Markus Lanz hat in seiner Sendung vom 8. Juli 2021 mehrfach eine Zahl in die Runde geworfen, die aber keiner der Anwesenden aufgriff. Lanz meinte, dass der deutsche Wahlbürger im Durchschnitt 55 Jahre alt sei. Dann klang auch an, dass das CDU-Wahlprogramm keinerlei kreativen Elemente enthalten würde. Es wurde deutlich, dass es im Grunde kein Programm ist, sondern eine magere Aussage rund um die These: „Weiter so!“. Kann sich eine Partei angesichts des Problemdrucks, dem die Politik sich ausgesetzt sieht, einen so laschen Auftritt leisten?
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Wer die Politik verfolgt, stellt fest, dass der Druck der Straße inzwischen einem Druck der Sachverständigen gewichen ist. Der Einfluss der Wissenschaft, der sich in neoliberalen Zeiten auf quasi wirtschaftliche Fragen reduzierte, hat im Rahmen der Pandemie an Einfluss gewonnen, der vielleicht mit jenem in der Ära Brand in den 1970iger Jahren vergleichbar wäre.
Gleichzeitig bekommt die Regierung eine schallende Ohrfeige vom Bundesverfassungsgericht, weil das mühsam verabschiedete Klimaschutzgesetz die Entscheidungsfreiheit und die Rechte kommender Generationen sträflich vernachlässigt. So schnell wie in den jetzigen Wahlkampfzeiten wurde noch nie ein „Murks“ nachgebessert. Ob das Ergebnis besser ist, muss sich erst noch erweisen.
Dann kommt die Zukunftskommision Landwirtschaft (ZKL) und präsentiert einen einstimmig verabschiedeten Kompromiss zur Umgestaltung der Landwirtschaft als gesellschaftliche Aufgabe. Zwölf Leitlinien formuliert die Kommission vergleichsweise konkret aus und zeigen Lösungsansätze auf. Sie präsentieren einen Kompromiss, den eigentlich die Politik seit Jahren hätte herbeiführen sollen. Aber gerade die einschlägige Politik (das Landwirtschaftsministerium) glänzte bei dem Vorhaben durch Verweigerung.
Und dann erschien vor wenigen Tagen das Parteiprogramm der gegenwärtig noch größten Partei in diesem Lande. Das ist ein solcher Widerspruch, dass man sich fragt, in welcher Blase leben die Vertreter dieses Programms? Die Reaktion oder besser Nichtreaktion von Thomas de Maizière (CDU) bei der Lanz’schen Sendung zu diesem Thema lässt aufhorchen. Welche Strategie wird mit diesem „Programm“ möglicherweise verfolgt? Und wieso kann die Union glauben, dass sie mit diesen nichtssagenden Ausführungen einen Wahlerfolg erzielen kann?
Der Ausgangspunkt ist die magische Zahl „55“ als Durchschnittsalter. Was sagt das? Wenn wir eine ausgewogene Verteilung unserer Bürger hätten und wenn wir davon ausgehen, dass ein durchschnittliches Leben etwa 80 Jahre währt, so müsste der Durchschnitt bei etwa 40 Jahren liegen. Wenn die 55 Jahre richtig sind, zeigt das Ergebnis, dass wir ein stark alternde Gesellschaft sind. Nun ist nicht klar, ob die Zahl, die Markus Lanz verwendet, das Durchschnittsalter aller Bürger ist oder nur das Durchschnittsalter aller Wähler. Die Nichtwähler entsprechen einer Zahl von 13,75 Mio. Menschen. Demnach sind von den 83,16 Mio. Bürgern nur etwa 69,41 Mio. Bürger vom Alter her wahlberechtigt.
Gehen wir weiter davon aus, dass sich die 69,41 Mio. Wahlbürger auf das Alter von 18 bis 80 relativ gleichmäßig verteilen, so läge die Mitte bei einem Alter von 49 Jahre, d.h. alle die unter 49 Jahre alten Wähler könnte man zu der jüngeren Generation zählen und alle jene, die dieses Alter schon überschritten haben, repräsentieren die ältere Generation. Die Zahlen, über die ich hier verfügen kann, lassen die formale Aufteilung nicht zu. Die mir von Statista kostenlos zur Verfügung stehende Verteilung zum 31. Dezember 2020 (siehe: https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1365/umfrage/bevoelkerung-deutschlands-nach-altersgruppen/#professional) lässt eine Aufteilung nur bei einem Alter von 40 Jahren zu: als Folge sind alle U 40 die sogenannte „junge“ Generation und alle Ü40 repräsentieren folglich die „ältere“ Generation.
Wie verteilen sich diese beiden Generations-Gruppen? Die U 40 umfassen ein Wählerpotenzial von 21,94 Mio. Bürgern und die Gruppe der Ü 40 umfasst ein Potenzial von 47,47 Mio. Bürger. Daran kann man jetzt schon erkennen, warum die Union sich strikt in ihrem „Schlafmützen“ – Programm auf die Ü 40 konzentriert. Hier vermuten sie ihr Wählerpotenzial und diese Gruppe ist mehr als doppelt so groß wie die Gruppe der U 40. Vielleicht macht diese einfache Analyse auch deutlich, warum die junge Generation den Eindruck hat, sie spiele in den Maßnahmen der gegenwärtigen Politik keine erkennbare Rolle. Es erklärt aber auch, warum diese Gruppe ihr quantitatives Manko mit besonderer Lautstärke und mit radikalem Nachdruck verfolgt.
Man darf nicht davon ausgehen, dass diese statistisch geschaffenen Gruppen homogen agieren. In den Gruppen herrscht kein Wir-Gefühl. Aber selbst, wenn wir von einem Wir-gefühl ausgehen könnten, wird deutlich, dass die „Jungen“ allein aufgrund ihrer Zahl das Nachsehen haben. Wir sind ohne Zweifel eine alternde Gesellschaft. Auf der anderen Seite werden es aber die „Jungen“ sein, die die Suppe auslöffeln dürfen, die ihnen die gegenwärtigen und vergangenen Regierungen eingebrockt haben. Diese „Ungerechtigkeit“ ist bei einer alternden Gesellschaft systemimmanent, aber muss sie parteipolitisch ausgenutzt werden?.
Umso verhängnisvoller ist das Ansinnen der konservativen Parteien, offensichtlich ihre Macht mit Hilfe derer sichern zu wollen, denen mit Sicherheit nicht die Zukunft gehört, indem sie die Herausforderungen der Gegenwart verdrängen und indem sie den Älteren ein „Kuschel“-Angebot machen und damit zum Ausdruck bringen, dass sie die anstehenden Problemstellungen als eher übertrieben einschätzen. Für wie dumm halten die Konservativen uns Älteren!? Glauben sie wirklich, dass sie mit diesem Unsinn dem Land einen Dienst erweisen können oder sorgen sie sich nur darum, dass sie ihre Macht mit Konzepten von vorgestern und der mangelnden Urteilsfähigkeit ihrer älteren Wähler erhalten können?
Wir alle wissen, dass nicht alle Wahlberechtigten zur Urne gehen. In der Regel können wir von einer Wahlbeteiligung von etwa sechzig Prozent ausgehen. Man kann nur hoffen, dass dieses Phänomen bei der älteren Generation stärker verbreitet ist, als bei den Jüngeren. Ich gehe davon aus, dass diese Hoffnung aber trügt. Die älteren werden verstärkt das Medium der Briefwahl nutzen. Die ‚Jungen‘ sind ja auch nicht einer Meinung und viele erkennen nicht die versteckte Machterhaltungsstrategie der Konservativen, die – wie oben versucht dargestellt – ja unmittelbar gegen die Interessen der Jüngeren läuft. Man kann nur hoffen, dass die Alten den Spuk durchschauen, sich ihrer Verantwortung hinsichtlich der nachfolgenden Generationen bewusst sind und konstruktiv wählen. Und bei den Jungen bleibt nur die Hoffnung, dass sie ihre eigenen Interessen erkennen und konsequent wahrnehmen.
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