkt für die Menschen verkauft. In Wahrheit spielt der Mensch als Konsument nur die Rolle des Statisten und des nützlichen Idioten. Wenn eine Abstimmung über die Globalisierung stattfinden würde, würde diese Abstimmung mit hoher Wahrscheinlichkeit (in Deutschland) eine Ablehnung hervorrufen. Kein Mensch fühlt sich in einer globalisierten Welt wohl oder angekommen, er ist dort immer auf der Durchreise. Alle sozialen Bindungen, sei es Heimat, Region, Nachbarschaft, soziale Kontakte, ehrenamtliche Aufgabenwahrnehmung, sich Einbringen in die Gemeinschaft, entfallen auf globaler Ebene. Das globale Arbeiten steht einer Familiengründung, dem Drang zur Sesshaftigkeit, des Wurzelschlagens schlicht entgegen. Die globale Welt fasziniert für eine Weile, bis klar wird, welchen hohen Preis man dafür zu bezahlen hat. Spätestens dann beginnt die Suche nach Identität und dabei bietet die globale Welt keine menschlichen Alternativen, man ist Sklave einer fixen Idee und sucht mangels Alternativen nach seinen Wurzeln.

Aus dieser Perspektive kann man auch das Ergebnis von Brexit interpretieren. Ein großer Teil der britischen Wähler, und insbesondere der älteren Generation, hat ihre Identifikation mit der Idee Europa verloren oder hat sie vielleicht auch nie gehabt. Sie träumt lieber den identitätsstiftenden Traum der Großmacht Großbritannien, die sich insbesondere von Brüssel an der Nase herumgeführt fühlt. Unsere Politik muss diesem Phänomen aber Rechnung tragen. Wenn der Abstand des Bürgers zum Entscheider zu groß wird, wird die ‚Leitung‘ von Seiten des Bürgers gekappt und man wendet sich jenen politischen Einheiten zu, die Identität versprechen. Das sind möglicherweise  die ewig gestrigen Aussagen der rechtspopulistischen Parteien und es sind die Regionen, in der sich der Bürger angekommen und zuhause fühlt. Das erscheint etwas kleinkariert, aber in einer durch große wirtschaftliche Unsicherheiten geprägten Zeit wollen die Menschen die Gemeinschaft spüren, das Eingebundensein und nicht die Anonymität großer leerer Organisationen. Manchmal spitzt sich dann dieses Bedürfnis auf ‚Britain first‘ zu.

Es wird die Aufgabe der Politik sein, ernsthaft zu hinterfragen, ob ihr Handeln in der EU diesem Empfinden und der Suche nach Identität ausreichend Rechnung trägt. In einer Zeit, in der man glaubt, alles kaufen zu können, verkörpert die Suche nach Identität eine neue Qualität. Identität kann man nicht kaufen, es gibt sie nicht beim Kaufmann um die Ecke. Und das macht die Sache in einer Welt des Überkonsums und deren scheinbar simplen Regeln nicht einfacher.

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