Meine letzten Ausführungen haben einige Rückfragen ausgelöst. Offensichtlich ist vielen nicht klar, was sich hinter den täglichen Floskeln verbirgt, die oft leichtfertig verwendet werden. Ein großer Punkt war das Wachstum. Es ist verständlich, dass dieser zentrale Begriff im Zusammenhang mit einem „steady state“ zu Erklärungsbedarf führt. Wachstum gilt als der große Heilsbringer und niemand will ernsthaft bestreiten, dass diese Auffassung in gewissen Grenzen seine Berechtigung hat. Aber genau die Grenzen stehen jetzt zur Diskussion.
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Manchen ist nicht klar, dass unser Wachstumsbegriff ein expotenzielles Wachsen unterstellt. Wenn wir bei 100 starten und 1 Prozent Wachstum unterstellen, so ist der Bestand nach eine Jahr auf 101 gewachsen und ist jetzt wiederum Grundlage für 1 Prozent Wachstum auf der neuen Basis. Damit steigert sich die Grundlage auf 102,01 u.s.f. – und das ist eine Expotenzialformel in der Form f (xy). Das erklärt auch, warum Europa bzw. Deutschland nur noch in Ausnahmefällen hohe Wachstumsraten darstellen können – die Basis (unser finanzielles Wohlstandsniveau) ist inzwischen so hoch, dass hohe prozentuale Wachstumsraten unsere wirtschaftlichen Realzuwächse explodieren ließen bzw. unserem Wohlstand (was nicht gleichbedeutend mit Wachstum ist) aufgrund offensichtlicher ökologischer Fehlentwicklungen schaden würde.
Expotenzielles Wachstum ist in unserer Biosphäre nicht vorgesehen und führt, wenn es dennoch in simulierten Ausnahmesituationen zum Tragen kommt, zum Auslöschen der Population. Es wird in diesen Fällen eine gute Umwelt geboten und die beispielhafte Insektenpopulation vergrößert sich exponentiell wegen der guten Lebensumstände bis der Punkt (der „Peak“) kommt, an dem die Population so gewachsen ist, dass die vormals guten Lebensumstände in ihr Gegenteil umschlagen. Die Population stürzt genauso, wie sie expotenziell gewachsen ist, noch schneller expotenziell in sich zusammen, weil die Versorgungsgrundlage erschöpft ist. Die Population hat sich selbst ausgelöscht.
Dieses Experiment gelingt nur in einem geschlossenen System. Sobald das System offen ist, ist das nicht vorstellbar, weil dann andere Einflussgrößen hinzukommen und das Wachstum der Population beeinträchtigen. Gute Nahrungsgrundlagen ziehen Fressfeinde an und damit reguliert in einem offenen System sich die Sache von allein.
Betrachten wir unseren Planeten, so können wir feststellen, dass dieser Planet energetisch aufgrund der Sonneneinstrahlung ein offenes System darstellt, aber biologisch können wir diesen Planeten als geschlossenes System anzusprechen. Und wir sind dabei, Schritt für Schritt die „Peaks“ zu reißen. Das was im Experiment mit der Insektenpopulation innerhalb einer sehr kurzen Frist (innerhalb von Tagen) geschieht, dauert auf dem Planeten Generationen. Aber wenn wir weiter expotenzielles Wachstum zulassen, ist unser Schicksal als Art unter den heute bekannten Bedingungen ziemlich eindeutig. Alle Ausflüchte, die hierzu vorgebracht werden, wie Technologie, wie Innovation u.ä. übersieht, dass der Ressourcenverbrauch dadurch nicht zurückgenommen werden wird.
Und nun kommt der „Steady State“ ins Spiel. Vernunft und der Hinweis auf das Experiment nutzen wenig bis gar nichts. Diejenigen, die in der Wachstumsideologie ihre klaren Vorteile sehen, sind auch mit dem Hinweis auf die Problematik der kommenden Generationen nicht von ihrer Ideologie abzubringen. „Es ist ja bisher immer gut gegangen“ – dieser unbegründete Optimismus erschreckt und ist rational nicht nachzuvollziehen.
Wenn wir Wachstum also begrenzen wollen und müssen, so hat es wenig Sinn, an die Vernunft der Einzelnen zu appellieren. Das ist m. E. illusorisch. Das haben offensichtlich auch die vielen Wissenschaftler, die mit dem Thema befasst sind, erkannt und haben deshalb den CO2-Ausstoß als ‚die‘ markante Größe herausgestellt. Eine Reduzierung oder Plafondierung dieses Ausstoßes, so die Überlegung, könnte auf die Wachstumsideologie durchschlagen und zur Abwendung des allmählichen Zusammenbruchs führen. Ergänzt wird diese Betrachtung durch einen Zertifikathandel, der schon aufgebaut wurde, um mit zusätzlichem Druck den Plafond des CO2-Ausstoßes der Wirtschaft als auch der Gesellschaft in kleineren oder größeren Schritten zu senken. Das Senken des Plafonds hat natürlich einen direkten Zusammenhang mit dem Wachstum: Wachstum ohne CO2 – Ausstoß ist zwar denkbar, aber absehbar nicht sehr realistisch. Steady State würde für eine Region oder sogar letzten Endes global den Ausstoß begrenzen. Unter dem vereinbarten Niveau ist wirtschaftliches Wachstum in kleinem Rahmen denkbar, denn der Plafond begrenzt ja nur den Gesamtzuwachs. Darunter sind durchaus Veränderungen zulässig und auch vorstellbar. Nur wenn der Deckel insgesamt sich hebt, wird es teuer und für die Wirtschaft sehr unattraktiv.
Das große Problem bleibt der Plafond. Er müsste nach unserem politischen Verständnis durch die Parlamente beschlossen werden. Und hier zweifele ich ernsthaft an der Fähigkeit unserer Politiker, diesen Plafond nachhaltig durchzudrücken und auch gegen die Macht der Konzerne und ihrer Lobbyisten durchzusetzen. Die Politiker stecken in einem selbstgeschaffenen System von fragwürdigen Abhängigkeiten, die in solchen Situationen der Legislative die Hände binden. Es geht ja nicht nur um die Einführung des Plafonds, es geht ja auch um dessen ständige Senkung bis auf einen Wert, den die Wissenschaft (und nicht die Politik) für unbedenklich für die weitere Entwicklung hält. Dabei müssen diese Senkungen frühzeitig bekannt gemacht werden, um den Betroffenen die Möglichkeit zu geben, sich darauf einzustellen und sich anzupassen.
Die Vorstellung, dass man nur laut genug dagegen wettern muss, damit die Legislative den Widerspruch hört, kann und darf nicht mehr ziehen. Die ökologischen Freiheitsgrade, die wir vielleicht noch vor 50 Jahren hatten, haben wir im Laufe der letzten Jahrzehnte verspielt. Unser Handlungsspielraum ist deutlich enger geworden. Die Freiheit, in Grenzen das Tun und Lassen zu können, was einem Spaß, Erfolg oder Geld bringt, wird nicht grundsätzlich aufgehoben, es wird nur schwierig, den Spielraum zukunftsverträglich zu definieren. Und hier haben wir einen beträchtlichen Teil an Freiheit im wahrsten Sinne des Wortes „verspielt“, weil ich nicht den Eindruck habe, dass das mit dem nötigen Ernst mit Blick auf die kommenden Generationen erfolgt.
Der regelmäßige Einwand gegen diese Vorstellungen (insbesondere von Wirtschaftsvertretern thematisiert, die dabei auf Zeit spielen wollen) wird von jenen vorgebracht, die meinen, man müsse warten bis eine deutliche Mehrheit der Staaten dieser Erde für diese Form der Reduzierung gewonnen werden kann. Das ist keine Option. Wir können den Schwellen- und Entwicklungsländern nicht vorschreiben, auf etwas zu verzichten, das wir bis zur bitteren Neige ausgekostet haben. Also müssen wir mit gutem Beispiel vorangehen. Als Folge werden viele CO2-lastige Produktionen dorthin verlagert werden, wo dieser CO2-Plafond noch nicht wirkt. Aber wenn diese Waren und Dienstleistungen dann auf unseren Märkten auftauchen, werden die CO2-Kosteneinsparungen der Produktionsverlagerung in Form von Importsteuern wieder aufgeschlagen. Es kann nicht sein, dass die Einsicht in den vernünftigen und richtigen Weg dazu führt, dass wir eine Mehrzahl der Produzenten verlieren. Die Globalisierung wird, wenn nicht schon jetzt, so künftig keine reale Option mehr sein. Deshalb ist es wichtig, die Regionen, die gemeinsam den Weg in eine CO2-reduzierte Zukunft einschlagen, möglichst groß und damit lebensfähig zu machen.
Die Billigproduktionen in Fernost müssen in Frage gestellt werden. Alles, was von dort zu uns kommt, wird künftig einer Importsteuer unterliegen müssen. Ob das dann noch so kostengünstig ist, muss von Fall zu Fall entschieden werden und ist auch eine Frage der Größe der Region, die sich unter dem CO2-Plafond zusammenfinden wird. Je größer die Region, desto mehr Nachfrage-Macht und wirtschaftlichen Einfluss auf die Märkte wird der neue Weg künftig erhalten.
Wenn wir erkennen müssen, dass die Erwartung ewigen Wachstums der Vergangenheit angehört, werden wir künftig auch auf den Finanzmärkten eine Veränderung feststellen können. Noch gilt mit jeder Faser im Finanzmarkt das Postulat des Wachstums, das sich klar in der spekulativen Erwartung von Kurssteigerungen ausdrückt. Der Gedanke der Kurssteigerung hat sich im Finanzsystem so eingenistet, dass Dividenden bei Wachstumswerten nicht mehr zur Diskussion stehen bzw. dort, wo sie noch gezahlt werden, in die Kurssteigerungen hinein verrechnet werden. Schaubilder zu den Verläufen von Aktien erwähnen mit keinem Wort die Tatsache, dass immer noch eine beachtlich große Anzahl von Börsenunternehmen auch Dividenden ausbezahlen. Man kann sogar unterschwellig feststellen, dass das Zahlen von Dividenden mit wenigen Ausnahmen in den Augen der Analysten eher als „Schwäche“ (im Sinne von veralteten Geschäftsmodellen) ausgelegt wird, weil man glaubt, nur die Spekulation sei das Huhn, das letztlich goldene Eier legt. Wenn durch den CO2-Plafond die Wachstumschancen generell gedeckelt werden, ist natürlich auch die Spekulation als eine Ausdrucksform von Wachstum davon betroffen. Einmal muss das Narrativ der Geldanlage in Aktien und vergleichbare Papiere neu geschrieben werden, weil die Hoffnung auf ein ewiges Wachstum nicht mehr ernsthaft vertreten werden kann. Zwar werden dem Wachsen der Finanzwirtschaft keine unmittelbaren Grenzen gesetzt, aber die Realwirtschaft, auf der die Finanzwirtschaft letztlich aufsetzt, lässt die Erwartungen schlicht schrumpfen. Bei dieser Gemengelage erscheint mir eine Renaissance der Dividende eine (zwar bescheidene, aber sichere) Alternative zur Spekulationsrendite zu sein. Niemand weiß, wie sich die Renditenerwartungen verändern werden. Dass sie sich aber als Folge der CO2-Plafondierung verändern werden, kann als sicher angenommen werden.
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