Wenn man die Klimakrise als eine reale Bedrohung versteht, ist es sinnvoll, nicht nur nach Lösungen zu suchen, um sie erfolgreich abzuwenden. Es ist mindestens genauso wichtig, sich darüber Klarheit zu verschaffen, wer denn die jeweiligen Gegenspieler sind und welche Interessen sie verfolgen. Auch wenn man überzeugt ist, das „wir“ die Guten sind und die anderen die Bösen, sollte man trotzdem versuchen, die andere Seite bezüglich ihrer unterschiedlichen Interessen zu verstehen. Verstehen heißt ja nicht automatisch akzeptieren. Verstehen bietet die Möglichkeit, den Gegensatz ggfs. auszuhebeln oder zumindest den Konflikt zu reduzieren.
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Die ‚große‘ Lage
Die Gegenspieler sind zahlreich und sehr unterschiedlich in ihren Interessen. Die einfach gestrickten Gegenspieler sind die Krisenleugner. Sie halten das mit der Klimakrise beschriebene Szenario für grundsätzlich falsch, weil sie die wissenschaftliche Basis der Argumentation in Frage stellen, vielleicht auch gar nicht verstehen (wollen). Da spielt Verdrängung, Verunsicherung und intellektuelle Bequemlichkeit eine große Rolle. Sie können in den Szenarien keine Herausforderung bzw. Chance sehen, sondern befürchten nur das Schlimmste. Es sind jene Menschen, die gerne das „Weiter so“ favorisieren, bloß keine Veränderung in der vagen Hoffnung, dass das möglich sei. Das einzig sichere aber ist die Veränderung! Solange aber dieser Personenkreis die Veränderung nicht realisiert, gibt es ihnen das trügerische Gefühl, dass die Strategie des „Weiter so“ eine reale Option sei.
In Bezug auf die Klimakrise ist dieser oben genannte Teil der Bürger in der deutlichen Minderzahl. Die Mehrzahl der Bürger hat das Problem grundsätzlich verstanden und ist in gewissen Grenzen bereit, auch Beiträge zur Lösung zu leisten. Aber wir haben dank John Updike die Erkenntnis, dass es schwer ist, Menschen für eine Sache zu begeistern, wenn sie dafür bezahlt werden, dass sie die Sache nicht verstehen. Personen, die privat gerne anders handeln würden, sehen sich oft geschäftlich in ein institutionelles Korsett gezwängt, das den handelnden Personen zwanghaft „nahe“ legt, sich wider besserer Erkenntnis an die „überholten“ institutionellen Konventionen zu halten.
Wir haben uns über die letzten Jahrzehnte seit 1949 einen politischen und wirtschaftlichen Rahmen (das besagte Korsett) geschaffen, indem wir Institute (formale und informelle Regeln) und Institutionen (formale Organisationen) geschaffen haben, die unser gegenwärtiges Verständnis von Gesellschaft und Wirtschaft beeinflussen und unser gesellschaftliches Leben auch ein Stück weit steuern.
Das Wirtschaftssystem, das als Institution die meisten unserer Aktivitäten bestimmt, zeigt sich auch in mindestens zwei Lager gespalten. Einerseits anerkennt die Mehrzahl der führenden Persönlichkeiten des Systems in ihrer Funktion als Bürger die mit der Klimakrise ausgelöste Problematik. Ich bin mir aber nicht sicher, ob dieser Personenkreis in der Lage ist, wenn es darauf ankommt, die systemimmanenten institutionellen Konventionen zu durchbrechen. Dafür wurden sie aus der Sicht ihrer ‚Arbeitgeber‘, den Aktionären und Kapitalhaltern nicht berufen. Sie sind im Grunde auf das institutionelle „Weiter so“ verpflichtet. Man kann diese These auch an dem Institut des Gesellschafter-Geschäftsführers ablesen. Kleinere Unternehmen sind in dieser Beziehung deutlich flexibler. Diejenigen Unternehmen, deren institutionelles Korsett deutlich offener ‚gestrickt‘ ist, sehen darin oftmals eine reale Chance und warten (meist vergebens) auf klare Rahmenbedingungen aus den Reihen der Politik.
Die kognitive Dissonanz, der viele Vorstände aufgrund der Klimakrise ausgesetzt sind, führt dazu, dass die Vorstände den guten Willen demonstrieren, wenn es nichts kostet, aber insgeheim Think-tanks und andere Lobbyeinrichtungen teilweise massiv unterstützen, die dafür sorgen sollen, dass, wenn es zu Veränderungen kommt, diese möglichst weit in die absehbare Zukunft geschoben werden. Vorstände, die alle paar Jahre (beinahe routinemäßig) ausgetauscht werden, denken da auch ähnlich wie Politiker: Das Problem soll die nächste ‚Generation‘ lösen. Aber es gibt keine Zukunft, wenn wir das Problem nicht jetzt und sofort angehen. Noch sind wir in dem Korridor, in dem die Wissenschaft glaubhaft darstellen kann, dass das Problem zu lösen ist.
Neben dem institutionellen Rahmen, der durch Gesetze, formelle und informelle Regeln ziemlich rigide ist, gibt es auch noch Institute, die den Anschein vermitteln, dass sich hier Veränderungen anbahnen bzw. die Veränderung durch wenig politischen und gesetzgeberischen Aufwand verstärkt werden könnte. Das ist die institutionelle Seite, die sich nur sehr langsam bewegt. Die obersten Gerichte haben mit einigen wegweisenden Urteilen den Weg freigemacht, hier eine neue Richtung einzuschlagen.
Für die Privatwirtschaft ergeben sich aus der Entwicklung Situationen, die deutlich machen, dass Geschäftsmodellen, die jahrzehntelang als legal und erfolgreich galten, schrittweise die Geschäftsgrundlage entzogen wird, weil das Produkt, der Vertriebsweg oder die Produktionsweise den neuen Standards nicht mehr entsprechen können. Dieser Sachverhalt trifft nicht nur national, sondern auch global operierende Unternehmen. Einige Unternehmen haben sich auf die geschlossenen Investitionsschutzverträge berufen und verlangen vor privaten Gerichten unter Ausschluss der Öffentlichkeit horrende Summen, weil z.B. die Entscheidung, künftig auf fossile Brennstoffe verzichten zu wollen, deren globale Geschäftsmodelle mittelfristig in Frage stellen. Dieses wirtschaftliche Terrain wird von Seiten der oft mächtigen Konzerne sicher nicht kampflos aufgegeben, wobei die offene Konfrontation meist vermieden und lieber im Halbdunkel der Hinterzimmer gekämpft wird, um in der Öffentlichkeit kein allzu schlechtes Bild abzugeben.
Man könnte als Ausnahme beispielhaft Russland anführen. Die Annexion von Teilen der Ukraine ist der krampfhaft und völkerrechtswidrig herbeigeführte Anlass, um einen Krieg vom Zaun zu brechen. Aber stellen Sie sich die Lage Russlands vor, wenn am Ende große Teile der westlichen Welt auf fossile Energieträger verzichten könnten. Dann stünde das russische Geschäftsmodell vor großen wirtschaftlichen Problemen. Also lohnt es sich möglicherweise aus russischer Sicht, ein Feuer in der Ukraine zu entzünden, bei dem dann die verweigerten Energielieferungen Russlands an Europa wegen der Unterstützung der Ukraine gleichzeitig die Ernsthaftigkeit europäischer Kohärenz bezüglich der Abschaffung fossiler Brennstoffe auf den öffentlichen Prüfstand stellen. Bisher zeigt diese unterstellte Strategie nicht den von Russland gewünschten Erfolg. Wir, Europa, sind aber aufgeschreckt und entwickeln Maßnahmen für eine Energiewende in einem Umfang, den wir in ruhigen Zeiten in den kommenden 15 Jahren nicht geschafft hätten.
Ein besonders beharrendes Element stellt unsere öffentliche Verwaltung dar. Sie ist darauf getrimmt, Sorgfalt vor Geschwindigkeit zu repräsentieren. Sie ist auch ohne Zweifel ein Garant dafür, dass vor dem Gesetz die Mehrzahl der Menschen gleich behandelt wird. Aber wir haben bei allen unseren Regelungen, die wir in den letzten Jahrzehnten getroffen haben, das ungeheure Beharrungsvermögen dieser Institutionen übersehen. In der gegenwärtig variablen Situation mit ihren zusätzlichen Zeitrestriktionen für mögliche Problemlösungen und dem institutionellen Mangel an Kreativität zeigt sich die Öffentliche Verwaltung von ihrer schlechtesten Seite. Darüber hinaus dürfen wir nicht vergessen, dass auch hier der Vorwurf des „Kaputtsparens“ als Folge der neoliberalen Ideologie nicht von der Hand zu weisen ist. Selbst wenn wir es schaffen, den institutionellen Rahmen neu oder besser zu definieren, bis er in der öffentlichen Verwaltungspraxis ankommt, könnte es zu spät sein. Wenn wir akzeptieren, dass die Privatwirtschaft vor erheblichen Veränderungen steht, weil sich ein großer Teil der vorhandenen Geschäftsmodelle so nicht weiterführen lassen, so wäre es hilfreich, wenn die öffentliche Verwaltung als Leitlinie dienen könnte. Das ist aus meiner Sicht Wunschdenken.
Die ‚kleine‘ Lage
Das Institut der CO2-Emissionen entlarvt heute eine Vielzahl von Verhaltensweisen als nicht mehr sinnvoll bzw. nicht mehr verantwortbar. Alle reden davon! Die Zahl der Resolutionen ist gewaltig, aber nur wenige tun etwas! Jeder Ressourcenverbrauch löst CO2-Emissionen aus. CO2 gilt deshalb als der Indikator für eine nachhaltige Existenz.
Die CO2-Emissionen wachsen gegenwärtig in beängstigenden Schritten. Von einem Rückgang, wie so oft gefordert, sind wir global und in Europa meilenweit entfernt. Das Ziel von 1,5° Erderwärmung wurde längst gerissen, aber insbesondere die Politik spricht nicht gerne darüber, um ihr Versagen auf diesem Felde zu kaschieren.
Nehmen wir für die weitere Betrachtung beispielhaft das Institut des Eigentums. Mit Eigentum verbinden wir i.d.R. ein gewisses Maß an langfristiger Nutzung, sonst würden wir nicht von Eigentum, sondern von Verbrauch sprechen. Ein bedeutender Ausdruck von Eigentum ist i.d.R. das Institut Grund und Boden mit den damit meist verbundenen Gebäuden.
Bauen ist eine der Aktivitäten in unserer Gesellschaft, die die größten CO2-Emissionen verursacht. Wir verbinden mit Bauen im herkömmlichen Sinne eine Konstruktion für eine Nutzungsdauer von hundert und mehr Jahren. Das ist nach meinem Wissen schon lange nicht mehr der Fall. Wir bauen heute, wenn es gut geht, für vielleicht 30 – 50 Jahre und gehen schon beim Bauen davon aus, dass insbesondere das gewerbliche Gebäude in oder nach dieser Zeit einfach abgerissen wird, weil die heutige Bauqualität eine längere Lebensdauer gar nicht zulässt. Häufig wird es damit begründet, dass das Gebäude nach dieser Zeit „technisch“ völlig veraltet sei, was immer das bedeutet: Man könnte daraus auch schließen, dass die Technik so verwendet wird, dass keine längeren Laufzeiten möglich sind (Stichwort: geplanter Verschleiß). Aus der Sicht der CO2-Reduktion wäre es jedoch sinnvoll, die Lebensdauer eines Gebäudes auf hundert (und mehr) Jahre zu planen und während dieser Zeit eine oder zwei Renovierungen oder Sanierungen vorzusehen. Wenn man bei der Planung des Gebäudes die zu erwartenden Sanierungen aktiv vorsieht, wird es auch möglich, die dann anfallenden Sanierungen kostengünstig und werthaltig durchzuführen.
Wie könnte man den Fokus auf das Bauen von der gegenwärtig geübten Kurzfristigkeit auf eine langfristige Perspektive verschieben? Eine vielleicht laienhafte Lösung könnte m.E. wie folgt aussehen: Jedes Gebäude erhält einen „CO2-Rucksack“, der die Tausenden von Tonnen CO2, die bei der Errichtung des Baus entstanden sind, in Erinnerung hält. Die Größe des Rucksackes wird offiziell fixiert, in dem die verbauten qm3 mit einer durchschnittlichen CO2-Tonnage/qm3 bewertet werden. Der CO2-Rucksack wird über die geplante Lebensdauer (100 oder mehr Jahre) linear abgeschrieben.
Soll das Gebäude verfrüht nach z.B. 25 Jahren abgerissen werden, so hat der (neue) Eigentümer neben dem Erwerbspreis auch 75% der Tonnage des CO2-Rucksacks multipliziert mit dem dann gültigen Tonnagepreis für CO2 aufzubringen, weil durch die Abrissabsicht der ursprüngliche CO2-Rucksack nicht über die geplante Laufzeit abgeschrieben werden kann. Das verteuert den geplanten Neubau erheblich, so dass dadurch die Sanierung (mit wesentlich geringerem CO2-Ausstoß) der bestehenden Substanz gefördert wird.
Das Eigentum-Institut scheint sich auch auf einem anderen Gebiet zu verändern. Waren wir über viele Jahre stolzer Besitzer eines eigenen Pkw‘s, so wird der Pkw-Besitz in den Metropolen von der jüngeren Generation eher als lästig empfunden. Durch Staus, Parkplatzsorgen und –kosten, sowie die Tatsache, dass der Pkw meist 22 von 24 Stunden herumsteht, wird allmählich einer ganzen Generation klar, dass Eigentum an einem Pkw überflüssig sein könnte. Wenn man einen Pkw benötigt, kann man ihn stattdessen mieten. Das Automobil verliert seinen hohen Status und wird eher zum temporären Konsumartikel.
Ergänzend wäre ein Tempolimit eine symbolische Geste der Politik, um zum Ausdruck zu bringen, dass Rasen ein etwas pubertäres Verhalten verkörpert und im Laufe einer Generation zu überwinden wäre. Mit dem Tempolimit ist es wie mit dem Rauchen in öffentlichen Räumen: Einmal eingeführt will keiner mehr darauf verzichten, weil die Vorteile einfach offensichtlich sind. Nur die FDP verbindet damit ihren etwas verschrobenen Freiheitsbegriff und übersieht, dass unsere Bevölkerungsdichte und die damit verbundene Pkw-Dichte es einfach unsinnig erscheinen zu lassen, Rasern ein fragwürdiges Alibi zu geben.
Wenn wir diesen Gedanken weiterspinnen, so gibt es eine Vielzahl von „Besitztümer“, die wir unser Eigen nennen, aber, wenn wir ehrlich sind, sie nur ein oder zweimal im Jahr benutzen. Es ist im Grund eine riesige Ressourcen-Verschwendung, solche nicht regelmäßig benutzten Dinge ins Eigentum des Einzelnen zu überführen. Dabei handelt es sich meist um höherwertige Werkzeuge, höherwertige Gartengeräte und vieles andere mehr. Wir könnten diese Geräte, wie das übrigens viele schon tun, für ein kleines Geld einfach bei Bedarf temporär mieten.
Ohne das Eigentum-Institut grundsätzlich in Frage zu stellen, zeigen diese paar Beispiele, wie sich unser Eigentumsbegriff Schritt für Schritt verändert. Würde sich diese Erkenntnis auch in der Politik durchsetzen, wäre es ein Einfaches, diesen Trend der Veränderung zu stützen und verstärken und dabei künftig gewaltige Mengen an CO2 zu vermeiden.
Was man aber deutlich erkennen muss, dass diese Maßnahmen aus dem Wirtschaftsprozess ein beachtliches Maß an Wachstumsdynamik herausnimmt: Die Bautätigkeit wird sich von einem Fokus auf den Neubau auf die Gebäudesanierung verschieben. Der Neubau von Wohnungen wird nur noch dort vollzogen, wo real alte Bausubstanz besteht.
Der renditeorientierte Abriss von grundsätzlich funktionstüchtigen Bauwerken wird in Stocken geraten. Der Statusverlust der Automobile in den Metropolen wird sich mittelfristig auf den Pkw-Absatz auswirken, selbst dann, wenn das Mietgeschäft boomen würde. Die Stückzahlen werden dann nicht mehr zunehmen können.
Die Vorschläge werden Auswirkungen auf unsere Wirtschaftsaktivitäten haben. Gemessen am Bruttoinlandsprodukt (BiP) werden wir möglicherweise kein Wachstum darstellen können. Aber der Wohlstand wird dadurch nicht zwangsläufig geringer, weil sich Wohlstand nicht mit der Veränderung des BiP messen lässt. Dafür misst das BiP unsere Aktivitäten viel zu undifferenziert.
Wir sollten uns unseren Wirtschaftskreislauf vorstellen: Alles was wir heute produzieren, wird eines Tages zu dem, was wir „Müll“ nennen. Davon werden in Deutschland, gut gerechnet, etwa 20% tatsächlich recycelt, die restlichen 80% unseres Mülls werden, wenn es gut geht, ordentlich gesammelt, verwaltet und hoffentlich thermisch recycelt, also verbrannt und damit u.a. unmittelbar in CO2 umgewandelt. Das ist eine gewaltige CO2-Schleuder. Dabei müssen wir feststellen, dass auch riesige Plastikmengen im Meer herumschwimmen. Folglich können zumindest weltweit die Recyclingquoten nicht stimmen, es gibt auch weltweit eine beachtliche Recyclingquote, bei der ins Meer „recycelt“ wird. Recycling kann nur gelingen, wenn es möglich ist, die im Müll enthaltenden Stoffe relativ rein (d.h. nicht mit anderen Stoffen verunreinigt) gewonnen werden können. Verbundstoffe trennen zu wollen, konterkariert jeden Versuch Recycling effizient zu gestalten. Wenn wir das erkennen, was wäre die logische Folgerung für unsere Produktionsaktivitäten? Bei der Planung der Produktion muss die einfache Recycelfähigkeit wichtiger Teil der Funktion des Produktes werden. Das sicherzustellen, ist Aufgabe des institutionellen Rahmens unseres Gemeinwesens.
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