Nach dem Lock-down …

Der Corona – Lock-down hat viele unerwartete Konsequenzen. Sie treffen nicht nur unsere Wirtschaft. Auch die Gesellschaft steht vor Veränderungen. Es verändert sich auch manches in den Köpfen der Menschen, weil sie konkret erleben, dass es nicht nur Alternativen gibt, an die man bisher nicht gedacht hat, sondern auch unerwartet tiefe Einschnitte in Lebensläufe, von denen viele glaubten, sie seien vorhersehbar und also frei von Überraschungen.

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Die Veränderungen fordern die Kreativität jedes einzelnen Menschen heraus. Es überfordert viele, weil sie aus ihrem Lebenstrott gerissen werden, und sich über die Maßnahmen aufregen, weil sie die Zusammenhänge nicht verstehen (wollen).

Lange als selbstverständlich erachtete Strukturen brechen auf oder zusammen – Familie muss sich teilweise neu erfinden, Kinder lassen sich nicht mehr zeitweise in Schule und Kita abschieben, die Großeltern stehen auch nicht zur Verfügung, Engpässe fordern zu sinnvollem gemeinschaftlichen Handeln auf, Solidarität ist gefragt, Individualismus verbunden mit der üblichen Portion Egoismus kommt gar nicht gut an, die „Helden“ der Situation sind die, die anpacken und nicht die, die sonst durch besondere Lautstärke die Aufmerksamkeit erfolgreich auf sich ziehen. Alles wird, zumindest in der Wahrnehmung, neu gemischt. Vormals Unverzichtbares löst sich in heiße Luft auf, als ob es nie von Bedeutung gewesen wäre.

Wir sollten nicht unterschätzen, was der Lock-down und die damit verbundenen Maßnahmen mit uns machen. Ein kleiner, unscheinbarer Virus mit z.T. verheerenden Auswirkungen lässt erahnen, was an Veränderung möglich ist, wenn man die Notwendigkeit erkennen kann und will. Es fliegen kaum Flugzeuge, die Bahnen sind erschreckend leer, die Autobahnen sind weitgehend staufrei, die Luft ist von einer selten erreichten Qualität, der Lärmpegel so niedrig, dass man die Vögel wieder zwitschern hören kann. War es nicht vordem ganz wichtig, also unumgänglich, noch schnell zu diesem oder jenem Termin zu jetten; wurde doch die eigene Bedeutung erst dann richtig wahrgenommen, wenn man Anschluss an diesen hektischen Jetset gefunden hatte? Und jetzt müssen wir feststellen, es geht auch sehr vieles ohne dieses Getue im Glauben an die eigene Unentbehrlichkeit.

Wir sind durch den Lock-down auf uns und auf unsere Kreativität reduziert. Viele stellen dabei fest, wie einfach und befreiend es sein kann, aus dem Korsett von scheinbaren Zwängen auszusteigen. Nach aller Erfahrung hält der Zustand nicht allzu lange vor. Andere Zwänge werden sich entwickeln, aber wir sind hoffentlich ein Stück weit auch auf einem Weg zu neuen Ufern. Der Lock-down hat nicht nur ein Loch in die Warenproduktion gerissen. Auch zahllose Netzwerke und Existenzen wurden zerstört. Die neuen „Funk“-Löcher im System werden wir erst Schritt für Schritt wahrnehmen können.

Durch die hohe Zahl von Kündigungen und Kurzarbeitern sind den Verbrauchern die ‚Spendierhosen‘ abhandengekommen. Es braucht keine statistischen Zahlen, um vorher sagen zu können, dass durch den Lock-down und die schwierige Beschäftigungslage die Konsumneigung abgenommen hat. Die Menschen haben konkret realisiert, das sich auch mit weniger Konsum ganz gut leben lässt. Diese Erkenntnis wird dazu führen, dass die Vorsorge und damit die Sparneigung auf breiter Front zunehmen werden. Die Netto-Vermögensverteilung (in 2017) lässt erkennen, dass ca. 50% der Erwachsenen über keine oder kaum Rücklagen verfügen. Diese rd. 40 Mio. Menschen hat der Lock-down vermutlich am schmerzlichsten getroffen und wir dürfen unterstellen, dass dieser Personenkreis auf absehbare Zeit versuchen wird, sich durch Konsumverzicht wieder ein kleines finanzielles Sicherheits-Poster aufzubauen.

Die zweite bessergestellte Hälfte unserer Bevölkerung (auch 40 Mio. Menschen) verfügt über rd. 98% des Vermögens. Sie wird vom Lock-down nicht unmittelbar betroffen sein und verfügt vermutlich über ausreichend Reserven, so dass sie persönlich keine der Maßnahmen sonderlich trifft. Bei ihnen müssen wir aber verstehen, dass es diesem Personenkreis mit größter Wahrscheinlichkeit um die Sicherung ihrer Vermögen geht. Dieser Kreis besitzt zu wesentlichen Teilen das Produktivvermögen, das nur dann Vermögen bleibt, wenn es gelingt, die wieder aufgenommene Produktion auch zu vermarkten. Dazu ist Massenkaufkraft notwendig, also abhängiges Einkommen, Ersparnisauflösungen, Kreditkauf, Transfereinkommen und Exportüberschuss. Das Masseneinkommen wurde durch den Lock-down um bis zu 20% reduziert (Kurzarbeitergeld sieht 80% Auszahlung vor). Die Verbraucher sind verunsichert. Ersparnisauflösungen werden nur im Notfall erfolgen. Kreditkauf – das ist trotz niedriger Zinsen der falsche Zeitpunkt, das Risiko werden die Banken nicht übernehmen. Mit den Transfereinkommen (Renten, Pensionen, Grundsicherung, Hartz IV) ist keine besondere Kaufkraft verbunden. Und der Exportüberschuss, der in der Vergangenheit viel fehlende Kaufkraft ersetzt hat, fällt aus, weil alle EU-Länder gleichzeitig mit ihrer Massenkaufkraft Probleme bekommen werden. Da werden die EU-Partner verständlicherweise keine Lust verspüren, die deutsche Kaufkraft aufzubessern. Es könnte sogar der Fall eintreten, dass der „Exportweltmeister“ feststellen muss, dass er teilweise auf seine Forderungen aus dem Exportüberschuss verzichten muss. Mit anderen Worten, die Situation ist nicht einfach und noch sehr unübersichtlich.

Die Produktion hat wieder begonnen. Da wäre es wünschenswert, wenn die Verbraucher-„Pferde“ saufen würden. Das ist nicht erkennbar. Deshalb geht auch der von der Autolobby ausgehende Druck auf die Politik in die falsche Richtung – eine Subventionierung von Verkaufspreisen könnte nur dann sinnvoll sein, wenn allgemeine Konsumneigung oder „Kauflaune“ herrscht. Die kann ich beim besten Willen nicht erkennen. Es braucht einfach Zeit, um den Schock des Lock-downs beim Verbraucher zu lösen. Zudem sind nicht nur die klassischen Konsumenten zurückhaltend. Auch die Personenkreise, die man über ihr Vermögen zu jenen rechnet, denen die Realunternehmen gehören, sind beunruhigt – nicht wegen Einbußen bezüglich ihrer Person, sondern wegen der Sorge um die Sicherheit ihres Vermögens. Wie dieser Spagat zwischen den „Pferden, die nicht saufen wollen“ und der Verunsicherung der Unternehmensseite (Sorge ums Vermögen) kreativ gelöst werden könnte, ist für mich noch nicht erkennbar. Beobachten, denn es bleibt spannend!

Der Lock-down hat vielen kleinen, aber nützlichen Unternehmen den Kopf gekostet. Andere gehen ganz neue Wege und stellen fest, es funktioniert! Im Gegensatz zum gewerblichen Bereich legt die Industrie Wert darauf, dass wir so tun, als ob nichts geschehen wäre: sie setzen einfach dort wieder auf, wo sie den ‚Laden‘ zugemacht haben. Diese Haltung ist insbesondere aus der Sicht der Großindustrie nachvollziehbar. Sie übersieht aber, dass die Welt nach dem Lock-down nicht mehr die gleiche ist. Die Anpassungsfähigkeit, die jetzt die kleinen Unternehmen beweisen müssen, glauben die Großen nicht entwickeln zu müssen bzw. sie wissen, dass ihre „Tanker“ viel zu schwerfällig sind, um schnell neue Kurse fahren zu können. Corona hat viele dieser Jumbos in einer beginnenden Umstellung „erwischt“, die m. E. schon in der Mitte von 2019 erkennbar war, nachdem 2015 (Höhepunkt Dieselskandal) der „Hochmut vor dem Fall“ die Managementreihen noch beflügelte. Was hat man sich da in die Taschen gelogen und Boni ausbezahlt, deren Rechtfertigung auf wackeligen Beinen steht.

Die Wirtschaft erwartet Hilfe. Sie möchte aber gleichzeitig die auf Basis des Vorjahres angesammelten Vorstandsboni und Dividendenansprüche der Aktionäre ausbezahlen. Das ist einem gesunden Menschenverstand nicht zu vermitteln: Einerseits will das Unternehmen einen namhaften Betrag als Unterstützung (der auch gewährt würde) in Anspruch nehmen und gleichzeitig sollen den Eigentümern und Vorstandsmitgliedern erhebliche Leistungen zufließen. Das Kapital, die Rücklagen und der Gewinnvortrag, so das allgemeine Verständnis, dienen der Sicherung des Unternehmens und man darf erwarten, dass diese ‚Polster‘ auch zur Stützung des Unternehmens in Anspruch genommen werden. Von einem mittelständischen Unternehmer erwartet man, dass er alles veranlasst, was nötig ist, um sein Unternehmen am Laufen zu halten. Da fragt keiner, ob er nicht auch andere Ideen für die Verwendung seines investierten Geldes haben könnte. Es geht schlicht darum, das Unternehmen zu retten!

Aber da unterscheiden sich die Geister: angestellte Manager meinen, dass sie hierzu nicht verpflichtet werden können. In guten Zeiten hängen sie den großen Unternehmer heraus und in schlechten Zeiten wollen sie dann wie Angestellte behandelt werden, obwohl sie keine Arbeitsverträge unterhalten, sondern Dienstleistungsverträge, die sie verpflichten, sich zum Wohl des Unternehmens einzusetzen.

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