Anmerkungen zu einem SZ-Artikel mit gleicher Überschrift von Guy Kirsch und Volker Grossmann vom 21.03.2016:
Kirsch und Grossmann kommen in dem Artikel zu der Auffassung, dass Erben als ungerecht einzustufen ist und begründen diese Einschätzung aus liberaler Sicht: „Wer den Einzelnen ernst nimmt, muss es geradezu als Ärgernis empfinden, wenn die Söhne und Töchter reicher Väter im Zweifel nur deshalb besser als andere durchs Leben gehen können, weil sie reiche Eltern haben.“ Ob das Argument die Sache so richtig trifft, wollen wir hier nicht weiter untersuchen.
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Als Folge schlagen die beiden vor, dass „der Nachlass reicher Menschen … zu hundert Prozent besteuert werden (soll)“. Reich ist relativ: es wäre also vorteilhaft, hier etwas konkreter zu werden. Zum anderen bin ich mir nicht sicher, ob das Pferd nicht von der falschen Seite aufgezäumt wird.
Das Vererben ist eine Folge von angehäuftem Vermögen, und kein solitärer Vorgang. Wenn etwas vererbt werden soll oder kann, so muss Vermögen geschaffen worden sein. Das Institut des Vermögens ist aber eine Folge unserer Eigentumsordnung. Man kann sie in Frage stellen, aber hat man dann die Ungerechtigkeitsfrage beantwortet? Ungerecht erscheint uns gegenwärtig nicht die Eigentumsfrage per se, ungerecht ist ganz offensichtlich die Vermögensverteilung. Wenn das Erben, – wie die Herren Kirsch und Grossmann darstellen – ungerecht ist, so ist das doch eine unmittelbare Folge der ungerechten Vermögensverteilung. Könnte es dann nicht sein, dass der Ansatz, das Problem mit dem Vererben lösen zu wollen, garnicht zielführend ist?
Weitere Gedanken knüpfen an der Eigentumsordnung an. Wenn der Nachlass zu hundert Prozent konfisziert wird, so löst man möglicherweise eine Ungerechtigkeit ab, aber bringt neue Probleme auf den Tisch: Im Grund findet eine Enteignung statt. Diese Vorgehensweise steht im Konflikt mit der Eigentumsordnung. Ganze Staatsrechtskommentare befassen sich mit der Frage wann eine zulässige Enteignung möglich ist. M.a.W., wer an das Eigentumsstatut heran will, wirbelt viel grundsätzlichen Staub auf, der sich in den letzten 100 Jahren etwas gelegt hat. Aus meiner Sicht kann man nicht den Erbfall aus der Eigentumsordnung herausnehmen, ohne die Eigentumsordnung selbst in Frage zu stellen.
Es wird schon seit Jahrzehnten und ausgiebig die Frage diskutiert, ob der nicht vermehrbare Grund und Boden im privaten Eigentum sein soll oder darf. Grund und Boden ist eigentlich so etwas wie Wasser und Luft, kann als ein Gemeingut angesehen werden und sollte folglich nicht privaten Investoren vorbehalten sein. Wir haben den Grund und Boden, der ehemals ausschließlich dem Landesherrn zu stand und als Lehen vergeben wurde, erst über die letzten 200 Jahre Schritt für Schritt zu einem privat verfügbaren Wirtschaftsgut gemacht.
Die Herren Kirsch und Grossmann führen dann auch in Ansätzen aus, wie sie sich die Vorgehensweise bei der Konfiszierung des Erbes vorstellen. Die Kürze des Artikels lässt hier wenig Raum für Details, aber der Verwaltungsaufwand erscheint gigantisch. Dabei besteht ja schon eine eingespielte (Steuererhebungs-)Behörde. Also warum noch etwas Neues schaffen? Die Fonds, die das Vermögen dann ad interim verwalten, werden riesige Vermögen übernehmen müssen, um sie dann wieder – nach welchen Regeln? – unter die Erben oder unter die Leute zu bringen. Denken Sie an die großen quasi öffentlichen Vermögen, deren Manager sich (viel zu selten) der Korruption und des Machtmissbrauchs zu verantworten haben – ich kann mir nicht vorstellen, dass dieser Erbschaftsfonds keine vergleichbaren Begehrlichkeiten auslöst. Der Fonds muss ein klares operationales Ziel haben, dem gegenüber sich die Fondsleistung verpflichten muss. Und dessen Einhaltung muss dann regelmäßig extern und wirkungsvoll überprüft werden. Da wird ein Moloch geschaffen (denken wir nur an die Treuhandanstalt bei der einmaligen Abwicklung der alten DDR) und es stellt sich die Frage, ob man nicht das Ungerechtigkeitsproblem eleganter auf eine andere Weise lösen könnte.
Hier scheint mir Thomas Piketty (Das Kapital im 21. Jahrhundert, Vierter Teil) eine angemessenere Lösung gefunden zu haben. Er schlägt eine jährliche Kapitalsteuer (ähnlich einer Vermögensteuer) ohne programmierte Schlupflöcher vor. Ergänzend könnte man bei Erbschaften so abschöpfen, dass ein möglicher Vorwurf der Enteignung ins Leere geht. Gleichzeitig könnte man Schenkungen vom Tarif her begünstigen, aber keinesfalls steuerfrei stellen. Das ließe sich im bestehenden System vom Grundsatz her umsetzen. Die Widerstände dürfen aber auch hier nicht unterschätzt werden. Wenn diese Schritte eingeleitet sind, wird man sehen, dass die Schere der Ungleichheit rückläufig sein wird und damit das Problem der Ungleichgewichtigkeit der Vermögen schrittweise auf ein erträgliches Maß reduziert wird. Mehr scheint mir unter den gegebenen Bedingungen auch nicht erreichbar.
Dieser Vorschlag unterstellt, dass der wirtschaftlich volatile Zustand unseres Wirtschaftssystems fortgeführt werden kann. Wenn das fraglich wird, ist der nächste Schritt dann der Schnitt, bei dem alle, die haben, Teile der Vorteile der letzten 30 Jahre, die sie sich angeeignet haben, wieder abgeben müssen. Man nennt so etwas auch Lastenausgleich. Auch hier ist eine 100% Abschöpfung im Grunde nicht denkbar. Nach meiner Kenntnis bewegt sich die Diskussion der Höhe eines Schnitts bei 5% bis 10% der jeweils wirklich großen Vermögen. Die kleinen Vermögen fallen aus der Umlage heraus. Das Ziel wäre die Befreiung der öffentlichen Stellen von ihren Schulden, in die sie gedrängt wurden, damit in Zeiten eines respektablen Zinses die vermögende private Seite auf dem Finanzmarkt einfach und sicher Geld verdienen konnte.
Ob dann das ‚Spiel‘ von neuem beginnt, steht in den Sternen und hängt von der gesamtwirtschaftliche Lage ab. Vielleicht bewegen uns dann nicht mehr Begriffe wie Wachstum und Wettbewerb, sondern eher Begriffe wie Suffizienz (Genügsamkeit), Subsistenz (Reduzierung der Arbeitsteilung) und Resilienz (Stärkung der regionalen Wirtschaft), Qualität und Reparaturfähigkeit der angebotenen Investitionsgüter.
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