Das Geldsystem als Teil unserer Infrastruktur

Ein Interview mit Stephanie Kelton in der SZ unter der Rubrik „Reden wir über Geld“ forderte den Leser heraus und regt an, zu ihren Gedanken etwas weiter auszuholen. Frau Kelton zählt zu den Kritikern des Neoliberalismus. Sie vertritt einen Postkeynesianismus, was leider weder bei ihrer Vorstellung als Person noch bei dem Interview zur Sprache kam. Ein Hinweis hätte die Einordnung ihrer Aussagen erleichtert.

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Die Diskussion drehte sich ums Geld. Dabei wurde in Umrissen deutlich, dass Frau Kelton eine deutlich andere Sicht auf das Geld und dessen Theorie hat, als die Mehrzahl der SZ-Leser. Man nennt ihre Sicht Modern Money Theorie (MMT = moderne Geldtheorie). Im Folgenden wird versucht, einige Gesichtspunkte dieser Theorie vereinfacht darzustellen.

Jeder nutzt das Geldsystem und nur wenige verstehen es. Deshalb soll das Bild eines Verbrennungsmotors die Funktion des Geldes veranschaulichen: Ein Verbrennungsmotor wird sehr präzise konstruiert und zusammengebaut. Alle Teile sind komplett und an der richtigen Stelle eingebaut. Zum Schluss wird der Anlasser montiert und der Motor angeworfen. Nach kurzer Zeit bleibt der Motor abrupt stehen, weil durch die vielen beweglichen Teile Reibung entstand und die Reibungswärme die Teile verändert. Was fehlt? Es fehlt das Öl als Schmier- und Kühlungsmittel. Die verwendete Darstellung ist technisch sicherlich verbesserungsfähig, aber als grobes Modell für die Wirtschaft mag es seinen Zweck erfüllen.

Unser Wirtschaftssystem kann man auch mit einen Motor vergleichen. Dieses System erfordert zum möglichst effizienten Arbeiten ebenfalls ein „Schmiermittel“ – und das ist das Geld. Wenn wir die Vielzahl von Transaktionen immer ohne ein Geldsystem abwickeln müssten, also Ware gegen Ware tauschen wollten, würde das Wirtschaftssystem vermutlich zusammenbrechen oder doch nur auf sehr kleiner Flamme funktionieren. Geld ist das optimale Tauschmittel in einem modernen Wirtschaftssystem, indem jedem Wirtschaftsgut eine Anzahl Geldeinheiten zugerechnet werden, die dann im weiteren Prozess den Preis des Gutes repräsentieren. Damit werden die unterschiedlichsten Güter vergleichbar gemacht.

Doch was ist Geld? Es ist die schlichte Vereinbarung der gesetzgebenden Körperschaft eines Staates, das das nationale Geld, das dann auch einen Namen erhält (DM, Euro, Pfund, u.s.w.), jetzt das offizielle Zahlungsmittel sei, mit dem man seine Transaktionen mit den staatlichen Stellen abwickeln kann. Andere Zahlungsmittel akzeptiert der Staat in aller Regel nicht. Der Staat verfügt dabei über ein Monopol (das Monopol der Geldschöpfung), das er an eine Zentralbank abgeben kann, aber nicht muss. Diese Einrichtung überwacht ggfs. auch die Einhaltung des staatlichen Monopols.

Wie macht, wie schöpft man Geld? Durch eine einfache Buchung der Monopolstelle: Aktiva an Passiva (das ist der buchhalterische Vorgang). Das Recht zur Umsetzung dieses Vorgangs kann auf die Zentralbank beschränkt sein oder kann auch unter Auflagen an das Bankensystem weitergereicht werden. Die Aktiva repräsentieren Vermögen und die Passiva stellen die zugehörige Finanzierung des Vermögens dagegen. Vereinfacht ausgedrückt: Vermögen (Aktiva) gegen Schulden (Passiva). Da wir aber in einem Geldschöpfungsprozess sind, trifft der Begriff ‚Schuld‘ nicht den Kern des Vorgangs.

Wer mit T-Konten umzugehen versteht, kann die obige Aussage relativ leicht nachvollziehen. Wer diese Hilfsmittel nicht kennt, der hat schlechte Karten. Ich kenne keine bessere Darstellungsform mit einer vergleichbaren Konkretheit. T-Konten sind das Handwerkszeug des Buchhalters. Wenn etwas schwierig wird, vergegenwärtigt man sich die Vorgänge über T-Konten auf einen Stück Papier und kommt in aller Regel zur richtigen Entscheidung. Wem das zu abstrakt ist, den darf ich auf einen Beitrag von Volker Pisper verweisen ( https://www.youtube.com/watch?v=g-pNlHa07P4 ), der alle wesentlichen Aspekte in unnachahmlicher Weise darstellt.

In den üblichen Darstellungen des Wirtschaftskreislaufs, der die Geldschöpfung als solche gar nicht erfasst, ist Geld als Tauschmittel einfach vorausgesetzt. Es ist so selbstverständlich, dass es als wichtiges Element in diesem Kreislauf gar nicht explizit auftaucht: Wenn zwei Wirtschaftssubjekte eine Transaktion veranlassen, so ist der, der eine Sache erhält, Schuldner (und muss zahlen) und der andere, der die Sache verkauft, ist Gläubiger (und erhält das Geld). In den Darstellungen zum Wirtschaftskreislauf werden die Rechtsbeziehungen dargestellt, aber das Geld (die Zahlung als Solche) scheint nicht auf.

Die Einrichtung, die neues Geld schöpfen und in den Umlauf bringen kann, ist nicht „Schuldner“ im eigentlichen Sinne des Wortes sein. Es fehlt an der Gegenleistung. Viel eher haben die Passiva der Geldschöpfungseinrichtung den Charakter von Kapital, das ganz oder teilweise ausbezahlt wird und dadurch die Geldschöpfungseinrichtung in eine Gläubigerposition bringt (sie kann das ausbezahlte Geld grundsätzlich zurückfordern).

Das staatliche Geldschöpfungsmonopol gibt der jeweiligen Regierung die Möglichkeit, jederzeit jede notwendige Aufwendung zu finanzieren. Bildlich gesprochen, die Regierung wirft die Gelddruckmaschine an und „schöpft“ oder „schafft“ den entsprechenden Ausgabenbetrag. Aus der Sichtweise der alten Geldtheorie ist diese Vorgehensweise gar nicht vorgesehen. Da war Geld aufgrund seiner historischen Bindung an Edelmetalle begrenzt und es war absolut unseriös, mehr Geld zu schöpfen, als Edelmetall im Besitz der Regierung vorhanden war. Das heutige Geld ist ein sogenanntes Fiat-Geld, das weder an Edelmetall noch an sonst eine materielle Sache gekoppelt ist. Es ist schlicht die Vereinbarung, dass eine Nation oder ein Staat sich diese Währung gibt und der Staat garantiert, dass die Währung auch die einzige innerhalb der Grenzen des Geltungsbereichs ist. Wer also einfache und schnelle Transaktionen wahrnehmen will, ist auf die Verwendung des definierten Fiat-Geldes angewiesen. Wenn das Vertrauen in die Anerkennung als allgemeines Zahlungsmittel verloren ginge, ist das Fiat-Geld ganz schnell nichts mehr wert. Es ist damit die Aufgabe der Regierung, dafür zu sorgen, dass es keine Gründe gibt, dass die Bürger der Währung das Vertrauen entziehen.

Eine Eigenschaft gilt für das Geld im Allgemeinen: Es wird durch den Staat geschaffen. Die Geldschöpfung wird auf der Passivseite des Vorgangs verbucht und hat dort buchhalterischen „Schuldcharakter“. Diese Tatsache hat dazu geführt, dass in der alten Geldtheorie behauptet wird, der Staat mache Schulden und das sei eine große Sünde. Was sich aber nur wenige klarmachen, dass das Vermögen, das den „Schulden“ gegenübersteht, in den Händen des Privatsektors ist. Es gibt keine Schulden, bei denen nicht der eine als Schuldner angesehen wird und der andere über mehr Geld verfügt. Das ist ein unvermeidliches Wechselspiel. M.a.W.: Je höher die ‚Verschuldung‘ der öffentlichen Haushalte, umso reicher (oder besser: vermögender) ist der Privatsektor. Dass das Geld nicht bei jedem ankommt, ist dann leider eine Frage der Vermögensverteilung.

Im alten Modell einer Edelmetall gebunden Währung ist es sinnvoll, dass die Regierung im Rahmen ihres Haushaltes „spart“ (was immer das im Einzelnen heißen mag), weil die Geldschöpfung an die Menge des vorhandenen Edelmetalls geknüpft ist. Die verfügbare Geldmenge war also begrenzt. Je mehr Geld im Regierungsapparat für nicht investive Aufgaben fixiert wurde, desto mehr Geld fehlte im Wirtschaftssystem. Also sollte im Haushalt gespart werden, damit dem (private) Wirtschaftssektor genügend Geld zur Verfügung stand. Hier wurde vermutlich die Idee der „sparsamen schwäbischen Hausfrau“ geboren. Und hier hat diese Sichtweise eine gewisse Berechtigung. Also gehen wir davon aus, dass der Grundgedanke der öffentlichen Haushaltsführung im alten Geldsystem die Sparsamkeit war.

Im Modell eines Fiat-Geldsystems ist die Metapher der „sparsamen schwäbischen Hausfrau“ kein sinnvoller Ansatz. Er ist geradezu grotesk. Die Regierung besitzt das Geldschöpfungsmonopol, das im Prinzip unbegrenzt ist und sie soll sparsam sein. Hierfür gibt es überhaupt keinen vernünftigen Grund, der sich aus der Haushaltspolitik ergeben könnte. Der Sparfimmel, den Herr Schäuble auf die Spitze trieb, hat uns zwar eine gegenwärtig prosperierende Wirtschaft ermöglicht, aber unsere Infrastruktur hat in den letzten 30 Jahren aufgrund des Sparfimmels heftig gelitten. Die Straßen, die Brücken, die öffentlichen Gebäude, die Bildung, das Sozialwesen, die Deutsche Bahn, das Mobilnetz, usw. – all das ist heruntergekommen und es wird Jahrzehnte dauern, bis wir wieder mit viel Geld ein akzeptables Zustandsniveau erreichen werden. Dabei ist die Infrastruktur die Grundlage dafür, dass der private Sektor erfolgreich sei kann, m.a.W. wir haben unsere Erfolgsgrundlagen Stück für Stück verheizt. Wenn wir nicht bald eine andere politische Einstellung übernehmen, wird es sich über kurz oder lang auch in einem Rückgang unserer wirtschaftlichen Erfolgsaussichten niederschlagen.

Deshalb ist mit dem Fiat-Geldsystem ein völlig anderes politisches Verhalten erforderlich. Nicht Sparsamkeit ist das oberste Ziel, sondern Funktionalität muss das oberste Ziel sein. Was heißt das? Das Geldschöpfungsmonopol muss Teil der Wirtschaftspolitik werden. Wichtige Aufgaben des Staates stehen dabei nicht unter dem Vorbehalt, dass nicht genug Geld dafür vorhanden ist. Das Geld kann unbegrenzt geschöpft werden. Aber: bei einem Motor, der zu viel Öl erhält, sinkt der Wirkungsgrad, so ist es auch mit dem Wirtschaftssystem. Wenn die Geldschöpfung zu hoch wird, übersteigt die angeregte Wirtschaftsleistung die vorhandenen (Produktions-) Kapazitäten. Die Folge ist i.d.R. Inflation. Also ist es funktional nicht sinnvoll, durch überzogene Geldschöpfung das Wirtschaftssystem so anzuregen, dass Inflation entsteht. Das ist m.E. der Kernsatz einer Geldpolitik der modernen Geldtheorie (MMT= Modern Money Theory).

Wenn der Staat das uneingeschränkte Recht hat, Geld zu schöpfen, so hat er auch die Pflicht, dafür Sorge zu tragen, dass funktional überschüssige Geldmengen wieder aus dem Verkehr gezogen werden. Das kann durch Abgaben oder ähnlichem geschehen. Das Geld darf dann aber nicht in den Haushalt fließen, sondern muss so wie die Geldschöpfung geschieht, wieder neutralisiert werden: Durch die Generalumkehr des einfachen Buchungssatzes, der vormals das Geld schöpfte. Eine andere, vermutlich einfachere Lösung liegt in der Bildung einer Rücklage, in der die überschüssige Geldmenge stillgelegt wird (aus dem Verkehr gezogen wird). Bevor dann zu einem späteren Zeitpunkt neues Geld geschöpft wird, sind erst einmal die Rücklagen der Vorjahre wieder aufzulösen.

Durch die zum Ausdruck gebrachte ‚Souveränität‘ des Staates über das Geld- bzw. Währungssystem wird auch deutlich, dass die Politik wieder das letzte Wort haben wird und haben soll. Sie mischt sich nicht mehr als heute in die einzelnen Wirtschaftsaktivitäten ein, aber sie ist die Hüterin des finanziellen „Grals“ und hat letztlich die Entscheidung über den „goldenen Zügel“ und damit über den Grad der „Schmierung“ des Wirtschaftsmotors unter der Nebenbedingungen, Inflation zu verhindern und die Funktion der Wirtschaft zu fördern, die ausschließlich in der Versorgung der Gesellschaft liegen kann.

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