Abheben durch Selbstverständlichkeiten?

Vor kurzem erhalte ich einen Katalog eines Versandhandelsunternehmens, das als Nischenanbieter ausgesuchte Produkte für gehobene Ansprüche verkauft. Auf der letzten Seite finde ich dort eine Ausführung zur Produktphilosophie, die ich mit großem Interesse gelesen habe: „Qualität, die hält; Funktion, die was taugt; Gestaltung, die morgen noch überzeugt (verkürztes Zitat)“. Das sprach mich auf den ersten Blick an, bis ich mich fragte, was will mir das Unternehmen damit sagen:

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Das sind doch eigentlich Selbstverständlichkeiten, sonst ist das doch gar kein verkaufsfähiges Produkt. Die Tatsache, dass das Unternehmen diese „Philosophie“ zum Ausdruck bringen kann oder muss, lässt einen dann schon zweifeln. Wenn die Aussage für das eigene Unternehmen richtig ist (ich habe keinen Grund zu zweifeln), was produzieren eigentlich die anderen? Oder anders gewendet – die allgemeinen Produkte auf dem Markt sind dann ohne Qualität, sie sind funktionslos und sie sind eigentlich nicht nachhaltig, weil sie das Morgen nicht erreichen? Sie sind mit anderen Worten „gekaufter Müll“?

Das ist sicher überspitzt interpretiert, aber es ist eine logische Folgerung aus der Aussage: alle diejenigen, die dieser Produktphilosophie nicht folgen (und das muss offensichtlich eine Mehrheit der Produzenten sein, sonst ist die Art der Aussage zur Produktphilosophie überflüssig), produzieren nur Waren, die diese Mindestanforderungen nicht erfüllen können oder wollen. Dann produzieren sie also „Müll“? Ich will nicht ausschließen, dass das stimmt – viele unserer Produkte erfüllen zweifelsohne die intendierte Negativbeschreibung (keine Qualität, keine nachhaltige Funktion, und eine miserable Gestaltung (Verarbeitung), die das Produkt das Licht eines neuen Tages scheuen lässt.

Wenn dieses Versandunternehmen die Produktphilosophie für sich in Anspruch nimmt, so darf man doch davon ausgehen, dass dieses Unternehmen der Auffassung ist, das ihre Produkte eine Ausnahme darstellen. Und die Aussage soll ja auch ein Alleinstellungsmerkmal beschreiben. Es bringt zum Ausdruck, dass die selbstverständlichen Produkteigenschaften von vielen Unternehmen zumindest ihres Industriezweiges nicht erreicht werden. Es wird der Verdacht vieler Abnehmer nun indirekt von kompetenter unternehmerischer Seite bestätigt: Das, was die Industrie Euch normalerweise verkauft, erfüllt nicht die Selbstverständlichkeit von angemessener Qualität (die hält), von Funktion, (die taugt) und von einer Gestaltung (die auch morgen noch überzeugt).

Entlarvt diese Aussage nicht große Teile unseres Wirtschaftssystems? Es geht dort nicht um Qualität, um Funktion oder um Gestaltung, es geht, so scheint es, nur ums Geld. Das Produkt richtet sich nicht nach Qualität, Funktion und Gestaltung. Das Produkt dient ausschließlich dazu, als Massenprodukt Umsatz zu generieren. Das Produkt, das dem Kunden Qualität, ‚Funktion und Gestaltung vorgaukelt und verspricht, ist für eine Mehrzahl der Hersteller nur Mittel zum Zweck. Der eigentliche und alleinige Zweck ist es, maximale Geldzuflüsse zu generieren.

Man könnte nun aus der Produktphilosophie des obigen Versandhauses schließen, dass es das primäre Ziel des Unternehmens sei, Produkte mit Qualität, Funktion und Gestaltung bereitzustellen unter der hinreichenden Nebenbedingung, damit ausreichend Geld generieren zu können. Konsequent angewendet würde diese Vorstellung bedeuten, dass dieses Versandhaus keinen maximalen Gewinn ansteuert, sondern nur einen auskömmlichen. Damit folgt das Unternehmen einer Idee, die sich mit unserem gegenwärtigen Verständnis von Wirtschaft nicht unbedingt vereinbaren lässt. Wenn das Versandhaus börsennotiert wäre, könnten die Aktionäre die Unternehmensleitung zwingen, dem maximalen Geld nachzustreben und die Produktphilosophie aufzugeben. Eigentümer-Unternehmer sind (Gott sei Dank) diesem Zwang nicht unterworfen.

Unser Wirtschaftssystem geht aber indirekt davon aus, dass sich auch Eigentümer-Unternehmer diesem Diktat zur Geldmaximierung letztlich unterwerfen müssen, weil die Theorie behauptet, man könne im Kapitalismus erfolgreich nur im Strom der Gewinnmaximierungshypothese schwimmen. Die kreditgebenden Banken würden letztlich schon dafür sorgen. Was natürlich zu beweisen wäre.

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