Alle Beiträge von Volker Frühling

Dirk Steffens und die GEO -Story

Der Wissenschaftsjournalist Dirk Steffens war auf vielen Kanälen aktiv, um einerseits sein Buch „Eat it!“ als auch seine damit verbundene Dokumentation unter dem Namen „Die große GEO – Story“ auf RTL zu bewerben. Das Buch habe ich bisher nicht gelesen, aber die Dokumentation wollte ich mir anschauen, weil ich die Kombination von GEO und RTL im Rahmen einer Dokumentation ungewöhnlich finde.

» weiterlesen


Es wäre hilfreich gewesen, wenn es bei RTL so etwas wie eine Mediathek geben würde, die es ermöglicht, den ersten Eindruck durch einen zweiten (vielleicht intensiveren) zu ergänzen.

Die privaten Sender, die ich von ihrem Geschäftsmodell her als eine Marketinginstitution qualifiziere, vermeide ich, wo ich nur kann. Ich lehne es ab, mich einem Dauerstress durch ziemlich plattes, aggressives Marketing auszusetzen. Nach Dirk Steffens Werbetour habe ich diese Bedenken beiseite geschoben (man kann ja immer noch was dazu lernen) und habe am Donnerstag, den 19.10.2023, 20:15 Uhr den Beitrag trotz der unverschämt penetranten Werbeblöcke bis fast zum Schluss auf RTL angesehen.

Bevor ich nun zu irgendwelchen Aspekten des Beitrags Stellung nehme, habe ich mich gefragt, warum taucht Dirk Steffens, der einen Ruf als Wissenschaftsjournalist zu verlieren hat, gemeinsam mit GEO bei RTL auf. Dokumentationsreihen zählen ja nicht zu den ausgewiesenen Stärken dieser Senderkategorie. Das Zeitschriftenkonklomerat GEO weist lt. Wikipedia als Unternehmen von Gruner & Jahr und als Teil der RTL Group in den letzten Jahren offensichtlich einen erheblichen Auflagenrückgang auf. GEO wurde gezwungen, sich ein radikales Sparprogramm zu verordnen. Die beiden Chefredakteure von GEO haben daraufhin im Februar 2023 ihre Positionen geräumt.

Dokumentationen, und die „GEO -Story“ muss man als solche ansehen, werden selten so heftig beworben. Sie entwickeln ihre Zuschauerschar eher leise über Mundpropaganda und auf einem Weg, den man am einfachsten mit dem antiquierten Satz beschreiben könnte: Qualität setzt sich durch! Das soll aber nicht andeuten, dass die GEO -Story diesem Gesichtspunkt nicht gerecht werden kann. Mein Eindruck ist natürlich gefärbt, aber die Dokumentation stellt einer Reihe von sachlichen, unabhängigen und begründbaren Aussagen vor, die durch mehrere ca. fünfzehn Minuten dauernde Werbeblöcke mit stark manipulativer Tendenz zu Sachverhalten unterbrochen werden, deren Relevanz gemessen am Thema der Dokumentation als ‚unterirdisch‘ erscheint. Dieser krasse Gegensatz lässt sich m.E. nicht auf einen Nenner bringen. Da prallen zwei fremde Welten auf einander. „Schuster, bleibt bei euren Leisten!“

Nun zu einigen inhaltlichen Überlegungen. Aus verschiedenen Beiträgen im Rahmen der Werbetour von Dirk Steffens und den Feststellungen der Dokumentation lässt sich erkennen, dass Steffens einen ganz wesentlichen Schwerpunkt der erfolgreichen Verarbeitung der sogenannten ‚Klimakrise‘ in der Beherrschung der Frage der Nahrungsmittelproduktion sieht. Sie gilt für ihn als ‚Keyplayer‘ in der Auseinandersetzung über sinnvolle Maßnahmen. Es wäre interessant gewesen, hierzu ein paar mehr Gründe aufzuzeigen, warum ausgerechnet die Nahrungsmittelproduktion so entscheidend ist.

Die Nahrungsmittelproduktion beeinflusst unsere Ernährungsgewohnheiten und diese wiederum auch unsere Gesundheitsvorsorge. Die Klimakrise ist monokausal nicht zu erfassen, weil nicht nur ein Aspekt die Problemstellung löst. Steffens Begründung für seine Vorgehensweise ist leider typisch für unser Verhalten. Multivariable Problemstellungen lassen sich nicht durch einfache Lösungsansätze regeln.

Die von Dirk Steffens vorgebrachten Bildargumente sind nicht neu, aber durch die Bilder gewinnen die oft nur verbalen Vorstellungen an Konkretheit. Aber das Fazit aus den Darstellungen, dass wir dann, wenn wir (die Welt) zehn Prozent weniger Nahrungsmittel wegwerfen, die Welt wieder (ein Stück weit) gerettet sei, ist zu plakativ und vernachlässigt zahllose Restriktionen, die man hätte ansprechen müssen, um der Komplexität der Sachlage gerechter zu werden.

Das große Frage der „Klimakrise“ richtet sich darauf aus, den Punkt zu finden, an dem wir sinnvoller Weise den Anfang des Problem-“Knäuls“ suchen sollen, um die Chance zu einem raschen Lösungserfolg zu nutzen. Dirk Steffens vertritt die Meinung, dass man dort beginnen sollte, wo nach dem ökonomische Prinzip die größten bzw. schnellsten Erfolge zu erzielen sind. Für ihn ist das der Ernährungssektor. Wir haben es aber mit einer hochkomplexen Fragestellung zu tun. Die gewohnte Anwendung des linearen Denkens in der Vorgehensweise könnte dabei Teil des Problems sein.

Wir werden wohl nicht die Herausforderungen nacheinander (sequenziell) angehen können, sondern müssen eine Strategie verwenden, die an vielen Stellen ggfs. aber nur wenig verändert, um durchsetzbar zu sein. Ernährung hängt z.B. eng mit der Gesundheit zusammen, Konzentriert man sich ausschließlich auf die Ernährungsfrage, so könnte übersehen werden, dass Ernährung nicht nur „satt“ machen sollte, sondern je nach Form der „Sättigung“ auch eine erheblichen Einfluss auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden hat.

Die Ausführungen von Dirk Steffens folgen einem alten ökonomisch monokausalen Schema: Der Verbraucher bestimmt angeblich mit seinen Präferenzen wie wir leben, was wir kaufen und wie viel davon, denn der „Kunde ist König“ – was für eine äußerst fragwürdige Aussage in einem System, dass viele Milliarden Euro ins Marketing pumpt, um zu versuchen, die Menschen hinsichtlich ihrer Konsumgewohnheiten effektiv zu manipulieren.

Der Beitrag zeigt eindrücklich, wie viel Nahrungsmittel-Abfall wir produzieren, aber er nennt nicht die möglichen Gründe für diese Abfallmengen: die Gebindeformen, Handelsklassen, Verwertungsvorschriften, EU-Vorschriften zur Optik von Produkten, möglicherweise überzogene Hygienevorschriften, Missverständnisse zum Mindesthaltbarkeitsdatum, und vieles andere mehr. Jede dieser Vorschriften scheint für sich genommen sinnvoll, in Summe jedoch führen sie ins Chaos.

Wenn wir zehn Prozent weniger wegwerfen (wollen oder) sollen, dann müssen wir in der Lage sein, mindestens zehn Prozent weniger einzukaufen. Ein bewusst herbeigeführter Rückgang des Lebensmittelumsatzes von zehn Prozent und das weltweit? Wer sollte ihn veranlassen? Das widerspricht doch den gegenwärtigen Vorstellungen von einem kapitalistischen System! Wo ist denn der Politiker oder die Partei, der/die diese „zehn Prozent weniger“ auf seine/ihre Fahnen schreiben würde? Das ist der Widerspruch in der GEO – Dokumentation. Es mag richtig sein, dass zehn Prozent weniger Abfall in unseren Breiten unsere Ernährungssituation weltweit rein rechnerisch entspannen könnte, Aber dem Gedanken steht doch eine mächtige Lobbypropaganda entgegen: „Was? Zehn Prozent weniger Umsatz? Wir sind auf Wachstum getrimmt! Unsere Aktionäre erwarten vierteljährlich „frohe Botschaften“. Und ein Umsatzrückgang von zehn Prozent kann selbst mit der besten Propaganda nicht als eine positive Entwicklung dargestellt werden.“

Gehen wir noch ein Stück weiter: Wenn in der Welt alle ‚übergewichtigen‘ Menschen zehn Prozent ihrer Kalorienzufuhr (als eine weitere Umsatzeinbuße) reduzieren würden, hätte das vermutlich einen vergleichbaren Effekt. Zusätzlich würden aber unsere Gesundheitskosten dramatisch sinken. Man könnte also den Lobbyisten der Umsatzfetischisten entgegenhalten, dass mit der Reduktion von zehn Prozent Umsatz gesellschaftlich eine enorme Kostenreduktion einhergehen könnte, so dass wir im Saldo möglicherweise besser dastünden als zuvor.

Das ist leider eine Milchmädchenrechnung, weil die Träger des Einzelhandelsumsatzes und die Träger der Gesundheitskosten unterschiedlichen Sektoren zugerechnet werden und wir nicht gewohnt sind, eine Kosten-Nutzen-Rechnung auf gesellschaftlicher Ebene durchzuführen. Lieber lassen wir die ‚Retailer‘ extra Geld verdienen und lassen unsere Gesundheitskosten explodieren. Wir, die Steuerzahler, können uns das scheinbar noch leisten.

Dieses zugegeben überzogene Beispiel ist aber symptomatisch für die Bemühungen zur Bewältigung der „Klimakrise“. Unsere übliche monokausale Vorgehensweise nach der Devise eine Ursache löst eine Wirkung aus, fällt bei der Klimakrise durch – dort kann durchaus gelten, dass eine Ursache zahlreiche Wirkungen in den unterschiedlichsten Sektoren unseres Lebens auslöst. Dann ist aber ein Lösungsansatz auf einer monokausalen Basis wenig erfolgversprechend, weil der Komplexität des Vorgangs nicht ausreichend Beachtung geschenkt wird.

Das Leben ist immer ein Ganzes. Wir neigen dazu, das Leben in von einander scheinbar unabhängige Sektoren aufzugliedern, was nicht der Wirklichkeit entspricht. Andere Philosophien verneinen die Möglichkeit, uns und unsere Existenz in Teile zu zergliedern. Wir glauben unser Leben z.B. in Arbeitszeit und Freizeit unterscheiden zu können. Wir tun so, als ob unser Verhalten im Arbeitsmodus ein anderes sein kann und soll, als wir es in der Freizeit leben. Ist das Realität oder bilden wir uns das nur ein, weil wir hier Gewohnheiten herausgearbeitet haben, die möglicherweise systemisch anderen Zielen dienen sollen?

Nun zurück zu Steffens’ GEO-Story: Bei seinen Auftritten wird gerne betont, dass er Kompliziertes oder Komplexes einfach erklären kann. Diese Fähigkeit hat nicht jeder und ich möchte sie ihm auch nicht absprechen. Aber jede einfache Erklärung muss die Komplexität reduzieren und die ‚Klimakrise‘ lässt sich nur schwer mit einfachen Mitteln erklären, die meist aus der veralteten Newton’schen Mechanik stammen. Aber vielleicht hilft es, wenigstens Teile des Klimaprozesses so zu erklären, dass es in das Allgemeinwissen der Bevölkerung Eingang findet, weil das verbreitete Verständnis von Prozessen meist noch aus sehr alten Tagen stammt. Komplexität, Systemdenken oder Denken in Funktionalität und multivariable Ansätze sind selbst in akademisch gebildeten
Kreisen noch keine Selbstverständlichkeit. Also können wir nur hoffen, dass der GEO – Beitrag nützt und ein gewisses Maß an Verständnis weckt.

» weniger zeigen

Die Kunst der Fairness

Ausgangspunkt der nachfolgenden Überlegungen ist das englische Buch aus 2020 mit dem Titel: „The Art of Fairness. The Power of Decency in a World Turned Mean1“ Der Titel lässt sich etwa wie folgt übersetzen: „Die Kunst der Fairness. Die Kraft des Anstands in einer armseligen (oder gemein gewordenen) Welt“.

» weiterlesen


Das ist ein vielversprechender Titel und die Erwartungen sind entsprechend hoch, weil u.a. das Wort „Anstand“ in der deutschen Sprache aus einer Welt zu stammen scheint, von der wir meinen, sie schon lange hinter uns gelassen zu haben.

Wer nun glaubt, eine Analyse der Zusammenhänge vorzufinden, wird enttäuscht. Der Autor präsentiert eine Reihe von Fallstudien über Personen, die nach Auffassung des Autors in schwierigen Situationen Fairness bzw. Anstand oder Haltung zeigten bzw. so etwas wie Anstand verwirklicht haben. Nach jeder oft spannenden Beschreibung einer Fallstudie werden ein paar Sätze verwendet, um kurz, aber m.E. unzureichend zu kommentieren2.

Ich sehe mich nicht im Stande, die erwartete Analyse zu liefern. Aber ein paar Gedanken dazu wären vielleicht zulässig und hilfreich. In dem Titel des Buches stecken mindestens drei Gesichtspunkte, zu denen ich ein paar grundsätzliche Ausführungen erwartet hätte:

  • Welches Konzept von Fairness ist hier gemeint? Wenn von ‚Kunst‘ die Rede ist, geht es weniger um eine Theorie, sondern um die Umsetzung eines Konzeptes.
  • Was ist Anstand? Warum wirkt der Begriff im deutschen Sprachgebrauch so aus der Zeit gefallen?
  • Und letztlich geht es um die Frage nach dem Grund für die Wahrnehmung einer ‚armseligen‘ (oder gar ‚bösen“) Welt, wobei (indirekt) der Eindruck vermittelt wird, sie sei früher besser gewesen?

Es ist nicht auszuschließen, dass der Verlag bei der Titelvergabe ein Wort mitgesprochen hat, um eine schlichte Ausarbeitung marktfähiger (= reißerischer) zu machen. Anhand der von mir formulierten Erwartungen aufgrund des Titels halte ich diese Auffassung für nicht ganz abwegig.

Es beginnt schon damit, dass ‚Fairness‘ und ‚Decency‘ in ihrer Bedeutung eine gemeinsame Schnittmenge haben. Dabei kommt Fairness als Synonym für Anständigkeit, Zuverlässigkeit aus dem Umfeld der Gerechtigkeit und Decency, verstanden als Anstand, Schicklichkeit, Ehrbarkeit aus dem Bereich des sozialen Umgangs. Decency erscheint mir dabei der ältere Begriff zu sein und er korrespondiert mit dem deutschen Wort ‚dezent‘ als Synonym für unaufdringlich, zurückhaltend, schicklich.

Der Sozialphilosoph John Rawls hat seine Sicht auf die Gerechtigkeit gegen Ende des letzten Jahrhunderts auf einem Begriff der Fairness aufgebaut. Er versucht dabei die Gerechtigkeit, die traditionell auf einer metaphysischen Grundlage aufbaut, durch einen politischen Ansatz zu ergänzen und nutzt hierfür den Begriff der Fairness.

Ein Beitrag im Internet fasst einen uralten Grundsatz als Ausdruck von Fairness wie folgt zusammen:

„Verhalte Dich zu anderen und Dir selbst gegenüber so, wie Du willst, dass Andere mit Dir umgehen, wenn Du auf das Wohlwollen anderer angewiesen bist!“
Die Aussage, insbesondere des letzten Halbsatzes erscheint mir kritisch – Fairness sollte m.E. zweckfrei sein, sonst wirkt die Aussage sehr utilitaristisch – warum muss Fairness mit einem Nutzen verbunden werden?!

Fairness wird auch mit Anständigkeit und Zuverlässigkeit in Verbindung gebracht. In der Wirtschaft wird der Begriff „true and fair“ verwendet, um eine zuverlässige Aussage zu beschreiben. Der ältere Begriff der ‚Decency‘ wird eher mit Anstand und Ehrbarkeit in Verbindung gebracht. Die Diskrepanz wird vielleicht deutlich, wenn man darauf hinweist, dass es noch in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Deutschland ein dickes Standardwerk mit dem Titel „Der ehrbare Kaufmann“ gab, das als sogenannter Bestseller weit verbreitet war. Heute verbinden wir Management i.d.R. nicht mehr mit Ehrbarkeit, eher mit „Cleverness“ und mit dem alles dominierenden Rentabilitätsanspruch.

Damit wird auch verständlicher, warum im Titel die Fairness als „Eyecatcher“ auftaucht und der Begriff von Anstand und Ehrbarkeit (Decency) in der Folge mit dem Begriff einer ins Negative gedrehten Welt in Verbindung gebracht wird. Der Autor will damit vielleicht zum Ausdruck bringen, dass wir als Gesellschaft etwas Wesentliches verloren haben: unsere Ehrbarkeit!

Und das klingt wie aus der Zeit gefallen – der Thymos, eine Haltung der alten Griechen, kannte diese ihnen wesentliche Eigenschaft als Ehre und Stolz, die nicht nur Vorteile aufzuweisen hat. Wir haben uns vom oft engen Thymos Schritt für Schritt befreit, weil die Zeiten sich verändert haben. Aber, so scheint es mir, wir haben als Gesellschaft keinen angemessenen Ersatz gefunden.

Mit der Aufgabe der Ehrbarkeit als verbindendem Moment haben wir gezielt jeden moralischen Anspruch an das Management aufgegeben. Viele Wirtschaftswissenschaftler haben sich insbesondere in den 1970er Jahren gerühmt, wertfreie Wissenschaft zu betreiben. Wirtschaftswissenschaft sei wie die Naturgesetze frei von moralischer Wertung. Je mehr wir über den Klimawandel erfahren, desto klarer wird es, dass diese Haltung eine verhängnisvolle Täuschung darstellt.

Wir können viele unserer Herausforderungen deshalb nicht angemessen wahrnehmen, weil wir über keinen allgemein akzeptierten moralischen Anspruch verfügen, eher glaubt jeder, dass er eine ‚Insel der Freiheit‘ darstellt und damit scheitern oft gemeinsame Aktionen an den Egoismen und Narzissmen der Beteiligten. Der alte Grundsatz der Mäßigung, den die Griechen uns vor zweieinhalb tausend Jahren ans Herz gelegt haben und den die Theologie über das Mittelalter weiterführte, ist heute nicht mehr darstellbar – Mäßigung wird immer unter der Perspektive eines Verzichtes gesehen und Verzicht wird als Einschränkung verstanden statt in dem Verzicht auch eine große Befreiung3 erkennen zu können.

Die Ideologisierung des Konsums als wesentliches Treibmittel unseres Wirtschaftssystems hat dazu geführt, dass wir jedes menschliche Maß verloren haben. Mäßigung ist eine Frage der persönlichen Charakterbildung. Sie hat etwas zu tun mit unserer Einstellung zum Leben und steht im Gegensatz zum „Schneller, Weiter und Höher“ unseres Wirtschaftssystems. Das Wirtschaftssystem schießt deshalb aus allen Rohren gegen die Breitenwirkung dieser persönlichen Charakterbildung mit der schlichten Begründung, dass diese Haltung in erster Linie den Profit der Unternehmen reduzieren und als Folge das Wirtschaftssystem in Frage stellen könnte.

Die EU plant nun Werbe-Aussagen zukünftig nur dann zuzulassen, wenn deren Aussagen durch angemessene Studien belegt werden können. Mit anderen Worten, die EU will den heute ‚legalen Betrug4‘ durch gefakte Informationen (radikal) eindämmen. Hier käme eine moralische Kategorie der Wahrhaftigkeit zum Tragen, die wir schon vor Jahrzehnten auf dem Altar der Ökonomie geopfert haben. Aber achten Sie auf die Reaktion der Unternehmen! Abgesehen, dass die Werbe- und Marketingindustrie absehbar in Schwierigkeiten kommen könnte, bekämpft die Wirtschaft dieses Vorhaben verdeckt (es soll ja keiner merken) mit allen ihr verfügbaren Mitteln. Das ist in höchstem Maße unfair, es ist also nach allem, was wir bisher entwickelt haben, unanständig! In Grenzen ist das Verhalten vielleicht nachvollziehbar, aber kann es sein, dass große Teile unseres Wirtschaftssystem von der ‚Lüge‘ lebt? Die EU ist nun aufgewacht und hat deutlich zum Ausdruck gebracht, dass es so nicht weitergehen kann. Die Reaktion der Wirtschaft zeigt deutlich, dass sie sich bewusst ist, dass offensichtlich wesentliche Teile ihres Umsatzes auf vorsätzlich gefälschten Informationen beruhen, anders kann man sich die Aufregung, die das EU-Vorhaben auslöst, nicht erklären.
………………………………………………………………………………………………………………

1Bodanis, David, The Art of Fairness, The Power of Decency in a World Turned Mean, Great Britain, 2020

2Erst am Ende des Buches unter „Reading and Reflections“ gibt der Autor Hinweise auf weiterführende Literatur.

3Vgl. Niko Paech, Befreiung vom Überfluss, München 2012 oder Manfred Folkers, Niko Paech, All you need is less, München 2020

4John Kenneth Galbraith, Die Ökonomie des unschuldigen Betrugs, Vom Realitätsverlust der heutigen Wirtschaft, München, 2005

» weniger zeigen

Noch eine Perspektive (III)

Die Tatsache, dass wir uns in einem Umbruch von Gesellschaft und Wirtschaft verfangen haben, sollte den meisten Menschen klar geworden sein. Wie wir das Problem lösen sollen oder wollen, ist angesichts der Komplexität der Zusammenhänge unklar.

» weiterlesen


Der untauglichste Lösungsweg erscheint mir jener, die Maßnahmen weiter zu verstärken, die uns die Probleme geschaffen haben, in der Erwartung, dass diese Haltung eine Lösungsalternative böte.

Wir können die Gegenwart nicht verändern, aber wir können unsere Perspektiven verändern, wie wir mit dieser Realität umgehen wollen, um neue oder andere Lösungswege zu finden, die wir dann umzusetzen können.

Der thailändische Wirtschaftsfachmann P. A. Payutto hat 1998 auf einem Weltkongress folgende zusammenfassenden Ausführungen gemacht (eigene Übersetzung):

„Im Großen und Ganzen beruhen die Überzeugungen, die die moderne menschliche Zivilisation beherrscht haben, auf drei Wahrnehmungen:

1. Die Auffassung, dass der Mensch von der Natur getrennt ist und (der Mensch) die Natur nach seinen Wünschen kontrollieren, erobern oder manipulieren muss.

2. die Auffassung, dass die Mitmenschen keine „Mitmenschen“ sind; diese Auffassung konzentriert sich auf die Unterschiede zwischen den Menschen und nicht auf ihre Gemeinsamkeiten.

3. Die Auffassung, dass Glück nur durch Überfluss an materiellem Besitz gefunden werden kann.

Die erste Erkenntnis ist eine Haltung gegenüber der Natur, die zweite eine Haltung gegenüber den Mitmenschen und die dritte ein Verständnis über die Zielsetzung des Lebens1.“

Deutlich geht daraus hervor, dass die Probleme nach seiner Ansicht nicht aus der „ökonomischen Technik“ stammen, sondern sich ihre Herkunft aus Werten ableiten, die wir gemeinhin in der Ökonomie als nicht existent betrachten, weil in den Augen vieler Ökonomen die „Technik“ wertfrei sei. Das stimmt leider nicht.

Wir bewegen uns auf der Ebene der Motive, die unser Handeln bestimmen und über die wir uns regelmäßig keine Gedanken mehr machen. Wir handeln i.d.R. aus der Gewohnheit heraus. Wenn wir aber aus einer als Sackgasse erkannten Situation herauskommen wollen, müssen wir gerade diese Gewohnheiten hinterfragen. Wir müssen die (kognitiven) Motive unseres Handelns in Frage stellen.

Wenn wir in unseren westlichen Breiten bleiben wollen, so hat sich u.a. Christian Kreiß jüngst auf die Suche nach dem ‚Mephisto‘ in der Wirtschaft gemacht2. Er macht sieben ‚Axiome‘ in den Wirtschaftswissenschaften3 aus, die deutlich machen, wie stark ethische Gesichtspunkte durch die Ökonomie berührt werden. Da er die aktuellen ethischen Verhaltensweisen in der Wirtschaft eher negativ sieht, spricht er vom Mephisto-Prinzip. Dabei ist Mephisto die Verkörperung einer Idee des „Bösen“. „ Deshalb ist der allererste und wichtigste Ansatz von Mephisto, die Theorien, das Denken auf eine unheilvolle Bahn zu lenken. Angewendet auf unser Wirtschaftsleben heißt das, es müssen möglichst falsche und schädliche Grundannahmen oder Axiome eingeführt werden, die aber auf den ersten Blick plausibel, gut und vernünftig erscheinen.“4

J. W. Goethe legt dem Mephisto einen Satz in den Mund, der die Haltung des Mephisto beschreibt: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Er macht diese oft zitierte Aussage gegenüber Faust, um sein Handeln auf den Punkt zu bringen, aber ohne sich der Mühe zu unterziehen, diesen Widerspruch zu begründen. Wie schafft man das „Wunder“, das „Böse“ zu betreiben und das „Gute“ zu schaffen?. An anderer Stelle wird Mephisto deutlicher: „So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element.“

Nun fragt man sich, was diese „alten“, aber grandios formulierten Sprüche der Literatur mit der modernen Ökonomie zu tun haben könnten? Adam Smith, der Vater der modernen Ökonomie, gibt dafür ein nahezu einmaliges Beispiel: Er beschreibt die „unsichtbare Hand“ der Ökonomie in der Weise, dass die Marktteilnehmer alle hochgradig egoistisch handeln sollen, um dadurch – so Smith – zum Wohle aller (nicht nur der Marktteilnehmer) zu wirken. Wie das konkret geschehen soll, bleibt das Geheimnis des Adam Smith. Ich hoffe, der Leser kann die Parallelität zu Mephistos Aussagen erkennen.5 Hier geschehen säkulare „Wunder“, die wir nur glauben dürfen, aber bitte nicht hinterfragen. Und das besondere bei diesen säkularen Wundern ist, dass sie das möglicherweise schlechte Gewissen des Ökonomen bei ihrer wenig gesellschaftsfähigen Werthaltung massiv entlasten: Je mehr Egoismus zur Anwendung kommt, desto mehr Gemeinwohl entsteht! Toll – das ist wie die wundersame Brotvermehrung, allein mir fehlt der Glaube!!

Kreiß führt weiter aus6: Mephisto erreicht „seine Ziele am besten, wenn er unehrlich, lügnerisch vorgeht, wenn zunächst einmal die Begriffe verwirrt werden, um uns Menschen den Kompass zu nehmen. (…) Wie wir heute denken, so wird in einer oder mehreren Generationen die Welt aussehen.“

Ich darf in Erinnerung bringen, dass die Mehrzahl der Verhaltensweisen, die wir heute im Rahmen der Ökonomie anwenden, schon zu Zeiten der alten Griechen als nicht gesellschaftsfähig verpönt waren. Die christliche Kirche hat während ihrer unumschränkten Herrschaft im Mittelalter diese verpönten Verhaltensweisen im Rahmen der sieben Todsünden7 als Verhaltensschranken aufgegriffen, indem diese „Sünden“ angeblich den Weg zum ewigen Heil als Ziel der Religion versperrten. Und dann setzt sich die Idee der Aufklärung mit der Folge durch, dass die Macht der Kirche berechtigt in Frage gestellt wird, aber die führenden Köpfe der damaligen Zeit übersahen, für das tägliche Leben, den Verhaltenskodex der Kirche durch vergleichbare, aber säkulare Regeln zu ersetzen. Dieses Vakuum schuf möglicherweise Platz für die ökonomische Sichtweise. Das Verhalten wurde Schritt für Schritt egoistisch am persönlichen Nutzen orientiert, weil der religiöse Druck der Vergangenheit sich auflöste und sich keine vergleichbaren säkularen Normen durchsetzen ließen.

Ein Großteil der Bevölkerung folgte jedoch unverändert den „alten“ (religiös motivierten) Verhaltensregeln. Wir können diese Entwicklung daran erkennen, dass z.B. der Begriff des „ehrbaren Kaufmanns8“ erst in den Nachkriegsjahren zum ersten Weltkrieg aus der „Mode“ kam. Der ehrbare Kaufmann verband ein Nützlichkeitsdenken mit dem, was man damals noch mit Thymos (Stolz, Ehre) verband.

Wir, die westlichen Vertreter der Menschheit, vertreten insbesondere auf Konferenzen hohe ethische Ziele und müssen leider oft feststellen, dass unser tägliches Handeln nicht durch diesen hohen ethischen Anspruch geprägt ist; in der Praxis lassen wir uns gewissermaßen durch deutlich banalere Prinzipien leiten, die im Wesentlichen einem reduzierten Utilitarismus des ökonomischen Systems entnommen sind. Kreiß macht zu den identifizierten Axiomen detaillierte Ausführungen9, die ich hier aus Platzgründen nicht wiederholen kann. Sie erscheinen mir umfassend und beachtenswert.

Wir betrachten die Ökonomie regelmäßig aus einer „technischen“ Perspektive, vergleichen die Ökonomie mit einer komplexen Maschine, die wir für unsere Zwecke verwenden. Ob der Nutzen und seine Folgen ethisch vertretbar sind, wird nur in ganz krassen Fällen als ein Einwand akzeptiert. Es ist einfacher, ein Projekt wegen mangelnder „Nützlichkeit“ in Frage zustellen denn aus ethischen Erwägungen.

Man kann zu dem Schluss kommen, dass das Individuum als solches in dem Getriebe der Ökonomie-‚Maschine‘ nur eine dienende Rolle spielt. Statt des komplizierten menschlichen Handelns wurden in der ‚Maschine‘ Rollen oder Stereotypen definiert, deren Handlungsweisen weitgehend vorstrukturiert und auf die Mehrung von Geld im Rahmen kurzfristige Rentabilität programmiert sind. Das ganze System oder die Institution der Ökonomie laufen über dieses stellvertretende Rollen- und/oder Stereotypenverständnis. Die an dem System beteiligten Menschen übernehmen temporär die fixierten Rollen und geben dem System eine menschliche Erscheinung, ohne aber wirklich menschliches Verhalten oder humane Werte zur Geltung bringen zu können. Wer sich dem Rollenverständnis verweigert, hat ein massives Problem.

Die Rollen sind viel zu dominant auf das alleinige Nutzenkalkül fixiert. Und Abweichungen werden sanktioniert. Und nur wenige Menschen haben das Glück, in dem System eine Rolle zu finden, die sie aus innerer Überzeugung und mit einem Gefühl der Zufriedenheit ausfüllen können. Deshalb verstehen wir Arbeit in unserem System primär auch als eine Last, die durch ein Einkommen kompensiert werden muss.

Wir glauben immer noch, dass Technik wertfrei sei. Sie treibt uns in Abhängigkeiten, die wir auf den ersten Blick gar nicht wahrnehmen. Da uns die Technik u.a. auch ein angenehmes Leben verspricht, kommt zum intellektuellen Anspruch auch noch die Bequemlichkeit. Ist die intellektuellen Verarbeitung schon schwierig, wird sie durch die Bequemlichkeit zusätzlich belastet. Günter Anders hat diese Technikkritik ausgearbeitet und Ivan Illich hat deutlich gemacht, wie ideologielastig Technik sein kann und wie schwer es ist, diese Abhängigkeit zu erkennen und auch zu durchbrechen. (vgl. mein Beitrag vom 31.8.2023: Noch ein Aspekt eines Perspektivwechsels)
………………………………………………………….

1Payutto, P. A., Buddhist Solutions for the twenty-first century, Bangkok, 1998, p. 66

2Kreiß, Christian, Das Mephisto-Prinzip in der Wirtschaft, Hamburg 2019

3Unversättlichkeit, Zinseszins, Eigentum, Gewinnmaximierung, homo oeconomicus, Konkurrenz, das Märchen von der unsichtbare Hand (vgl. Kreiß, aa.O., 2019, S. 13ff.)

4Kreiß, Ch. , a.a.O., S. 13

5Als Adam Smith (1723-1790) sein Werk schrieb, war Goethe vermutlich zehn Jahre alt.

6Kreiß, Ch., S. 13

7Zu Erinnerung: Überheblichkeit, Habgier, Ausschweifung, Zorn, Maßlosigkeit, Neid, Nachlässigkeit.

8Noch in den 1920er Jahren gab es noch ein dickes Handbuch mit dem Titel: Der ehrbare Kaufmann.

9Kreiß, Ch. a.a.O, S. 14 ff und S. 38 ff.

» weniger zeigen


Noch ein Aspekt eines Perspektivwechsels

Unser Vorstellungen über die Entwicklung von Wirtschaftssystemen folgen einer scheinbar einfachen Linie. Wir meinen, es beginnt alles mit einer Subsistenzwirtschaft (jeder macht alles). Besonders talentierte Subsistenzler waren auf unterschiedlichen Gebieten technisch versierter als andere. Kooperation führte dazu, dass man gemeinsam größere Projekte (Hausbau, Rodungen, Anbau von Pflanzen, Erfahrungsaustausch) in Angriff nahm. Kooperation erfolgte unentgeltlich und auf Gegenseitigkeit.

» weiterlesen

Die besonderen Fähigkeiten – so wird angenommen – differenzierten die Gesellschaft schrittweise mit dem Ergebnis, dass über einen langen Zeitraum sich schwerpunktmäßig eine Handwerks- und Landwirtschaftsstruktur entwickelte. Diese Struktur war immer noch in der Fläche zu einem großen Anteil auf Subsistenz gegründet. Üblicherweise wird dann unterstellt, dass Tauschwirtschaft betrieben wurde, weil wir uns nur schwer vorstellen können, dass Subsistenzler keinen Überschuss erwirtschaftet haben, um damit regional Tauschgeschäfte zu betreiben. Wir denken dabei an die Thünen’schen Kreise. Geld spielt zu dieser Zeit noch keine Rolle.

Es bildeten sich Agglomerationen (Dörfer, kleine Städte), vielfach als Schutz- und Trutz-Gemeinschaften. Wir müssen uns aber auch klarmachen, dass wir von einer Bevölkerungsdichte ausgehen können, die jederzeit Raum bot, sich aus der einen bestehenden Gemeinschaft zurückzuziehen und fortzuziehen, um ‚Pionier‘ in der Erschließung neuer Regionen zu werden. Das Land stand anfänglich jedem offen, solange man nicht in Leibeigenschaft (durch Schuld- oder Lehensverhältnisse) abhängig und gebunden war.

Auf diesem alten Bild – so mein Eindruck – fußt die ökonomische Erzählung (das Narrativ) der Ökonomie. Und das lernen wir alle, indem uns vermittelt wird, dass der ‚Bedarf‘ im Sinne einer notwendiger Versorgung die jeweilige Produktion auslöst. Das ist die klassische Wahrnehmung von einer einfachen nachfrageorientierten Wirtschaft. Hier entstand vermutlich auch die Formulierung, „der Kunde sei König“ und nach dieser uralt Erzählung wird der Kunde heute noch dafür verantwortlich gemacht, was und wie mit welchen Nebenwirkungen produziert wird. Der Produzent gilt dabei nur als abhängiger, willfähriger ‚Erfüllungsgehilfe‘ von Kundenwünschen.

Aber das Bild, das mit dieser Erzählung vermittelt wird, stimmt schon lange nicht mehr. Mit der Entwicklung der Technologie in Kombination mit dem Kapitalismus haben sich schrittweise Skaleneffekte durch Massenproduktion und zunehmender Automation erzielen lassen. Der Auslöser von Produktion ist schon lange nicht mehr der Kunde, der etwas ‚braucht‘, sondern es ist die Notwendigkeit des Produzenten ‚Durchsatz‘ (Konsumption) für seine Produktionsmittel zu schaffen und zu sichern, um die angestrebten Skaleneffekte auch sinnvoll nutzen zu können.

Seit dieser Entwicklung gibt es keine nennenswerte nachfrageorientierte Wirtschaft mehr, weil die Struktur des Systems durch die angewandte Technologie komplett verändert wurde. Wir haben es jetzt mit einer angebotsorientierten Wirtschaftsweise zu tun und wie die funktioniert, hat Günther Anders1 in den 1980er Jahren in einem kurzen bissigen Essay durchleuchtet:

Der Mechanismus unseres Industriekosmos besteht nun aus der (durch Produkte, und zwar Produktionsmittel, bewerkstelligten) Herstellung von Produkten, die ihrerseits als Produktionsmittel auf die Herstellung von Produkten abzielen, die ihrerseits …u.s.f. – bis eine jeweils letzte Maschine Finalprodukte auswirft, die keine Produktionsmittel mehr sind, sondern Konsummittel, d.h. solche , die durch ihr Gebrauchtwerden verbraucht werden wollen, wie Brote oder Granaten.Nur am Anfang dieser Produktionsketten (als Erfinder oder Handwerker) und an deren Ende (als Verbraucher) stehen Menschen. Aber selbst von diesen Finalprodukten zu behaupten, dass sie ausschließlich Produkte, keine Produktionsmittel seien, ist unerlaubt. Denn auch diese letzten sollen ja – die Iteration kennt keine Unterbrechung – durch ihr Verbrauchtwerden wiederum etwas produzieren: nämlich Situationen, in denen eine, wiederum maschinelle Erzeugung weiterer Produkte erforderlich wird. In solchen Fällen sind es nicht eigentlich die Produkte selbst, die als Produktionsmittel figurieren, sondern unsere Konsumakte – eine wahrhaft beschämende Tatsache, da sich nun ja unsere, der Menschen, Rolle darauf beschränkt, durch den Produktekonsum (für den wir überdies noch bezahlen müssen) dafür zu sorgen, dass die Produktion in Gang bleibe.

Nicht: „Unser täglich Brot gib uns heute“, heißt es in einem mollussichen Aphorismus, würden wir, wenn wir ehrlich wären, heute beten, sondern: „Unseren täglichen Hunger gib uns heute“ – damit die Brotfabrikation täglich gesichert bleibe. Sofern das heute fällige Gebet überhaupt noch aus unserem menschlichen Munde kommt, da es ja eigentlich die Produkte sind, die beten. Nämlich: Unsere täglichen Esser gib uns heute.“

In der Tat trifft dieser molussische Aphorismus auf 99% aller Produkte durchaus zu. Denn die meisten Produkte – selbst kaum artifiziell zu nennende, wie Butter, die sich zu Butterbergen auftürmt und ihre Bekömmlichkeit beteuert – hungern nach Konsumiertwerden, da sie nicht ohne weiteres mit einem ihnen entgegenkommenden menschlichen Hunger rechnen können oder dürfen. Damit sie auf ihre Rechnung kommen, das heißt: damit die Produktion im Gang bleibe, muss ein weiteres Produkt (eines zweiten Grades) erzeugt und zwischen Produkt und Mensch gezwängt werden, und dieses Produkt heißt „Bedarf“. Aus unserer Perspektive formuliert: Um Produkte konsumieren zu können, habe wir es nötig, diese zu benötigen. Da uns aber dieses Benötigen nicht (wie Hunger) in den Schoß fällt, müssen wir es produzieren, und zwar mittels einer eigenen Industrie, mittels eigener zu diesem Zwecke maschinell produzierter Produktionsmittel, die nun Produkte dritten Grades sind. Diese Industrie, die den Hunger der Waren nach Konsumiertwerden und unseren Hunger nach diesen auf gleich bringen soll, heißt „Werbung“. Man produziert also Werbemittel, um das Bedürfnis nach Produkten, die unser bedürfen, zu produzieren; damit wir, diese Produkte liquidierend, den Weitergang der Produktion dieser Produkte zu gewährleisten.

Die Darstellung von Günther Anders unterstellt niemandem Böswilligkeit oder falsch verstandene Gier. Das Vorgehen ist technologie- und effizienzbezogen durchaus rational und auch nachvollziehbar. Deshalb ist dieser Zusammenhang so schwer zu durchschauen und es ist noch schwerer, hierfür eine Maßnahme zur Veränderung auszulösen, der diesen „rationalen Irrsinn“ aufhebt ohne das System zu zerstören.

Dabei verstehen wir uns als unabhängige Menschen und dienen dabei einem „System“ ohne den Sinn zu hinterfragen, weil das System aus sich heraus eine technische Rationalität entwickelt, der wir blind und kritiklos wie die Lemminge folgen und dabei unsere viel und oft beschworene Freiheit ohne Widerspruch aufgeben.
……………………………………………………………………

1 Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, 1980, S. 15 f.

» weniger zeigen

Ist ein wirtschaftlicher Perspektivwechsel denkbar?

Wir praktizieren kaum 250 Jahre Kapitalismus und müssen feststellen, dass dieses ‚System‘ (schon) an seine buchstäblichen Grenzen stößt. Manche suchen ihr Heil darin, dass sie die Erkenntnis über die Grenzen verdrängen, oder indem sie auf eine Geschichte der besseren Tage zurückblicken, die es nie gab. Wir werden den Kapitalismus in seiner Grundstruktur nicht los und es ist m.E. müßig, sich mit der Veränderung einzelner Institutionen zu befassen, solange sich die treibende Grundlage nicht ändert. In einem anderen Zusammenhang würde man sagen, „der Fisch stinkt vom Kopf her“.

» weiterlesen

Ausgangspunkt bzw. Motivation für wirtschaftlichen Handels ist immer eine Form von Ethik. Dabei dürfen wir uns nicht bei der philosophisch ausformulierten Ethik aufhalten, sondern müssen uns jenen ethischen Fragen zuwenden, die unser tägliches Handeln leiten, sei es wirtschaftlicher oder privater Natur. Diese Gebrauchs-Ethik ist ein krauses Gemisch von kulturellen Werten, die über die Jahrhunderte nur wenig Veränderung erfahren.

Aus der Sicht der Wirtschaftswissenschaften können die oben gemachte Aussagen nicht die Grundlage des wirtschaftliche Handelns treffen. Die wirtschaftliche Theorie geht heute immer noch davon aus, dass Wirtschaftsaktivitäten ähnlich wie manche naturwissenschaftlichen Vorgänge „wertfrei“ betrachtet werden können. Diese Frage hat die Wirtschaftswissenschaften jahrzehntelang beschäftigt und die orthodoxen Vertreter dieser Auffassung glauben m.E. auch heute noch daran.

Diese Vorstellungen auflösen zu wollen, ist argumentativ schwierig und wenig erfolgversprechend. Wir bewegen uns außerhalb einer empirischen Grundlage und befinden uns in einem intellektuellen Raum, in dem auch religiöse Momente durchaus wirksam werden können. Aus meiner Sicht ist der einfachere Weg, sich konkret zu fragen, wie andere Kulturen oder Denkweisen mit der Frage nach der Motivation zum wirtschaftlichen Handeln umgehen und wie deren Vorgehensweise mit der von uns praktizierten zu vergleichen wäre.

Um einen Vergleich ziehen zu können, wäre es hilfreich, zu versuchen, die Ethik des von uns praktizierten Kapitalismus im Kern kurz zu umreißen: Im Zentrum der wirtschaftswissenschaftlichen Vorstellung des handelnden Menschen steht das Modell des homo oeconomicus. Das Modell soll die Motivation und das Verhalten des Menschen in einer Wirtschaftsumgebung beschreiben bzw. letztlich auch normativ formen, um auf diese Weise sicherzustellen, dass Modell und Mensch so funktionieren, wie es sich die Wirtschaftswissenschaft vorstellt. Es gibt zudem massive Bestrebungen, diese reduzierte Ethik auch auf das gesellschaftliche Zusammenleben zu übertragen.

„Ausgangspunkt des Homo-Oeconomicus-Modells2 ist das einzelne Individuum und dessen Entscheidungen, auf die letztlich alle Marktergebnisse, oder allgemeiner, alle gesellschaftlichen Phänomene zurückgeführt werden können (methodischer Individualismus). Die eigennutzorientierten Individuen versuchen, ihre Ziele mit Hilfe der ihnen zur Verfügung stehenden Mittel bestmöglich zu erreichen; Interessen anderer finden dabei keine Berücksichtigung.1

Es wird unterstellt, dass das wirtschaftende Individuum ethisch ausschließlich nutzenorientiert agiert. Eine andere Handlungsmotivation lässt das Modell nicht zu. Und die Frage, ob das Handeln im Rahmen des Modells auch einer Verantwortlichkeit gegenüber Dritten folgt, wird als irrelevant betrachtet. Der Handelnde ist ausschließlich auf sich selbst zentriert.

Man kann das Verhalten statt als methodischen Individualismus auch als schlicht egoistisch bezeichnen. Das Modell des homo oeconomicus legt demnach ein im Prinzip verantwortungsloses Handeln nahe, auch dann, wenn es die geltenden Gesetze als Restriktionen versteht. Es ist ein Freibrief nach dem Motto: ‚erlaubt ist, was nicht ausdrücklich verboten ist‘. Ziel des Verhaltens ist die Idee der Nutzenmaximierung. Da der Nutzen nicht gemessen werden kann, wird er bevorzugt in Geld ausgedrückt und damit ist Nutzenmaximierung i.a.R. mit Gewinnmaximierung gleichzusetzen. Andere Motive oder Zwecke lässt das Modell nicht zu.

Diese Sichtweise auf das Handeln ist auch in der Philosophie umstritten: Nützlichkeit versus Sittlichkeit. Nützlichkeit kennt im Gegensatz zur breiter gefächerten Sittlichkeit kaum moralisch-ethischen Grenzen des Handelns und damit fehlt diesem Ansatz auch jedes Verständnis für verantwortliches Handeln.

Ich möchte vermeiden, diese Handlungsweisen als Anwendung des Utilitarismus zu identifizieren, weil wir hier nicht philosophieren, sondern ganz konkrete Entscheidungen unter Akteuren diskutieren, denen in den meisten Fällen der Begriff des Utilitarismus und seine Konsequenzen fremd sind.

Das beschriebene Verhaltensmuster ist so einseitig, dass es m. E. an der Wirklichkeit vorbeiläuft. Aber es ist ein normativer Konstrukt, der das Verhalten der Menschen beeinflusst; je mehr Menschen die egoistische Verhaltensnormen für das Verständnis ihres Handeln künftig anwenden und sie zu ihrem Leitmotiv erklären, desto mehr gewinnt der Egoismus und das, was wir als Individualismus in der Ausprägung der gezielten Vereinzelung beschreiben, die Oberhand. Ein französischer Philosoph hat für diese merkwürdige Form des Individualismus den Begriff des „Massenindividualismus“ geprägt, der den logischen Widerspruch dieser Auffassung klar zum Ausdruck bringt.

Margret Thatcher brachte diese letztendlich neoliberale Haltung sinngemäß auf den Punkt: „Ich kenne keine Gesellschaft, nur Individuen.“ Aber im wirklichen Leben legen wir m.E. großen Wert auf „Gesellschaft“ und „Gemeinschaft“. Thatchers Verständnis von wirtschaftlichem Handeln setzt unweigerlich „Wettbewerb“ unter den Individuen voraus. Dabei wird übersehen, dass „Kooperation“ viele Dinge erst möglich macht. Dieses real zu beobachtende Verhalten kann aber weder der homo oeconomicus noch der Neoliberalismus beschreiben, geschweige denn erklären.

Zusammenfassend kann man die Ethik unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystem mit Paul A. Samuelson (Nobelpreisträger) wie folgt fassen: „Wir sind die Gesellschaft des Ich , Ich, Ich – und (des) Jetzt (also heute). Wir denken nicht an andere und auch nicht an morgen.“ Wirtschaften hatte in der Vergangenheit das Motiv, die Menschen ausreichend zu „versorgen“. Mit zunehmendem Wohlstand wird die Perspektive durch das Ziel „Geld aus Geld machen“ überlagert. Versorgen ist nur noch eine Nebenbedingung, deren Problematik nur dann aufstößt, wenn das System des „Geldmachens“ z.B. durch eine Pandemie. Lieferkettenprobleme oder geopolitische Einflüsse gestört wird.

Was unterscheidet dieses Modell von den Verhaltensmotiven und den Handlungsmaximen anderer Perspektiven? Wenn wir andere Kulturkreise zum Vergleich heranziehen wollen, müssen und sollten wir deren Perspektive oder Weltbild auch verstehen lernen. Das sprengt jedoch den Rahmen dieses Beitrags. Als Ersatz möchte ich Aussagen eines westlichen Vertreters von alternativen Perspektiven zu zentralen Wirtschaftsbegriffen in gekürzter Form heranziehen. Ernst F. Schumacher2 war bei seinen internationalen Aktivitäten auch in Birma tätig und berichtete damals wohl als erster über die Perspektiven einer buddhistischen Wirtschaftslehre.

Schumacher schreibt unter anderem im Kapitel ‚Buddhistische Wirtschaftslehre‘ (S. 65 ff.):

Es besteht wohl allgemeine Übereinstimmung darüber, dass die menschliche Arbeit eine grundlegende Quelle des Wohlstands ist. Der moderne Wirtschaftswissenschaftler hat jedoch gelernt, in „Arbeit“ nicht viel mehr als ein notwendiges Übel zu sehen. Vom Standpunkt des Arbeitgebers ist sie in jedem Fall einfach ein Kostenfaktor, der auf ein Minimum zu verringern ist, wenn er sich nicht beispielsweise durch Automation, völlig ausschalten lässt. Vom Standpunkt des Arbeiters ist sie eine „Last“ – arbeiten heißt, ein Opfer an Muße und Bequemlichkeit bringen. Dabei stellt der Lohn eine Art Entschädigung für die Opfer dar. Somit ist das Ideal vom Standpunkt des Arbeitgebers aus gesehen eine Produktion ohne Arbeitnehmer und vom Standpunkt des Arbeitnehmers aus gesehen ein Einkommen ohne Arbeitstätigkeit. Die Folgen dieser Haltungen sind theoretisch und praktisch überaus weitreichend. (…)

Vom buddhistischen Standpunkt aus gesehen, erfüllt Arbeit mindestens drei Aufgaben: Sie gibt dem Menschen die Möglichkeit, seine Fähigkeiten zu nutzen und zu entwickeln. Sie hilft ihm, aus seiner Ichbezogenheit herauszutreten, indem sie ihn mit anderen Menschen in einer gemeinsamen Aufgabe verbindet, und sie erzeugt die Güter und Dienstleistungen, die für ein menschenwürdiges Dasein erforderlich sind. Wiederum sind die Folgerungen nicht abzusehen, die sich aus dieser Sicht ergeben. Arbeit so zu organisieren, dass sie für den Arbeiter sinnlos, langweilig, verdummend oder nervenaufreibend sind, wäre ein Verbrechen.

Aus einer solchen Haltung ginge hervor, Güter seien wichtiger als Menschen. Das aber entspräche einem erschreckenden Mangel an Mitgefühl und der wesenszerstörenden Hingabe eines Lebens auf der primitivsten Stufe der Existenz. Wollte man nach Muße als einer Alternative zur Arbeit streben, würde das ebenfalls als völliges Missverständnis einer der Grundwahrheiten menschlichen Seins angesehen, dass nämlich Arbeit und Muße einander ergänzende Teile desselben Lebensvorgangs sind und nicht getrennt werden können, ohne dass Arbeitsfreude und der Segen der Muße zerstört werden.

Daher gibt es vom buddhistischen Standpunkt aus zwei Arten der Mechanisierung, die deutlich zu unterscheiden sind: eine, die das Geschick und die Kraft des Menschen steigert, und eine, die die Arbeit eines Menschen einem mechanischen Sklaven überträgt, wobei der Mensch dem Sklaven zu dienen hat. Wie lässt sich die eine von der anderen unterscheiden? „Der Handwerker“, sagt Ananda Coomaraswamy, ein Mann, der gleichermaßen befugt ist, über den modernen Westen wie den alten Osten zu sprechen, „kann stets selbst die feine Unterscheidung zwischen Maschine und Werkzeug machen, wenn man ihm das gestattet. Der Handwebstuhl ist ein Werkzeug, eine Vorrichtung, die die Kettfäden spannt, sodass die Finger des Handwerkers die Schussfäden um sie herumweben können. Der mechanische Webstuhl hingegen ist eine Maschine, und ihre Bedeutung als Zerstörerin der Kultur liegt darin, dass sie den zutiefst menschlichen Teil der Arbeit verrichtet.“ Mithin ist klar, dass eine buddhistische Wirtschaftslehre von der des modernen Materialismus stark unterscheiden muss, da sich nach dem Buddhisten das Wesen der Kultur nicht in einer Vervielfachung von Bedürfnissen findet, sondern in der Läuterung des menschlichen Wesens. Das Wesen aber wird zugleich vor allem durch die Arbeit des Menschen gestaltet. Bei einer sinnvoll unter Bedingungen der Menschenwürde und Freiheit getanen Arbeit ruht Segen auf denen, die sie tun und auf ihren Erzeugnissen. Der indische Philosoph und Wirtschaftswissenschaftler J.C. Kumarappa fasst das so zusammen: „Wenn die Natur der Arbeit richtig eingeschätzt und angewandt wird, steht sie in derselben Beziehung zu den höheren Fähigkeiten des Menschen wie die Nahrung zum Leib. Sie nährt und belebt den höheren Menschen und drängt ihn, das Beste hervor zubringen, dessen er fähig ist. Sie gibt seinem freien Willen die angemessene Richtung und lenkt das Tier in ihm auf den richtigen Weg. Sie liefert einen ausgezeichneten Hintergrund, auf dem der Mensch seine Wertordnung zeigen und seine Persönlichkeit entwickeln kann.“

Ein Mensch ohne Aussicht auf Arbeit ist in einer verzweifelten Lage. (…) Ein moderner Wirtschaftswissenschaftler kann sich in kunstvollen Spekulationen darüber ergehen, ob Vollbeschäftigung sich „auszahlt“ oder ob es „wirtschaftlicher“ wäre, eine Volkswirtschaft unterhalb der Vollbeschäftigungsschwelle zu halten, sodass eine größere Beweglichkeit der Arbeitskräfte, stabilere Löhne und so weiter gesichert sind. (…) Wenn (…) wir uns im Interesse der Stabilität ein gewisses Maß an Arbeitslosigkeit leisten können – und das ist, nebenbei gesagt, eine Vorstellung mit untadelig konservativer Vergangenheit -, dann können wir auch den Arbeitslosen die Güter geben, mit denen sie ihren gewohnten Lebensstandard aufrechtzuerhalten vermögen“ (Galbraith3, 1959)

Vom buddhistischen Standpunkt aus wird damit die Wahrheit auf den Kopf gestellt, weil Güter wichtiger sind als Menschen und Konsum für wichtiger als schöpferisches Tun gehalten werden. Damit wird der Schwerpunkt vom Arbeiter auf das Ergebnis der Arbeit verlagert, d.h. vom Menschlichen zum Untermenschlichen. Das aber ist gleichbedeutend mit dem Eingeständnis der Niederlage gegenüber menschenverneinenden Kräften. Schon am Anfang einer buddhistischen Wirtschaftsplanung stünde der Wunsch nach Vollbeschäftigung (…).

Während es dem Materialisten in erster Linie um Güter geht, geht es dem Buddhisten hauptsächlich um Befreiung. Aber Buddhismus ist „der mittlere Weg“, daher ist er in keiner Weise körperlichem Wohlbefinden gegenüber feindlich eingestellt. Nicht Reichtum steht der Befreiung im Wege, sondern die Bindung an ihn, nicht die Freude an angenehmen Dingen, sondern das Verlangen nach ihnen. Der Grundgedanke buddhistischer Wirtschaftslehre heißt daher Einfachheit und Gewaltlosigkeit. Vom Standpunkt eines Wirtschaftswissenschaftlers aus gesehen, liegt das Wunder der buddhistischen Lebensweise in der äußerst Vernunftbezogenheit ihres Musters – erstaunlich geringe Mittel führen zu überaus zufriedenstellenden Ergebnissen.

Das ist für den modernen Wirtschaftswissenschaftler nur schwer verständlich. Er ist daran gewöhnt, den „Lebensstandard“ an der Menge des jährlichen Verbrauchs zu messen, wobei ständig angenommen wird, dass es jemandem, der mehr verbraucht, „besser geht“ als jemandem, der weniger verbraucht. Ein buddhistischer Wirtschaftswissenschaftler würde diese Betrachtungsweise als äußerst unvernünftig ansehen. (…)

Wenn also der Zweck der Kleidung ein gewisser Schutz vor dem Wetter und ein anziehendes Äußeres ist, besteht die Aufgabe darin, diesen Zweck mit dem geringstmöglichen Aufwand zu erreichen, das heißt mit der kleinsten jährlichen Zerstörung von Stoff und mit Hilfe von Entwürfen, die den geringstmöglichen Arbeitsaufwand bedingen. Je weniger Mühe aufgewendet wird, desto mehr Kraft bleibt für künstlerisches Schöpfertum. (…) Der Gipfel der Dummheit wäre es, Kleiderstoff so herzustellen, dass er rasch verschleißt, und ein Verbrechen, etwas Hässliches, Unansehnliches oder Dürftiges herzustellen. (…) Der Besitz und der Verbrauch von Gütern sind Mittel zu einem Ziel, und die buddhistische Wirtschaftslehre ist die systematische Untersuchung dessen, wie man diese vorgegebenen Ziele mit den geringsten Mitteln erreichen kann. (…)

Die buddhistische Wirtschaftsweise versucht, kurz gesagt, ein Höchstmaß an menschlicher Zufriedenheit durch das günstigste Verbrauchsmuster zu erzielen, während die moderne (Sicht) versucht, den Verbrauch mithilfe des günstigsten Muster von Produktionsanstrengungen auf ein Höchstmaß zu schrauben. Es ist leicht zu erkennen, dass der für die Aufrechterhaltung einer Lebensweise mit dem vernünftigsten Verbrauchsmuster benötigte Aufwand wahrscheinlich weit geringer ist als der für die Aufrechterhaltung eines Antriebs zum Höchstverbrauch erforderliche. (…)

Einfachheit und Gewaltlosigkeit stehen offenkundig in enger Beziehung. Das günstigste Verbrauchsmuster, das mithilfe einer vergleichsweise geringen Verbrauchsmenge ein hohes Maß an menschlicher Zufriedenheit erzeugt, gestattet es den Menschen, ohne großen Druck und große Spannung zu leben und die grundlegende Forderung der buddhistischen Lehre zu erfüllen: „Tue nichts Böses, versuche Gutes zu tun.“ (…).“

Offensichtlich sind neben dem alleinigen Aspekt eines Nutzens noch weitere sinnvolle und auch erfolgversprechende, aber eben „sittlich“ (oder besser ethisch) motivierte Perspektiven auf einen ökonomischen Sachverhalt denkbar und möglich. Das ist den Vertretern des Kapitalismus gegenwärtiger Prägung nicht zu vermitteln. Wenn wir gewohnt sind, das kapitalistisches System als „allein selig machend“ zu verstehen, so muss die dargestellte Perspektive zumindest zum Nachdenken anregen. Wer sich damit auseinandersetzen will, dem sei eine Reihe von Veröffentlichungen an die Hand gegeben:

  • Brodbeck, Karl – Heinz, Buddhistische Wirtschaftsethik – eine Einführung, Berlin 2011
  • Payutto, P. A., Buddhistische Ökonomie – mit der rechten Absicht zu Wohlstand und Glück, Bern 1999,
  • Dalai Lama u. Laurenz van den Muyzenberg, Führen, Gestalten, Bewegen – Werte und Weisheit für eine globalisierte Welt, Frankfurt, ohne Jahr.
  • Manfred Folkers, Niko Paech, All you need is less – eine Kultur des Genug aus ökonomischer und buddhistischer Sicht, München 2020
  • Schumacher, Ernst F., Small is beautiful – die Rückkehr zum menschlichen Maß, (ursprünglich 1977), München 2013, mit einer Einführung von Niko Paech
    …………………………………………………………………………………………….

1Johannes Wallacher, Abschied vom Homo Oeconomicus?, Freiburg 2003

2Schumacher, Ernst F., Small is beautiful – die Rückkehr zum menschlichen Maß, (ursprünglich 1977), München 2013, mit einer Einführung von Niko Paech. S. 65 ff

3Galbraith, John K., Gesellschaft im Überfluß, München , Zürich, 1959

» weniger zeigen

Bürgerräte – ist das ein Durchbruch?

Unsere repräsentative Demokratie, so wie wir sie gegenwärtig praktizieren, weist m.E. demokratische Lücken auf. Untersuchungen haben gezeigt, dass ein beachtlicher Teil der Bevölkerung – ca. 30% – 40% (je nach Anlass) – gar nicht zur Wahl gehen mit der häufigen Begründung, dass es auf ihre Stimme sowieso nicht ankomme. Daraus spricht auch ein gerüttelt Maß an bürgerschaftlicher Resignation.

» weiterlesen

Politisch gesehen sind diese 30% – 40% (je nach Bedeutung der Wahl für das persönliche Umfeld) im Grunde eine ernstzunehmende Aussage. Manche Partei würde sich glücklich schätzen, wenn sie es schaffen könnte, zumindest temporär bis zu 40 % Zustimmung aus der Wählerschaft mobilisieren zu können.

Mein Eindruck ist, dass die etablierten Parteien wenig Anstalten machen, die Gruppe der notorischen Nichtwähler zu einem Engagement zu bewegen. Die Parteien sind ausreichend damit beschäftigt, ihre internen Auseinandersetzungen so zu gestalten, dass die jeweilige Partei ein gewisses Maß an Geschlossenheit darstellen kann. Da scheint wenig Platz zu sein, sich auch noch um „verlorene Schäfchen“ zu kümmern.

Erst seit deutlich wird, dass die Extremisten unserer politischen Landschaft offensiv versuchen, hier in populistischer Manier auf Stimmenfang zu gehen, kommt die Situation etwas in Bewegung. Dabei wurde mit dem gegenwärtig diskutierten und zu realisierenden ‚Bürgerrat‘ ein Gedanke aufgegriffen, der in den 1970er Jahren von Prof. Peter Dienel entwickelt und damals dem deutschen Politikbetrieb vorgestellt wurde1. Der Erfolg war gering: Eine gute Idee am falschen Ort zur falschen Zeit. Sein Sohn, Hans-Luitger Dienel, führt heute das Institut Nexus2 und hat sich u.a. auf die praktische Anwendung des sogenannten „deliberativen Beteiligungsmodell“ spezialisiert.

In den 1990er Jahren hat James Fishkin die Idee im englischsprachigen Raum wieder aufgegriffen und war mit seinem Ansatz in seinem politischen Umfeld deutlich erfolgreicher. Weltweit wurden inzwischen mehrere hundert Veranstaltungen (zahlenmäßig nach oben offen) zu diesem Ansatz durchgeführt. Das „deliberative Beteiligungsmodell“ gilt als sehr erfolgreich, um offensichtliche Defizite unseres Demokratiemodells zu ergänzen. Ohne den repräsentativen Demokratieansatz aufzulösen, wird über das Beteiligungsmodell erfolgreich ein Stück direkter Demokratie in das bestehende System eingefügt3.

Die meisten Gegenstimmen richten ihren Fokus auf das Auslosen der Beteiligten. Die Assoziation zum Glücksspiel drängt sich auf, ist aber grundfalsch. Der alte Platon hat einem wesentlichen Gesichtspunkt Ausdruck verliehen: Warum sollten Philosophen die Staatsführung übernehmen? Einerseits, weil sie als nachdenklicher und weiser gelten, andererseits aber ganz wesentlich, weil sie die einzigen sind, die zum Regieren kein Lust haben. Und das sei das Wichtigste!

Platon hat auch das Losverfahren, das schon seiner Zeit in Athen praktiziert wurde, positiv beurteilt: Er sieht den Hauptvorteil darin, dass das Gesetz des Zufalls gilt, in dem ein wesentliches Moment des Systems abgeschafft wird, nämlich dass jene an die Regierung kommen, die regieren wollen. Platon (Der Staat, 8. Buch) teilt die Idee, dass die schlechteste Regierung jene ist, bei der die, die herrschen wollen, es auch können. Man muss diese Meinung nicht unbedingt teilen, aber man kann erkennen, dass diese Ideen schon im alten Athen die Gemüter bewegte.

Wie ist die Reaktion der professionellen Politik zum Bürgerrat? Sehr zwiespältig!

Von der einen Seite kommt das Argument, der Bürgerrat sei undemokratisch, weil er nicht aus allgemeinen Wahlen hervorgeht. Dieses Argument vernachlässigt die Tatsache, dass die gegenwärtige Zusammensetzung des Parlaments die Gesellschaft in keiner Weise widerspiegelt und dass eine Wahl, bei der mit zunehmender Tendenz die Wahlbeteiligung gegen 50% abzusinken droht, die Grundfesten unseres Systems in Frage stellen: Ist das Parlament für die Bürger dieses Landes noch repräsentativ? Wenn wir diese Voraussetzung verneinen müssten, bricht die Idee einer repräsentative Demokratie zusammen.

Das Losverfahren schafft über die Schichtung des Zufalls ein deutlich besseres Abbild unserer Gesellschaft wie das die gegenwärtigen Wahlen erreichen. Wenn je nach Bedeutung der Wahl zwischen 30 und 40% nicht zur Wahl gehen und die Parteien keine erkennbare Lösung dieses Problems verfolgen, so ist es nur sinnvoll und richtig, ein Verfahren zu etablieren, das gezielt und bewusst alle Schichten der Gesellschaft zum Diskurs einlädt.

Betrachten wir die gewählten Politiker und machen wir uns klar, welchem Druck diese Politiker durch den allumfassenden Lobbyismus ausgesetzt sind. Das Merkwürdige ist, dass ausgerechnet der Souverän (das Volk) über keinen einzigen Lobbyisten verfügt. Dem werden die gewählten Politiker entgegen halten, dass sie diese Funktion übernehmen. Das stimmt aber nicht und das ist auch an den politischen Entscheidungen der letzten 50 Jahre abzulesen. Die Mehrzahl der Gesetzesänderungen haben dem wohlhabenden Teil unserer Gesellschaft regelmäßig Vorteile zukommen lassen; der klassische „kleine Mann“ ist i.d.R. zu kurz gekommen. Mit anderen Worten: Wenn die offizielle Politik aktiv wird, dann regelmäßig zugunsten jenes Teils der Gesellschaft, der als hoch vernetzt, als aktiv, als finanziell potent und erfolgreich gilt.

Der Bürgerrat könnte sich von dieser Schiefe der Entscheidungen freimachen und die Aufgabe übernehmen, „Lobbyist“ des Bürgers zu werden. Die Ergebnisse der Tagungen des Bürgerrates sind problembezogen aufgrund der Fragestellung und gehen dem Parlament zu und werden im Parlament eine Reaktion auslösen müssen.

Der Bürgerrat arbeitet in erster Linie problembezogen und nicht macht-bezogen, wie ein Parlament. Die Macht des Parlamentes ist doch jene Komponente, die die Lobbyisten anzieht wie das Licht die Mücken; die Sachbezogenheit ist dabei nur Beiwerk. Der Bürgerrat, der als Institution relativ kurzfristig einberufen wird, seine Diskussionen führt und hoffentlich zu einem sachbezogenen Ergebnis kommt, löst sich danach wieder auf. Die Institution kommt nur zeitweise zum Leben und kann deshalb auch von den konkurrierenden Lobbyisten, gleich welcher Couleur, nicht wirksam beeinflusst werden. Dazu ist die Zeitspanne, für die der Bürgerrat sich jeweils ehrenamtlich mit Aufwandsentschädigung konstituiert, zu kurz.

Der Bürgerrat hat keine Entscheidungsmacht. Die liegt weiterhin beim Parlament. Aber die Rückkopplungen, die der Bürgerrat der Politik geben kann, sind aus dem ungefilterten realen Leben und keine Umfragen, Meinungen und parteipolitischen Aussagen, die durch unzählige Filter gelaufen sind.

Was mich jedoch irritiert, ist die Tatsache, dass man zum Bürgerrat kein Gesetz oder etwas Vergleichbares findet. Es gibt ein Portal zum Bürgerrat, aus dem erkennbar ist, dass die Idee eines Bürgerrates für alle Ebenen unseres politischen Systems (Bund, Land, Landkreis, Kommune) Anwendung finden soll, aber bei der Suche nach Regeln, die auch die Politik binden, suche ich vergebens. Aufgrund der Problemlösungskonkurrenz zwischen gewählten Politikern und dem Bürgerrat ist es nicht selbstverständlich, dass dem Bürgerrat ein längeres Leben beschieden ist.

Eine leichte Machtverschiebung im Parlament und ich bin ziemlich sicher, dass dem Bürgerrat der Geldhahn abgedreht wird. Wir sind ja i.d.R. der Auffassung, dass Wettbewerb das Geschäft belebt, aber nur solange, soweit die Macht nicht ausreicht, um ein Monopol aufzubauen. Dann läuft der Spruch leider ins Leere. So wird es im Bereich der Wirtschaft beschrieben, warum sollte es in der Politik anders laufen?

Immer dann, wenn die relativ geringe Wahlbeteiligung zur Sprache kommt, taucht früher oder später auch das Argument der Bildung auf. Durch mehr Bildung will man den Schritt schaffen, die Wahlbeteiligung zu erhöhen. Ich halte das für Wunschdenken. Aber: Stellen Sie sich vor, dass bei uns jährlich auf den unterschiedlichen Ebenen des Gemeinwesens hunderte von Bürgerräten ihre Arbeit aufnehmen würden. Und jeder Bürgerrat würde 25 – 150 Personen zum Diskurs einladen und die Teilnehmer würden Teil einer konkreten Problemlösungsbeitrags werden: das wäre „Bildung“ aus einer Erfahrung heraus, die die Teilnehmer sicher so schnell nicht mehr vergessen werden. Sie treten aus der Anonymität heraus, kommen in Kleingruppen zu Wort und können feststellen, dass ihre (möglicherweise kleinen) Beiträge Teil eines Lösungsprozesses werden. Das ist eine Bildungs-Erfahrung, die kann kein Buch und kein Vortrag ersetzen. Ich kann da aus eigener Erfahrung sprechen.
……………………………………………………………………………………………………………….

1Dienel, Peter, Planungszellen, 1978
2Vgl. https://nexusinstitut.de/
3Vgl. auch https://www.youtube.com/watch?v=H4j7RQ3uoJE (aufgerufen am 21.7.2023)

» weniger zeigen

Wasser – ein Gemeingut?

Die Dürre geistert wieder einmal durch den Medienwald. Der fehlende oder zu heftige Niederschlag führt den „Leuten“ vor Augen, dass wir hier in ein massives Problem laufen. Und es ist offensichtlich, dass diese wichtige Ressource auch in unseren Breiten in Europa endlich ist. Sie muss also sinnvoll bewirtschaftet werden.

» weiterlesen

Als ich vor rd. 50 Jahren zum Studium von den Höhen des wasserdurchtränkten Nordschwarzwaldes nach Mannheim kam, fiel mir auf, dass das Leitungswasser in Mannheim gechlort war und für mich ekelhaft schmeckte. Ich war an weiches, wohlschmeckendes Wasser gewöhnt, während Mannheim zu jener Zeit schon im großen Stil Wasser technisch aufbereiten musste. Auf meine Fragen, wo denn das Wasser herkomme, habe ich erfahren, dass es eine Mixtur aus verschiedenen Wassern sei, weil der Grundwasserspiegel in den damaligen Jahren dramatisch (um mehrere Meter) gesunken war.

Wir hatten noch keine Ahnung von einem Klimawende oder gar Klimakrise. Es regnete im normalen Rahmen und im Rheingraben war schon in den 1970er Jahren die Sommerhitze (einschließlich der Mücken (‚Schnaken‘) aus den Altrheinarmen) für alle Einwohner eine ziemliche Belastung.

Heute stehen wir vor den gleichen Problemen, nur dass der ‚Wasserhunger‘ der Großstädte und der industriellen Großproduktionen inzwischen auf die Wasserversorgung des Umlandes zugreift und sich die Frage ergibt, wo soll das hinführen? Es gibt Medienbeiträge, aus denen erkennbar ist, dass der Wasserverbrauch nicht nur in den Großstädten überhand nimmt, sondern auch bis auf die Wasserwirtschaft von Gemeinen durchschlägt, die im Grunde ohne den abzugebenden Großstadtanteil ihre Bevölkerung ausreichend und nachhaltig versorgen könnte.

Wasser hat einen extrem langsamen Kreislauf. Wenn sich Zufluss und Abfluss im Wesentlichen ausgleichen, bleibt der Grundwasserspiegel ‚konstant‘. So die Theorie. Zumindest in den letzten 50 Jahren kann in den Metropolen von einem Ausgleich nicht mehr gesprochen werden. Der Wasserverbrauch ist schlicht zu hoch. Wir verschwenden diese Ressource.

Aber was ist Grundwasser? Wir leben heute von der Vorstellung, dass bei ausreichendem Regen das Regenwasser versickert und am Ende im Grundwasser gesammelt wird, damit wir es wieder nutzen können. Deswegen wollen wir die Grünflächen vergrößern, alle Arten der Versiegelung vermeiden oder rückgängig machen, damit dieser „Traum“ in Erfüllung geht. Aber kann das zielführend sein?

Gehen Sie nach einem ausgiebigen Regenguss nach einer Reihe heißer Tage in Ihren Garten und nehmen eine Spaten und prüfen Sie nach, wie tief das Regenwasser in das Erdreich eingedrungen ist? Wenn die Eindringtiefe 10 cm erreicht, war der Regenguss schon recht heftig. Von dem Regenwasser fällt in einer Bodentiefe von 10 cm i.d.R. der Boden trocken. Da kommt m.E. kein Tropfen bis ins Grundwasser! Der „Traum“ von der (kurzfristigen) Wiederauffüllung des Grundwassers durch Regenfall basiert möglicherweise auf einem Denkfehler. Vergessen Sie bitte nicht, dass der gefallene Regen nicht nur das Grundwasser „sucht“, sonder dass der Pflanzenbewuchs hier auch seinen ihm zustehenden Anteil einfordert, nicht zu vergessen, dass auch ein Teil der Regenmenge im Sommer schlicht verdunstet und bei Starkregen das Oberflächenwasser nur die Flüsse anschwellen lässt. Damit will ich nicht sagen, dass Regen nicht auch bis ins Grundwasser kommen kann, aber dass die Mengen vermutlich gering sind.

Was wäre eine alternative Begründung für das Vorhandensein von Grundwasser? In der Erdgeschichte hat es gewaltige klimatische Verwerfungen gegeben. Insbesondere während der Eiszeiten haben sich große Wassermengen in Form von Eis angesammelt, die dann bei der Klimaveränderung wieder in Wasser zurückgewandelt wurden und in riesigen Wasserströmen in den eisfrei werdenden Regionen zur Verfügung standen. Diese Wassermengen besaßen einen Umfang, der es möglich machte, die Grundwasserreservoire anzulegen und zu verfüllen. Zu diesem Zeitpunkt war auch in diesen Regionen kaum mit Pflanzen im größeren Umfang zu rechnen, von einem menschlichen Verbraucher ganz zu schweigen.

Wenn diese Sichtweise richtig ist, hätte das eine Reihe von harten Konsequenzen: Das Grundwasser wurde in der Vergangenheit nie maßgeblich durch Regenfälle aufgebaut. Der gegenwärtig sinkende Grundwasserspiegel folgt also keiner Vorstellung von einem dynamischen Gleichgewicht, sondern muss wohl als absolut endliches Reservoir angesehen werden, mit dem so sparsam als möglich umgegangen werden muss.

Die Vorstellung, dass das Grundwasser durch den Niederschlag aufgefüllt werden könnte, lässt mir keine Ruhe. Deshalb der Versuch einer Verprobung: Wir verbrauchen lt. Statistischem Bundesamt 20 Mrd. Kubikmeter Wasser. Diese 20 Mrd. Kubikmeter sollen durch Niederschlag wieder aufgefüllt werden. Die Fläche der Bundesrepublik beläuft sich nach Wikipedia auf 357.588 km². Welche Wassersäule jährlichen Regens müsste pro Quadratmeter fallen, um verlustfrei (ohne Berücksichtigung der Wasseranteile für Pflanzen, ohne Verdunstung durch Osmose, kein Oberflächenabfluss) die verbrauchte Grundwassermenge zu ersetzen? Nach meinen Berechnung ergibt sich hieraus ein notwendige Wassersäule von 55,93 Liter pro Quadratmeter und Jahr. (20 x 1012 Liter Verbrauchsmenge / 357,588 x 109 m² = 0,055930 x 103 oder 55,93 Liter/m2)

Der Niederschlag wird im Durchschnitt mit 770 – 790 Liter/m2 pro Jahr angegeben. Also ist meine Überlegung nicht zwangsläufig falsch, aber so offensichtlich, wie ich mir die Sache vorgestellt habe, ist es nicht. Die durchschnittliche Niederschlagsmenge pro Jahr ist also grundsätzlich in der Lage, den gegenwärtigen Grundwasserverbrauch zu kompensieren. Man nennt so etwas ein Eigentor.

Aber warum sinken dann die Grundwasserspiegel aller Orten, wenn die jährliche Regenmenge unseren jährlichen Verbrauch statistisch um das Zehnfache übersteigt? Dafür habe ich keine plausible Antwort von ausreichendem Gewicht. Es muss zwischen dem Regenfall und dem Zufluss zum Grundwasser eine Reihe von Barrieren geben, die wir möglicherweise schon kennen, aber deren Auswirkungen völlig unterschätzt werden.

Wir müssen uns deshalb schweren Herzens daran gewöhnen, dass Wasser ein knappes Gut darstellt. Das ist die eine Nachricht. Die andere Nachricht ist die Erkenntnis, dass Wirtschaftsunternehmen vielfach für ihren Wasserbedarf (anders als die Normalbürger) keine Gebühren abführen müssen. Und nur in Ausnahmefällen ist ihre jährlicher Wasserentnahme mengenmäßig beschränkt. Wasser kostet die Wirtschaft nichts und ihr Verbrauch wird auch vielfach vertraglich weder mengenmäßig noch zeitlich eingeschränkt. Manche Lizenzen gelten für die Ewigkeit. Als Folge wird der Wasserverbrauch auch nur unzulänglich kontrolliert.

Die breite Bevölkerung beginnt zu begreifen, dass das Wasser knapp wird. Der Preis pro Kubikmeter wird für die Normalverbraucher in vielen Regionen steigen. Die industriellen Großverbraucher haben aber oftmals Verträge, die ihnen den Wasserverbrauch des Gemeingutes Wasser einfach ‚zur Verfügung stellen‘ oder einen Preis pro Einheit (qm3) verrechnen, der vernachlässigbar ist.

Unser Verhalten bezüglich des Wasserverbrauchs ist durch den geringen Preis pro Einheit und die langjährig gepflegte Haltung geprägt, dass die Ressource Wasser „ohne Ende“ zur Verfügung stehen würde. Unsere Maßlosigkeit führt nicht nur uns Verbraucher an neue Grenzen. Landwirtschaft und Biosphäre leiden gleichermaßen.

Das Bundesumweltamt hat 2022 eine Tabelle veröffentlicht2, die den Wasserverbrauch von insgesamt 20 Mrd. Kubikmetern in Deutschland nach folgenden Kategorien aufteilt:

Öffentliche Wasserversorgung 26,8%
Bergbau u. verarbeitendes Gewerbe 26,8%
Energieversorgung 44,2%
Landwirtschaftlich Beregnung 2,2%

Dabei wird angemerkt, dass die „von Deutschland veröffentlichten Wasserentnahmen der Landwirtschaft (2,2%) (…) gegenüber den Nachbarländern Dänemark (50%) und Frankreich (10%) als (zu) gering auf(fallen)“. Die EU-Kommission zweifelt diesbezüglich Deutschlands Angaben an.

Die oben angeführte ‚öffentliche Wasserversorgung‘ scheint in der Tabelle die vertrauenswürdigste Mengenangabe zu sein. Dort wird Wasser (und Abwasser) konkret bewirtschaftet. Bei den angegebenen Industriezweigen Bergbau, Gewerbe und Energieversorgung dürften große Informationslücken herrschen, weil Wirtschaftsunternehmen alle Ressourcen, die nichts oder nahezu nichts kosten, wenig Beachtung schenken. Es gibt auf der Ebene des Geldes bei Wasser nichts zu kalkulieren.

Der erste Schritt einer gesicherten Wasserversorgung ist eine ausreichende Informationsbasis. Solange es wesentliche Nutzer gibt, die über ihren Wasserverbrauch nicht rechenschaftspflichtig sind und/oder privatwirtschaftliche Wasserrechte für sich reklamieren können, sind die Zahlen in den Wind geschrieben, bestenfalls ein Anhaltspunkt, aber keine Grundlage, um begründete politische Leitlinien erlassen zu können.

Wasser ist ein Gemeingut. Wir können es weder schaffen noch herstellen. Ich darf in diesem Zusammenhang auf die „Tragödie der Allmende“ hinweisen, auf eine Erzählung aus der Ökonomie, bei der unterstellt wird, dass Allmenden (Gemeingüter) in ganz kurzer Zeit kaputt genutzt werden, wenn keine strikten allgemein gültigen Regeln (ohne die berühmten Ausnahmen) zum Gebrauch der Allmende bestehen3. Diese müssen als politischer Rahmen für alle gelten, die diese Allmende nutzen wollen. Da wir ohne Wasser nicht lebensfähig sind, betrifft es auch uns alle. Damit wird hoffentlich auch die Priorität des Problems offenkundig.

Bisher haben wir uns mit dem großen Bild befasst. Was bedeuten die Erkenntnisse für unser unmittelbares Verhalten? Lt. Statistischem Bundesamt4 (Daten von 2021) verbrauchen wir pro Tag und pro Person im Durchschnitt 127 Liter Trinkwasser. Das sind 46,3 Kubikmeter pro Person in einem Jahr. Sie können jetzt ihre letzte Wasserabrechnung holen und diese Zahl mit Ihrem aktuellen Verbrauch abstimmen. Der Verbrauch unseres Zweipersonenhaushaltes liegt mit 64,8 % deutlich unter dem Durchschnittsverbrauch. Da ist aber noch Luft nach unten.

Der durchschnittliche Tagesverbrauch lässt sich wie folgt aufteilen:

Körperpflege (Baden Duschen) 36% oder 45,7 Liter
Toilettenspülung 27% oder 34,3 Liter
Wäschewaschen 12% oder 15,2 Liter
Geschirrspülen 6% oder 7,6 Liter
Raumreinigung, Autopflege, Garten 6% oder 7,6 Liter
Essen, Trinken 4% oder 5,2 Liter
Anteil Kleingewerbe 9% oder 11,4 Liter

Wo liegen hier die Einsparpotenziale? Es ist immer zweckmäßig, nicht bei den ‚Kleinkram‘ anzufangen, sondern sich auf die großen Verbrauchszahlen zu stürzen. Die Körperpflege ist ein sehr individuelles Verhalten und hier dem einzelnen konkrete Vorgaben zu machen, ist nicht von Erfolg gekrönt. Was man aber machen kann, dass man technisch dafür sorgt, dass bei der Körperpflege nicht unnötig viel Wasser durch den Abfluss gejagt wird. Hierzu gibt es für die Duschen und Wasserhahnen sogenannte Reduzierstücke, die (angabegemäß) zwischen 20% und 40% des Wassers sparen, ohne dass man seine Körperpflegeroutine ändern müsste, was ja viele als einen Eingriff in ihre Privatsphäre empfinden könnten.

Bei einer 40%igen Durchlaufreduzierung würden statt 45,7 Liter nur 27,4 Liter verbraucht werden. Die Einsparung ergibt pro Kopf und Jahr rd. 6,68 Kubikmeter. Hochgerechnet auf rd. 80 Mio. Einwohner ergäbe diese kleine und billige Maßnahme eine Wasser-Einsparungsmenge von 534,4 Mio. Kubikmeter Trinkwasser.

Die anderen Punkte sind eher technischer Natur. Die Toilettenspülung kann nur bedingt reduziert werden, weil die Abwasserinfrastruktur darauf nicht eingerichtet ist. Hier werden wir wohl technisch ganz neue Wege gehen müssen. Ein Übergang könnte die Verwendung von Brauchwasser sein, setzt aber auch hier langfristig geplante Maßnahmen voraus.

Auch das Wäschewaschen erfolgt ja meistens automatisch. Bisher haben wir uns immer auf die Energieeffizienz konzentriert. Vielleicht müssen wir hier die Energieeffizienz mit einer Wassereffizienz koppeln, um dann über die Jahre diesen Wert um geschätzte 30% zu senken, was einer Wasserersparnis pro Person von 3,76 Kubikmetern pro Jahr entsprechen würde.

Auf der Grundlage heutiger Wasserpreise erscheint das vernachlässigbar zu sein. Gehen Sie davon aus, dass die Wasserpreise allgemein steigen werden. Wasser ist wie Land nicht vermehrbar, also wird die zunehmende Knappheit zu steigenden Preisen führen. Der Immobilienmarkt könnte hier ein gutes Beispiel liefern. Wasser könnte zum Spekulationsobjekt werden. Dem muss durch politische „Leitplanken“ vorgebaut werden. Wasser ist ein Gemeingut und kein Spekulationsobjekt.
……………………………………………………

1 Die 62,4% können falsch sein, weil die Statistik sich auf das Trinkwasser bezieht und ich nicht beurteilen kann, ob die 20 Mrd. Wasserverbrauch nicht auch andere Wasserqualitäten einbezieht.

2 Zitiert nach DUHwelt, 2/2023

3 Vgl. hierzu auch Elinor Ostrom, Was mehr wird, wenn wir teilen, München, 2011

4 Zitiert nach DUHwelt 2/2023, S. 17

» weniger zeigen

SDG-Ziele definieren – und dann?

Die Vereinten Nationen (UN) haben sich 2015 auf 17 Ziele (Sustainable Development Goals – SDG) für eine nachhaltige Entwicklung geeinigt (Einzelheiten hierzu siehe: https:\\sdg-portal.de). Man kann sich vorstellen, wie viel Verhandlungsgeschick und politisch unverbindliche Formulierungen eingesetzt werden mussten, um diese Gremien-Ziele verabschieden zu können.

» weiterlesen


Dabei ist die Formulierung solcher Ziele nur der Anfang, weil zur Umsetzung keine oder nur sehr geringe Anforderungen formuliert wurden. In diesem Fall haben sich die Mitglieder der UN als einzige Begrenzung einen Realisierungszeitraum bis 2030 gegeben. Diese 15 Jahre sind angesichts der politischen und bürokratischen „Mühlen“ m.E. eine kaum einlösbare Herausforderung.

Ziele sind auf der politischen Ebene globale Absichtserklärungen. Die 17 Ziele der SDGs sind auf der UN-Ebene qualitative Umschreibungen von künftig wünschenswerten Zuständen. Die Bundesregierung hat erkannt, dass sie auf Bundesebene bestenfalls unterstützen kann, weil unser föderaler Verwaltungsaufbau viele Entscheidungen auf nachgeordnete Einrichtungen übertragen hat. Der zweite Gesichtspunkt liegt darin, dass durch die föderale Struktur auch das Handeln bei den Ländern, Landkreisen (Regionen) und Kommunen liegt. Der Bundeseinfluss beschränkt sich auf den „goldenen Zügel“ (auf die Finanzen). Je näher aber die Ziele der SDGs an die gesellschaftliche Realität heranrücken, umso abstrakter bleiben die Zielvorstellungen.

Es fällt dem unvoreingenommenen Leser auf, dass hier im Wesentlichen die Ziele aus der Perspektive des Menschen formuliert sind. Der Ansatz ist m.E. strikt anthropozentrisch aufgebaut. Alle geplanten Maßnahmen zur Nachhaltigkeit sind ausschließlich aus der Perspektive des Menschen begründet. Die selbstkritische Frage, ob unsere anthropozentrischen Erwartungen auch von unserer Lebensgrundlage, dem Planeten Erde, künftig erfüllt werden kann, kommt den Gestaltern der 17 Ziele offensichtlich nicht in den Sinn. Man könnte auch sagen, sie machen die Rechnung „ohne den Wirt“.

Man könnte dadurch irritiert sein, dass es sich bei den SDGs um sogenannte „nachhaltige“ Entwicklungsziele handelt. Was soll der Begriff ‚nachhaltig‘ in dem Zusammenhang? Die Nachhaltigkeit ist ein eigenständiges Basisziele des Klimawandels und – so mein Verständnis – Nachhaltigkeit ist eine Aussage zu einer Maßnahme (und nicht zu einem Ziel), die die Eigenschaft der Langfristigkeit. die Umweltverträglichkeit für die Biosphäre und damit eine gewisse Zukunftsfähigkeit der betreffenden Maßnahme beschreibt.

Mit dem SDG-Ziel Nr. 1 (keine Armut) als auch mit Nr. 2 (keinen Hunger) ist keine Maßnahme verbunden. Was soll da dann nachhaltig sein? Hier stimmt m. E. die Denk-Grammatik nicht. Wenn ‚nachhaltig keine Armut‘ als Ziel verfolgt wird, was drückt diese Aussage denn aus? Soll das heißen, dass wir künftig die Vermeidung von Armut und Hunger nicht nur sporadisch, gewissermaßen nach tagespolitischer Lage, sondern als Ziele kontinuierlich und ohne ‚Wenn und Aber‘ zur Grundlage des politischen Handelns machen? Das wäre vielleicht wünschenswert, aber ist das realistisch und umsetzbar? Es ist schon überaus schwierig, den Begriff der Nachhaltigkeit im Rahmen der Klimawende inhaltlich so zu fixieren, dass ihm eine Bedeutung zukommen kann und die drohende Bedeutungslosigkeit verhindert wird. Man täte gut daran, bei den „Sustainable Development Goals“ in der deutschen Übersetzung nicht von ‚nachhaltigen‘, sondern von ‚zukunftsfähigen‘ Entwicklungszielen zu sprechen. Das würde im Übrigen der Übersetzung des englischen Wortes ‚sustainable‘ auch nicht widersprechen.

Ein konkreter Austausch über die SDGs und über die Zielerreichung der ggfs. getroffenen Maßnahmen ist nur zu erreichen, wenn die aktuelle Ausgangssituation der Kommune, des Landkreises und des Landes und letztlich der ganzen Republik nach einheitlichen Kriterien beschrieben wird. um eine ausreichende Vergleichbarkeit auf den verschiedenen Ebenen sicherzustellen.

Das ‚Handwerkszeug‘ für die Beurteilung der Vergleichbarkeit wurde 2022 vorgestellt, nachdem von den ursprünglichen 15 Jahren Umsetzungsspielraum (bis 2030) also 7 Jahre vergangen waren. Die Bertelsmann-Stiftung hat in Zusammenarbeit mit einer großen Zahl von Wissenschaftlern Indikatoren zusammengestellt, die die Ziele inhaltlich füllen, systematisieren, um dann Aussagen über die Zielerreichung auf den einzelnen Ebenen zu ermöglichen. Ergänzt werden diese Indikatoren durch Hinweise auf die statistischen Quellen, aus denen sich die jeweiligen Indikatoren-Ausprägungen speisen lassen.

Die 17 Ziele sind jeweils für sich betrachtet und aus der menschlichen Perspektive ohne viel Erklärung einleuchtend. Aber in ihrer Vernetzung erfassen die Ziele, ohne Prioritäten zu setzen, ein etwas anderes „Weltbild“ als wir es noch heute pflegen. Wir sind daran gewöhnt, dass z.B. der einseitige Vorrang der Ökonomie oder die ökonomische Sichtweise in der Regel nicht in Frage gestellt wird. Die Auswirkungen dieser einseitigen Herangehensweise auf andere Ziele der Gesellschaft werden i.d.R. nicht weiter untersucht.

Die Operationalisierung der SDGs durch Indikatoren, die die relative „Unverbindlichkeit“ des groben Ziels auf verbindliche Kategorien herunterbricht, bildet den Netzcharakter der Folgeauswirkungen deutlich besser ab. Ehemals einseitig definierte Entscheidungen werden komplexer und anspruchsvoller definiert werden müssen, weil auch die ggfs. negativen Auswirkungen auf die anderen Ziele klarer gefasst und auch durch Veränderungen der Indikatorenwerte belegt werden können. Der Netzwerk- oder Systemgedanke könnte dadurch unterstützt werden.

Die Autoren der Studie haben bei ihrer Arbeit festgestellt, dass zu bestimmten Sachverhalten keine Daten verfügbar sind. Sie haben deshalb die Indikatoren in einen Typ I und einen Typ II unterschieden. Für den Indikator des Typ I gibt es (nach Ansicht der Bearbeiter) ausreichend aussagekräftige Daten. Für die Indikatoren vom Typ II kann diese Feststellung nicht getroffen werden. Offensichtlich hat hier die neue, erweiterte Sicht auf die Dinge aufzeigen können, dass wir auf einer Reihe von Aufgabenfeld (noch) ziemlich „blind“ sind.

Ein weiterer Aspekt der Studie könnte auch darin gesehen werden, dass es – zumindest mir – unwahrscheinlich vorkommt, dass alle Ziele ausschließlich monokausale Bezüge zu ihren Indikatoren unterhalten. Mit anderen Worten: es wird Indikatoren geben, die Beiträge für unterschiedliche Ziele liefern; im Rückschluss könnte dadurch deutlich werden, dass zwischen den isoliert dargestellten Zielen offensichtlich Verbindungen bestehen und diese Verbindungen Hinweise auf positive oder negative Rückkopplungen liefern können. Das Erkenntnisse um das Beziehungsnetz zwischen den Zielen und ihren Indikatoren könnte von großem Nutzen sein.

Das SDG-Portal bietet auf Basis der Indikatoren die Möglichkeit von Vergleichen zwischen den Kommunen, Landkreisen, (Regionen) und Ländern der Bundesrepublik, die aufgrund der Indikatoren sehr weit differenziert werden können. Solange man sicherstellen kann, dass man nicht „Äpfel mit Birnen“ vergleicht, sollte das ein Anreiz sein, regelmäßig die Defizite im Bereich der Zielerreichung zu identifizieren und zum politischen Thema zu machen.

Aufgrund der identifizierbaren Schwachstellen lassen sich die notwendige Maßnahmen gestalten, sofern der politische Wille dafür vorhanden ist. Faule Ausreden sind politisch schwieriger aufrecht zu erhalten, weil das öffentlich verfügbare Datenmaterial hoffentlich eine nachweislich ‚reale‘ Wirklichkeit abbilden kann und das Geraune im politischen Raum über „Hören-Sagen“, „Meinen“ und „Vermuten“ kann ein Stück weit durch Fakten zurückgedrängt werden.

Auf der anderen Seite werden die Daten natürlich auch dazu verwendet werden, um Partikularinteressen schärfer artikulieren und begründen zu können. Der Informationspool bietet dann die Möglichkeit, solchen Partikularinteressen erfolgreich zu kontern. Der Gewinn an „Realität“ wird hoffentlich nicht durch die steigende Komplexität der Argumente blockiert.

» weniger zeigen

Warum mäßigen?

Mit Freunden diskutierten wir die Frage der Mäßigung unserer Ansprüche angesichts der Klimaproblematik. Wir wurden über die gegenwärtige Auffassung verschiedener Maßnahmen in Politik und Gesellschaft nicht einig. Die Älteren unter uns hatten dabei mit einer Aufforderung zur Mäßigung weniger Probleme, während die Gesprächsteilnehmer der jüngeren Generation sich durch den Begriff offensichtlich viel stärker eingeschränkt fühlt. Deshalb kam aus ihren Reihen auch die provokante Frage: „Warum mäßigen?“

» weiterlesen

Dabei gab es zwei unterschiedliche Ansichten: die einen beschrieben den Lösungsraum zur Klimapolitik aus der technologischen Perspektive und sind der Überzeugung, dass die anstehende Klimaproblematik mit künftiger Technologie beherrschbar sei. Die andere Ansicht gab zu bedenken, dass die heutige Problematik doch gerade durch eine fragwürdige Anwendung von Technologie entstanden sei und ein weiterhin blindes Vertrauen in die technologische Entwicklung die anstehenden Probleme nur verschärfe. Die „Technologen“ hoffen optimistisch auf einen zukünftigen Durchbruch in der Technik und die „Fraktion der Skeptiker“ ist der Auffassung, dass so etwas wie Mäßigung ein pragmatischer Ansatz ist, keinen unbegründeten Optimismus zur Voraussetzung hat und die Maßnahmen sofort verfügbar wären. Sie bietet zudem die Chance, den sich ständig aufbauenden Zeitdruck aus der Diskussion zu nehmen.

Als Problem bleibt, dass mit Mäßigung ein Zurücknehmen gewisser Ansprüche unvermeidlich erscheint, und diese Rücknahme vielen Menschen der ‚modernen‘ Gesellschaft als politisch unzumutbar gilt. Dabei ist Mäßigung ein uraltes Prinzip und hat sich weltweit im Zeitlauf schon tausendfach bewährt.

Dabei gibt es m.E. zwei Ansätze, sich mit dem Thema auseinander zu setzen: Einmal kann man die Mäßigung aus der Ideen-Geschichte heraus entwickeln und zum anderen kann man sich fragen, was den ‚modernen‘ Menschen von den Menschen unterscheidet, die bis in die jüngere Vergangenheit die Fähigkeit zur Mäßigung als Bestandteil einer gesunden Persönlichkeitsentwicklung verstanden haben.

Was könnte mit Mäßigung denn gemeint sein? Als ‚Mäßigung‘ gilt die Fähigkeit, Maß zu halten. Es bedeutet Übertreibungen oder Extreme zu vermeiden, heißt Gier und Getriebensein, Emotionalität und Erregung als Ausdrucksformen mangelnder Selbstbeherrschung im Zaum zu halten. Mäßigung erfordert Zurückhaltung und Zügelung der eigenen Person1. Dabei sollten wir nicht übersehen, dass der ‚moderne‘ Mensch in der Mäßigung auch ein Moment des Verzichtes erkennen will. Und Verzicht gilt ihm als eine Zumutung.

Aber zuerst ein paar Überlegungen zur Ideen-Geschichte der Mäßigung. Die Mäßigung ist Teil aller mir bekannten Philosophie-und Religions-Systeme: Die Griechen, die Inder, die Chinesen und die Japaner kennen diesen Begriff und haben ihm in ihrem Denken eine große Bedeutung zugemessen, weil die Lebenspraxis über die Jahrtausende zeigte, dass es ein auskömmliches und friedvolles Zusammenleben nur dann geben kann, wenn sich alle Beteiligten ‚mäßigen‘, sich also ein Stück weit zurücknehmen und sich in Rücksicht üben können. Das fliegt den Menschen nicht zu, das muss man üben!

Die Griechen pflegten zu Platons Zeiten ihr Weltbild über die vier Kardinaltugenden: Gerechtigkeit, Weisheit, Tapferkeit (Mut) und Besonnenheit. Die Gerechtigkeit war der umfassendere Begriff, weil Weisheit, Tapferkeit und Besonnenheit ohne Gerechtigkeit wenig sinnvoll erscheinen. Mäßigung ist bei den alten Griechen Teil der Besonnenheit. Besonnen handeln kann man nur, wenn man sich auch zurücknehmen kann.

Die griechische Perspektive wurde dann in Europa von der römisch-katholischen Kirche weitgehend übernommen. Da man dort dem (heidnischen) griechischen Denken nicht unmittelbar Referenz erweisen wollte, hat die Kirche für ihre Gläubigen die sieben Todsünden geschaffen, deren Vermeidung einen Weg zur religiösen Glückseligkeit anbot. Diese Lebensregeln galten neben der griechischen Klassik und bestärkten sich wechselseitig und waren Jahrhunderte lang meist uneingeschränkt eine allgemein gültige moralische Leitlinie.

Erst die Aufklärung konnte die religiös-moralische Bevormundung abschütteln und durch eine deutlich individuellere Sicht ersetzt: „Handle so, dass die Maxime Deines Handelns Grundlage für ein allgemein gültiges Gesetz sein könnte“ (Immanuel Kant). Die Mäßigung liegt darin, dass egoistische Elemente wenig Chancen haben, weil sie so weit entschärft werden müssen, dass ein allgemein gültiges Gesetz darauf begründet werden kann. Neben dem darin enthaltenen Moment der Mäßigung wurde aber auch das Individuum darin bestärkt, seine jeweiligen Wünsche und Bedürfnisse zum Ausdruck zu bringen. Es wird auch deutlich, dass Mäßigen einen nur individuell realisierbaren Wert darstellt. Dass sich eine Gesellschaft ‚mäßigt‘, erscheint als ein Widerspruch. Zur Mäßigung kann man zwar auffordern, aber mäßigen muss sich der Einzelne aus eigenem Antrieb heraus.

Dabei stellt sich die Frage, ob unser gesellschaftliches und wirtschaftliches Umfeld, in dem wir uns heute bewegen, diese oben beschriebene Sichtweise (noch) unterstützt? Sehen wir uns als Teil eines Ganzen oder hat der sogenannte ‚Massenindividualismus2‘ eine Haltung hervorgebracht, in der Mäßigung nur dann denkbar ist, wenn wir durch machtvolle äußere Umstände dazu gezwungen werden (z.B. Katastrophen u.ä.). Das intrinsische Moment scheint eher zu verkümmern.

In der Nachkriegszeit sind wir dem Narrativ der Leistungsgesellschaft gefolgt. Heute hat sich das Narrativ verändert. Leistung bleibt notwendige Voraussetzung, aber wir haben den ‚Erfolg‘ als neue Zielgröße definiert. Nicht die Leistung zählt, sondern allein der Erfolg. Das ist heute der Ausdruck von Individualität und wir sind bereit, dem ‚Erfolgreichen‘ manche „Verrücktheit“ zu verzeihen. ‚Erfolg haben wollen‘ und ‚Mäßigung fordern‘ sind wohl eher Gegensätze als dass man Gemeinsamkeiten entdecken könnte.

Waren die „Alten“ einfach blind, den großen Vorteil des „Erfolges“ nicht zu erkennen? Erfolg haben stellt ein singuläres Geschehen dar, vergleichbar mit dem Glück, das einem Menschen widerfährt. Erfolg nutzt sich schnell ab. Erfolg ist so etwas wie ein Superlativ, der ständig übertroffen werden will. Wie lange hält der Mensch den Superlativ aus, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen?

Erfolg macht süchtig (oder abhängig) und einsam. Der Erfolg wird zwar gerne einem Individuum zugeschrieben, aber der Erfolg hat regelmäßig viele Väter, letztlich braucht er auch glückliche Umstände. Wer Erfolg hatte, sollte sich glücklich schätzen und sich dahin gehend mäßigen, als er erkennt, dass Erfolg nicht unbedingt wiederholbar ist. Die Umstände sind nicht immer günstig. Wer diese Ansicht für falsch hält, den darf ich an die ‚erfolgreichen‘ Manager erinnern, die zum Sprung an die Spitze angesetzt haben, das Unternehmen wechselten, dabei neue Umstände vorfinden und mit einer anderen ‚Kultur‘ konfrontiert werden, und sie müssen plötzlich für sich feststellen: „The Thrill is Gone“ (B. B. King).

Die Sinnhaftigkeit der Mäßigung kann man auch aus einer anderen Perspektive zu erfassen versuchen. Wir betreiben die Geschäfte heute auf unserem Planeten aus der anthropozentrischen Sicht. Diese Sichtweise kann man verkürzt mit der alt-testamentarischen Aufforderung: „Macht Euch die Erde untertan“ umschreiben. Dabei ist diese Aufforderung etwa vier- bis fünftausend Jahre alt und wird regelmäßig aufgrund der Zeitbezüge falsch interpretiert. Die nächstliegende Interpretation ist die kriegerische Intention einer Eroberung. Ich glaube, viele Herrscher haben die Aussage in diesem Sinne verstanden und haben auch so gehandelt. Als Folge zieht sich eine Blutspur durch die menschliche Geschichte. Aber man kann die Aussage auch anders interpretieren.

Die Aufforderung war in einer relativ „leeren“ Welt an eine Spezies der Biosphäre gerichtet, die sich zwar durch Intelligenz auszeichnete, aber zu jener Zeit über keine nennenswerten zivilen Technologien verfügte, um diese Aufforderung tatsächlich realisieren zu können. Wer es sich leisten konnte, verfügte über Sklaven, die erst dann als wirtschaftliches Mittel zur Herrschaft aufgegeben wurden, als man erkennen musste, dass die Produktivität von Technik und von (schlecht) bezahlten Arbeitskräften der Produktivität von Sklaven haushoch überlegen war. Dieser Vorgang entwickelte sich erst im 19. Jahrhundert, als die Sklavenhaltung aus Renditegründen aufgegeben und dieser Entwicklung ein humanitäres Mäntelchen umgehängt wurde3, indem man die Sklaverei letztlich verbot als sie für die damalige Wirtschaft ihre Bedeutung längst verloren hatte.

Mit dem Niedergang der Sklavenhalterei entwickelte sich die Technologie rasant. Der ehemalig menschliche Sklave wurde durch effiziente und viel anspruchslosere „Energiesklaven“ (Maschinen) ersetzt. Der Energiebedarf nahm dabei gewaltig zu und wurde (nicht wie zuvor) durch die Verwendung von Holz, sondern glücklicherweise durch den wachsenden Einsatz von fossilen Brennstoffen (Steinkohle, Öl, Gas) befriedigt. Diese eher zufällige Veränderung hat der Abholzung der Wälder glücklicherweise Einhalt geboten, sonst wäre die technologische Entwicklung aufgrund offensichtlich werdender großer Umweltschäden in dieser Form wohl kaum möglich gewesen.

Mit anderen Worten: Die fragwürdige Realisierung der alt-testamentarischen Forderung , sich „die Erde untertan machen“ zu wollen, wird in seinen zivilen Voraussetzungen mit der Entwicklung der erforderlichen Technologie erst seit etwa 200 Jahren erfüllt, gepaart mit einem parallel entstehenden kapitalistischen Wirtschaftssystem, deren Wachstumsideologie den Prozessen die notwendige Dynamik vermittelt.

Die Wachstumsideologie gepaart mit den Erfolgen der technischen Industrialisierung führte u.a. dazu, dass vieles, was in der Vergangenheit als unmöglich galt, realisiert werden konnte. Waren die unkalkulierbaren Einflüsse der Biosphäre in den Jahrhunderten zuvor der große Unsicherheitsfaktor, so hat die Technologie diese Abhängigkeit des Menschen auf vielen Gebieten scheinbar stark reduzieren können. Als Folge haben wir die notwendige Verbindung zu unseren Lebensgrundlagen Schritt für Schritt verloren und die Konsequenzen des Bindungsverlustes werden in der Gegenwart im Rahmen der „Klimakrise“ realisiert und beschrieben.

Es wird deutlich, dass unser technikverliebter Ansatz ohne Frage eine Reihe von Vorteilen vermitteln konnte. Er macht aber auch deutlich, dass unser Narrativ zur Technologie wesentliche Defizite bzw. blinde Flecken aufweist, und uns einen Schein von Sicherheit vermittelt, die unseren dominanten Technikansatz für die Zukunft in Frage stellen.

Seit etwa 70 Jahren hat sich m.E. ein neuer Denk-Ansatz schrittweise durchgesetzt, der unter dem Namen ‚Systemtheorie‘ läuft und eine Metatheorie bereit hält, die in der Lage ist, die Detailversessenheit des klassischen Ursache-Wirkungs-Ansatzes zu reduzieren und einen eher ganzheitlichen Blick auf die handlungsrelevanten Zusammenhänge zulässt.

Der Systemansatz unterscheidet sich grundlegend von dem gegenwärtig gepflegten anthropozentrischen Ansatz. Letzterer ist eine Realisierung der Aufforderung: „Macht Euch die Erde untertan, denn ihr seid die Krone der Schöpfung“. Das klingt religiös und das ist es wohl auch von seiner monotheistischen Grundlage her. Aber das zu beobachtende Verhalten hat vielleicht seinen Auslöser im religiösen Raum, aber der Umsetzung fehlt jedes religiöse Moment – hier herrscht schlicht Machtausübung: Was dem Menschen nutzt und als Ertrag Geld generiert, gilt zunehmend in den letzten 200 Jahren als gut und richtig. Die möglichen Gesichtspunkte anderer Beteiligter, die unter der Bezeichnung Umwelt oder Mitwelt oder externe Effekte laufen, gelten für den ‚Erfolg‘ als weitgehend irrelevant.

Der Systemansatz stellt das Leben (oder Überleben) eines Systems (z.B. die Biosphäre) in den Mittelpunkt der Betrachtung. Der Mensch und seine Mitwelten (als sogenannte Subsysteme) werden als gleichberechtigte Elemente des Systems der Biosphäre verstanden. Und für sie gilt es, das System der Biosphäre funktionsfähig zu halten. Die Funktion dieses ‚Makrosystems‘ liegt darin, das ‚Überleben‘ (die Erhaltung) des Systems und seiner Elemente sicherzustellen und seine weitere Entwicklung (Entfaltung) zu fördern. Allein die Tatsache, dass dieser Ansatz den Menschen (bisher die ‚Krone der Schöpfung‘) und seine Mitwelten auf eine Ebene stellt, ist aus der Sicht des alten Verständnisses der Rolle des Menschen in der Welt eine herbe Zurücksetzung. Es geht nicht mehr darum, dass der Mensch einen Ausgleich nur unter seinesgleichen finden muss; er muss sich auf Augenhöhe auch noch mit den Ansprüchen seiner Mitwelt auseinander setzen. Das wäre m.E. ein noch nie dagewesener Akt der Mäßigung, zumindest für die westliche Sicht auf die Welt. Dabei muss das System der Biosphäre erhalten bleiben und sollte sich auch entfalten können.

Das besondere Problem liegt dabei in der Verantwortung. Keine Spezies der Biosphäre ist technisch und mental in der Lage, so massiv auf die Biosphäre Einfluss zu nehmen wie der Mensch. Mit seiner Einflussfähigkeit wächst auch seine Verantwortung. Einige sprechen hierbei auch von Solidarität, die der Mensch im eigenen Interesse für die anderen Spezien der Biosphäre aufzubringen habe.

Wir haben die Ausführungen mit der Frage begonnen: Warum sollten wir Mäßigung üben? Wir haben auch recht plausible Antworten gefunden, einmal aus der Lebenspraxis und zum anderen Mal aus einer eher theoretischen vorausschauenden Sicht heraus. Die Lebenspraxis steht uns näher und spricht vermutlich mehr Menschen an, als der Versuch, Mäßigung aus einer theoretischen Sicht unter dem Primat der Verantwortung als notwendig zu erachten. In unserer gegenwärtigen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Umgebung erscheint mir der emotionale Affekt stärker verbreitet zu sein als das rationale Moment. Mäßigung hat objektiv einen Bezug zum freiwilligen Verzicht. Mäßigung stellt sowohl aus der Erfahrung heraus als auch aus einer eher theoretischen Perspektive langfristig eine hinreichend sichere Strategie zur Lösung der anstehenden Probleme dar. Wir gewönnen Zeit zur schrittweisen Abwägung unserer jeweils getroffenen Maßnahmen. Wir wären dann in der Lage, „Technologieoffenheit4“ nicht nur zu verbalisieren, sondern auch ggfs. zu konkretisieren. Wenden wir die Mäßigung als Grundsatz heute an, bevor uns die künftig absehbaren Umstände zur Unzeit zwingen werden, Einschnitte unseres Lebensstandards hin nehmen zu müssen.
…………………………………………………………………………………………………

1Vgl. https://wiki.yoga-vidya.de/Mäßigung
2Dieser Begriff ist ein Widerspruch in sich selbst (Individualität vs. Masse). Er ist möglicherweise Ausdruck einer polarisierten Gesellschaft.
3Vgl. ausführlicher: Thomas Piketty, Kapital und Ideologie, Teil II, München 2020
4Ein m.E. politisch sehr fragwürdiger Begriff – er klingt in den Ohren der Wähler gut, vernachlässigt aber die Tatsache, dass Technologie noch nie offen war: sie folgte stets dem großen Geld. Eine Invention, auf die die Welt gewartet hat, die aber keine private Rendite verspricht, oder die Rentabilität der gegenwärtig benutzten Geschäftsmodelle schmälert, wird sich kaum durchsetzen lassen. Dann ist die geforderte Offenheit doch ein „heiße Luftblase“.

» weniger zeigen