Mobilität aus einer anderen Perspektive

Die Regierung ist schon viele Jahre einseitig  mit der Automobilindustrie liiert und sieht sich jetzt gezwungen endlich mal zu „kreisen“ (im Sinne von gebären) – nicht immer nur Symbolik predigen, sondern etwas Handfestem und Zukunftsweisenden ins Leben zu helfen. In diesem Zusammenhang ist der SZ-Beitrag von Alex Rühle (22./23.6.2019) interessant, weil er unseren Blick perspektivisch weitet und unsere Aufmerksamkeit von der eigenen Nabelschau auch auf Teile der EU richtet, die das Problem der Mobilität völlig anders zu lösen versuchen.

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Es fällt vermehrt auf, dass in Beiträgen im Netz und in den Gazetten plötzlich Argumente auftauchen, bei denen man sich fragt, warum kommen sie erst jetzt. Hat sich an der Sachlage irgendetwas geändert? Nein, aber unser Blick auf die Sachlage ist dabei, Dinge wahrzunehmen, die bisher sakrosankt waren. Das Automobil galt als unser „heiligs Blechle“ und mit der Betrügerei durch die Autoindustrie scheint dieser schöne Schein plötzlich durchbrochen zu sein. Es wagen sich Gedanken an die Oberfläche, die noch von einem halben Jahr in den Redaktionen als inopportun zurückgewiesen wurden. Die heilige Kuh ‚Automobilindustrie‘ galt als nicht angreifbar. Diesen Schutz der öffentlichen Meinung hat sie wohl endgültig verloren (verscherzt).

Nun ist es nicht so, dass nicht schon in der Vergangenheit kritische Stimmen existierten – aber sie wurden nicht überhört, sie wurden einfach ignoriert. In diesem Sinne hat Alex Rühle eine Reihe von Argumenten zusammengetragen, die deutlich machen, wie sehr die öffentliche oder die veröffentlichte Meinung das Automobil als ein Träger der Mobilität bevorzugt hat.

Plötzlich gibt es so etwas wie eine „Gerechtigkeitsfrage“ hinsichtlich des Flächenverbrauchs des automobilen Verkehrs in den Städten im Vergleich zu anderen Formen der Mobilität. Es wird zu Recht die Frage nach den Prioritäten gestellt, wenn die Stadtfläche nicht erweiterbar ist, aber große Zuwanderung herrscht: wer muss sich einschränken? Wo sollen die Flächen herkommen, wenn man begriffen hat, dass Grünflächen wichtiger sind als zusätzliche Straßen? In Berlin stehen lt. einer Studie den Autos 58% des öffentlichen Raums zur Verfügung, den Fahrradfahrern nur 3% (vgl. A. Rühle). Die Automobile werden immer größer und schwerer. Sie beanspruchen demnach auch immer mehr Platz. Dabei stehen die meisten Autos 23 Stunden am Tag Stoßstange an Stoßstange. Absolut ineffizient!!

Ein Bewohnerparkausweis kostet in Berlin (einer Flächenstadt) 20,40 Euro für zwei Jahre. Ein Automobil benötigt im Schnitt 12 qm Fläche (egal ob fahrend oder stehend, oder stauend) (vgl. A. Rühle). Sie können sich selber ausrechnen, was aufgrund der Angaben der vom Automobil in Anspruch genommene öffentliche Raum den Autofahrer in Berlin kostet (20,40/365 x 2) – keine 3 Eurocent pro Tag.

Falsch parken kostet in München zwischen 10 – 20 Euro. Gemessen an vielen anderen verkehrsgebundenen Ausgaben eine Lappalie (wenn man denn erwischt wird – und darauf spekulieren viele). In der Schweiz kostet die gleiche Ordnungswidrigkeit schon 100 Euro (da endet vermutlich jede Spekulation) und in den Niederlanden kostet der Spaß bis zu 140 Euro.

Das soziale Schein-Argument „Parken müsse sich jeder leisten können“ (das klingt so nach dem Sozialverständnis der CSU) ist ein schlechter Witz. Nach den Ausführungen von Alex Rühle verlangt die Stadt München (mit wenigen Ausnahmen) seit 2004 die gleichen Parkgebühren pro Stunde. Im gleichen Zeitraum sind die Tickets des ÖPNV zwischen 40 und 60% gestiegen und die Ordnungswidrigkeit des Schwarzfahrens (vergleichbar dem „Schwarz“-Parkens der Automobile) kostet inzwischen 60 Euro pro Fall. Der zum Ausdruck gebrachte ‚soziale‘ Gesichtspunkt spricht für sich.

Die Stadt Wien hat einen anderen Weg eingeschlagen. Während wir Bewohnerparkausweise ausstellen und damit die Erlaubnis erteilen, in einem Innenstadtbereich ohne Ordnungswidrigkeit parken zu dürfen, schließt der Bewohnerparkausweis die anderen potenziellen Parkraumsuchenden aus: ohne Ausweis darf in der Innenstadt gar nicht geparkt werden – man darf nur durchfahren. Die Folgen sind einfach: viele verzichten auf ein Auto, die Straßen werden leerer und befahrbar. Und viele Anwohner steigen um auf den ÖPNV, dessen Gebühren in Wien in den vergangenen Jahren drastisch gesunken sind. Der Bewohnerparkausweis ist auch nicht billig (komplett 170 Euro pro Jahr). Die dadurch generierten Mehreinnahmen fließen in den Ausbau des Nahverkehrs, des Radwegenetzes und in den Bau von Parkhäusern.

Kopenhagen und Stockholm gehen einen anderen Weg. Hier wird nicht nur die Haltung verteuert, sondern generell die Anschaffung eines Pkw in den Metropolen. Wer in Dänemark ein Auto kauft, muss eine Zulassungssteuer von 85% des Anschaffungswertes bezahlen, vorausgesetzt, der Anschaffungspreis bleibt unter 25.000 Euro. Teurere Automobile kosten dann 150 %. Wer dann in der Innenstadt von Kopenhagen wohnt, zahlt für seinen Parkplatz jährlich 535 Euro. Ein ähnliches Konzept hat Stockholm, dort kostet der Innenstadt-Parkausweis pro Jahr 827 Euro. Kopenhagen ist dichter besiedelt als München – die Straßen und Plätze wirken trotzdem viel luftiger, ruhiger als in München (so Alex Rühle).

Wie man aus den Ausführungen (die auf Alex Rühle zurückgehen) erkennen kann, hat man anderswo schon lange gehandelt. Und die Lösungen sind nicht die schlechtesten. Vielleicht haben diese Standorte den großen Vorteil, dass die Regierungen von Dänemark, Schweden und Österreich von der Automobilindustrie nicht erpressbar sind. Und Wien, Kopenhagen und Stockholm sind vielleicht auch deshalb überaus beliebte Städte (geblieben), von denen die Besucher schwärmen, weil sie einschränkende Maßnahmen ergriffen haben, um die lokale Automobilität konsequent zurückzudrängen bzw. anderen Formen der Mobilität Raum zur Entwicklung zu geben.

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