Wenn man Alternativen zum Neoliberalismus sucht und diskutiert, so wird man an der Postwachstumsökonomie als Alternative nicht vorbei gehen können. Dabei muss klargestellt werden, dass meine bisherig diskutierten Alternativen eher unter der Rubrik „Reparatur des bestehenden Systems“ laufen und weniger als neue Ansätze verstanden werden können.
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Wenn ich das Rechtssystem justiere, den Finanzmarkt stark reguliere, die Werbung einschränke, Steuerprivilegien rückgängig mache, eine Boden- und eine Marktstrukturreform favorisiere, eine breitere Zielfunktion im Sinne eines Wohlstandskompasses und dann noch ein Grundeinkommen fordere, so stelle ich zwar liebgewordene Gewohnheiten in Frage, aber bis dato nicht das komplette System. Klar muss auch sein, dass ein System, das die Mehrzahl meiner Vorschläge aufgreifen würde, natürlich kein kapitalistisches System heutiger Provenienz mehr wäre. Da aber meine Vorschläge bisher weder Wachstum noch Wettbewerb explizit aufheben, bleiben die bisher genannten Vorschläge im gegenwärtigen Rahmen.
Postwachstumsökonomie, ein Begriff, den ich mit Niko Paech, einem Ökonomie-Professor an der Universität Oldenburg, verbinde, geht gerade davon aus, dass Wachstum seinem absehbaren Ende entgegenläuft. Dabei ist der oben angeführte Wettbewerb nur die Rückseite der Wachstumsmedaille – Wettbewerb beflügelt ebenso wie Wachstum Differenzen, „deren Beseitigung neues Wachstum notwendig macht“ (Paech, Befreiung vom Überfluss, 2012, S.112). Postwachstumsökonomie ist ein Versuch, ein Szenario zu entwerfen, wie wirtschaftliche Aktivität aussehen wird oder könnte, wenn Wachstum zumindest in der entwickelten westlichen Welt keine (dominierende) Rolle mehr spielen kann, weil – wie Paech darlegt – die Ressourcenlage absehbar so verheerende Züge annehmen wird, dass Wachstum im heute definierten Sinne nicht mehr darstellbar ist.
Wir alle kennen das „Peak Oil“, das die Vorstellung beschreibt, dass der maximale Ausstoß oder die maximal mögliche Förderung von Rohöl seinen Höhepunkt schon überschritten habe. Die seit etwa dreißig Jahren führende Ideologie des Neoliberalismus hat eine Beschleunigung des allgemeinen Ressourcenverbrauchs ausgelöst, die Paech davon zu sprechen veranlasst, dass hinsichtlich der Ressourcenlage eigentlich „Peak Everything“ Grundlage der Diskussion sein müsste. Viele Ökonomen hoffen oder glauben aber immer noch, dass Wachstum und Ressourcenverbrauch zu entkoppeln sind. Niko Paech vermittelt hier Einblicke, die dieses Vorhaben weitgehend Lügen strafen.
Dabei setzten die Entkopplungsökonomen bevorzugt auf den sogenannten technischen Fortschritt mit der kindlich naiven Begründung, noch immer hätte die Menschheit eine Lösung für solche drängenden Daseins-Fragen gefunden. Sie vergessen jedoch, dass der technische Fortschritt bisher immer zusätzliche Energien gebunden hat und dass gerade ein weiterer Energieverbrauch unweigerlich mehr Ressourcenverbrauch nach sich ziehen wird. Hier beißt sich also die Katze in den Schwanz.
Selbst dort, wo auf den ersten Blick keine Ressourcen im Spiel sind, gibt es ‚kulturelle Wachstumstreiber‘ (vgl. Paech, a.a.O, S, 110ff.) die über soziale Distinktion (Unterscheidung), auch aus sozialem Prestige dazu führen, dass „die Wiedererlangung oder gar Steigerung einer sozialen Position, (….) somit ständig neue Kaufhandlungen voraus(setzen)…“.
Aus meiner Sicht ist die klare Darstellung und Unterscheidung von subjekt- und objektbezogener Sichtweise auf die Ressourcenfrage richtungsweisend. Wir sind gewohnt bei unserm Handeln und insbesondere auch dann, wenn es um sogenanntes nachhaltiges Handeln geht, auf die Technik der uns umgebenden Dinge zu verweisen. Alle Hoffnungen richten sich darauf, dass die Dinge (die Objekte) mit Hilfe der Technik das Problem für uns lösen, mit der Folge, dass wir uns als Handelnde exkulpieren, weil wir ja intensiv nach technischen Lösungen suchen. Dieser Lösungsansatz kann aber nicht zum Erfolg führen, wenn wir immer nur Veränderungen in unserer Umwelt erwarten, selber aber als Subjekt des Handelns glauben, in unserem gewohnten Wohlstandshabitus verharren zu können.
Der Lösungsansatz der Postwachstumsökonomie lässt die Technik nicht aus ihrer Verantwortung, packt aber das Subjekt und fordert vom ihm eine veränderte Haltung, die als „Befreiung vom Überfluss“ vermittelt wird. Paech zeigt dem Individuum die Chancen, die darin liegen, dass man sich von der Umklammerung der ‚10.000 Dinge‘ befreit und er ist in der Lage, dieses Befreiungsgefühl plausibel zu vermitteln. Die Postwachstumsökonomie ist m.E. der erste, mir bekannte Ansatz, der sich nicht auf die Technologie allein stützt, sondern deutlich macht, dass die Zahl unserer Alternativen so geschrumpft ist, dass wir beginnen müssen, auch im Subjektiven, also bei uns Handelnden, nach neuen Lösungswegen zu suchen.
Dabei spielen ein paar Begriffe eine wichtige Rolle, die den Leser leicht abschrecken können: Paech plädiert für eine Reduzierung der Arbeitsteilung, die er als Voraussetzung für die zunehmende Fremdversorgung und Globalisierung erkennt. Fremdversorgung hat zur Folge, dass man für jede kleine Einheit einen Service erwerben kann, obwohl viele dieser Dienstleistungen auch selbst verrichtet werden könnten. Die Zunahme der Arbeitsteilung war darüber hinaus eine Voraussetzung für die Globalisierung, weil erst eine immer feinere Spezialisierung es möglich macht, Prozessteile dort bearbeiten zu lassen, wo nach herkömmlicher Rechnungsweise die größte Effizienz zu erwarten ist. Dass dabei die Wegekosten unvollständig ermittelt sind, verstärkt den Trend. Dass damit weiterhin regelmäßig ein Geschäft mit der Armut anderer gemacht wird, interessiert den Ökonomen gewöhnlich nicht. Soziale Fragen sind nicht seine Baustelle. Paech will die Fremdversorgung als einen wesentlichen Faktor der Abhängigkeit und damit der Unfreiheit zurückfahren. Ein Argument ist dabei die Subsistenz, der Vermittlung von mehr Selbstversorgung als Ausdruck für eine deutlich geringere Arbeitsteilung. Mit im Spiel ist dabei natürlich eine veränderte Strategie der Technologie: kein Wegwerfen, sondern die Befähigung zur Reparatur und zur gezielten Verlängerung der Lebensdauer von Produkten, was auch unter Entschleunigung erfasst werden kann.
Ein weiterer Aspekt seines Ansatzes ist die Suffizienz, die mit der Befreiung vom Überfluss Hand in Hand geht. Genügsamkeit ist ein Wert für sich, der sich erst dann einstellen kann, wenn das veränderte Bewusstsein und das Gefühl der Befreiung vom Überfluss sich im täglichen Leben des Einzelnen durchgesetzt haben. Paech macht sehr deutlich, dass es ihm bei der Suffizienz nicht um Verzicht geht, sondern um Befreiung von Überflüssigem. Suffizienz bedeutet auch Entschleunigung, weil das Zeitintervall zwischen den Kaufhandlungen vergrößert wird. Dieses Verhalten steht natürlich im krassen Gegensatz zu unserem gegenwärtigen Konsumverhalten nach der globalen Devise: „besitzen jetzt – zahlen später“, wobei „zahlen“ nicht nur den monetären Aspekt der Transaktion meint, sondern auch die Lastenverteilung zwischen den Generationen.
Drei Gesichtspunkte bestimmen heute, allgemein gefasst, unser ökonomisches Verhalten:
• die zeitliche Entgrenzung (siehe oben: Haben jetzt – zahlen später)
• die physische Entgrenzung (Entlastung der menschlichen Arbeit durch sogenannte „Energiesklaven“. Ersetzen der menschlichen Leistung durch erhöhten Einsatz von Energie)
• die räumliche Entgrenzung (führt über eine hohe Arbeitsteilung und –spezialisierung direkt in die Globalisierung bei unrealistisch kalkulierten Wegekosten)
Diesen drei Gesichtspunkten entsprechen die Gegenkonzepte der Postwachstumsökonomie:
Die Suffizienz (Genügsamkeit) arbeitet gegen die zeitliche Entgrenzung, indem seltener konsumiert und mehr repariert wird. Die Subsistenz (der Gedanke einer erhöhten Selbst- und Gemeinschaftsversorgung) reduziert die physische Entgrenzung und ihren steigenden Energieaufwand. Eine Reduzierung der Arbeitsteilung und der Spezialisierung hebt die scheinbaren Vorteile der räumlichen Entgrenzung auf und plädiert für die Nutzung lokaler bzw. regionaler Bezüge.
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