Das Konzept hat natürlich Konsequenzen. Die erste Frage, die sich stellt, ist die Frage nach dem Übergang von einer spätkapitalistischen (globalen) Wirtschaftsweise auf eine Wirtschaftsweise im Rahmen der Postwachstumsökonomie. Der Prozess lässt sich am einfachsten als ein Prozess mit der Spannweite von einem geplanten Übergang (design) bis zu einem Umbruchsscenario (desaster) denken.
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Dabei stehen die Chancen auf einen geplanten Übergang eher gering, weil jene Teile der Gesellschaft, die am Status quo ihre Vorteile ausspielen können, sich mit Händen und Füßen dagegen wehren werden, eine zwar vernünftige, aber für sie nicht zu überschauende Änderung der Verhältnisse zuzulassen. Auch die Hoffnung auf demokratisch eingeleitete Prozesse würde ich begraben, weil den ‚Vielen‘, die hier ihre Unterstützung einbringen müssten, ein solch komplizierter Prozess kaum zu vermitteln ist. Die Medien, die mehrheitlich in der Hand derer sind, die heute aus dem Status quo deutliche Vorteile ziehen, werden intensiv dafür sorgen, dass die ‚Vielen‘ keinen hinreichenden Konsens finden werden, um vernünftig und machtvoll zu agieren.
Als Alternative bleibt eigentlich nur der Umbruch, der sich vermutlich weniger aus gesellschaftlichen Gründen entwickeln wird, denn aus dem schrittweisen Verlust wichtiger Ressourcen. Dabei wird deutlich, dass diese Entwicklung vermutlich kein Big Bang, sondern eher ein schleichender Prozess ist, bei dem schrittweise die gegenwärtige globale Wachstumsindustrie erodiert. Warum? Wenn es „eng“ wird, neigen die Menschen dazu, ihre regionalen und lokalen Bezüge zu stärken, sie suchen nach Rückbezug. Dann vermittelt ihnen die abstrakte Globalisierung kein Wert mehr, für den es lohnt, sich einzusetzen. Wenn auch den letzten Verfechtern des Status quo klar wird, dass ihre Ära zu Ende geht, wird der Prozess möglicherweise in Teilen einem geplanten Übergang ähneln. Da aber der optimale Zeitpunkt zur Veränderung verstrichen ist, wird es sich dabei eher um Camouflage handeln, um das Gerangel um die besten Plätze für den Start in die neue Ära eines Postwachstums zu kaschieren. Das Gerangel repräsentiert dabei ein Verhalten des Spätkapitalismus (also einer dann vergangenen Periode). Ob es sich im Rahmen der Postwachstumsökonomie dann auszahlt, bleibt abzuwarten.
Es ist sehr schwer abzuschätzen, welche Ressource wann mit welcher Folge für das Gesamte nicht mehr zur Verfügung stehen wird. Dass dieser Mangel auftreten wird, erscheint ausreichend belegt. Lediglich der Zeitfaktor ist gegenwärtig nicht abzuschätzen. Ebenfalls nicht abschätzbar sind mögliche Überkreuz-Abhängigkeiten: z.B. wäre es denkbar, dass nicht fehlender Kraftstoff den Individualverkehr lahmlegen, sondern irgendein kleiner, bisher unbeachteter Rohstoffmangel, der Teile betrifft, die für den Bau eines Automobils unverzichtbar und auch nicht ersetzbar sind. Um es in den Kategorien der Postwachstumsökonomie auszudrücken: die zeitliche Entgrenzung ist aufgehoben, die Suffizienz hält erzwungenermaßen Einzug. Das gleiche Scenario können wir auch auf Mobiltelefone übertragen, deren Produktion von Seltenen Erden abhängig ist. Viele werden jetzt darauf verweisen, dass ja recycelt wird – das ist richtig, aber zu welchem mittelfristigen Preis, wenn aller Welt klar wird, dass die Ressource knapp geworden ist. Mobiltelefone leben davon, dass sie ein Massenphänomen sind. Wenn aber der Rohstoffpreis auf den Verkaufspreis durchschlägt, wird es sicherlich weiterhin Mobiltelefone geben, aber wird es ein Massenphänomen bleiben können? Es ergibt sich Suffizienz, nicht aus Vernunft, sondern aus finanziellem Unvermögen.
Diese Ausführungen müssen reichen, um die mit der Postwachstumsökonomie einhergehenden Phänomene anzureißen. Der ökonomischen Phantasie sind keine Grenzen gesetzt, aber Vorsicht – die Dinge werden in Umbrüchen oft komplexer als man sich das vorher ausdenken kann. Unser Denken ist meist linear orientiert und Umbrüche folgen einer anderen Logik.
Wenn unterstellt wird, dass die Wachstumsindustrie weltweit erodiert, was bedeutet das für die Menschen, die auf Beschäftigung angewiesen sind, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten? Die Nachfrage nach Arbeitskräften wird dramatisch sinken. Die Folge ist nach herkömmlichem Verständnis Arbeitslosigkeit. Schon heute ist der Niedriglohnsektor nur dadurch zu erklären, dass wir im Grunde mehr Arbeitnehmer beschäftigen als wir realiter benötigen. Einfache Rechnungen, die die gesamte erbrachte Arbeitsleistung in Deutschland auf alle Arbeitsnehmer verteilt, kommt zu dem Schluss, dass eigentlich eine Wochenarbeitszeit von deutlich weniger als 40 Stunden pro Woche ohne Produktionseinbußen erzielbar wäre.
Paech hat einen etwas anderen Ansatz: er schlägt vor, sich vom Überfluss zu befreien, kehrt also das Problem um und sagt aber nicht, schränkt euch ein, sondern verbreitet die Botschaft: Befreit euch von all dem Wohlstandmüll, der nur dazu diente, die Wachstumsmaschine am Laufen zu halten. Letztere ist mit Wirksamwerden der Postwachstumszeit logischerweise zusammengebrochen – also ändert eure Wertperspektiven.
Was für Folgen können wir für den Staat, für das Gemeinwesen unterstellen? Da wir in der Zeit des Postwachstums nicht weniger Menschen sein werden, werden aber die Unternehmen, und hier wohl zuerst die großen Einheiten mangels Absatz kollabieren. Bei weniger Unternehmen und damit auch weniger Beschäftigten können wir unterstellen, dass die Steuereinnahmen des Staates sinken werden. Heute würde das bedeuten, dass Kürzungen bei den Sozialleistungen im Fokus stehen. In einer Wirtschaftsform, in der Wachstum keine dominierende Rolle mehr spielt, ist auch diese neoliberale Ideologie an ihrem Ende.
Ich könnte mir vorstellen, dass die Politik des Neoliberalismus, je schwieriger die Ressourcenlage vor dem Umbruch wird, ihre Angebotspolitik durch ‚Geld fluten‘ und ‚Subventionen erhöhen‘ bei gleichzeitiger Kürzung der Sozialleistungen solange als möglich beibehalten wird. Mit anderen Worten, nach dem Ende des Wachstums müssen erst mal die Schäden (Schulden) bezahlt werden, die diese Politik in den letzten Jahren (Jahrzehnten?) vor dem Umbruch ausgelöst hat. Die Situation wird nach dem Umbruch vermutlich gesellschaftlich so heikel sein, dass man erkennt, dass jetzt statt der Sozialleistungen die Subventionen der Unternehmen drastisch gekürzt werden müssen, um eine ausreichende finanzielle Manövriermasse zu schaffen. Die andere Frage ist, ob in der allgemeinen Umbruchssituation der Staat ganz allgemein ausreichende Finanzmittel einnimmt, um Subventionen grundsätzlich aufrecht zu erhalten. Ergänzend stellt sich die Frage, ob nicht der Umbruch dazu führt, dass man an all die Budgets geht, die bisher als „heilige Kühe“ der Vermögenden betrachtet wurden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass der Staat sich der Frage stellen muss, warum sollen 99% der Bevölkerung die Schulden ausgleichen, deren Gegenwert die 1% aufgrund ihrer Vermögenszuwächse ‚eingenommen‘ haben. Wie oft in solchen Situationen, wird sich der Staat durch Abbau von Schulden Handlungsfreiheit verschaffen müssen und was liegt da näher als einen „Lastenausgleich“ zwischen den Vermögenden und dem Rest der Bevölkerung zu Gunsten einer Abfertigung öffentlicher Schulden anzustreben. Das Geld, das den Schulden entspricht, ist ja durch Fluten der Finanzmärkte und durch Subventionen in irgendwelchen privaten Taschen gelandet, also holt sich das Gemeinwesen in einer nationalen Notlage zumindest einen Teil des Geldes wieder zurück, um den Neustart angemessen finanzieren zu können.
Niko Paech schneidet dieses Thema Lastenausgleich nur an, aber es ist ihm durchaus klar, dass diese Herausforderung einer Lösung harrt. Paech widmet sich ausführlicher der Frage, wie das Leben als Arbeitnehmer aussehen könnte und auf welchen Sektoren Unternehmen (die es ja weiter geben wird, vermutlich in der Mehrzahl nur kleiner als bisher) bevorzugt Chancen finden können.
Der einzelne wird sich in Suffizienz üben müssen. Es bleibt die große Frage, ob die Mehrzahl der Bürger darin eine Befreiung vom Überfluss sehen kann. Ich persönlich kann mir das gut vorstellen, aber darf bezweifeln, ob all die vielen Konsumjunkies darin eine Befreiung sehen.
Letztlich ist Konsum auch eine Folge von Langeweile. Die neuen, vielleicht auch schwierigen Lebensumstände werden mit einiger Sicherheit alles andere als langweilig zu klassifizieren sein. Also wird diese Frage durch die Umstände teilweise gelöst werden.
Das Einkommen der Bürger wird sich an der reduzierten Arbeitszeit ausrichten. Wenn alle Arbeit erhalten wollen, wird man neue Arbeitsmodelle erfinden müssen. Die Folge wird mehr Freizeit sein bei knapperen finanziellen Möglichkeiten hinsichtlich des verfügbaren Einkommens. Das erhöhte Freizeitkontingent sucht nach Bindung. Da nicht mehr so viel Geld im Umlauf ist, erwartet Paech im Freizeitbereich verstärkten Leistungsaustausch ohne monetäres Entgelt (Nachbarschaftshilfe i.w.S.).
Ein weiterer Gesichtspunkt ist die Herausforderung, der Schere von geringerem monetären Einkommen und tendenziell teureren Warenangeboten zu entkommen. Die Waren können mehrheitlich nicht mehr unter Plünderung der Armutsländer billig produziert werden(Globalisierung) oder sich rühmen, preislich subventioniert zu werden (Landwirtschaft, Energiewirtschaft u.a.). Sie werden künftig mehr regional oder auch lokal hergestellt werden müssen. Dafür sollten aber ihre Qualität (z.B. ihre Lebensdauer) und ihre Reparaturfähigkeit deutlich zunehmen. Der Konsum wird sich umstellen müssen: nicht mehr ‚kaufen und später zahlen‘, sondern ‚erst sparen, dann kaufen‘- eine durchaus hauswirtschaftlich sinnvolle Vorgehensweise, die aber vielfach in Vergessenheit geraten ist.
Wenn man davon ausgeht, dass die großen globalen Einheiten zuerst verlieren, weil ihnen der hohe Durchsatz mit den damit verbundenen Skaleneffekten (Kostendegression) verloren geht, so kann man durchaus davon ausgehen, dass Unternehmen, die regional eingebunden, über keine globalen Ambitionen verfügen und meist auch kleiner sind, diese Veränderung aufgrund geringerer Arbeitsteilung (Ausbau einer längeren variablen Inhouse – Wertschöpfungskette) ganz gut überstehen werden. Insbesondere dann, wenn ihr Abnehmerkreis im Umland sitzt. Globale Einheiten sind unflexible, auf hochgradige Arbeitsteilung angewiesene Unternehmen, die ihre Effizienz nur bei großen Stückzahlen nahezu gleicher Artikel ausspielen können. Wenn es kein Wachstum gibt, ist diese Unternehmensgröße in der Mehrzahl der Fälle wohl obsolet.
Wer sich mit der Frage einer Postwachstumsökonomie detaillierter beschäftigen möchte, dann verweise ich auf „Niko Paech, Befreiung vom Überfluss, München, 2012“ oder auf seine diversen Youtube-Beiträge aus den letzten paar Jahren.
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