Die Welt neu denken (3)

Die Welt neu denken heißt auch, die Art und Weise, wie wir wirtschaften, einer grundlegenden Kritik zu unterziehen, um Ansatzpunkte zu finden, wo eine Lösung liegen könnte. Aus der Vielzahl von möglichen Ansätzen nur ein paar Gesichtspunkte:

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Was verstehen wir unter ‚wirtschaften‘? Rückblickend war Wirtschaften ein kluges Haushalten mit den Dingen, die wir der Natur entnehmen können. Klug zu handeln bedeutete, nicht mehr zu entnehmen als nachwächst. Das gilt insbesondere für die Zeit, als Wirtschaft wesentlich durch Landwirtschaft und Handwerk bestimmt war. Der Mensch war dabei das Maß aller Dinge.

Diese Epoche endete um 1750 mit Beginn der technologischen Entwicklung einerseits und der kapitalistischen Wirtschaftsweise andererseits. Beide Entwicklungsstränge bedingen einander. Der Aufbau großer Anlagen lassen große (Klumpen-)Risiken entstehen und erfordern enorme Finanzmittel. Der Staat war einer der Garanten dieser Entwicklung.

Als dritter Faktor kommt die Aufklärung hinzu, eine intellektuelle Befreiung vom Joch der Religion, das im Übrigen zwar breite Kreise der Gebildeten „befreite“, aber von der Mehrzahl der Bürger gar nicht verstanden wurde. Die Lücke, die der Wegfall der Religion riss, wurde auf intellektuellem Gebiet durch die Philosophie mit teilweise fragwürdigen Konzepten geschlossen.

Im Rahmen der Kapitalismus stützt sich die Entwicklung schwerpunktartig auf den Utilitarismus, der sich vereinfacht als „Kaufmannsethik“ (R. D. Precht) eng mit dem wirtschaftlichen Handeln verknüpfte und den umfassenden Gedanken des ‚klugen Haushaltens‘ unter den Primat eines schieren Nutzens einzelner Individuen stellt. Der Nutzen gilt als die Größe, deren Menge angeblich mit der Höhe des menschlichen Glücksempfindens korreliert. Vereinfacht ausgedrückt: Viel Nutzen schafft nach dieser Auffassung viel Glücksgefühl. Glück ist danach kein besonderer Ausnahmezustand mehr, sondern gilt schlicht als reproduzierbar.

Der Nutzen ist ein abstrakter Begriff. Im täglichen Leben wird er gewöhnlich in der Maßeinheit des Geldes gemessen. Als Folge kann man den Schluss ziehen, dass Nutzen, Glück und Geld nur die verschiedenen Seiten der gleichen Aussage darstellen. Ob diese Entwicklung ein sinnvoller Ansatz ist, lohnt sich hier nicht zu diskutieren; die Auffassung hat sich leider faktisch durchgesetzt.

Mit dem klugen Haushalten war eng die Erwartung verknüpft, die Menschen mit den notwendigen Gütern und Dienstleistungen zu versorgen. Und es brauchte Geld in seiner Funktion als Tauschmittel, um den Warenverkehr zu erleichtern. Wenn diese Erwartungen für breite Bevölkerungsschichten gesichert werden konnten, war eine wesentliche Voraussetzung für Wohlstand erreicht. Man kann dieser Form von Wirtschaften den Begriff einer ‚Versorgungswirtschaft‘ zuordnen.

Eine Versorgungswirtschaft kommt dann an ihr Ziel, wenn sichergestellt werden kann, dass alle oder doch eine Mehrzahl der Bürger mit den notwendigen Gütern und Dienstleistungen versorgt sind. Solange Hunger oder offene Armut in einer Versorgungswirtschaft auftritt, kann das Ziel des allgemeinen Wohlstands nicht erreicht sein.

Der Kapitalismus kennt das Ziel einer Versorgung nicht; Versorgung ist eher ein unvermeidliches Kuppelprodukt, das die kapitalistische Wirtschaftsform nebenbei hervorbringen soll. Auch Wohlstand ist aus dem Blickwinkel des Kapitalismus kein anzustrebendes Ziel. Der Kapitalismus hat sich komplett von einer ethischen Ziel-Qualität entfernt und preist im Rahmen der Kaufmannsethik nur quantitative (rechenbare) Ziele: Wachstum, Wettbewerb, Effizienz und Rendite. Der Wohlstand wird auf eine drittklassige Forderung heruntergestuft: Er soll angeblich über den Trickle-down-Effekt bedient werden. Die breiten Bevölkerungsschichten sollen sich mit den ‚Brosamen‘ vom Tisch der ‚Reichen‘ zufrieden geben. Es gibt aber keinen Nachweis dafür, dass das jemals funktioniert hätte. Es ist ein ‚nettes‘ und oft scheinbar überzeugendes Narrativ, mit dem man die Gemüter seit Jahrzehnten immer wieder beruhigen und auf eine unbestimmte, aber ‚goldene‘ Zukunft vertrösten kann.

Statt dem ‚klugen Haushalten‘ in einer ‚Versorgungswirtschaft‘ hat sich der Zweck des kapitalistischen Wirtschaftens grundlegend geändert: Die Wirtschaft versorgt nicht mehr primär mit Gütern und Dienstleistungen, sondern die Wirtschaft hat ein System geschaffen, an dem man teilhat, um in erster Linie Geld zu verdienen (egal womit). Vermittels des Geldes wird dann ggfs. eine Versorgung sichergestellt: wer kein Geld hat, egal aus welchem Grund, hat keine Versorgung, d.h. konkret, er kann am Markt gar nicht teilhaben. Ich würde deshalb unser gegenwärtiges System als eine Form der ‚Geldwirtschaft‘  bezeichnen. Insbesondere deshalb, weil nicht mehr die Produktion von Gütern und Dienstleistungen im Vordergrund steht, sondern das Geld neben seiner Rolle als Tauschmittel selbst zur Ware geworden ist. Das System benutzt gezielt das Geld als Mittel, um daraus mehr Geld zu machen.

Eine Versorgungswirtschaft ist immer Realwirtschaft. Es braucht Ressourcen und es braucht ein Wissen um die Umstände und Grenzen der Produktion. Geldwirtschaft in eigentlichen Sinne braucht als Rohstoff nur Geld, und das wird bei Bedarf gedruckt oder durch Buchungssätze geschaffen. Geld hat aber keinen ‚inneren‘ Wert. Geld ist nur eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten, dass Geld einen bestimmten Wert haben soll. Wenn die Vereinbarung aus irgendeinem Grunde platzt, ist das Geld schlagartig nicht mehr existent bzw. wertlos. Das kann im Grunde sehr leicht geschehen, wird aber wegen seiner verheerenden Folgen für die Gesellschaft zu verhindern versucht (siehe die letzten Wirtschafts-Crashs).

Realwirtschaft ist an einen klaren Ressourcenbedarf gebunden. Hier ist die Endlichkeit erkenn- und vermittelbar. Wenn wir aber Geldwirtschaft betrachten, so vermittelt sie das Gefühl, es gebe keine Grenze – das ist der trügerische Traum vom unendlichen Wachstum, abgekoppelt von jeder Endlichkeit, denn Geld drucken geht prinzipiell immer. Es braucht nur einen Schuldner (denn einer muss zumindest pro forma dafür gerade stehen) und die öffentlichen Hände stehen hier trotz Schuldenbremse wohlfeil zur Verfügung, weil die kurzfristige Sorge eines Crashs die Frage, wer das Geld mittelfristig wieder zurückzahlen soll, an die Wand drückt.

Das neu geschaffene Geld oder besser – die Schuld, die entstanden ist, müsste nach herkömmlichen Grundsätzen zurückgezahlt werden. Aber von wem und von was? Die öffentlichen Hände haben das geschuldete Geld für Infrastruktur oder Krisenabsicherung in den Wirtschaftskreislauf gepumpt und dort diffundiert das Geld langsam, aber sicher von den unteren Einkommensschichten in die oberen Einkommensschichten. Ist es „oben“ angekommen, sollte es idealerweise investiert werden (so die ‚Theorie‘), es wird aber in praxi gehortet oder ins Finanzkasino überführt. Auf diese Weise schafft das zusätzliche Geld keine volkswirtschaftlich sinnvolle Produktivität, die für alle eine Chance bereithalten könnte, sondern verschafft den Wohlhabenden nur eine Chance auf eine signifikante finanzielle Zusatzrendite.

Thomas Piketty schlägt deshalb vor, genau diese Vermögen mit einer moderaten, aber progressiven Steuer zu belegen. Sie müsste einen erheblichen Freibetrag aufweisen (z.B. 2 Mio. Euro p.P.) und würde somit nur große Vermögen besteuern. Die Bewertung sollte künftig zu Marktwerten erfolgen. Die abgeschöpften Beträge könnte der Staat ggfs. zur Tilgung der Schulden verwenden bzw. für investive und insbesondere nachhaltige Infrastrukturaufgaben zur Verfügung stellen.

Die damit fälligen Steuererklärungen würden es möglich machen, die Vermögensstatistik in Deutschland wieder auf eine reelle Grundlage zu stellen. Die gegenwärtigen Zahlen fußen auf Vermögenserfassungen aus den 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts als die Vermögensteuer ausgesetzt wurde. Seit dieser Zeit weiß man in Deutschland nichts Genaues über die vermögende Klientel.

Die Ausführungen des Armuts- und Reichtumsberichts der Bundesregierung würden seinem Namen dann besser gerecht werden können und die Wirkungen der ‚Umverteilungsmaschinerie‘ unseres Systems (von unten nach oben) würden einfacher nachweisbar und vermittelbar werden. Das ist nicht unbedingt der Wunsch dieser vermögenden Klientel. Es könnte so mancher Wirtschaftsmythos entschleiert werden.

Die Besteuerung ist der Lösungsansatz mit dem kleinsten gemeinsamen Nenner, weil keine neuen Ideen verwirklicht, sondern nur etwas durchaus Bewährtes (mit ein paar notwendigen Anpassungen) wieder aktiviert wird. Eine progressivere Lösung läge darin, die Realwirtschaft zu Lasten der Geldwirtschaft zu fördern. Dazu müsste man das allgemeine Spekulationsrisiko in der Geld- bzw. Finanzwirtschaft künstlich erhöhen, ähnlich dem Verhalten des Kasinos, indem dafür gesorgt ist, dass mehrheitlich die Bank (hier das Gemeinwesen) ‚gewinnt‘ und die ‚Spieler‘ das erhöhte Risiko achselzuckend in Kauf nehmen müssen (und viele zocken trotzdem). Diese Vorgehensweise würde die Auswüchse in der Finanzwirtschaft eindämmen und für die großen Vermögen die Chancen auf schnelle und hohe Zusatzrenditen reduzieren. Es könnte dazu beitragen, dass diese Vermögen für die Allgemeinheit wieder produktiv werden, was letztlich das Ziel sein müsste.

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