Nikolaus Piper hat im Samstagessay der SZ vom 1./2. Februar 2020 über den Nutzen der Märkte im Zusammenhang mit dem Klimawandel geschrieben. Vieles ist nicht falsch, aber doch sehr flüchtig und aus dem Zusammenhang gerissen produziert worden. Einige Aussagen, zu denen ich eine grundsätzlich andere Meinung vertrete, möchte ich so nicht stehen lassen.
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Recht gut finde ich, dass die regelmäßig geschichtsvergessene Ökonomie auch mal die Geschichte bemüht. Es ist unzweifelhaft, dass der vor etwa 250 Jahren einsetzende Kapitalismus dazu beigetragen hat, dass wir heute auf einem hohen Wohlstandsniveau angekommen sind. Aber mit keinem Wort wird die Kehrseite angesprochen: Die heute durch die Fridays for Future und die Generationen Stiftung vorgebrachten Probleme, die seit dem Club of Rome vor nahezu 50 Jahre (oder fast 2 Generationen) bekannt sind, hat diese Wirtschaftsform immer wieder vom Tisch gefegt. Offensichtlich beherrscht hier Gier den Verstand!
Weiter ist die von Piper verwendete Terminologie zwar die übliche, aber sie wirft etwas in einen Topf, was aus mehreren Gründen unterschieden werden sollte: Der Kapitalismus und das Marktsystem. Letzteres reicht viel weiter zurück als die relativ kurze Periode des Kapitalismus. Vor den 250 Jahren, also zu Zeiten des Absolutismus und davor, hat es auch schon Märkte gegeben. Sie waren aufgrund der fehlenden Technologie anders gestaltet und aufgrund der agrarischen Ausrichtung von Selbstversorgung dominiert. Und sie waren Märkte, die im Wesentlichen ohne Wachstum auskamen. Marktwirtschaft im eigentlichen Wortsinn ist so alt wie die Menschheit. Erst der Kapitalismus hat sich des Systems bemächtigt und es in den letzten 250 Jahren stark verändert. Aber die Grundlage ist das Marktsystem und bleibt identifizierbar.
Der Kapitalismus ist sowohl ein Kind des technologischen Wandels (Industrie 1.0) als auch ein Kind des mentalen Wandels von mittelalterlicher Ethik zur neuzeitlichen Kaufmannsethik (Utilitarismus). Beflügelt wurde diese Handlungsweise dann noch durch den etwas später aufkommenden Darwinismus, dessen falsch verstandene Anwendung den Sozialdarwinismus intellektuell rechtfertigte. Der allgemeine Wohlstand, von dem Piper spricht, ist eigentlich erst ein Ergebnis der Nachkriegszeit. Und die These, dass der Hunger in der Welt „fast ausgerottet“ sei, verkennt die menschenunwürdige Lage der Ärmsten und die herrschende Ausbeutung der Südhalbkugel.
Was aber m.E. offenbleibt, ist die Frage, wo der Markt dem Klimawandel nutzen könnte. Der Markt hat m.E. keinen Einfluss auf den Klimawandel, anders der Kapitalismus. Offensichtlich haben die Klimakritiker auch nicht den Markt im Fokus, sondern die Art, zu welchem Zweck und mit welchen Mitteln wir Wirtschaft betreiben. Der Markt als uralter Verteilungsmechanismus steht dabei gar nicht zur Disposition.
Nun befürchtet Nikolaus Piper, dass die Aussage „Burn Capitalism, not Coal“ ein unmittelbarer Angriff auf den Kapitalismus sei, möglicherweise vergleichbar mit dem Anspruch des ehemaligen Sozialismus. Das ist in meinen Augen absolut unrealistisch. Was in jedem Fall bleibt, ist das Marktsystem, weil es etwas widerspiegelt, das zu tiefst menschlich ist – nämlich ein wichtiger Ausdruck von notwendiger Kommunikation. Aus diesem Grund sehe ich den Kapitalismus und das Marktsystem nicht aus einem Guss, sondern als unterscheidbare Systeme. Das Marktsystem stellt einen effektiven Verteilungsmechanismus zur Verfügung. Der Kapitalismus hat sich dort aufgepfropft. Er hat das Finanzsystem geschaffen, die Schuldenfalle mit der Forderung nach Wachstum entwickelt und er hat auch das Manipulationssystem geschaffen, um den Absatz unserer Überflussproduktion ständig am Laufen zu halten, um einen Systemkollaps zu verhindern.
Wachstum, insbesondere ewiges Wachstum – das sollte auch der letzte Ökonom erkannt haben, – funktioniert nicht. All die ökonomischen Schwachsinnigkeiten wie ressourcenfreies Wachsen, wie auch das Hoffen auf eine alles befreiende Wundertechnologie, das ist Quatsch! Hört auf die Physiker, die schon immer darauf hinwiesen, dass in einem relativ geschlossenen System ein immerwährendes Wachstum eines Teilsystems unmöglich ist – es ist letztlich der „Tod“ des Systems. Wer es dann immer noch nicht glauben will, möge sich an die Biologie wenden: Ob Fliegen- oder Bakterienstämme, in einem geschlossenen System gibt es kurzfristig ein maximales (sogar expotenzielles) Wachstum und dann im nächsten Schritt den letalen Zusammenbruch der gesamten Population.
Nikolaus Piper spricht dann die „Energieproduktivität“ an, die die „Märkte realisiert“ hätten. Abgesehen davon, dass das verbaler Unsinn ist (Bullshit-Bingo: die Märkte können gar nichts, sie bieten bestenfalls eine Gelegenheit), hat er übersehen, dass parallel unser Energieverbrauch gewaltig gestiegen ist und wir mit jeder Umsetzung einer neuen Technologie weiteren Energieverbrauch herausfordern. Deshalb ist die Energieproduktivität eine Notwendigkeit, die schlicht dem kapitalistischen Systemerhalt dient. Wichtiger wäre es, den Verbrauch insgesamt zurückzunehmen. Hierzu sind keine nachhaltigen Maßnahmen zu erkennen.
Das Beispiel mit den „Georisiken“, die der Rückversicherer „Munich Re“ seit ein paar Jahren beobachten lässt und natürlich auch einpreist, wenn dem Versicherer Risiken zur Deckung ins Haus stehen. Das nun in erster Linie mit „Profitgier“ in Verbindung zu bringen, ist nicht recht nachvollziehbar. Die Abteilung Georisiken der Munich Re versucht, offensichtlich bisher als einziges Unternehmen, das einzupreisen, was der Kapitalismus bisher immer als externe Effekte behandelt und der Natur (Umwelt) belastet. Hier wird zum ersten Mal im Kapitalismus erkannt, dargestellt und in Geld umgerechnet, was der Klimawandel schon heute an Schäden auslöst. Ob das, was die Damen und Herren dieser Abteilung ermitteln, zu einem Profit für die Versicherungsgesellschaft wird, muss sich erst herausstellen, weil über die Größe des Risikos und seine Eintrittswahrscheinlichkeit kaum Erfahrungswerte vorliegen – man bewegt sich also hochgradig im theoretischen Raum.
Herr Piper meint: „Vorindustrielle Gesellschaften waren ungleich weniger produktiv als moderne.“ Aber sie hatten auch kein Klimaproblem. Was hat das Klimaproblem und seine Lösungssuche mit Produktivität zu tun? Wer glaubt denn, dass mehr Produktivität eine Lösungsstrategie für den Klimawandel sei? Man könnte den gleichen Output mit weniger Input darstellen. Aber der Output ist doch das Problem; sowohl bei den Emissionen als auch beim Müll, dessen Berge inzwischen zum Himmel stinken oder exportiert werden, damit sie an dunkler Stelle unkontrolliert ins Meer gekippt werden! Die Vorstellung, dass der geringere Einsatz zu weniger Output führt, das widerspricht doch der Maxime des Kapitalismus („mehr, höher, schneller“). Dieses Prinzip muss erst noch geknackt werden.
Die Klimaaktivisten sehen den Kapitalismus natürlich kritisch, das tun auch solche, die keine Klimaaktivisten sind. Vor 40 Jahren gab es noch einen weitgehend ausgearbeiteten, radikalen Alternativvorschlag als Korrektiv zum Kapitalismus. Heute ist der Sozialismus kein Thema mehr. Was aber ein Thema bleibt, dass der Kapitalismus Eigenschaften entwickelt hat, die m.E. zu Recht angesichts des Klimawandels als grobe Fehlentwicklungen anzusehen sind. Daran ist zu arbeiten.
Der Kapitalismus gilt in den Augen vieler als effizient. Eine gewisse Effizienz auf der Ebene der Produktion und der Verarbeitung mag gegeben sein. Aber der Kapitalismus als System ist doch nicht effizient, wenn er fortlaufend höhere Berge von Müll produziert. Im Vergleich zum System Natur ist der Kapitalismus ein rechter Stümper, der an seinen Fehlentwicklungen mittelfristig ersticken wird. Die Natur produziert jährlich Millionen Tonnen von Naturmüll, die sie leise und unauffällig, aber stetig rückverwandelt in eine produktive Grundlage. Das ist wahre Effizienz und sollte uns ein Beispiel geben!
Nachhaltigkeit ist ein Begriff, der heute wie ein Watschenbaum für alles Greenwashing herhalten muss. Hier braucht es eine einheitliche, justitiable und international verbindliche Beschreibung, die auch weh tun darf. Die Medizin muss bitter schmecken, soll sie helfen. Der Nachhaltigkeitsbegriff sollte letztlich Verfassungsrang erhalten. Diese Beschreibung kann und darf nicht von der Wirtschaft erwartet werden. Die Politik fällt aus – sie sitzt täglich auf dem Schoß der Wirtschaft und eigene konstruktive Gedanken sind ihr i.d.R. fremd. Also muss die Fixierung des Begriffs aus der Wissenschaft kommen unter einer sorgfältigsten Prüfung der jeweiligen Unabhängigkeit. Nach der Formulierung und ihrer ausgiebiger Diskussion muss dieser Sachverhalt Gegenstand der Rechtslage werden. Das wird einen Rattenschwanz von Änderungen unseres gegenwärtigen Rechtssystems zur Folge haben.
Nachhaltigkeit oder auch „Enkeltauglichkeit“ muss ein Wert sein, der unsere künftigen wirtschaftlichen Aktivitäten leitet und deren Wirkungen bewertet. Der Vergleich sollte den Menschenrechten gleichgestellt sein. Die Gerichte müssen damit arbeiten können. Es werden große Anstrengungen notwendig sein, diese qualitative Aussage als solche aufrecht zu erhalten. Ökonomen lieben das Quantitative, sie haben keinen Begriff von Qualität. Es fehlt ihnen an der dafür notwendigen Begrifflichkeit.
Die kurzfristig orientierte Gewinnmaximierung muss fallen und durch eine moderatere längerfristig orientierte Gewinnorientierung ersetzt werden. Gewinnmaximierung ist ein theoretischer Begriff, der entstanden ist, als man die Unternehmen als lineares Gleichungssystem abbilden wollte und eine simple Zielfunktion benötigte, die sich leicht in eine mathematische Formel verwandeln ließ. Praktische Bedeutung hat der Begriff erst durch eine Steuergesetzesänderung und das nachfolgende Investmentbanking gewonnen, als man anfing, Unternehmen nach dieser Maximierungsformel zu beurteilen (shareholder‘s value) und diese wie Kartoffeln sackweise zu vermarkten. Familienunternehmen scheren sich mehrheitlich nicht um eine Maximierung. Sie legen Wert auf Langfristigkeit, manche sogar auf Nachhaltigkeit oder Enkeltauglichkeit und fahren nicht schlecht damit.
Die Finanzwirtschaft ist jeglicher Kontrolle entglitten. Auf diesem Sektor sind in den letzten Jahren die meisten großen kriminellen Aktivitäten zu beobachten. Die Geldschöpfung muss wieder unter die Regie der Zentralbanken, um einen Handlungsrahmen gestalten zu können. Wenn Zins der Preis für Geld ist, ist offensichtlich Geld wertlos geworden, weil im Überfluss vorhanden. Der Primat Geld aus Geld machen zu wollen, muss durch Steuern stark eingeschränkt werden. Wer Geld machen möchte, muss einen materiellen und sinnvollen Beitrag zur Versorgung von Menschen leisten.
Wer sich weitere Forderungen an das herrschende System ansehen möchte, sei auf die Ausführungen zu den einhundert Forderungen der Generationen Stiftung verwiesen.
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