Aussagen der Politik zur Ökologie – zunehmend Humbug

Harry G. Frankfurt empfiehlt das Wort Humbug anstelle des kräftigeren „Bullshit“ zu setzen, um das gleiche auszusagen. Er meint, es sei höflicher und harmloser. Nun will ich nicht harmloser sein, aber etwas in mir verbietet den Begriff „Bullshit“ bei schriftlicher Kommunikation zu verwenden – m.a.W. er kommt mir angesichts der politischen Aussagen zur Ökologie leider viel zu oft über die Lippen.

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Egal, mit wem man spricht, jeder schüttelt mit dem Kopf, wenn es um die Generationenfrage geht, wie soll es weiter gehen? Ist das angeblich unverzichtbare Wirtschaftswachstum die Lösung dieser Frage? Die Mehrzahl der Bürger folgt (ohne besondere ökonomische Kenntnisse) ihrem ganz natürlichen Instinkt: So kann es nicht weiter gehen! Und diese Mehrzahl steht damit im Widerspruch zu den Aussagen unserer Regierung.

Nichts auf dieser Welt wächst in den Himmel, das wissen die Bäume am besten, aber die Ökonomie träumt immer noch davon, dass es möglich sei, das sogenannte Wirtschaftswachstum vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln. Wenn das den Bäumen gelänge, so würden sie in den Himmel wachsen. Ich habe aber noch keinen solchen Baum gesehen, der es trotz Dünger und guter Pflege je geschafft hat.

Jeder Physiker winkt ab, wenn man ihn auf ein Wachstum ohne Ressourcenverbrauch anspricht. Nur die Ökonomen sind eifrig dabei, den Mythos zu pflegen, ohne ihn mit Inhalt füllen zu können. Ihre windigen Argumente liefern der Politik den Vorwand, behaupten zu können, ein „grünes“ Wachstum sei möglich und zu erreichen.

Es wurde auf der politischen Ebene bisher riesige Anstrengungen unternommen und enormes Geld der Steuerzahler in sogenanntes „gründes“ Wachstum gesteckt. Es ist ein politisches Problem. Die Energiewende soll durch den Einsatz von erneuerbaren Energiequellen umgesetzt werden. Es wurden Milliarden in diesem Markt versenkt, aber die Zahlen zum CO2 – Ausstoß wollen einfach nicht sinken. Die lange Zahlenreihe zum CO2-Verbrauch weist in Folge des Abbaus der alten DDR-Industrie und deren industriellen Dreckschleudern für die Zeit 1990 bis etwa 2000 einen Rückgang aus. Diese Tatsache wurde als großer Erfolg der Klimapolitik und der Energiewende gefeiert. Heute sind wir wieder deutlich in einem höheren Verbrauch. Wann war dann nochmals ein Rückgang zu verzeichnen? In der Finanzkrise, als eine Reihe von Unternehmen ihre Leistungen stark zurückgefahren haben oder ihren Geschäftsbetrieb sogar aufgeben mussten. Aber schon im Folgejahr stieg der Ausstoß wieder auf das alte Niveau (und darüber hinaus).

Könnte es nicht sein, dass die Idee, den Wandel unseres Wirtschaftens (allein) über die Technologie erreichen zu wollen, ein grundsätzlicher Fehlgriff ist? Der Technologieansatz hat politisch natürlich seinen Charme. Die Technologie sind nicht wir. Technologie ist eine Sache, die nur richtig eingefädelt werden muss und schon ist der Erfolg gesichert. Wir, die eigentlichen Verursacher, können uns da fein raushalten. Das ist ein riesiger Trugschluss, den uns die Politik und die Ökonomie als ihr dienstbarer Knecht verkaufen wollen. Hierzu soll ein (zugegeben einfaches) Beispiel die Zusammenhänge versuchen zu erklären:

Angenommen, wir verfügen über eine neue Technologie, die in einem Wirtschaftssektor eine Ressourceneinsparung von 25% ermöglicht. Das wäre für sich genommen ein enormer Schritt in eine technologiegetragene Zukunft. Nehmen wir ein in diesem Sektor tätiges Unternehmen, das diese Technologie erfunden hat und anwendet. Die Rohstoffmengen und -kosten sind durch die Anwendung der Technologie (der Einfachheit halber) um 25% gesunken. Das Unternehmen produziert also deutlich ressourcenschonender als zuvor und verfügt dadurch in seinem Markt aus der 25%igen Kostensenkung über einen zusätzlichen Deckungsbeitrag. In einem ersten Schritt bleibt der Preis gleich, nur die technischen Faktorkosten sind um 25% gesunken.

Das könnte man als einen Beitrag zur Nachhaltigkeit betrachten, weil knapper Rohstoff nachhaltig eingespart wird. Die positiven Auswirkungen dieser Technologie bleiben den anderen Marktteilnehmern aber nicht verborgen. Insbesondere die zusätzliche Deckungsbeitragssteigerung ruft im Markt bei den Wettbewerbern Begehrlichkeit hervor. Andere Unternehmen des Marktsegments steigen mit derselben oder einer leicht abgewandelte Form der eingesetzten Technologie ein und werfen ihre Produkte auf den Markt. Wegen des tendenziellen Überangebots entsteht Wettbewerb. Der zusätzliche Deckungsbeitrag gibt ja auch Raum für einen Preiskampf. Am Ende des Preiskampfes sind alle Unternehmen auf einem Preisniveau, das etwa 25% unter dem alten Niveau liegen wird, d.h. die Einführung der effizienteren Technologie hat das Preisniveau gesenkt und die Unternehmen haben bei gleicher Absatzmenge etwa 25% ihres vormaligen Umsatzes verloren.

Aber die Gesamtsituation hat sich – bis hierher – ökologisch verbessert – weniger Ressourcenverbrauch und konsequenterweise auch weniger CO2-Ausstoß! Nur haben wir die Rechnung ohne die Unternehmen gemacht, die eine Umsatzeinbuße von besagten 25% nicht klaglos wegstecken. Sie werden alle politischen und manipulativen Hebel in Bewegung setzen und versuchen, die Absatzmengen zumindest so weit zu erhöhen, dass der Umsatzeinbruch ausgeglichen werden kann. Sofern ihnen das gelingt, war die ‚gute‘ Technologie ökologisch ein ‚Schuss in den Ofen‘ – von wegen Ressourceneinsparung!? Man nennt eine solche Entwicklung einen ‚Rebound‘. Diesen Vorgang kann man als Leitlinie für alle technologischen Ansätze zur Lösung der Wachstumsfrage verwenden. Es gibt immer wieder interessante Ansätze, die aber insbesondere dann, wenn sie wirksam werden, regelmäßig durch einen sogenannten Rebound-Effekt in ihrer Wirkung für den CO2-Verbrauch verpuffen.

Niko Paech, Professor in Siegen und ein Vertreter der Postwachstumsökonomie, bezeichnet den beschriebenen Vorgang als Produktivitätsfalle, weil immer dann, wenn eine neue Technologie Ressourceneinsparungen ermöglichen, steigt die Produktivität des Prozesses. Es kann damit billiger produziert werden, aber der dann einsetzende Preiskampf um die erhöhten Deckungsbeiträge führen dazu, dass die Preise sinken und damit die kapitalistischen Propagandamaschine zu laufen beginnt, um die Umsatzeinbuße durch erhöhte Absatzzahlen zumindest wieder auszugleichen. Wenn die Aufholjagd grundsätzlich unterbunden werden könnte, so hätten wir einen Fall von „Degrowth“, denn das Wachstum wäre dann negativ (wenn es so etwas semantisch überhaupt gibt). Und jede neue Effizienz steigernde Technologie, die wir einsetzen könnten, hätte einen vergleichbaren Effekt. Der Ressourcenverbrauch würde sich langsam, aber stetig reduzieren. Das System des Kapitalismus sieht aber die Möglichkeit, eine Aufholjagd zu unterbinden, nicht vor. Vielmehr lebt dass System von dieser Aufholjagd. Sie ist gewissermaßen sein Treibsatz.

Niko Paech kommt deshalb zu der Auffassung, dass der gesamte technologiegestützte Ansatz des „grünen“ Wachstums u.a. auch aus den obigen Gründen keinen Erfolg haben kann, obwohl die Politik quer durch alle Fraktionen und gestützt durch die Mainstream-Ökonomie dieser Chimäre nachläuft wie einem „Rattenfänger von Hameln“. Viele vermuten, dass irgendwas nicht stimmen kann (die Zahlen und Ergebnisse dieser Entwicklungsstrategie sind auch nach über 20 Jahren einfach zu schlecht), aber man kann mit dieser Wahnsinnsidee trotzdem viel Geld verdienen und die ökonomische Maschinerie wunderbar am Laufen halten – leider zum Nachteil künftiger Generationen.

Auffällig bei dieser Betrachtungsweise ist der Versuch, die Menschen, die letztlich das Problem verursachen, bei der Diskussion um sinnvolle Lösungen herauszuhalten. Solange der Fokus auf der Technologie liegt, erwarten wir eine Lösung, bei der wir Menschen nicht beteiligt werden müssen. Die Technologie wird es schon richten. Wir, die Akteure in diesem Spiel, scheinen in der glücklichen Lage, unser Verhalten nicht ändern zu müssen.

Wenn wir diese Technologie bezogene Haltung aufgeben würden und uns klar machen, dass wir, die Akteure, unser Verhalten verändern müssen (auch wenn uns vielleicht die eine oder andere Technologie eine Brücke bauen kann), dann ist der von Niko Paech vertretene Ansatz zur Postwachstumsökonomie eine durchaus diskussionswürdige Alternative. Insbesondere, weil Niko Paech inzwischen deutlich konkretere Vorstellungen über die wirtschaftlichen Folgen des Postwachstumsszenarios entwickelt hat. Dabei wird deutlich, dass dieser Ansatz durchaus Hand und Fuß hat. Offen bleibt aber in jedem Fall die Prognose, wie der Wandel (der Prozess des Übergangs) vonstattengehen könnte.

Paech kann, so mein Eindruck, aufgrund der Erfordernis einer völligen Umkehr des übersteigerten Konsumdenkens außer der Einsicht und Vernunft leider keinen hinreichenden Grund finden, warum die Mehrzahl der Bürger die Ideologie des Konsums aufgeben und sich von der ‚Befreiung‘ vom Konsum anstecken lassen sollten. Er ist wohl bei der anzustrebenden Verhaltensänderung auf den absehbaren Crash unseres Wirtschaftssystems (das ‚Desaster‘) angewiesen. Selbst wenn es heute schon gute Gründe für die Notwendigkeit einer ‚Befreiung‘ gibt, wird die Sorge um Einkommen und Status viele Menschen daran hindern, sich freiwillig und bewusst auf das Wagnis einer Postwachstumsökonomie einzulassen.

Die Postwachstumsökonomie zeigt unter dem Begriff „Wachstumsgrenzen“ genügend gute Gründe auf, warum unser Wirtschaftsmodell des „Immer schneller, immer höher, immer weiter“ an sein Ende kommen wird. Neben den bekannten ökologischen Grenzen, der erkennbaren Erschöpfung von vielen, für unser Wirtschaftssystem unentbehrlichen, aber nicht substituierbaren Rohstoffen kommt auch der Mensch selbst an seine natürlichen Grenzen: wir wollen die wachsende Ungleichverteilung der Einkommen und Vermögen nicht länger tolerieren. Der Massenkonsum frisst uns psychisch – wir haben gar nicht mehr die Zeit, die Dinge, die wir kaufen oder kaufen sollen, wirklich zu nutzen oder zu genießen. In den letzten zehn Jahren hat sich der Verbrauch von Pharmazeutika zur Behandlung von Depressionen vervielfacht.

Das sollte eigentlich genügen, um zu erkennen, dass das „Weiter so“ keine realistische Alternative ist. Der Wandel wird also entweder durch ein Desaster (einen Zusammenbruch) eingeleitet oder durch die vernunftgesteuerte Erkenntnis einer Mehrzahl von Menschen erreicht, die so nicht weitermachen wollen. Ob dabei die Alternative der Postwachstumsökonomie die einzig mögliche Alternative darstellt, bleibt abzuwarten. Zumindest ist sie eine denkbare Entwicklung, die dem ‚Design‘ als einem geplanten Wandel eine gewisse Chance gibt. Das ‚Desaster‘ sollten wir versuchen uns zu ersparen.

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