Die Transformation in einer juristisch fixierten Welt

Die Veränderung unserer Lebensweise hin zu mehr Nachhaltigkeit scheint auf eine breite Zustimmung in der Bevölkerung zu stoßen. Man könnte meinen, die angestoßene Transformation fiele auf fruchtbaren Boden. Die wirklichen Schwierigkeiten ergeben sich aber erst dann, wenn die Planungen in konkrete Handlungen umgesetzt werden sollen.

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Es liegen mir einmal das Hauptgutachten 2019 des WBGU[1] („Unsere gemeinsame digitale Zukunft“) und auch ein Hauptgutachten aus 2016 aus dem gleichen Hause („Der Umzug der Menschheit: Die transformative Kraft der Städte“) vor. Beide Gutachten fordern das Durchhaltevermögen der Leser aufgrund ihres Umfangs und der Breite des behandelten Stoffs heraus.

Trotzdem fehlt mir ein ganz wesentlicher Teil: wir haben in der Vergangenheit eine Transformation hin zu dem gegenwärtig nicht nachhaltigen Wirtschaftssystem betrieben, wir haben die Mängel des Systems in wesentlichen Teilen auch rechtlich so kodifiziert, dass der formulierte Anspruch auf die angestrebte Nachhaltigkeit in vielen Fällen mit unserem bestehenden Rechtssystem im Konflikt stehen wird.

Das gilt nicht für die Verfassung der BRD oder für Landesverfassungen, deren Texte aus der Nachkriegszeit in keiner Weise den heute gängigen neoliberalen Geist widerspiegeln. Denken wir nur an Art 14 Abs. 2 GG: „Eigentum verpflichtet“. Ich kenne keinen Fall, bei dem diese Verpflichtung vor Gericht je geltend gemacht wurde.

Ohne jetzt auf die Vielzahl von kleinen rechtlichen Spitzen und „Schweinereien“ eingehen zu können (dafür fehlen mir der Überblick und das Knowhow), möchte ich auf einen Zusammenhang eingehen, von dem die meisten Bürger keine Ahnung haben und deren Sachverhalt meist jenseits ihres Erfahrungshorizontes liegen. Ganz klein berichten jüngst die Mainstream-Medien von der Absicht der Europäischen Kommission, die europäischen Investitionsschutzabkommen zu kündigen. Deutschland unterhält gegenwärtig etwa 200 solcher bilateralen Verträge. Was regeln diese Verträge? Es ist schwer, wenn nicht unmöglich, an den originalen Wortlaut solcher Vereinbarungen zu kommen; es gibt stattdessen eine Reihe von offiziellen Ausführungen, was diese Investitionsschutzabkommen angeblich auf welche Weise regeln:

„Ein Investitionsschutzabkommen ist ein völkerrechtlicher Vertrag zwischen zwei Staaten (oder mehreren Staaten), der Investoren aus einem der Vertragsstaaten (Heimatstaat) bestimmten Schutz im anderen Staat (Gaststaat) zusichert. Dabei geht es unter anderem um die Gewährleistung von Eigentumsschutz und Schutz vor Enteignung, den freien Transfer von Kapital und Erträgen oder den Schutz gegen Diskriminierungen.“ (BMWI, FAQ)

Entscheidend ist, dass diese Schutzabkommen stets in Hinterzimmern ausgehandelt und von Juristen formuliert werden, die mit der Umsetzung solcher Abkommen dann nicht mehr befasst sind. Da es sich um völkerrechtliche Abkommen handelt, kann nicht auf die Jurisdiktion eines Landes zurückgegriffen werden. Die Verträge sind vermutlich kasuistisch aufgebaut: Jede denkbare Alternative muss sich mangels einer verbindlichen Grundlage aus dem Abkommen selbst entwickeln lassen. Der Begriff der Diskriminierung in diesen Abkommen ist dabei m.E. sehr oberflächlich gefasst. Die Meinungen über deren vielfältige Anwendbarkeit machen deutlich, dass mit ‚Diskriminierung‘ nahezu jeder Nachteil argumentativ vertreten werden kann.

Ein praktisches Beispiel ist die Braunkohleförderung in der Lausitz. Das betroffene Unternehmen gehört dem schwedischen Konzern Vattenfall. Die Politik hat sich bereiterklärt, das Ende des Braunkohlenbergbaus einzuleiten. Vattenfall fühlt sich nach dem bestehenden Investitionsschutzabkommen in seinem Eigentumsrecht diskriminiert und klagt auf viele Milliarden Euro Schadenersatz, zahlbar durch den deutschen Steuerzahler. Garzweiler, ein nach meinen Informationen deutsches Unternehmen der gleichen Branche, hat dieses Recht nicht. Das Unternehmen wird auf die nationale Rechtsprechung verwiesen. Daraus lässt sich mit etwas juristischem Geschick auch wieder eine Diskriminierung gegenüber Vattenfall wegen Ungleichbehandlung aufbauen, um ggfs. Schadenersatz in Milliardenhöhe einzuklagen.

Da die Gebühren solcher Prozesse i.d.R. nach der geforderten Schadenshöhe festgelegt werden, sind derartige Rechtsstreitigkeiten für große (meist internationale) Anwaltskanzleien das berühmte Huhn, das goldene Eier legt. Auch hier müssten wir für einen Zügel sorgen, sonst verlieren wir vor lauter Rechtsstreitereien und den vielen goldenen Eiern unser Ziel aus den Augen: Nachhaltigkeit schaffen! Und nicht lukrative Prozesse führen.

Es steht außer Frage, dass wir unsere Wirtschaft auf deutlich mehr Nachhaltigkeit umzustellen haben, wenn wir die uns selbst gesetzten klimaverträglichen Ziele erreichen wollen. Dadurch werden absehbar vielen Geschäftsmodellen der Gegenwart die Grundlagen entzogen werden. Wenn es eine nachhaltige Variante der Geschäftsmodelle überhaupt gibt (es könnte sein, dass Geschäftsmodelle per se nicht nachhaltig sind), werden aber die gewohnten kurzfristigen Gewinne entfallen. Man könnte sich deshalb diskriminiert fühlen.

Könnte es als Diskriminierung aufzufassen sein, wenn möglicherweise alle 200 Schutzabkommen angesprochen werden und die Inländer schauen mangels Schutzabkommen zu? Wird die Politik angesichts dieser Schieflage in der Lage sein, den Inländer dem Ausländer gleichzustellen? Wenn wir die große Zahl von ausländischen Unternehmen in Deutschland zur Kenntnis nehmen, übersteigen dann die absehbaren Schadenersatzforderungen die Finanzierungsfähigkeit unseres Gemeinwesens? Warum entsteht überhaupt ein Anspruch dem Grunde nach: die Unternehmen haben das Recht Geschäfte zu betreiben, aber niemand hat ihnen zukünftigen wirtschaftlichen Erfolg versprochen. Wenn alle vor der gleichen Herausforderung stehen, z.B. nachhaltig zu wirtschaften, wo lieg dann die Diskriminierung als eine Form der Ungleichbehandlung. Liegt hier nicht eventuell auch die Lösung? Diskriminierung setzt ungleiche Behandlung voraus. Wenn sich alle den gleichen Herausforderungen gegenüber sehen (und dafür kann man Sorge tragen), dann läuft das Schutzabkommen in diesem Falle ins Leere und ein Schadenersatz in solch gigantischer Höhe ließe sich abwenden.

Diese Fragen sind m.E. so existenziell, dass es durchaus sinnvoll ist, im Rahmen der WBGU ein Hauptgutachten hinsichtlich dieser Problematik auf die Beine zu stellen. Es müsste mit einer Inventur aller gegenwärtig geschlossenen völkerrechtlichen Verträge und unserer internen (nationalen) Regeln beginnen, die durch eine Umstellung der Volkswirtschaft auf Nachhaltigkeit hinsichtlich des Schadenersatzes zum Tragen kommen könnten. Welche juristischen Wege sind heute einzuleiten, um den potenziellen Schaden in finanzierbaren Grenzen zu halten? Wäre in diesem Zusammenhang die geplante Kündigung der europäischen Abkommen ein Lösungsbeitrag?

Das Eigentumsrecht ist in der westlichen Welt zu einem nahezu nicht hinterfragbaren Recht hochstilisiert worden. Es wird in keiner Weise differenziert. Schon die Aufteilung des Begriffs in Eigentum an beweglichen Sachen und Eigentum an Grund und Boden verändert die Wahrnehmung. Bewegliche Sachen sind reproduzierbar, dem Grund und Boden fehlt diese Eigenschaft der Reproduktion grundsätzlich. Ist nun nicht vermehrbarer Grund und Boden ein Wirtschaftsgut und einer beweglichen Sache vergleichbar? Soll man den Grund und Boden einem „freien“ Markt überlassen? Ist Spekulation dadurch nicht vorprogrammiert und mit Art. 14 Abs. 2 GG vereinbar? Spekulation ist m.E. nicht nachhaltig.

Der pauschale Eigentumsbegriff zählt zur Grundlage der Funktionsfähigkeit unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Könnte es sein, dass Eigentümer durch die politische Entscheidung zur Nachhaltigkeit künftig in der Ausübung seiner Eigentumsrechte sich diskriminiert fühlt, um dann auf die Idee zu kommen, dass er die Nachhaltigkeit bei ihrer Einführung abgegolten sehen will? Wo fängt das an und wie kann diese Haltung legal und demokratisch legitimiert eingedämmt werden? Viele Fragen und kaum ausreichende Antworten.

[1] WBGU = Wissenschaftlicher Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen

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