Das menschliche Maß
„Viele meinen (mit dem Hinweis auf das menschliche Maß) vermutlich den Rückzug in alte Zeiten. Das ist aber ein Interpretationsfehler.
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Es geht nicht darum, in eine „schöne alte Welt“ abzutauchen, sondern es ist eine Frage, welches Maß man an die kleinen und großen Entscheidungen unserer Zeit anlegen will: Ist es das Maß unseres Wirtschaftssystems (immer mehr, immer schneller, immer höher), das angeblich alternativlos Einschränkungen, eine Veränderung unserer Haltung, die Aufgabe unseres menschlichen und personalen Wertes erfordert – oder ist es das Maß der Menschen, die das (irrationale) System durch ihren Einsatz am Laufen halten?“ (Reflexe, S. 130 f.)
Macht und Einfluss
„Im Gesamtsystem der Gesellschaft übt das wirtschaftliche Subsystem einen Einfluss aus, der die Frage rechtfertigt, ob wir noch die richtigen Entscheider wählen oder ob wir nicht gleich dem Subsystem und seinen Wirtschaftssöldnern alle Entscheidungen überlassen sollten.“ (Neoliberalismus, S. 14)
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Fehlender Rechtfertigungszwang
„Solange im Osten Europas dieses Kontrastprogramm (des Sozialismus/Kommunismus) existierte, war der real existierende Kapitalismus, oder was man dafür hielt, sehr wohl in einem ständigen kreativen Erklärungszwang. Das Kontrastprogramm war nicht nur die andere Seite, es hatte auch komplett andere Ziele, die es mit jeweils eigenen Mitteln zu erreichen glaubte.
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Mit der Auflösung des sozialistischen Systems fühlen sich die Vertreter des kapitalistischen Systems als überlegene Sieger und haben damit aufgehört, die Frage zu stellen, ob das jeweils gültige Ziel noch zeitgemäß oder gesellschaftlich richtig bestimmt sei. … Eine verhängnisvolle Entwicklung, weil damit die (intellektuelle) Dynamik , die sich aus dem Wettbewerb der Systeme ergab, verloren ging – im übrigen die gleiche Dynamik, die der Kapitalismus ständig wie eine Monstranz vor sich her trägt, …“ (Neoliberalismus, S. 22)
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Trickle Down Effekt
„Die gegenwärtigen Ökonomen vertrösten uns (wie dazumal der Kommunismus seine Unterstützer) auf die Zukunft. Indem sie der Meinung sind, dass Reichtum von oben durch die Gesellschaft sickert und damit auch die “Armen“ beglückt.
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Aber erstens sorgen die „Reichen“ dafür, dass möglichst wenig Reichtum nach unter „verloren“ geht, und zweitens warten dann die weniger Begüterten, aber noch sehr betuchten Mitglieder unserer Gesellschaft mit großem Enthusiasmus auf die Brösel der „Reichen“. Unten – wo immer das sein mag – kommt mit Sicherheit nichts mehr an. Das manifestiert sich dann in der ständig größer werdenden Schere zwischen Arm und Reich.“ (Neoliberalismus, S. 28)
Reichtum als Ziel
„Ökonomisch und philosophisch ist der Run auf den Reichtum ohne Ziel ziemlich sinnlos. Reichtum muss einen Zweck haben. Reichtum ist Mittel zum Zweck.“ (Neoliberalismus, S.29)
Im Neoliberalismus könnte man auf die Idee kommen, dass Reichtum ausschließlich Zuwachs an Macht bedeutet. Er wird in der Ökonomie geschaffen und auf dem politischen Feld als Macht ausgelebt.
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Unersättlichkeit
„Man kann jetzt den (Schluss) ziehen, dass – mangels anderer sinnvoller Ziele, hinter denen eine Mehrheit stehen könnte – sich Unersättlichkeit als ein deutliches Merkmal herauskristallisiert hat, das wohl nicht als Ziel, aber als Zielersatz in unserer Gesellschaft angesprochen werden muss. Diese Feststellung ist im Grunde ein Armutszeugnis.
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… Die aufgeworfene Frage ist eine strategische Frage, eine Frage, die das menschliche Sein bestimmt, … . Das Ersatzziel ‚Unersättlichkeit‘ hat seine Wurzeln in der Ökonomie, im Wirtschaftssystem. … Politik, die sich der Wirtschaftshörigkeit entzogen hätte oder entziehen könnte, müsste doch auf Ziele wie Gemeinwohl, intakte soziale Infrastrukturen, gesunde Lebensbedingungen verweisen können – oder einfach eine Vorstellung vom guten Leben entwickeln, in der Wirtschaft eine Rolle spielt, aber eben nur eine von vielen Rollen und möglicherweise im Zustand des Überflusses nicht die Hauptrolle.“ (Neoliberalismus, S.30)
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Wachstum
„Der Begriff des Wachstums, seine mythische Überhöhung und seine einseitige Überbetonung in der politischen Diskussion sind der ökonomische Ausdruck der Unersättlichkeit unseres Systems.
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Als Wachstum wird (lehrbuchmäßig) eine Steigerung des BIP von 3 bis 4 Prozent erwartet, wobei ein Blick in die Geschichte klarmachen sollte, dass derartige Wachstumszahlen in den letzten zweihundert Jahren dauerhaft noch nie erreicht wurden. … Warum rechnet niemand mal solche Wahnsinnserwartungen hoch? 200 Jahre zu nur 3 Prozent Wachstum ergibt einen Vielfältiger von rd. 369. Reale Wachstumszahlen für diesen Zeitraum liegen im Durchschnitt bei 0,8 Prozent und ergeben somit einen (realen) Vervielfältiger von knapp 5.“ …
„Nimmt die Wirtschaftsleistung in jedem Jahr um den gleichen absoluten Betrag zu, so gelangt man in wenigen Jahren asymptotisch zu einem Nullwachstum – nicht weil wir nichts mehr produzieren, sondern weil der mathematische Bruch bei steigendem Nenner und einem gleichbleibenden oder gar abnehmenden Zähler gegen einen Grenzwert von Null tendiert. Das hat nichts mit Ökonomie zu tun, das sind einfach Grundlagen der Mathematik.“ (Neoliberalismus, S. 31)
„Gerne wird vergessen, dass auch Märkte die kein Wachstum aufweisen, durchaus dynamisch sind. D.h. es herrscht ein gewisses Maß an Wettbewerb, es gibt ein Kommen (Start-ups) und Gehen (Insolvenzen und Auflösungen), es gibt auch technische Innovation, aber es gibt eben kein Wachstum (keine Vergrößerung des Kuchens) und damit auch keinen zusätzlichen Ressourcenverbrauch.“ (Neoliberalismus, S.33)
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Ungleichheit
„In unserer Geschichte haben wir noch niemals einen Zeitpunkt erlebt, in dem die Menschen alle gleiches Einkommen und gleiches Vermögen hatten, und trotzdem lässt sich feststellen, dass extrem auseinanderlaufende Lebensumstände in Gesellschaften negative Auswirkungen haben.
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Insbesondere ist darauf hinzuweisen, dass die Tatsache ungleicher Einkommens- und Vermögensverhältnisse (mehrheitlich) nicht eine Folge von tatsächlichen (persönlichen) Leistungen des vermögenden Teil der Gesellschaft ist. Es ist eher so, dass Verhältnisse geschaffen oder zugelassen wurden, die diese einseitige Anhäufung von Vermögen begünstigen.“
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Wirtschaftssöldner
„Vorstände von Publikumsgesellschaften sind keine Unternehmer. Hier wird wahrscheinlich heftiger Widerspruch laut werden. Aber Vorstände sind „Wirtschaftssöldner“, die Unternehmen ohne eigenes Risiko (sieht man von einem geringen Arbeitsplatzrisiko ab) im Auftrag des Aktionärspublikums führen.
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Die hohen Vergütungen, die diesem Personenkreis zugestanden werden, sind vom Vorstand selbst vorgeschlagen und vom Aufsichtsrat genehmigt. Um den Mechanismus der Macht richtig zu verstehen, muss man sich die Besetzung der Aufsichtsräte ansehen. Neben den Gewerkschaften (sofern sie zugelassen sind) sitzen in dem Gremium aktive oder ehemalige Vorstände (also ebenfalls Wirtschaftssöldner) anderer Publikumsgesellschaften oder Berater, die alle in ihren anderen Funktionen daran interessiert sind, wenigstens gleich hohe Einkommen zu beziehen. Also gibt es keinen Grund für sie, sich in dem Gremium kritisch über hohe oder möglicherweise zu hohe Einkommen auseinanderzusetzen.
Die Kaste der Vorstände und Aufsichtsräte ist eine Welt für sich. Dem möglichen Einspruch gewerkschaftlicher Teilnehmer wird mit dem Argument des Neides einerseits und andererseits mit Tabellen begegnet, aus denen hervorgeht, was andere Mitglieder der gleichen Kaste in anderen Unternehmen verdienen. Und so ist das ein Spiel unter sich.“ (Neoliberalismus, S. 38)
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Schulden – mal anders gesehen
„Wenn immer mehr Schulden durch das Bankensystem im Kapitalismus über die Buchung „Forderung an Verbindlichkeit“ geschaffen werden können (Geldschöpfung), dann muss man sich auch die einfache Frage stellen, bei wem die ausgezahlten Geldbeträge denn eigentlich gehortet werden.
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Jeder Schuldentstehung steht ein Geldbetrag gegenüber. … Das heißt: So wie es einen Berg von immer mehr Schulden gibt, so muss es auch einen Berg von immer mehr Geld geben. Das ist schlicht doppelte Buchführung. Wenn das Geld dann nicht in der Realwirtschaft Verwendung findet (…), so kumuliert sich das Geld im Finanzmarkt und nutzt den Zinseszinseffekt.“ (Neoliberalismus, S. 51)
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Der Kern des Neoliberalismus
Kapitalismus hat viele Gesichter. Mit dem Neoliberalismus hat er wohl seinen radikalsten und m.E. unmenschlichsten Ausdruck gefunden. Das erklärt auch, warum sich mit der Umsetzung der neoliberalen Strategie offiziell keine Gesichter und Personen verknüpfen lassen.
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Die Politik hat in der Vergangenheit immer schon Verhaltensweisen toleriert, deren Folgen bedauerlicherweise Unmenschlichkeit, Gier, Rücksichtslosigkeit, Egoismus und vergleichbar negative menschliche Eigenschaften waren; aber erst der Neoliberalismus ist so schamlos, diese Eigenschaften als gesellschaftsbildendes Prinzip zu verherrlichen und die Bemühungen des Menschen um Kultur und Humanität vom Tisch zu wischen und ganz offen eine Kultur der bewusst tolerierten, ja geschaffenen Ungleichheit und des ruinösen Wettbewerbs zu favorisieren. « Ungleichheit tritt oftmals als politischer Kollateralschaden auf. Der Neoliberalismus dagegen instrumentalisiert bedenkenlos Ungleichheit und Wettbewerb als Herrschaftsinstrument. Ökonomie ist dabei nur eine Randerscheinung. (Neoliberalismus, S. 61f.)
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Exportweltmeister
„Wir sind in Deutschland inzwischen daran gewöhnt, große Anteile unseres Geldes auf dem Exportsektor als Teil der Globalisierung zu verdienen. Wir sehen hier unsere ›strategische‹ Nische, als europäisches Land Wachstumschancen nutzen zu können. … Aber je mehr wir uns auf Exporte stützen, desto angreifbarer und verletzlicher wird unsere nationale Wirtschaft.
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Einerseits drückt der Export erheblich auf die Entwicklung bei den Arbeitnehmereinkommen und schwächt dadurch unsere Binnennachfrage mangels Masseneinkommen. … Durch unseren Export bauen wir andererseits laufend Forderungen auf, die beim Empfänger unserer Waren zu Schulden werden. Wenn es unseren Handelspartnern nicht gelingt, ihrerseits gegenüber uns und anderen Ländern werthaltige Forderungen aufzubauen, so kommt es sehr rasch zu Schieflagen und dann zur Zahlungsunfähigkeit der Schuldner. Da wir uns rühmen, ›Exportweltmeister‹ zu sein, sind wir immer die ersten, die die (dann eintretende) Zahlungsunfähigkeit massiv trifft. Im Falle von Griechenland liegt hier ein ganz wesentlicher Grund, warum die deutsche Regierung sich vehement weigerte, bei Griechenland einen den ökonomischen Regeln entsprechenden ordentlichen Schuldenschnitt zuzulassen. Der würde in der deutschen, (vermutlich auch in der amerikanischen) und wahrscheinlich auch in der französischen Zahlungsbilanz eine ›Blutspur‹ hinterlassen.“ (Neoliberalismus, S. 69)
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Wettbewerb – etwas anders interpretiert
„Der alte Satz ›Teile und herrsche‹ (lat.: divide et impera) enthält eine etwas andere Interpretation von Wettbewerb. Wenn vom Markt die Rede ist, geistert in den Köpfen immer noch das Modell des vollkommenen Marktes herum, in dem auf Augenhöhe verhandelt wird. Warum vergessen wir so schnell?
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Die Römer hatten den Grundsatz des ›Teile und Herrsche‹, und das war auch nichts anderes als der systematische Aufbau von Wettbewerb. Der, der die Macht innehat, gibt Teile der Macht an ausgesuchte Mitspieler weiter, achtet aber darauf, dass es ihrer mindestens zwei sind, weil dann gezielt Wettbewerb zwischen den Vasallen aufgebaut werden kann, der von den Machtbeziehungen ablenkt und die Kräfte der Mitstreiter im Sinne des Machtzentrums im Wettbewerb bindet. Warum wird Wettbewerb nicht auf dieser Ebene diskutiert? Kreativität, Innovation, Fortschritt durch Wettbewerb – alles nett und nicht ganz falsch, aber ist das der Kern des Wettbewerbs? Ist das überhaupt der richtige Ansatz, um über Wettbewerb zu diskutieren?
Wettbewerb ist in aller Munde. Wettbewerb wird sogar dort installiert, wo er gar nicht hingehört und wo er auch keinen Nutzen hervorruft. Oft werden nur erfolgreich etablierte Strukturen zerstört, um das in der Struktur gebundene Geld zu heben. Wenn im Rahmen von Wettbewerb von Kreativität und Innovation die Rede ist, so handelt es sich meist um Inhalte, die mit eigentlicher Kreativität und wirklicher Innovation nichts zu tun haben. Der Wettbewerb schafft keine Umgebungen, die für Kreativität und Innovation sinnvoll sind. Die Kreativität und Innovation des Wettbewerbs sind i.d.R. modische Erscheinungen, die Bestehendes neu interpretieren; aber umwälzende Erfindungen (das würde ich gerne unter Kreativität und Innovation verstehen) kommen in einer solchen Umgebung nicht zustande. Sie erfordern eine völlig andere Umgebung, ihr Ziel ist eine geistig anspruchsvolle, umwälzende Leistung, die bestimmt nicht aus der Vision des Wettbewerbs entspringt.“ (Neoliberalismus, S. 79)
‚Teile und herrsche‘ ist die Erkenntnis, dass man zum Aufbau einer Position erst ‘teilen‘ muss, um dann eventuell ‚herrschen‘ zu können. ‚Herrsche und teile‘ verkörpert die Erkenntnis, wie man eine bestehende Position (das Herrschen) durch sinnvolles Teilen aufrechterhalten kann.
„Wettbewerb lebt von der tendenzieller Vereinzelung der Teilnehmer. Im Wettbewerb ist jeder primär auf sich gestellt. Sowie sich zwei zusammentun und kooperieren, was in einer schwierigen Situation nur natürlich wäre, verstößt dieses Verhalten sofort gegen den Wettbewerb, der uns durch Medien und Politik als hoher oder gar höchster Wert vermittelt wird. Wettbewerb ist also nicht nur nach Friederich A. von Hayeks Scheinargument das Mittel der Wahl, um Innovation und Dynamik zu fördern, sondern er ist noch vielmehr (und natürlich unausgesprochen) ein hervorragendes Disziplinierungsinstrument, über das erfolgreich Herrschaft ausgeübt werden kann. Wettbewerb lässt nur dann gewisse positive Effekte erwarten, wenn grundsätzlich auf Augenhöhe verhandelt wird. Wenn dagegen ein Veränderungswille besteht, aber jede Veränderung durch die großen Wirtschaftseinheiten genutzt werden kann, um ein K.O.-Spiel zu beginnen, dann verliert der Wettbewerb endgültig jede Innovationskraft. Er ist nur noch Herrschaftsinstrument.“ (Neoliberalismus, S. 83 f.)
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