Freiheit, die ich meine

Es gab einen Disput im Presseclub vom 13.1.2019 über das Verhalten der Ernährungsindustrie bezüglich der übermäßigen Verwendung von Zucker. Man war sich über die Gesundheitsschädlichkeit des Zuckers in allen wesentlichen Punkten einig. Aber bei der Frage, wie dagegen vorzugehen sei, gingen die Meinungen auseinander:

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Die freie Journalistin argumentierte pragmatisch und nutzte ihren gesunden Menschenverstand. Die Vertreterin der FAZ verstieg sich in neoliberale Grundsätze entlang des ideologischen Wirtschaftsverständnisses der FAZ.

Auffällig war, wie die Freiheit im Sinne des Neoliberalismus strapaziert wurde. Man könnte danach meinen, Freiheit reduziere sich ausschließlich darauf, im Einzelhandel unter möglichst vielen Kaffee- und Schokoladesorten wählen zu dürfen. Die freie Journalistin forderte die Politik auf, hinsichtlich des Zuckerkonsums dem Handel durch eine Steuer oder ein ähnliches Instrument klar nachvollziehbare Korsettstangen einzuziehen. Das war ein neoliberales Sakrileg und veranlasste die Gegenseite die neoliberale Märchenstunde zu eröffnen: Es könne nicht sein, dass die Politik in das Wirtschaftsgeschehen eingreift. Man würde der Macht der Verbraucher viel zu wenig Beachtung zu schenken. Wenn die Verbraucher der Meinung sind, sie wollen es süß, so dürfe da keine staatliche Stelle eingreifen. Die Folgekosten dieser Haltung gehen aber dummerweise zu Lasten der Gesellschaft – also ein klassischer Musterfall des Kapitalismus: die Gewinne aus dem undurchsichtigen Deal gehen an die Wirtschaft, die negativen gesundheitlichen Folgekosten gehen zu Lasten der Gesellschaft.

Die Wirkung des übermäßigen Zuckerkonsums ist unstrittig. Wir züchten bevorzugt in unteren Einkommensschichten (das ist politisch inkorrekt, aber leider die Wahrheit) Fettsucht, Diabetes, Kreislaufbeschwerden, u.v.m. Die Liste der negativen Wirkungen ist lang. Das lässt sich in den Publikationen seit mehr als drei Jahrzehnten beobachten. Aber die Politik unseres Landes sieht sich dafür nicht zuständig. Das oft genannte, aber falsche Argument verweist auf die Freiheit des Verbrauchers. Als ob wir heute diesbezüglich in „Unfreiheit“ leben würden, weil wir leider nur unter 15 Sorten Kaffee, 20 verschiedenen Schokoladesorten, diversen Cola-Anbietern und mehr als fünf Kartoffelchips-Anbietern wählen können. Niemand hat vor, diesen Irrsinn direkt einzuschränken, es würde mit der vorgeschlagenen Maßnahme nur deutlich teurer (vielleicht auch Luxus) werden, sich die Kalorien- und Zuckerbomben leisten zu wollen.

Die Argumente der FAZ-Vertreterin mit der zum Ausdruck gebrachten Freiheitsbesorgnis ist schon makaber: Sie ist dabei natürlich auf der Linie des Neoliberalismus. Aber lässt sich Freiheit auf die simple Auswahl von Konsumartikeln reduzieren? Ergänzt wird dieses Argument dann noch mit der „Macht“ der Verbraucher: sie hätten es in der Hand, was der Markt bereitstellt! Das ist zwar nicht Orginalton der Dame der FAZ, das steht auch so oder ähnlich unkommentiert in vielen Lehrbüchern der Volkswirtschaftslehre. Aber wo lebt diese Dame (und die Volkswirtschaftslehre) eigentlich? Ist sie nicht auch dem täglichen Trommelfeuer der Einflussnahme einer Konsumwerbung ausgesetzt? Sind wir überhaupt noch in der Lage, wenn wir über Konsumeinkäufe nachdenken, allgemeine neutrale Begriffe für die Waren zu finden: Kaufen wir noch Schokolade oder kaufen wir nur „Lindt“ oder „Ritter“, kaufen wir einfach Kaffee oder gleich „prodomo“ oder „Jacobs Krönung“. Haferflocken sind dann „Kölln-Flocken“ und Würstchen werden u.U. zu „Bökelunder“ oder so ähnlich. Markennamen ersetzen die allgemeinen Begriffe. Wir haben doch unsere „Freiheit“ als Verbraucher schon lange abgegeben und es bedarf einer besonderen Überlegung, dieser stillen Gehirnwäsche etwas bewusst entgegen zu setzen. Und das ist dann Freiheit? Da kann man nur mit Rousseau antworten: „Der Mensch ist frei geboren, und überall liegt er in Ketten“. Sloterdijk kommt zu der Auffassung, dass „der Wille zur Freiheit (…) mehr und mehr „von der Nötigung zur Freiheit“ überlagert (werde).“ M.a.W.: Es besteht leider kaum noch der Wille zur Freiheit als Ausdruck eines Mangels und dringenden Wunsches nach Freiheit, sondern Freiheit wird heute als Nötigung benutzt, indem versucht wird, den eigenen Vorteil als Freiheit des Anderen zu ‚verkaufen‘.

Freiheit des Einen darf, so die herrschende Auffassung, die Freiheit der Anderen nicht einschränken. Dass ist eine Negativabgrenzung. Freiheit darf aber auch nicht instrumentalisiert werden, um eigene Vorteile unter dem Mäntelchen der Freiheit zu verkaufen und zu Lasten Dritter auszuleben. Die Freiheit der Unternehmensseite, ihre Produkte krankmachend herzustellen, trifft hier auf die Scheinfreiheit der Verbraucher, eine Wahl zu haben. Die inhärente Verknüpfung dieser Wahl mit dem Recht, körperlich unversehrt zu bleiben, wird aber bewusst ausgeblendet. Die Freiheit kann auch der Neoliberalismus nicht dadurch aufheben, dass sein Freiheitsbegriff nur die Freiheit einer Seite betont, aber die Freiheit des anderen schlicht übersieht oder, was naheliegender scheint, als ideologisch irrelevant betrachtet.

Zusätzlich wird dann fälschlicherweise von der Macht der Verbraucher gesprochen, wo keine wirkliche Macht herrscht: das atomisierte Verhalten der Verbraucher stellt keine Macht dar, solange diese Macht sich nicht kanalisieren und bündeln lässt. Damit dieser „GAU“ nicht eintritt, darauf achtet die Politik mit Argusaugen und sieht sich von Seiten der Wirtschaft gestützt. „Pass auf, dass du deine Freiheit nutzt; die Freiheit nutzt sich ab, wenn du sie nicht nutzt! Sei wachsam!“ (Reinhard Mey)

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