Der Niedergang der Politik?

Ich habe das Glück, auf einige Jahrzehnte meines Lebens zurückblicken zu können. Es drängt sich dabei der Eindruck auf, dass sowohl die Politik, als auch das politische Verhalten und nicht zuletzt die Politiker einem grundlegenden Wandel unterlegen sind.

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Es geht nicht darum, die gegenwärtige Politik – schwach ausgedrückt – als nicht nachvollziehbar zu brandmarken und die Politiker in ihrer heutigen Form als politische Karikaturen darzustellen. Wir stellen alle miteinander fest, dass es so nicht weitergehen kann – aus verschiedenen Gründen- und die Politik gibt uns manchmal sogar Recht, aber es bewegt sich trotzdem nichts. Stattdessen schmelzen die alten Parteien dahin, weil sie offensichtlich nicht in der Lage sind, die richtigen Fragen zu stellen oder notwendige Antworten zu liefern, die die Leute auch verstehen. Die Volksparteien sind deshalb primär mit sich selbst beschäftigt, um ihr Überleben zu retten. Durch die Defizite kommen neue politische Kräfte hoch, bei denen man sich fragt, ob sie ihre eigenen Argumente denn wohl ernst nehmen (können). Sinnvolle, d.h. den Problemen angemessene Lösungsansätze haben sie nicht.

Was könnten Gründe für dieses Bild sein? Wir dürfen uns nicht darauf zurückziehen, dass angeblich die heutigen Politiker nicht mehr das Format von damals haben. Es muss sich etwas im politischen System verändert haben, dass dazu geführt hat, dass wir heute andere Persönlichkeiten hervorbringen. Die Damen und Herren Politiker sind weitgehend austauschbar geworden. Die Parteizugehörigkeit spielt dabei keine signifikante Rolle. Man hat den Eindruck, nicht nur die natürliche Artenvielfalt hat abgenommen, auch die politische Artenvielfalt im Kreise der Politiker ging in Folge des Neoliberalismus verloren. Die vorgetragenen Ideen wirken so ausgelutscht, abgestanden und ewig gestrig. Begeisterung sieht wahrlich anders aus. Da brennt niemand für irgendwas. Purer Pragmatismus, an kleinsten Schritten orientiert, ziellos, eigentlich im wahrsten Sinne des Wortes: konservativ!

Die wenigen feststellbaren Aktivitäten unterliegen einer grotesken Ökonomisierung, alles wird am Wohl und Wehe der Wirtschaft gemessen. Da man ohne Ziel aus dem Status quo heraus lebt, ist es auch nicht möglich, sich ernsthaft zu fragen, ob das der jeweils ‚richtige‘ Ansatz sein kann. Die Lebenssituation kommender Generationen (das wäre z.B. ein Ziel!) spielt in dem gegenwärtigen Ökonomieverständnis überhaupt keine Rolle. Wenn im Rahmen von Wahlen die eine oder andere Person sich profilieren konnte, so muss man oft feststellen, dass sich das Profil im täglichen Politikbetrieb rasch abschleift. Die Politik blockiert sich gegenseitig zum Nachteil der Interessen des Wählers und des ‚normalen‘ Bürgers. Und er sollte doch in einer Demokratie das Maß aller politischen Dinge sein. Aber genau da liegt m.E. das Problem.

Demokratie ist ja im Grunde eine Herrschaftsform, die jeden einzelnen heranzieht. Das repräsentative Modell einer Demokratie (als schwächere Variante) entstand aus der Angst der damals herrschenden Kreise, man könnte dem demokratischen „Mob“ nicht mehr Herr werden. Dass diese chauvinistische Denkweise in keiner Weise einer Demokratie würdig ist, fiel nicht sonderlich auf. Und heute hat man sich daran gewöhnt, dass Jefferson und seine Mitstreiter nicht nur in den USA durch das repräsentative Modell eine neue Politikerklasse geschaffen haben, die sich über das Volk erhaben fühlt. Man spricht nicht mehr vom „Mob“, man spricht von der hohen Komplexität der Entscheidungen, der die demokratischen Massen angeblich nicht gewachsen sind. Aber Hand aufs Herz – das gleiche gilt doch auch für große Teile der politischen Klasse! Sie plappern doch nur das nach, was ihnen die Fraktionsspitzen in die Ohren blasen.

Die Vorstellung, dass sie nach Art. 38 „Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen“ sind, ist schon extrem naiv. Alle Abgeordneten, die nicht direkt gewählt sind, kommen über eine Wahlliste in das jeweilige Parlament. Und wer bestimmt den Inhalt der Liste? Mit anderen Worten: wer im Sinne der jeweiligen Partei kein Wohlverhalten zeigt, (d.h. sich nicht dem Fraktionszwang unterwirft, eine eigene und gar abweichende Meinung vertritt, usw.), hat bei der nächsten Wahl mit seinem Listenplatz vermutlich ein heftiges Problem! Da der günstige Listenplatz für die eigene Lebenssituation als Abgeordneter entscheidend ist, bleibt nicht viel Luft für Gewissen und für eine Unabhängigkeit von ‚Aufträgen und Weisungen‘. Das ‚Hemd ist stets näher als der Rock‘ – eine alte Lebensregel – und die wenigsten Abgeordneten sind, insbesondere in jungen Jahren, schon so situiert, dass diese Frage keinen Einfluss mehr auf ihre Entscheidungen haben kann. Und wie viele politische Entscheidungen gibt es im Laufe einer Legislaturperiode, die so grundsätzlich sind, dass hier das Gewissen so angesprochen und alle parteilichen Bedenken zur Seite gefegt werden, um einer wahren Gewissensentscheidung zu folgen? Ich sehe Mephisto blinzeln und die Feder zücken, um die Abgeordneten für einen fatalen Pakt zu gewinnen.

Aber nun konkret: was muss sich ändern, damit es besser wird! Wir regen uns auf, dass gewisse Manager für ihre Bemühungen Gehälter von Millionen pro Jahr ganz selbstverständlich zugesprochen erhalten. Wenn sich dann ihre Unfähigkeit erweist, werden sie mit weiteren Millionen heimgeschickt. Unsere Abgeordneten müssen sich einer Wahl stellen und werden dann, wenn sie es geschafft haben, mit Gehältern beglückt, über die würden viele Manager nicht einmal nachdenken. Wie wollen wir dem Art. 38, Abs. 1, S.2 GG Inhalt geben? Wie wollen wir sicherstellen, dass hier keine Weisungen und Aufträge erteilt werden und das Gewissen auch bei kleineren Fragestellungen eine Rolle spielen kann? Neben der Anerkennung, dass die Abgeordnetenaufgabe enorm wichtig ist und wir auf die Qualität der getroffenen Entscheidungen angewiesen sind, müssen wir die Abgeordneten so stellen, dass sie auch ohne Nachdenken Geld, Weisungen und Aufträge der Lobbyisten entspannt zurückweisen können. Sie müssen ihrem Gewissen bei wirtschaftlichen Fragen keine Schranken auferlegen, denn die Aussage: ‚der Markt regelt das‘, ist regelmäßig eine Lüge. Er regelt natürlich, aber nur zu Gunsten einer ganz kleinen Gruppe von Bürgern und der Rest geht regelmäßig leer aus. Und der ‚Rest‘ begreift diesen Betrug allmählich.

Also ist das laufende Einkommen der Abgeordneten so zu fassen, dass die alltäglich Versuchungen außen vor bleiben. Aber das genügt nicht: Nicht jeder Abgeordnete wird nach Ende seiner Parlamentskarriere mit einem lukrativen Posten als Austrag belohnt. Davor muss eine mehrjährige ‚Cooling down‘ – Phase vorgesehen werden und auch dann, wenn sich kein großartiges Angebot finden lässt, muss sichergestellt sein, dass der Abgeordnete (und seine Familie) langfristig abgesichert ist. Meinetwegen wird sein Abgeordnetengehalt zur Grundlage gelegt und solange er das Gehaltsniveau noch nicht erreicht hat, oder nie mehr erreicht, wird aufgebessert, wenn es sein muss bis zur Rente. Diese Absicherung ist notwendig und unabweislich mit der parlamentarischen Aufgabe verbunden. Liegt sein künftiges Einkommen über dem der Abgeordneten, entfällt die Unterstützung. Die Sorge, dass der Alt-Abgeordnete dem ‚süßen Leben‘ verfallen könnte, ist sicherlich nicht von der Hand zu weisen, aber wenn wir uns bei den Managern darüber keine Gedanken machen, sollte es doch ggfs. auch den Alt-Abgeordneten zugebilligt werden. Das Geld ist dabei i.d.R. gut angelegt.

Durch die finanzielle Unabhängigkeit der Abgeordneten wird natürlich auch der Fraktionszwang zur Farce. Das Disziplinierungsinstrument der Fraktion entfällt; es ist nur dann anwendbar, wenn die Fraktionsführung Einfluss auf die Lebensplanung des Abgeordneten nehmen könnte. Das haben wir ihr aus der Hand genommen – jetzt muss sie wieder Argumente vorlegen, um die Einheit der Fraktion herstellen zu können. Da die Abgeordneten eine veränderte Einkommenssituation vorfinden, sind sie auch nicht mehr so sehr in der Rolle des parlamentarischen Lobbyisten zu finden. Diese Rolle steht ihnen nach Art 38 GG nicht zu. Sie könnte aber aus der Absicherungsnotwendigkeit geboren sein.

Es kann festgestellt werden, dass die Politik sich gerne auf die EU-Regeln herausredet. Man tut so, als ob die EU der „böse Bube“ sei und die nationale Politik ob dieser „außerirdischen“ Gewalt „machtlos“ sei. Die nationale Politik erweist damit dem Gedanken des gemeinsamen Hauses einer Europäischen Union einen Bärendienst. Weil der Feinstaub-Grenzwert, übrigens ein EU-Grenzwert, den Städten in den letzten zehn Jahren große Probleme bereitete, war man offensichtlich der Auffassung, den müsse man nicht so ernst nehmen, der kommt ja von der EU. Erst die verlorenen Prozesse holten die Politik in die Wirklichkeit zurück.

Auf der anderen Seite kann man feststellen, dass zum Glück vieles auf EU Ebene geregelt wird (im Gegensatz zur nationalen Ebene. Wenigsten diese politische Instanz setzt um, was sie verspricht oder meint, versprechen zu müssen.) Viele Entscheidungen wären ohne die EU-Bürokratie in Deutschland immer noch irgendwo in den Pipelines (alle stellen sich natürlich der ‚großen Verantwortung‘ und tun dann aus diesem Grunde lieber nichts). Das ist der Unterschied von Verantwortung und Verantwortlichkeit. Verantwortung ist ein pathetisch-vollmundiger Begriff ohne Inhalt und Biss – deshalb wird er auf dem politischen Feld ja so oft benutzt. Verantwortung tragen wir alle für irgendwas – das tut nicht weh. Bei Verantwortlichkeit kann man jemanden verantwortlich machen, für das, was er tut oder unterlässt. Beim Feinstaub wurden am Ende jetzt die Städte ‚verantwortlich‘ gemacht. Die Verantwortung wurde in Berlin so erdrückend empfunden, dass große Ratlosigkeit um sich griff und aus Verlegenheit mal schnell eine Milliarde Euro für die Kommunen in den Raum gestellt wurden. Vermutlich (denn ich weiß es nicht) ist das Geld immer noch in dem ‚Raum‘, weil keiner in der Lage ist, die Auszahlungsmodalitäten problemadäquat zu definieren. Es ist unklar, welche Maßnahmen die Kommunen denn sinnvoller Weise ergreifen sollen. Die Kommunen können deshalb die Zahlungszusage auch nicht abrufen. In fünf Jahren ist die als Hilfsprogramm gedachte Geldspritze aber verpufft oder anderweitig ‚versackt‘.

Die Europäische Union ist in Gefahr. Die Reduzierung des europäischen Gedankens auf einen schieren Wirtschaftsraum, erweist sich mit jedem Jahr als unzureichender, ja gefährlicher. In diesem EU-Raum spielen die Deutschen den Exportweltmeister auf Kosten der anderen Mitglieder. Wir produzieren viel zu viel und können diese Produktion nur unterbringen, indem wir das Inlandsprodukt unserer europäischen Mitstreiter unzulässig anzapfen. M. a. W: unser Wohlstand wird zu einem guten Teil dadurch finanziert, dass wir exportieren und unseren Mehrwert bei den Nachbarn abschöpfen. Was wir abschöpfen, steht der nationalen Verwendung unserer europäischen Partner nicht mehr zur Verfügung. Noch schauen die europäischen Nachbarn zu, aber sie beginnen mit Recht das Verhalten als gemeinschaftsschädlich in Frage zu stellen. Der Treibsatz, der die EU spalten könnte, braut sich zu einem guten Teil in Deutschland zusammen.

Europa wählt in diesem Jahr. Haben Sie schon etwas davon bemerkt? Die Wahl ist gelinde gesagt „a lame duck“(eine lahme Enten-Veranstaltung). Es gibt weder Aussagen, Haltungen, Ziele, Parteiprogramme oder sonstiges Papier, an dem sich eine wirkliche Diskussion entzünden könnte. Vielleicht will das auch keiner. Ist noch niemand auf die Idee gekommen, dass die pseudo – demokratische Struktur der EU der wesentliche Grund für diese langweilige Veranstaltung sein könnte? Warum – bitte schön – sollen wir wählen? Aus was sollen wir auswählen? Da ist doch nichts außer heißer Luft! Man könnte eine Gliederung der Demokratiemodelle aufmachen: die basis-demokratische Herrschaftsform würde dem „Volk“ oder dem „Souverän“ die größtmöglichen Rechte gewähren. Das war den Damen und Herren der konservativen Rechten zu wenig Hierarchie (ein ganz wesentliches Merkmal konservativer Haltung). Sie konnten nur durch die Eigentumsgarantie und durch die Einführung der repräsentativen Demokratie überhaupt für den demokratisch verfassten Staat gewonnen werden. Die nächste Steigerung in Richtung Abbau demokratischer Rechte ist dann die Struktur der Europäischen Union. Und da wundern sich die Akteure, dass dieses ganze Demokratie-Theater beim Wähler überhaupt keine Resonanz mehr findet?

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