Max Hägler macht sich in der SZ vom 25.Januar 2019 Gedanken um die Automobilindustrie und kommt zu merkwürdigen Schlussfolgerungen. Seit vielen Jahren ist es für jeden Menschen mit gesundem ökonomischen Verstand erkennbar, dass die Automobilindustrie in Probleme läuft, die sie teilweise selbst verursacht hat. Erstmals spricht nun auch Max Hägler einige dieser Probleme in einem entsprechenden Medium an. Die Vielzahl der Herausforderungen (wie das heute heißt) wird meist überhaupt nicht angesprochen.
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Hägler pickt sich nur die Tatsache heraus, dass durch das autonome Fahren (er spricht von Roboter-Autos) heftige Marktveränderungen zu erwarten sind. Von den Problemen, die weniger technologischer Natur sind, spricht er nicht: Das Automobil ist der Grund dafür, dass wir mehr in Staus stehen als wir tatsächlich fahren. Das Automobil ist mit ein Grund für den Flächenfraß: wir benötigen vor der Wohnung einen Parkplatz und im Grunde auch einen zweiten dort, wo wir arbeiten. Die Effizienz des PKW-Besitzes ist in der Mehrzahl der Fälle indiskutabel schlecht: die „Karre“ fährt zwei Stunden am Tag und den Rest des Tages stellt das Auto ruhenden Verkehr dar. Zahllose andere Kritikpunkte führen dazu, dass m.E. die Automobilindustrie ihren „Peak“ überschritten hat. In den Metropolen werden zunehmend keine Autos mehr gekauft, weil es sich nicht rechnet. Dieser Effekt wird vorerst auf die Metropolregionen beschränkt bleiben, aber in den Metropolen werden die hochwertigen Kraftfahrzeuge in Massen verkauft, auf dem flachen Lande ist es mangels eines öffentlichen Nahverkehrs eine Notwendigkeit, ein Auto zu besitzen, aber es sind in der Regel Fahrzeuge, die primär der Mobilität dienen und weniger dem sozialen Status, was Größe und Ausstattung angeht. All diese Problemstellungen spricht Hägler nicht an. Folglich geht er auch nicht darauf ein, wie die Industrie mit diesen Herausforderungen künftig umgehen will oder kann.
Stattdessen macht er sich Gedanken, dass die Technologie des Roboter-Autos große Investitionen erfordert und er sieht hier das Problem, dass sich der einzelne Automobilhersteller an dieser Zukunftsinvention verheben könnte. Deshalb schlägt er vor, dass das Kartellrecht gelockert werden solle, damit die Riesenjumbos leichter zusammenarbeiten können, um diese Invention auch gemeinsam stemmen zu können. Man muss sich dabei fragen, ob Herr Hägler diesen Vorschlag wirklich ernst meint? Eine Wirtschaftsredaktion, die sich stramm zu einer marktwirtschaftlichen bzw. neoliberalen Linie bekennt, kommt auf die ‚verrückte‘ Idee, genau den Markt auszuhebeln zu wollen, den sie sonst immer vergöttert. Wenn sie wirklich an den Markt glauben würden (und das ist eine reine Glaubensfrage), müssten sie doch diese innovativen Veränderungen begrüßen, denn damit wird im Kapitalismus, so die herrschende Theorie, das Neue geschaffen (Schumpeter), die nächste Generation eingeleitet und es kann gut sein, dass sich dabei der heutige gewaltige politische Einfluss der Automobilindustrie künftig in Luft auflöst. Was ist daran schlimm? Wir haben leider die Kohleindustrie seit den 70iger Jahren (also seit mehr als 50 Jahren) durchsubventioniert und das war sicherlich ein Fehler. Soll das jetzt mit der Automobilindustrie genauso gemacht werden? Sind wir nicht mehr lernfähig? Dummheiten lassen sich aufgrund von Fehleinschätzungen nicht vermeiden. Sie gehören zu einem aktiven Leben, aber wiederholte Dummheit der gleichen Art ist ein absolutes KO-Kriterium.
Wir haben es bei der Automobilindustrie mit den ganz großen Wirtschaftseinheiten in unserem Lande zu tun. Ihre Größe ist so beachtlich, dass sie auch global in den vorderen Rängen mitspielen. Und ausgerechnet diese Einheiten sollen wir durch neue Gesetze subventionieren!? Wir können immer wieder feststellen, dass diese riesigen ‚Globalplayer‘ unfähig sind, auf Veränderungen adäquat zu reagieren. Diese Großkonzerne sind wie riesige Containerschiffe- geradeaus fahren geht noch, ausweichen wird schon schwierig – oder im Klartext: Diese Konzerne sind geschaffen und können sich nur halten, wenn es darum geht, dem bürokratischen Gesetz zu folgen. Sie sind darauf fixiert, immer mehr vom Gleichen hervorzubringen und das gelingt relativ effizient. Wenn aber Wendigkeit, Schnelligkeit, die Umsetzung von Inventionen oder Innovationen das Thema sind, versagen diese Organisationen kläglich, weil sie sich nicht in angemessener Zeit auf neue Situationen einstellen können. Das Beharrungsvermögen dieser Strukturen ist so unglaublich groß, dass jedes größere mittelständische und Eigentümer geführte Unternehmen die Großkonzerne diesbezüglich alt und klapperig aussehen lässt. Und gerade deshalb wäre es ein Sakrileg, diese Strukturen durch Subventionen, egal welcher Art, zu verewigen. Wenn sich die Zeiten gravierend ändern, dann müssen sich eben auch die ‚Jumbos‘ ändern oder sie sterben einfach aus!! Das dauert Jahre, eventuell Jahrzehnte, aber es gibt genügend Nachfolger, die in den Startlöchern sitzen.
Wer den Ausführungen keinen Glauben schenken will, beobachte die Globalplayer: sie bringen keine Innovationen in die Welt, sie sind nur riesige Bürokratie-Kraken. Sie versuchen diesen Mangel durch den Aufkauf von relativ kleinen, aber innovativen Unternehmen auszugleichen und ‚töten‘ damit in dem aufgekauften Unternehmen gleich im ersten Schritt jede künftige Innovation. Dabei ist es überaus unwahrscheinlich, dass die zu gekauften Innovationen, weil als Fremdkörper betrachtet, von den Strukturen des Jumbos angenommen werden. Das ehemalige Alleinunternehmen war damit innovativ und erfolgreich, aber der Jumbo schafft es dank seiner rigiden Strukturen, die ehemalige Effizienz des neuen Unternehmensteils in kürzester Zeit zu zerstören. Der Aufkauf hat möglicherweise Milliarden Euro gekostet. Die werden jetzt innerhalb von wenigen Monaten im Meer der Konzern-Bürokratie versenkt.
Vor der Automobilindustrie liegt eine Vielzahl von Herausforderungen. Viele haben wir hier gar nicht angesprochen. Wäre die Branche jünger und nicht so auf ihre vergangenen Erfolge fixiert, bestünde eine reelle Chance, mit den Herausforderungen erfolgreich umgehen zu können. Allein die Tatsache, dass Herr Hägler das Heil dieser Branche darin sieht, dass man sich nicht dem Wettbewerb stellt, sondern sich auf die Politik verlassen will, um die eigene Unfähigkeit zu kaschieren, bestätigt doch, dass der ‚Peak‘ im Automobilmarkt überschritten ist. Von jetzt an geht’s bergab. Es wird interessant sein, diesen vermutlich langen Prozess beobachten zu können. Die Kohleindustrie macht uns gerade vor, wie es nicht gehen sollte. Es ist aber bedauerlich, das mit diesem Niedergang auch Arbeitsplätze in größerem Umfang betroffen sein werden, während die Vorstandsetagen unverändert ihre schwer nachvollziehbaren Bezüge und Abfindungen kassieren werden.
Die eigentliche Herausforderung heißt nicht das Automobil, sondern ist die Frage: wie wollen wir die Mobilität künftig gestalten? Wir werden möglicherweise das Automobil aufgeben oder stark verändern, aber es erscheint mir sehr unwahrscheinlich, dass wir die Mobilität aufgeben werden. Gesellschaftlich hat das Automobil über die letzten Jahrzehnte (120 Jahre u.m.) gute Dienste geleistet. Aber es war deshalb so uneingeschränkt akzeptiert, weil es in der Vergangenheit die richtige und zeitgemäße Antwort auf die Frage nach der Mobilität war. Diese Periode nähert sich dem Ende. Das Automobil blockiert sich in den Metropolen selbst. Alle pubertären Wunschträume, die das Automobil erfüllt hat, werden Schritt für Schritt abgebaut: die Geschwindigkeit in Ortschaften liegt vielerorts bei unter 30 km/h; die Autobahnen, ehemals Schauplatz der PS-Präsentationen, sind meist geschwindigkeitsbeschränkt und eine generelle Beschränkung auf 120 oder 130 km/h ist nicht mehr aufzuhalten; die Abgasprobleme sind virulent (der Imageschaden immens), der Kraftstoffverbrauchs wird absehbar weiter eingeschränkt. Das Land wird seine ökologische Selbstverpflichtung ohne diese Eingriffe nicht realisieren können. Die Politik steht im Wort (was allerdings nicht viel heißt). Das alles bildet ein Szenario, das es schwierig macht, mit Automobilen künftig noch das große Geld wie früher zu verdienen.
Wie sieht die Lösung der Mobilitätsfrage aus? Wir haben jahrzehntelang fälschlicher Weise ausschließlich auf das Automobil gesetzt. Die Einseitigkeit rächt sich jetzt. Die absehbare Lösung bewegt sich in Richtung eines komplexen Mixes der bestehenden Mobilitätsformen. Man merkt an der Ausdrucksweise schon: der große Wurf ist das auch nicht, es ist die versuchsweise Fortführung des Status quo mit einigen marginalen Veränderungen. Das einzige, was deutlich wird: der private Autoverkehr soll in den Städten stark zurückgedrängt werden. Hier scheint sich eine Einigung abzuzeichnen. Wenn dann das sogenannte Roboter-Auto (autonomes Fahren) Realität wird, hat die Autoindustrie ein richtiges Problem: es wird kein PKW-Eigentum mehr geben, die PKWs werden nur noch der Mobilität dienen, ein sozialer Status wird sich nicht mehr damit verbinden lassen. Die Zahl der PKW wird in den Metropolregionen auf etwa ein Zehntel der heutigen PKWs zurückgehen (so erste grobe Schätzungen), unsere Straßen sind aber auf eine andere Auslastung ausgelegt. Parkplätze und Fahrspuren sind für die wegfallenden neunzig Prozent nicht mehr erforderlich. Sie werden für andere städtische Nutzungen frei. Das ist nur ein kleiner Ausschnitt dessen, was erwartet werden kann. Das ist und bleibt ungeheuer spannend!!
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