Wer sich die Mühe macht, die Leserbriefe der verschiedenen Gazetten zu studieren, der kann richtig spüren, wie der Frust über die gegenwärtige Politik durch die beschriebenen Papierseiten kriecht. Egal, wo man die papierenen Zipfel hochhebt, überall quillt dem Leser Fassungslosigkeit entgegen über so viel scheinbare oder reale politische Inkompetenz.
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Ob es um Europa geht, um Migrationsverwaltung, um Mieten, um Landwirtschaft, um Umwelt (Klimawandel), um Mobilität (verengt auf Autoindustrie), u. a. m., die Ratlosigkeit der Mandatsträger, die einem zu diesen Themen entgegenschlägt, ist entmutigend (wenn nicht gar schlimmer). Trotzdem ist der Ton der Leserbriefe dank der redaktionellen Auswahl relativ konstruktiv. Eine große Zahl von Bürgern spürt, dass sich hier ein Umbruch abzeichnet: So wie es die letzten 50 Jahre (zugegebener Maßen recht gut) gelaufen ist, kann es nicht weiter gehen. Der Problemdruck, der sich gegenwärtig aufbaut, ob real oder gefühlt, ist immens und der Eindruck, den uns die Regierungen hinterlassen, ist Hilflosigkeit. Dafür sind Regierungen aber nicht gewählt.
Dabei drängt sich mir der Eindruck auf, dass sich die Politiker in ihren eigenen Ansprüchen verfangen haben. Was heißt das? Einige Politiker und auch ganze Parteien, die gegenwärtig das Sagen beanspruchen, haben sich in der Vergangenheit zu Haltungen hinreißen lassen, die sie jetzt stur predigen und merken gar nicht, dass ihnen keiner mehr zuhört, weil sich die Rahmenbedingungen verändert haben. Die konservative Seite unseres Parteienspektrums geißelt ihre Gegner als Verbotsparteien und favorisiert einen uralten (nachweislich nicht funktionierenden) Hut der Freiwilligkeit in Wirtschaftsfragen, die existentiell geworden sind. Sie realisieren nicht, dass das ‚Sich-Drücken‘ um eine politische Entscheidungen nicht mehr toleriert wird. Es gibt Fragen, da gibt es keine Zeitschiene mehr für faule Kompromisse. Und die Vielzahl der faulen Kompromisse zugunsten der Wirtschaft kommt an einen Punkt, wo sich die Wähler bei so viel Opportunismus einfach abwenden und den Kopf schütteln. Die Politik lebt schon lange nicht mehr mit den Wählern, sie lebt in der Lobbyisten-Blase, die ihr diensteifrig bestätigt, wie toll sie doch sei. Und sie merken nicht, dass die Leute inzwischen mit den Füßen abstimmen und weglaufen.
Politik ist die Kunst des Möglichen. Das Mögliche liefert aber nicht der Wähler, sondern umgekehrt: es müssen Möglichkeiten zur Wahl gestellt werden. Dazu gehört, dass Politik ein Vision vom Menschen und von der Gesellschaft hat, für die sie steht, auch dann, wenn es schwierig wird. Das gilt für das C bei den Unionsparteien und das gilt für das S der Sozialdemokraten. Selbst das Grün der „Grünen“ zu erkennen, fällt manchmal schwer. Die Balance zwischen Machterhalt und Programmatik ist schwierig, gerade und besonders, wenn die Macht von Ferne winkt. Aber wer seine elementaren Ziele verrät, geht den Weg der SPD in die zahlenmäßige Bedeutungslosigkeit. Und es kann Generationen dauern, bis dieser „Verrat“ vom Wähler verziehen sein wird.
Die großen Koalitionen der letzten Jahrzehnte sind auf Dauer in ihrer Wirkung verheerend, weil vor lauter Koalitionsvereinbarung und – disziplin die Lösungen von wesentlichen Fragen und Problemstellungen ausgeklammert werden, weil hier keine Einigung absehbar war und die Zeit angeblich drängt. Lindners eruptiver Bruch der Verhandlungen in der großen Koalitionsrunde hat für einen Moment die Wahrheit aufblitzen lassen: Es gab kein vernünftiges Verhandeln um die Sache, um eine Problemlösung im Auftrag des „Volkes“, es gab nur ein Hin und Her um politisch unveränderbare Positionen und Posten, bloß keine neuen Perspektiven, kein Neuanfang, kein frischer Wind. Die Fähigkeit der Politik zu konstruktiven Kompromissen scheint erschöpft zu sein. Keiner konnte gewinnen, also versuchen die Verlierer ihre Position starr beizubehalten und alles was hier stören könnte, wird ausgeklammert. Das ist das politische Mikado-Spiel: wer sich zuerst bewegt, gilt als Verlierer.
Die Politik lähmt sich gegenseitig, sie ist nicht mehr in der Lage, anzuerkennen, dass auch der politische Gegner Recht haben könnte. Auf der menschlichen Ebene scheint das noch zu funktionieren, aber auf der institutionellen Ebene ist kein Spielraum mehr zu erkennen. Wir haben m.E. ein wahres Demokratieproblem, aber nicht, weil die Wähler die Lust verloren haben, wählen zu gehen, sondern weil die politischen Institutionen (u.a. die Fraktionen) den Art 38 Abs. 1 derartig kaputtgemacht haben, dass der Artikel eigentlich ins Leere läuft. Es muckt keiner mehr auf. Alles wird geschäftsmäßig unter den Tisch gefegt und dort entsorgt.
Man muss sich eine Reihe von Aussagen der Politik genüsslich auf der Zunge zergehen lassen: Die Grünen haben bei den Dänen eine Anleihe genommen und gefordert, dass ab 2030 keine Verbrennungsmotoren mehr produziert werden sollen. Ein Aufschrei des Entsetzens auf der konservativen Seite der Politik. Monate später veröffentlicht die Automobilindustrie ein trockenes Statement, dass schon 2026 der letzte Verbrennungsmotor vom Band laufen soll. Wir müssen unsere Wirtschaft nur fordern, sie ist oft flexibler als sich das mancher Politiker vorstellen kann. Die Watschen, die dann verteilt wurde, lautet: die Automobilindustrie wird keiner politischen Partei mehr Spenden zuführen. Also wurde die allzu enge Freundschaft mit der Politik wegen mangelhaft empfundener Gegenseitigkeit aufgekündigt. Das kann doch nur von Vorteil sein.
Die Aktion „Friday for Future“ hat der Politik richtig Druck gemacht. Man hat auch ‚sofort‘ reagiert – es wurde ein „Klimarat“ einberufen. Was das soll, weiß keiner. Es ist das typische Reiz-Reaktionsschema der Politik: um etwas auf die lange Bank zu schieben, wird erst mal ein Arbeitskreis ins Leben gerufen, dann wird eine Leitungsfigur bestimmt, der möglichst wenig Kompetenzen hat. Das ist das, was man in Bayern wohl einen „Watschenmann“ nennt. Er oder sie muss den Kopf für jeden Krampf hinhalten, den dieser Arbeitskreis nach langem Gewürge ausspuckt. Wenn der Kreis erfolglos bleibt, gilt das Gleiche. Passiert ist seitdem wohl nichts. Die Gazetten hätten sonst darüber berichtet.
Die Verkehrspolitik steht als Mobilitätspolitik im Fokus und bestimmt gegenwärtig einen wesentlichen Teil unserer Einschätzung von sinnvoller Politik. Der Amtsinhaber präsentiert sich gut gelaunt auf einer neuen Marketing-Veranstaltung, bei der man nicht so recht weiß, ob sie sich flotter Unterwäsche oder sicherer Fahrrad-Helme annimmt. Dabei wären mit einer sinnvollen Verkehrspolitik ein Menge von Problemen lösbar: Geschwindigkeitsbegrenzung – nicht als Verbot von ‚halbstarkem‘ Verhalten, sondern als Anerkennung der Realität und zur Verbesserung des Verkehrsflusses. Anreize schaffen, um kleinere, leichtere und damit weniger fossilen Kraftstoff verbrauchende PKW zu bauen. Möglicherweise Anreize setzen zur Begrenzung der PS-Zahlen als Folge der Geschwindigkeitsbegrenzung. Das alles würde eine Vielzahl von den kleineren Problemen lösen.
Wurde bei der Entscheidung für das E-Mobil auch an das flache Land gedacht? E-Mobile in Metropolen sind sicherlich darstellbar. Aber was ist mit den Bewohnern in ländlichen Gebieten? Sie haben heute schon kaum soziale Infrastruktur. Was ist denn dann mit der Infrastruktur, wenn die paar Stromversorgungssäulen in der Region nicht hinten und vorne ausreichen, um die Region zu erschließen. Aber ab 2026 gibt es keine Verbrennungsmotoren mehr. Dann muss die ländliche Bevölkerung die nächsten 20 – 25 Jahre mit alten Benzinkutschen (natürlich nur mit einer teuren Sondergenehmigung) fahren oder wie soll das passieren, wenn es auf dem Land auch keine Tankstellen mehr gibt? Von den paar Automobilen mit Verbrennungsmotor wird keine Tankstelle leben können.
Die Stadt muss neu gedacht werden. Die Stadt ist nicht dazu da, dass Automobile und deren Halter sich darin wohlfühlen. Die autogerechte Stadt, eine Idee aus dem Ende der fünfziger Jahre, hat sich als ein Irrweg erwiesen. Der Stadtbewohner und auch die Einpendler müssen die Struktur der Stadt bestimmen. Das Automobil wird nur zugelassen (geduldet), soweit es keine andere Alternative gibt.
Der Fußgänger ist das Maß aller verkehrspolitischen Maßnahmen in der Stadt. Vom Fußgänger ist der Radfahrer (als Synonym für alle sich nicht motorisiert fortbewegenden Bewohner) räumlich zu trennen ebenso wie jene Bewohner und Pendler, die sich motorisiert fortbewegen. Das kann nur eine komplette Entmischung garantieren. Der dafür notwendige Raumbedarf wird beim vorhandenen Raumbedarf der Motorisierung (den Straßen) eingefordert. Der Fußgänger hat erste Priorität, die zweite Priorität wird an die Radfahrer i.w.S. verteilt und die letzte, dritte Priorität steht in den Metropolen den Automobilen zu. Parallel mit dem Zurückdrängen des Automobils müssen die Infrastrukturen des ÖPNV verbessert werden. Die konsequente Folge wird sein, dass in den Metropolen alle Fragen nach Lärm und Grenzwerten von verpesteter Luft, egal von welchen Stoffen, der Vergangenheit angehören werden
Wir alle kennen in der Zwischenzeit den Volkentscheid („Rettet die Bienen“) und die Chancen, die der Erfolg eines solchen Entscheides möglich macht. Wenn wir oben festgestellt haben, dass sich die politischen Kräfte institutionell so verhakt haben, das keine Entscheidungen zustande kommen, dann sehe ich in der Form des ‚Politikentscheids‘ eine Möglichkeit, dass sich unabhängig von den unbeweglichen Parteistrukturen Politiker über Parteigrenzen zusammenschließen können, und für ihre ausformulierten Vorstellungen einen sogenannten Politikentscheid fordern können. Ein Volksentscheid unterstellt (oft fälschicherweise), dass die Initiative vom „Volke“ ausgeht. Warum nicht das gleiche Verfahren, wenn die Politik zu schwerfällig wird, im Kompetenzstreit versinkt, oder gewisse Betonköpfe nicht begreifen wollen, dass sich hier eine Veränderung vollzieht. Dann sollte es ganz offen eine Möglichkeit geben, die ganzen Strukturen wie im Bildersturz zu stürmen, um dazu einen klassischen Volksentscheid auslösen zu können. Es würde die Debatten beleben, es würde die Fraktionen agil werden lassen. Die Parteien würden nicht immer nur auf ihre Geldgeber und deren Wünsche schielen. Politik würde dann wieder dahin kommen, dass sie von Vielen offen diskutiert werden kann.
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