Die Aufforderung, die Welt neu zu denken, geht ja nicht davon aus, dass wir uns eine neue Welt ausdenken sollen, sondern stellt sich die Frage, ob wir die Welt, wie wir sie zu erkennen glauben, nicht auch unter einer anderen Perspektive sehen können. Dabei gibt es mindestens zwei diametrale Ansätze: einerseits das klassische „Weiter so“ (in den gewohnten Bahnen) einer eher konservativen Haltung (und der vagen Hoffnung, die Technologie wird uns schon vor dem Schlimmsten bewahren) und andererseits einen Ansatz, der sich aus der Erkenntnis ergibt, dass wir die Erhaltung eines lebenswerten Planeten unter der Prämisse: „weiter so“ nicht werden erreichen können.
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Die Wissenschaft und eine Mehrzahl der Bürger haben begriffen, dass das „Weiter so“ schlicht keine Option sein kann. Der große Lösungsansatz wird mit ‚Nachhaltigkeit‘ umschrieben, wobei über den Inhalt des Begriffs je nach politischer Couleur und/oder finanziellem Interesse eine wilde Auseinandersetzung tobt.
In einer Diskussion fiel so nebenbei eine Bemerkung von Maja Göpel, dass wir über das Ziel weniger im Dissens sind als über die Maßnahmen, wie das Ziel erreicht werden kann. Wir können davon ausgehen, dass sich unsere gegenwärtige Wirtschaftsform und Nachhaltigkeit weitgehend ausschließen. Das liegt u.a. an der Kurzfristigkeit überzogener Gewinnerwartungen und einem überdrehten Wettbewerbsverständnis einerseits und andererseits an der kurzfristigen Wahrnehmung der politischen Aufgaben, die selten bewusst über einen Horizont einer vier- oder fünfjährigen Wahlperiode hinausreicht, gleich gar nicht für die nächste(n) Generation(en).
Es gibt aber überall erfolgversprechende Ansätze, bei denen Nachhaltigkeit systematisch praktiziert wird. Damit diese Sonderfälle erkannt und verstanden werden, erwartet gegenwärtig die Politik unsinnigerweise, dass diejenigen, die mittelfristig den ‚richtigen‘ (weil nachhaltigen) Weg gehen, sich einer Zertifizierung unterziehen lassen müssen, verbunden mit einem erheblichen Finanz-, Zeit- und künftigen Kontrollaufwand.
Diejenigen, die „konventionell“ (nach der Devise: weiter so) arbeiten, sind frei von jeder Überwachung und frei von zusätzlichen Aufwendungen. Selbst unsere Grenzwerteüberwachungen werden im Hinblick auf die konventionelle Landwirtschaft extrem lax gehandhabt. Wenn wir etwas als richtig erkannt haben (wie „Nachhaltigkeit“), so wäre es doch auch politisch überaus sinnvoll, diejenigen, die dieser Strategie bewusst folgen, zu belohnen und jene, die unverändert am Falschen festhalten, von der Belohnung auszusparen?
Was heißt das konkret? Betrachten wir das, was wir unter ‚Bio‘ oder ‚Öko‘ in der Landwirtschaft verstehen. Der Bio-Landwirt, der im Grunde das nachhaltig Richtige veranlasst, muss sein Bio-Label zertifizieren lassen, muss Geld in die Hand nehmen, um seinen Hof umzustellen und wird regelmäßig kostenpflichtig kontrolliert. Der konventionelle Landwirt, der sich hinsichtlich Nachhaltigkeit zu nichts verpflichtet, bleibt unbehelligt. Ist das eine richtige und akzeptable Priorität?
Müsste es nicht so sein, dass derjenige, der die Nachhaltigkeit wahrnimmt und lebt, der künftige Normalfall sein müsste. Der konventionell arbeitende Landwirt müsste sich konsequenter Weise für jede Anwendung von Mitteln der Agrochemie eine Lizenz ziehen und müsste jeweils regelmäßig begründen, warum er welche Menge von Chemie auf seinen Feldern ausbringt. Er ist doch derjenige, der unsere Zukunft in Frage stellt, nicht der Biolandwirt.
Wir müssen die Wahrnehmung von Problemen „stürzen“ (vom Kopf auf die Füße stellen): Nicht der Biobauer muss sich mühsam für seinen eingeschlagenen Weg erklären (dessen Weg der grundsätzlich richtige ist), sondern diejenigen, die die Nachhaltigkeit leichtfertig in Frage stellen, müssten erklären, warum sie die Nachhaltigkeit nicht wahrnehmen wollen oder können.
Es gibt im Übrigen eine beachtliche Zahl von Landwirten, die ihren Hof nachhaltig bearbeiten ohne, dass sie ein Bio-Label oder Vergleichbares aufzuweisen haben. Der Normalfall muss der „nachhaltig arbeitende Landwirt“ sein und der ‚konventionell‘ arbeitende Landwirt kann grundsätzlich weiter arbeiten, hat aber die Erschwernis, regelmäßig Lizenzen ziehen zu müssen, um Agrochemie in seinem Betrieb einsetzen zu können. Und er hat die Pflicht, bei seinen Produkten darauf hinzuweisen, dass er Agrochemie verwendet, bzw. dass er nicht nachhaltig wirtschaftet.
Damit wäre die nachhaltige Landwirtschaft der Normalfall (egal ob wir sie Bio nennen oder nicht) und die nicht nachhaltigen Landwirtschaftsbetriebe hätten den Aufwand der Deklaration und Lizensierung (über Zertifikate) ihrer nicht nachhaltigen Produktionsweise und deren ständiges Rechtfertigungsbedürfnis und natürlich auch die damit verbundenen Kosten.
Die Rechnung haben wir dabei leider ohne die Agrochemie gemacht, die sich natürlich mit allen ihr legal und illegal zur Verfügung stehenden Mittel gegen eine solche Perspektivenveränderung wehren wird. Aber wenn das Geschäftsmodell dieser Industrie wegen fehlender Nachhaltigkeit nicht mehr in die politische Landschaft passt, müssen sie sich ein neues Geschäftsfeld suchen oder verschwinden. So läuft unser Wirtschaftsmodell seit etwa 200 Jahren und sie wären nicht die ersten, die hierdurch herausgefordert sind.
Der Nachhaltigkeitsbegriff, von dem wir hier angenommen haben, dass er für die Landwirtschaft hinreichend konkretisiert ist, ist wenig konkret – der Begriff treibt es für Geld mit allen und jedem. Der Brundtland Report hat Nachhaltigkeit „als ein Entwicklungskriterium definiert, die die Bedürfnisse der Gegenwart berücksichtigt ohne für die künftigen Generationen die Fähigkeit einzuschränken, ihre eigenen Bedürfnisse zu leben.“ (sinnbemäße Übersetzung)
Damit kann man keinen Blumentopf gewinnen, weil diejenigen, die hier berechtigte Ansprüche anmelden könnten, noch gar nicht geboren sind und deshalb auch keine Forderungen stellen können. Den gegenwärtigen selbsternannten Stellvertretern der künftigen Generationen fehlt es an Macht und Einfluss, weil die politischen Prozesse die künftigen Generationen nicht repräsentieren können und wohl auch nicht wollen.
Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft erscheint hinreichend definierbar zu sein. Die Folgen der fehlenden Nachhaltigkeit liegen im Artensterben, in der Boden- und Wasserverseuchung, im Insektensterben, u.ä. offen zutage. Man glaubt deshalb, hier einen validen Gegensatz aufbauen zu können. Was ist aber mit anderen Branchen und Geschäftsmodellen? Können wir davon ausgehen, dass Nachhaltigkeit eineindeutig und in sich widerspruchsfrei bestimmbar wird? Das erscheint eine Herkulesaufgabe zu sein, deren Strukturen nur geahnt werden können.
Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die strikte Fixierung auf den Nachhaltigkeitsbegriff des Brundtland- Berichtes eine Sachgasse darstellt. Wir sollten offen blieben für Neues.
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