Automobilindustrie – quo vadis

Es ist teilweise geradezu peinlich, welche Kommentare zum Dieselgipfel und zur Verantwortlichkeit der Automobilindustrie vorgebracht werden: Es sei sachlich richtig, dass die Automobilindustrie den Verbraucher betrogen hat, aber – und hier wird es dann peinlich – die Vorschriften, die die Politik erlassen hätten, wären ja auch lax gewesen, dass das jetzige Ergebnis niemanden verwundern darf. Das sind Verknüpfungen, die einen fassungslos machen:

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Wer hat Betrug begangen? Doch wohl die Automobilindustrie und nicht die Politik. Es gibt in jedem Gesetzeswerk Lücken und offene Stellen, aber deshalb ist niemand zum Betrug aufgerufen. Sich korrekt zu verhalten ist eine Frage der ethischen Haltung. Und sie kann mit nichts verrechnet werden, erst recht nicht mit Arbeitsplätzen (wie man ersten reflexartigen Reaktionen ablesen konnte).

Wer hat die laxen Vorschriften denn initiiert? Wer sitzt denn dauernd auf dem ’Schoß‘ der Politik und der Exekutive? Von wo kommen die „Experten“? Wir können doch beobachten, dass der Lobbyismus in Deutschland (und nicht nur dort) Blüten treibt, die nur noch Kopfschütteln auslösen können.

Man gewinnt den Eindruck, dass die Absprache im Rahmen der Lobbyisten besser funktioniert als die notwendige Absprache, wenn es darum geht, weiteren und wesentlichen Schaden von der Automobilindustrie abzuwenden. Der Schaden trifft ja nicht nur den Verbraucher. Der Schaden ist ein Vertrauensverlust ersten Ranges und er schadet zudem der internationalen Wertschätzung von „Made in Germany“. Das Einstecken von ungerechtfertigten Gewinnen ist offensichtlich leichter als die Erkenntnis, dass jetzt jedes Rumzicken die Sache nur noch schlimmer machen wird.

Man muss sich klar machen, die Automobilindustrie sieht sich in einer Art Götterdämmerung. Ihr Stern (nicht nur von Mercedes) droht zu sinken. Die Zahl der „Herausforderungen“ (um nicht von Problemen zu sprechen) hat sich schlagartig deutlich erhöht. Der Betrugsskandal ist dabei m.E. der überschaubarste Teil. Wenn jedes dritte Auto in den Export geht, dann bleiben rechnerisch zweidrittel in Deutschland. Der Deal mit den USA hat VW rd. 20 Mrd. Euro oder Dollar gekostet. (Die Denomination ist in der Presse oft nicht klar). Da hängt die Latte hoch, denn niemand wird verständlicherweise einer Lösung zustimmen wollen, die deutlich geringere Zahlungen pro PKW an deutsche Halter zur Folge haben wird. Das zehrt am Gewinn oder dreht ihn sogar in einen Verlust.

Gleichzeitig sieht sich die Autoindustrie einer wenig rosigen Zukunft gegenüber. Erstens: Die Aufforderung der Politik zu Forcierung der Entwicklung eines E-Mobils, obwohl völlig unklar ist, wie die Ladetechnik (eine wesentliche Voraussetzung für den Erfolg des E-Mobils) funktionieren könnte. Was die Lösung des letzteren Problems für die Stromversorgungsinfrastruktur bedeutet, wird dabei noch gar nicht öffentlich diskutiert. Zweitens: die sich abzeichnende Technologie eines selbststeuernden Automobils wird die gesamte Automobilindustrie umkrempeln. Alles, was heute als werbliches Verkaufsargument ins Feld geführt wird (einschließlich der verbreiteten Haltung: freie Fahrt für freie Bürger), wird entfallen. Dem steuernden Algorithmus fehlen pubertäre Regungen und das Gefühl für Geschwindigkeitsrausch – er steuert das Auto mit der optimalen Geschwindigkeit, die dem Verkehr angepasst ist und bezieht die weit vorausliegende Straßenverkehrssituation in sein Kalkül ein. Viel teuer verkaufter Schnickschnack wird dem rationalen Verhalten des Computers zum Opfer fallen. Das Statussymbol Automobil verliert seine Faszination. Möglicherweise entfällt bei vielen sogar der Wunsch, ein Automobil zu besitzen, wenn man jederzeit per Smartphone für wenig Geld ein selbstfahrendes Taxi rufen kann. Drittens: Allein diese Kombination von E-Mobil (viel einfacher zu konstruieren und damit billiger zu bauen) und der Fähigkeit der Selbststeuerung wird das gesamte bestehende Mobilitätkonzept in Frage stellen. Einmal wird in den Ballungszentren mit Einführung der Technologie die Zahl der PKW drastisch abnehmen. Studien schätzen den PKW Verkehr in den Ballungszentren auf etwa 10 % des gegenwärtigen Fahrzeugdurchsatzes. Plötzlich stellen wir fest, dass die Straßen für ein Zehntel der PKW viel zu breit sind, die Parkplatzsituation entspannt sich grundlegend, weil die Mehrzahl der Selbstfahrer ‚auf Tour‘ sind und nicht wie die heutigen PKW 8 – 9 Stunden herumstehen und Platz beanspruchen. Die weiteren Folgen wie Feinstaubreduzierung, neue Grünflächen, wo vorher PKW geparkt haben, die Auswirkungen auf die Öffentlichen Personennahverkehrs u.s.w. führen hier zu weit.

Viertens: Die Digitalisierung wurde bisher noch nicht angesprochen. Sie wird die Produktionsstätten grundlegend verändern. Künftig werden bis zu 50 % (so erste Studien) der heutigen Belegschaft nicht mehr gebraucht. Die Digitalisierung trifft aber nicht nur die Automobilindustrie, sie zieht weitere Kreise.

Es muss auch klar sein, dass diese Veränderungen – wenn sie wie beschrieben eintreten – erst in etwa 20 Jahren (plus) realisiert werden können. Aber die geballte Ladung an schlechten Aussichten erfreut die heutige Automobilindustrie wenig und stellt deren bisheriges Geschäftsmodell vor gewaltige Veränderungen. Ob die schwerfälligen ‚Jumbos‘ dieser strukturellen Herausforderung gewachsen sind, darf ruhig bezweifelt werden. Große Tanker können effizient manövrieren, wenn es mehr oder weniger geradeaus geht. Wenn aber Untiefen auftreten, fehlt ihnen Einfallsreichtum, Inventionsfähigkeit, Reaktionsschnelligkeit und Wendigkeit. Die Vorstände führen sich manchmal auf wie kleine Götter, aber die Dämmerung droht, wenn sie nicht ganz schnell die richtigen Schritte einleiten. Dabei haben sie nur einen ‚Schuss‘ und der muss sitzen.

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