Die Qual der Wahl

Wir sollen wieder mal wählen. Es könnte sein, dass der eine oder andere dieses Ansinnen aufgrund des ‚rasanten‘ Wahlkampfs noch gar nicht bemerkt hat.

» weiterlesen

Die Strukturen sind seltsam – die CDU/CSU mit knapp 40 % der Stimmen (so die Voraussagen) glaubt sich auf einem Höhepunkt ihrer Deutungshoheit. Die SPD mit etwas mehr als 20% hat sich in den letzten 10 – 15 Jahren in ihrer Bedeutung halbiert und hat die Deutungshoheit zu aktuellen politischen Problemstellungen völlig abgegeben und versucht mit krampfhaften Klimmzügen Aufmerksamkeit zu erzielen. Die anderen kleineren Parteien folgen ihr auf diesem Strategiepfad. Keiner dieser potenziellen ‚Verlierer‘ – mit Ausnahme der Linken – hat genügend ‚Substanz‘ in der Hose, um die Deutungshoheit der CDU/CSU und ihrer neoliberalen Gefolgschaft auch nur anzugreifen. Das funktioniert nicht, indem man fein ausdifferenziert darstellt, wo die Unterschiede liegen. Das muss sich aus der Art des Wahlkampfes und der dort bearbeiteten Themen von selbst ergeben.

Man könnte den Eindruck gewinnen, dass die Mehrzahl der im Bundestag vertretenen Parteien die Sichtweise der CDU/CSU übernommen hat. Mutti Merkels „Uns geht es gut“ ist hier der Grundtenor. Alle Herausforderungen und Probleme werden dadurch erstickt. Es ist auch klar, dass die SPD als Mitglied der großen Koalition immer wieder das Totschlag-Argument zu hören bekommt: Das haben wir doch gemeinsam beschlossen! Und im Wahlkampf wirkt das besonders lähmend.

Für die nachgeordneten bürgerlichen Parteien gilt allgemein: Alle hängen sie an dem neoliberalen Tropf und dessen Selbstverständnis. Keine der Parteien ist intellektuell in der Lage und unabhängig genug, diese Phalanx zu durchbrechen. Sie alle kämpfen mit den im Prinzip gleichen Argumenten um die Gunst des Wählers. Um aber Aufmerksamkeit in einer Gesellschaft zu finden, in der die Mehrheit dem intellektuellen Einfluss des digitalen Entertainments erliegt, müsste man bewusst und konkret andere Wege beschreiten.

Stellen Sie sich vor, die kleineren bürgerlichen Parteien (einschließlich SPD) würden sich in einem ersten Schritt von der Herrschaft der PR-Agenturen freimachen. Statt die Frage nach der Öffentlichkeitswirkung als erste Priorität zu akzeptieren, wäre es hilfreich, erstmal eine weitgehende Analyse der bedeutenden Problemfelder in der deutschen Politik zu identifizieren und in ihren vielfältigen Bezügen zu beschreiben. Wenn man die Zusammenhänge erfasst und die möglichen konkreten Maßnahmen verstanden hat, wählt man daraus die wichtigsten Fragestellungen aus und lässt sie auch ggfs. kontrovers aufbereiten. Mit dieser Ideen-Vorgabe wird die PR-Agentur ‚gefüttern‘, um sich diesen Ansatz mediengerecht gestalten zu lassen. Es bedarf dringend eines frischen Windes, um den kleinkarierten Mief der letzten Jahrzehnte zu vertreiben.

Gegenwärtig scheint es so, dass die Parteien immer wieder ihre alten anspruchslosen Aussagen aus der Kiste von vor vier Jahren ausgraben, die zur gegenwärtigen Problematik nur bedingt passen. Die Sprüche werden an die PR-Agenturen geleitet, in der Hoffnung, dass ihnen die Agentur mediengerecht Inhalte vermittelt. Aber, verehrter Leser, wo nichts drin ist, kann auch eine PR-Agentur nur schwer etwas hineininterpretieren.

PR-Agenturen sind eine Erfindung unseres Wirtschaftssystems – sie sind – wie die ganze Denkweise in diesem System – auf kurzfristigen Erfolg angelegt. Sie setzen einerseits immer wieder auf die Vergesslichkeit der Massen. Andererseits hat die PR – Kreativität mit den Jahren auch sehr gelitten. So wie die politischen Themen über neuen Inhalt anders gefasst werden müssen, so müssten auch deren ‚Vermarktungen‘ neue Weg finden.

Wählbare Politik sollte das Stadium der kleinkarierten taktischen Auseinandersetzungen überwinden. Da darf doch ruhig eine etwas längerfristige Denke Platz greifen. Dieser Anspruch findet sich mit Sicherheit unter dem Stichwort einer ‚Politik für unsere Enkel‘ in den politischen Programmen der meisten bürgerlichen Parteien – aber ganz klein geschrieben. In der politischen Praxis der Umsetzung wird dieser Anspruch dann schnell vergessen. Der perspektivlose Spruch „Uns geht es gut“ ist das Ergebnis einer solchen Vermittlungspraxis. Er klingt angesichts längerfristiger Perspektiven einfach als zu kurz gesprungen, inhaltslos und zementiert eine hochgradig egoistische Sichtweise. Die verfassungsmäßige Verpflichtung aufs Gemeinwohl klänge anders.

Wir müssen irgendwann von dem unbefriedigenden „Uns geht’s doch gut“ weg und uns hin zu den Fragestellungen unserer Enkel bewegen. Dazu sind Analysen erforderlich, die nicht aus der Feder von zweifelhaften Medien, PR-Abteilungen, Lobbyorganisationen oder Think Tanks stammen, sondern von einer (hoffentlich noch) unabhängigen Wissenschaft kommen. Deren Erkenntnisse sollten auch nicht durch die alltäglichen Korrumpierungen durch Drittmittelbeschaffungen geprägt sein.

Wenn man feststellt, dass die gegenwärtige Vorgehensweise im Wahlkampf nur Langweile auslöst und Desinteresse fördert, so sollte man sich insbesondere bei den kleineren Parteien überlegen, ob hier nicht ein neuer Ansatz Platz greifen soll. Die Partei, die sich gegenwärtig als Gewinner sieht, wird keine Anstalten unternehmen, diesen für sie äußerst angenehmen Zustand zu ändern. Ihre Strategie des „Uns geht es doch gut“ ist für ihre Zwecke plausibel, aber nützt der Gesellschaft wenig und steht einem Aufbruch überaus ablehnend gegenüber. Das ist die Schwachstelle von Frau Merkel und ihrer Partei. Wenn die kleinen Parteien nicht so ‚geil‘ aufs Mitregieren und mehr auf Veränderung und Vision gepolt wären, würden sie den Laden umkrempeln oder zumindest interessanter gestalten können. So aber wollen sie alle die zweifelhafte Chance nutzen, bei ‚Mutti‘ mitreden zu dürfen und machen sich freiwillig in ihrem Handeln komplett abhängig. Was für eine Vergeudung von Chancen!!

» weniger zeigen

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert