Versteckte Wortbedeutungen – die Wirklichkeit verschleiern (1)

Friedrich August von Hayek, einer der Gründervater des Neoliberalismus, hat die Durchsetzungschancen von neoliberalem Denken schon 1944 wie folgt beschrieben: „Die erfolgreichste Technik besteht darin, die alten Worte beizubehalten, aber ihren Sinn zu ändern.“ Dieses Verfahren beherrscht der Neoliberalismus bis heute mit beachtlichem Erfolg. Man nimmt Worte, die den Zuhörer positiv stimmen und unterlegt diese positiven Begriffe mit neoliberalem Gedankengut, in der Erwartung, dass die Zuhörerschaft diesen Etikettenschwindel nicht realisiert.

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Die Autoren der Sendung „Die Anstalt“ haben den Neoliberalismus auf den Punkt gebracht. Danach lässt er sich überaus treffend auf die Begriffe „Privatisierung, Steuersenkung und Sozialabbau“ reduzieren. Aber auch Begriffe wie Freiheit, Reform, Freihandel, und Globalisierung (u.a. mehr) sind solche psychologischen „Uboote“, d.h. sie schlüpfen über die grundsätzlich positive Wahrnehmung weitgehend unbemerkt in unseren Sprachgebrauch, meinen aber etwas komplett anderes. Sind sie dann im Sprachgebrauch verankert, war der „Brainwash“ erfolgreich und es ist harte Arbeit, diese ideologiegeprägten Konnotationen in den Köpfen der Menschen wieder zu löschen.

Beginnen wir im heutigen Beitrag mit dem Begriff der Privatisierung.
Privatisieren kann man nur etwas, was bislang nicht im Privatbesitz Einzelner ist. Hier sind zwei öffentliche Aktivitäten zu unterscheiden: die erwerbswirtschaftliche Beteiligung und die Bereitstellung von Nutzungen aus Gemeineigentum. Ein besonderer Dorn im Auge der Vertreter der radikalen Marktauffassung sind hier in erster Linie Beteiligungen an Industrieunternehmen (z.B. VW in Niedersachsen). Die öffentliche Hand hat über diesen Hebel einen gewissen, aber geringen Einfluss auf das Verhalten dieser Unternehmen, was die ‚Marktvertreter‘ als Ausgangspukt für Korruption ansehen und in diesem Sinne penetrieren. Die Organisationsform der öffentlichen Wirtschaftsbeteiligung ist heute schon zu einem hohen Prozentsatz privatwirtschaftlich organisiert, d.h. sie besteht in Form von Aktienpaketen, die die öffentliche Hand wie jeder andere Anleger erwirbt und im Eigentum hält. Die Pakete sind meist Minderheitsanteile.

Wenn die Pakete Mehrheiten repräsentieren, dann handelt es sich um umgewandelte Bestände aus Gemeineigentum, für das das öffentliche Monopol gezielt und kontrolliert einem künftigen Wettbewerb geöffnet wird. Ob dann letztlich eine ‚Privatisierung‘ im engeren Sinne folgt, steht auf einem anderen Blatt (z.B. Die Bahn) und hat mit der Leistungserstellung nach privatwirtschaftlichen Grundsätzen auch nichts mehr zu tun, denn es geht dann nur noch um eine finanzwirtschaftliche Transaktion der Anteile von der öffentlichen Hand in private Hände gegen Entgelt. Das Unternehmen ist davon nur insoweit betroffen als die Zielsetzung sich natürlich radikal ändert: der öffentliche Versorgungsauftrag wird einer Aufforderung zur schlichten Gewinnmaximierung zugunsten der Aktionäre.

Wirklich Privatisieren kann man also nur Gemeineigentum, das durch Steuergelder über Generationen geschaffen wurde. Das Gemeineigentum steht im öffentlichen Besitz. Und der Nutzen des Gemeineigentums steht prinzipiell jedem Bürger zu einem Kostenpreis zur Verfügung. Das Gemeineigentum umfasst im Wesentlichen die Infrastruktur des Landes und repräsentiert mit Einschränkungen das sogenannte ‚Volksvermögen‘ im eigentlichen Sinn. 2014 war der Saldo aus Investitionen und Schuldenlast noch positiv. Bei weiterer Privatisierung fallen die Vermögensgegenstände weg und man kann nur hoffen, dass dann der jeweilige Privatisierungserlös die damit einhergehenden Schulden deckt. Man sollte die Frage stellen, ob die öffentliche Hand dabei auch angemessene Erlöse erzielt. Sie ist sich oft nicht im Klaren, dass sie mit dem Markt, den sie durch den Verkauf freigibt, den privaten Eigentümern ein Feld überlassen, dessen künftige Profitabilität ihre Vorstellungskraft meist sprengt. Aber die Profitabilität müssten sie sich als ebenbürtige Verhandlungspartner bezahlen lassen. Manche Privatisierungsbemühung würde dann ihre Vorteilhaftigkeit verlieren.

Wenn nun Politiker die Privatisierung als politisches Ziel formulieren, so wollen sie dieses Vermögen, das ihnen nicht gehört und an dessen Aufbau sie auch nicht mitgewirkt haben, an einzelne private Personen ‚verhöckern‘, die das dezidierte Ziel haben, damit Geld zu verdienen. Was zeichnet Privateigentum aus? Privateigentum drückt aus, dass der Gebrauch eines Vermögens rechtlich nur dieser privaten Person (dem Eigentümer) zusteht. Diese Person kann jede andere Person legal vom Gebrauch des Wirtschaftsgutes unter Androhung von Strafe ausschließen. Das macht das Privateigentum wirtschaftlich so attraktiv.

Der Privatier kann die Nutzung seines Eigentums gegen Entgelt freigeben. Dabei spielen nicht nur die Kosten eine Rolle, sondern auch der vom Eigentümer erwartete Gewinn. Was ist die Folge? Die Nutzung des Gemeingutes wurde bisher nur über Kosten verrechnet, der Private verrechnet die Kosten zuzüglich eines respektablen (oder maximalen) Gewinns. Die Nutzung als Gemeingut wird allen Bürgern teilweise unter Ansatz von Kosten, teilweise auch unentgeltlich zur Verfügung gestellt. Wird Infrastruktur privatisiert, so entsteht eine Gebühr, weil der Privateigentümer den Nutzen des privatisierten Gutes künftig abgegolten haben will. Andernfalls geht sein Geschäftsmodell nicht auf.

Man fragt sich natürlich, mit welchem Recht wird von den Bürgern finanziertes Gemeineigentum von der Politik an Privat verkauft. Gemeingüter werden im Regelfall unter einem staatlichen Monopol zur Verfügung gestellt (Wasser, Dienstleistungen). Diese Monopolstellung kann durch die Privatisierung oft nicht aufgelöst werden und der Privatier macht dann ein richtiges „Schnäppchen“. Kein Privatier würde auf dieses Geschäft eingehen, wenn er sich nicht aus den Resten der Monopol- oder Oligopolstellung des ehemaligen Gemeingutes einen besonders „nachhaltigen Gewinn“ verspräche. Der private Erwerber will primär niemanden mit Infrastruktur versorgen (das wird als Aufgabe wieder dem Staat zugewiesen), sondern er will mit seiner Investition (Geldeinsatz) in Infrastruktur schlicht Geld verdienen. Er sieht seinen ‚Beitrag‘ vermutlich darin, dass er vorgibt, den Staatshaushalt finanziell von den Kosten der Infrastruktur entlasten.

Die neoliberale Begründung zur Notwendigkeit der Privatisierung ist haarsträubend und bar jeder praktischen Vernunft. Hauptargument ist die einfache Behauptung, dass Private die öffentlichen Werte angeblich effizienter verwalten könnten, weil pauschal „die Bürokratie“ dazu nicht in der Lage sei. Ergänzend muss man natürlich darauf hinweisen: es geht nur um die öffentliche Bürokratie, obwohl die Bürokratien der Großkonzerne mit den gleichen Problemen kämpfen. Es ist der Nachteil der schieren Größe einer bürokratischen Organisation, egal ob die Bürokratie einem unternehmerischen oder einem öffentlichen Zweck zuarbeitet. Also wird die angeblich bessere Befähigung als Argument vorgeschoben, um die Privatisierung voranzutreiben.

Ziel der Privatisierungsbestrebungen im Neoliberalismus ist die Übernahme alle erwerbswirtschaftlichen Aktivitäten der öffentlichen Hand, die Übernahme aller öffentlichen Infrastruktureinrichtungen und letztlich auch die Übernahme der Daseinsvorsorge (vgl. Deutsche Bank Research v. 20.1.2010,S.4f.)). Wenn heute noch beim Gemeingut der Gesichtspunkt einer Versorgung der Bürger im Vordergrund steht, wird bei erfolgter Privatisierung das Gewinnstreben des Betreibers das Handeln bestimmen und der Bürger darf sich dann mit der schlichten Rolle des entrechteten Konsumenten arrangieren. Bei dem Versorgungsgedanken steht der Solidargedanke dahinter, dass alle Bürger die gleiche Qualität erhalten. Bei Privatisierung wird der Gewinn maximiert, egal ob die Qualität dabei halbiert wird, oder ob für zahlungskräftige ‚Kunden‘ gegen „kleinen“ Aufpreis dann eine entsprechend bessere Qualität bereitgestellt wird.

Also Augen auf, wenn es um die Argumente zur Privatisierung geht – es geht nie um Vorteile für den Bürger oder die Allgemeinheit. Das wird auch aus der lateinischen Wurzel des Wortes privare deutlich: „jemanden einer Sache berauben“ – warum vergessen wir diesen ‚unverschleierten‘ Aspekt immer wieder. Thorstein Veblen hat diesen Gesichtspunkt schon vor rd. hundert Jahren dargestellt und diskutiert. „Wo sich die ökonomischen Funktionen des Menschen auf den Besitz von Reichtum beziehen, (…)und mit dem (Reichtum) Manipulationen und Finanzoperationen durchgeführt werden, dort fördert die Erfahrung im ökonomischen Leben das räuberische Temperament und die räuberischen Denkgewohnheiten.“

Der Neoliberalismus kennt im Übrigen keine Bürger und keine Gesellschaft. Er kennt nur vereinzelte Individuen, Konsumenten und Verbraucher. Die treibende Kraft zur Privatisierung ist stets die Privatwirtschaft, die erkannt hat, dass etablierte Märkte wenig Phantasien vom schnellen Geld zulassen, weshalb sie ständig interessiert ist, neue Märkte zu etablieren, die diesen Traum noch unterstützen können. Sie wollen sich durch den Erwerb eines Gemeingutes künstlich ein neues Marktsegment schaffen, wo der mündige Bürger (leider eine selten gewordene Spezies) unter dem Primat der Versorgung keine marktwirtschaftlich notwendige Lösung erkennen kann.

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