Die Zahl der Wirtschaftsfälle, an denen die Justiz scheitert, obwohl erkennbar große Schäden verursacht wurden, ist erschreckend. Manche der Gazetten kommen dabei zu dem Schluss, dass die Gesetzgebung die Komplexität der Fälle nicht mehr erfassen kann. Das mag bei einzelnen neuen Sachverhalten durchaus richtig sein, aber der eigentliche Grund liegt vermutlich ganz woanders.
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Schauen wir uns doch diese Frage aus dem Blickpunkt eines frischgebackenen exzellenten Anwalts an. Früher gingen solche Leute ins Richteramt. Heute wird der Kandidat so mit Angeboten der Wirtschaft bombardiert, dass er diese Option schnell fallen lässt. Es beginnt bei den Arbeitsbedingungen im Amt und endet beim Einkommen als beamteter Richter.
Beginnen wir bei den Arbeitsbedingungen. Neben der Frage nach der unterstützenden Technik, die meist schon viele Jahre in der Anwendung ist und die die letzten Updates nicht erreicht haben, ist die Frage, wie gearbeitet wird. Stehen die notwendigen Arbeitskräfte zur Verfügung, die qualifiziert zuarbeiten können? Ertrinkt der Kandidat in Fällen, die schon sein Vorgänger bei vielen Überstunden nicht bearbeiten konnte? Die personelle Ausstattung lässt grundsätzlich zu wünschen übrig.
Der Staatsapparat soll nach der neoliberalen Doktrin schlank und effizient sein. Man kann dabei den Eindruck nicht unterdrücken, dass die Politik sich als Büttel der Wirtschaft gemüßigt sieht, viele rechtlichen Entscheidungen auf die lange Bank zu schieben statt die Frage zeitnah und treffend (gerade weil es wehtut) zu behandeln und zu entscheiden. Folgerichtig wird die Personalausstattung in der Justiz auf einem Minimum gehalten. Überlastete Mitglieder der Justiz ‚rödeln‘, um den Terminen hinterher zu hecheln.
Was ist die Folge? Der „Brain Drain“ von guten Juristen in die Wirtschaft lässt die Justiz in der Tendenz qualitativ immer schlechter werden. Die Spitzenleute entwickeln jene Modelle, mit denen sich dann, wenn die ersten Modelle an der ökonomischen Wirklichkeit gescheitert sind, die Justiz befassen darf ohne zuvor jemals etwas von diesen halbseidenen Wegen der Wirtschaft erfahren zu haben. Es ist nicht darstellbar, dass die Creme des Berufsstandes dauernd auf Schulungen zu finden ist, um die neuesten Entwicklungen zu lernen und umzusetzen. Gleichzeitig muss es in der Justizverwaltung Abteilungen geben, die ebenfalls in solchen Schulungen sitzen und sich vorausschauend gezielt auf die kritische Würdigung solcher Konstruktionen einstimmt. Die Wirtschaft hat die Perspektive, wie können wir vermeintlichen Freiraum gewinnen und die Justiz hat die verdammte Aufgabe, im Vorfeld schon Strategien zu entwickeln, wie diese Ideen justiziabel werden können. Wenn es sich herausstellt, dass das mit dem gegenwärtigen Handwerkszeug nicht zu machen ist, ist der Gesetzgeber aufgefordert, hier die Lücke sinnvoll zu schließen. Die Gesetzteslücke soll dann auf politischer Ebene genau von den Juristen (der großen Kanzleien) geschlossen werden, die zuvor die Idee der Lücke entwickelt haben. Ob sie wirklich ein Interesse haben, ihre eigenen Modelle zu konterkarieren? Das erscheint nicht sehr wahrscheinlich. Das Ergebnis der jüngeren Gesetzgebung scheint die Erwartung allzu oft zu bestätigen.
Wenn der Hypo-Alpe-Adria-Fall jetzt nach 10 Jahren geschlossen wird, ist es betrüblich, dass die Akten zu einem Schaden von insgesamt ca. 40 Mrd. Euro mit einer Geldbuße von ein paar zehntausend Euro abgewickelt werden. Es erfolgt zwar kein Freispruch, sondern ein Ende des Prozesses durch Zeitablauf. Er hat sich also totgelaufen und ist an Auszehrung gestorben. Aus den Kommentaren der Gazetten war zu entnehmen, dass die Justiz es in zehn Jahren nicht geschafft habe, den Fall so aufzubereiten, dass hier am Ende Klarheit herrscht und ein Urteil gesprochen werden könnte. Die Geldstrafe spielt dabei keine Rolle. Geld ist jener Faktor, über den diese ‚Klasse‘ von Beschuldigten in aller Regel in einem Umfang verfügt, dass die Strafe unter den Begriff des „Peanuts“ fällt. Wichtig wäre eine Schadenersatzforderung zu entwickeln und ein Urteil, das das Verhalten der jeweils in Frage kommenden Manager angemessen verurteilt. Der vorliegende Fall wird wieder die Auffassung über unser Justizsystem fördern: Die Kleinen hängt man, und die Großen werden verschont.
Die Staatsanwaltschaft hat sich inzwischen auch mit dem Cum-Ex-Betrug befasst. Dabei kommt auch Mr. Cum-Ex, einer der führenden Rechtsvertreter in diesem Fall, ins Scheinwerferlicht. Lt. SZ sieht er sich als Kämpfer für bürgerliche Freiheitsrechte. Eine merkwürdige Einstellung – Cum-Ex ist Betrug am Steuerzahler, egal ob hier eine Gesetzeslücke herrschte oder nicht. Einen Betrag durch einen „Trick“ grundlos mehrfach zu kassieren, ist auch dann, wenn es nicht ausdrücklich verboten ist, eine Schweinerei. Offensichtlich versteht er unter ‚Freiheit‘ die Aufhebung des ‚Jochs‘ der Redlichkeit. Anstand sieht anders aus und nicht alles, was nicht verboten ist, ist erlaubt. Diese eher angloamerikanische Rechtsauffassung unterscheidet sich diametral von unserer europäischen.
Es ist sehr beruhigend, feststellen zu können, dass im Rahmen des Dieselskandals die Mühlen der Justiz bereits mahlen – aber werden Staatsanwaltschaften eingesetzt, die personell wirklich in der Lage sind, mit solchen „Klienten“ umzugehen? Sind sie in der Lage deren Tricks zu kontern und sind sie so ausgestattet, dass man innerhalb einer akzeptablen Zeitspanne eine fundierte Anklageerhebung erwarten darf? Und einen Prozess, der dann nicht wieder heimlich und leise durch Zeitablauf mit einer Minimalstrafe von ein paar „Kröten“ geschlossen wird.
Wäre es nicht sinnvoll, dass die Justiz sich für solche (sich sicherlich häufenden) Großfälle eine Spezialstaatsanwaltschaft zulegt, deren Mitglieder nicht mit Kleinkram befasst sind und auf Augenhöhe mit den Konzernspitzen umzugehen lernt? Sie müssten von ihrer Aufgabe her so dotiert sein, dass mancher Anwalt in der Wirtschaft ins Grübeln kommt, ob er auf der richtigen Seite steht und nicht die Seiten wechseln sollte. Wenn eine solche Einheit aus tarifrechtlichen Gründen nicht darstellbar ist, dann schafft eine „öffentliche“ Kanzlei an, die als Dienstleister außerhalb des Tarifrechts steht und exklusiv der Staatsanwaltschaft zuarbeitet. Es geht darum, eine „Waffengleichheit“ zwischen den beteiligten Parteien herzustellen.
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