Das Grundeinkommen ist kein „No-Brainer“

Jens Berger, maßgeblicher Redakteur bei den ‚Nachdenkseiten.de‘ (http://www.nachdenkseiten.de/ ) hat im neuen Jahr unter der oben übernommenen Überschrift eine Reihe von Betrachtungen zum Grundeinkommen angestellt. Hierauf habe ich aus einem Affekt heraus Stellung bezogen (siehe unten). Heute Morgen wache ich auf, und frage mich überrascht, was zum Teufel ist ein ‚No-Brainer‘? Auf ein Subjekt bezogen, würde ich diesen Ausdruck als ‚Dummkopf‘ interpretieren. Die Aussage bezieht sich aber auf einen Sachverhalt, d.h. dann wohl, um den Sachverhalt zu beurteilen, braucht man kein Hirn.

» weiterlesen

Damit haben wir aber noch keine Wertung – wird der Sachverhalt damit positiv oder negativ bewertet? Die Umstände rund um den Artikel geben Anlass, die Aussage positiv zu sehen – also das Grundeinkommen ist ein positiver Sachverhalt! Dem kann ich durchaus mit ein paar Einschränkungen zustimmen.

Leserbrief an Nachdenkseiten.de

Das Grundeinkommen ist kein „No-Brainer“

Sehr geehrter Herr Berger,

der von Ihnen vertretene Ansatz zum bedingungslosen Grundeinkommen (bGE) springt m.E. zu kurz. Bevor man sich über eine Form der Idee eines Grundeinkommens unterhält, sollte man sich der Mühe unterziehen, das Problem zu analysieren. Das bedingungslose Grundeinkommen (und seine diversen Varianten) müssen doch einen vernünftigen Grund zur Einführung liefern. Es muss also ein Problem existieren, für das das bGE eine geeignete Lösung darstellt oder darstellen könnte. Eine Lösung liefert R. Bregman (2017), indem er fragt: „Wollen wir die Armut verwalten oder wollen wir die Armut beseitigen?“. Man kann das bGE dann als eine Lösung dieser Frage entwickeln und bewerten. Aber liegt hier wirklich das Problem? Nein, nicht zwangsläufig!

Die Argumente des geschätzten Herr Flassbeck sind nur dann werthaltige Argumente, wenn es bei der Problemstellung möglich ist, in der Old-School-Ökonomie zu argumentieren und das Ceteris paribus – Konzept (c.p.) zu nutzen. Es ist richtig, dass das bGE nicht in unser Wirtschaftssystem passt. Kapitalismus geht anders.

Aber unser grundlegendes Problem wurde wieder nicht diskutiert. Es wird mit C.p. nur eine Argumentation des ‚Weiter So‘ problematisiert und festgestellt, das geht so nicht. Und das ist nicht hilfreich.

Was ist also das Problem? Niemand traut sich da ran, weil es in den letzten 250 bis 300 Jahren immer noch gut lief. Das eigentliche Problem sind die Folgen der Industrie 4.0 oder mit anderen Worten, die Digitalisierung. Studien kommen zu unterschiedlichen Erkenntnissen, aber allen ist gemeinsam, dass die Zeit der Arbeit im alten Sinne ein Ende finden wird. Die Höhe der Reduktion von klassischen Arbeitsplätzen mag unterschiedlich sein; die Szenarien sind sich aber einig, dass es erhebliche Arbeitsplatzverluste geben wird.

Es werden zumindest mehr Arbeitsplatzverluste erwartet als unsere Gesellschaft und unsere Ökonomie c.p. wegzustecken in der Lage ist. Wir haben heute einen prekären Arbeitsmarktsektor, in dem etwa 12 – 14 Mio. Menschen (einschließlich Leiharbeit) beschäftigt sind oder unterstützt werden. Gehen wir davon aus, dass die erwarteten Freisetzungen auf dem Arbeitsmarkt zuerst diese Menschen treffen werden. Einige Szenarien gehen dabei von einer Freisetzungsrate von bis zu 50% des gegenwärtigen Bestandes an Arbeitsplätzen aus. Wenn die Szenarien realistisch sind, dann haben wir mindestens zwei Probleme: was machen wir mit all diesen Leuten? Schicken wir sie en bloc in ‚Hartz IV‘ oder was? Dann kommt wieder die Frage von R. Bregman ins Spiel: Armut verwalten oder beseitigen? Wollen wir dann die Arbeitsverwaltung ggfs. so „aufblasen“ bis sie in der Lage ist, diese dann möglicherweise rebellischen Massen sinnvoll zu verwalten? Das wird kaum gelingen und einen Aufwand auflösen, dass jeder froh wäre, wenn wir noch rechtzeitig so etwas wie ein bGE eingeführt hätten.

Die andere Seite ist die Wirtschaft. Wenn eine so große Zahl von Menschen ohne vernünftiges Einkommen existieren soll, was ist mit der Kaufkraft dieser Menschen? An Export ist nicht zu denken – alle westlichen Nationen werden unisono an den gleichen globalen Problemen leiden.

Die Lösung wird oft darin gesehen, dass behauptet wird, dass im Umfeld von Industrie 4.0 neue Arbeitsplätze entstehen werden. So war es immer in den letzten Jahrzehnten. Das sind unrealistische Träume: Warum verlieren die Menschen ihren Arbeitsplatz? Weil der Algorithmus billiger und effizienter ist. Wenn also neue Jobs zur Diskussion stehen, dann bleibt doch unverändert die Frage im Raum stehen: setzen wir den Menschen ein oder gleich den billigeren Algorithmus! Wer hier seine Erwartungen auf den Menschen setzt, setzt mit einiger Sicherheit auf einen toten Gaul! Der Kapitalismus ist entgegen dem Selbstverständnis nicht eine Erfolgsgeschichte des Kapitals, sondern eine Erfolgsgeschichte der Technologie, die sich das Kapital zunutze gemacht hat. Wir sind heute an einem Punkt, an dem die Technologie beginnt, den Menschen aus den Prozessen schrittweise zu eliminieren bzw. zu ersetzen und beißt sich in den eigenen Schwanz: Man braucht die Leute nicht mehr, aber ihre Kaufkraft ist unentbehrlich.

Wenn wir dieses Szenario als hinreichend wahrscheinlich erachten, dann haben wir ein Problemumriss, für den wir nun eine adäquate Lösung suchen können. Die Metapher für die Lösung könnte dann so etwas wie das bGE sein. Und jetzt macht es erst Sinn, (nachdem wir über die möglichen Rahmenbedingungen eine vage Vorstellung haben) über die Ausformung dieser Metapher zu diskutieren. Und Sie werden mir vielleicht Recht geben, hier mit Old-School-Ökonomie zu argumentieren, ist dem Problem nicht mehr angemessen. Da bricht möglicherweise mehr zusammen, als es sich die Ökonomen heute vorstellen können. C.P. ist dann „down and out“.

Deshalb halte ich die Diskussionen über das bGE grundsätzlich für hilfreich, weil etwas gedanklich vorweggenommen wird, was uns in einem späteren Zeitpunkt helfen kann, Probleme zu lösen. Milton Friedman (Kampfgefährte von A. v. Hayek), der die erste Version des bGE ins Gespräch gebracht hat, hat sicher nicht an die Menschen gedacht (das soziale Element war ihm weitgehend fremd). Er hat erkannt, dass Armut kein Schicksal ist, sondern sich als ein schlichter Mangel an Geld dargestellt und erkannt werden muss.

Mit freundlichen Grüßen

» weniger zeigen

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert