Die SZ zitiert die Deutsche Bundesbank, die meint anregen zu müssen, den Renteneintrittszeitpunkt von gegenwärtig einem Alter von 67 auf 69 anzuheben. Natürlich wird dieses Ansinnen auch begründet: unser Rentensystem würde angesichts der zunehmenden Vergreisung der Gesellschaft künftig überlastet. Die ganze Argumentation bricht mit dem Wort „künftig“ in sich zusammen, weil dieser unsinnige Vorschlag (wie so oft in der veröffentlichten Meinung) nur einen Teil der Geschichte erzählt und die Zusammenhänge dramatisch verkürzt.
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Wenn wir nur auf die zurzeit geltende Form der Altersversorgung starren, so ist das Ansinnen nachvollziehbar: immer weniger Lohnarbeitskräfte zahlen aufgrund ihrer Einkommenssituation (z.B. prekärer Sektor) immer weniger in das System ein, aber die Zahl der Rentner wird deshalb nicht geringer. Wir stellen weiter fest, dass in der Wirtschaft insgesamt nicht weniger verdient wird. Also besteht da ein Ungleichgewicht, das sich fortlaufend aufbaut. Die Lage wird zusätzlich verschärft, weil die prekär Beschäftigten von ihrem Einkommen so gerade leben können, aber eine Altersversorgung, die den Namen verdient, ist damit nicht verbunden. Das Rentensystem ist auf dem Solidaritätsgedanken aufgebaut: was der einzelne nicht schafft, kann die Gemeinschaft schaffen. Wenn aber der prekäre Sektor ständig wächst, der Mittelstand ständig an Boden verliert, kommt auch die Solidarität an ihre Grenzen. Mit anderen Worten: diesen Menschen droht Altersarmut, sie fallen u.U. in die Grundsicherung und verursachen öffentliche Kosten außerhalb des beitragsgesteuerten Rentensystems. Vor diesem isoliert betrachteten Zusammenhang könnte die Forderung eines Renteneintrittsalters von 69 begründbar sein. Aber diese Argumentationskette springt viel zu kurz!
Wenn ich die Geschichte richtig verstanden habe, so gibt es Lohnarbeit erst mit der Industrialisierung, also seit etwa 250 Jahren. Davor gab es auch abhängig Beschäftigte, aber eben keine Lohnarbeit im großen Stil. Die Rentenreformen kurz vor 1900 waren eine mühsam erkämpfte Antwort auf die Verelendung dieser Lohnarbeiter. Lohnarbeit war ein ganz wesentlicher Wirtschaftsfaktor in der Wirtschaft 1.0. Und weil er so bedeutend herauskristallisierte, desto mehr war die Unternehmerseite daran interessiert, diesen Lohnfaktor durch Rationalisierung und Standardisierung einzufangen. Um einen langen Weg abzukürzen: die Bemühungen liefen darauf hinaus, dem Lohnfaktor Schritt für Schritt seine immense Bedeutung zu nehmen und diese Bedeutung dem Kapital zuzuführen. Erzählt wurde die nette Geschichte, dass wir irgendwann nicht mehr so hart oder gar nicht mehr arbeiten müssen, weil die harte Arbeit die „Energiesklaven“ (Niko Paech) übernehmen würden. Soweit so gut – aber was ist die Konsequenz? Die gezielte Strategie, die menschliche Arbeitskraft soweit es irgend geht durch Maschinen zu ersetzen, ersetzt Lohnarbeit durch Maschinen (=Kapital). Wenn jetzt diese Maschinen auch noch intelligent (im Sinne von Künstlicher Intelligenz) werden, fällt die Lohnarbeit immer weiter zurück. Unser Rentensystem ist aber auf Arbeits- bzw. Lohnarbeit angewiesen, denn nur dieser Einkommensteil ist Grundlage für die Bemessung unserer Renten.
Und die Lohnarbeit geht uns aus. Alles was eine Maschine heute übernimmt, war einmal Lohnarbeit und fütterte in der Vergangenheit das Rentensystem. Die Antwort, die die Bundesbank darauf gefunden hat, ist wie schon zuvor durchgeführt, eine Senkung der Renten über den Trick, das Eintrittsalter zu erhöhen. Je später ein Arbeitnehmer Rentner wird, desto kürzer ist sein Rentnerdasein. Dieses Vorgehen entbehrt nicht einer gewissen Komik: Wieviel Lohnarbeiter erreichen ein Eintrittsalter von 65? Wenn nun das Eintrittsalter auf 67 oder gar 69 Jahre erhöht wird, werden es noch weniger Menschen sein. Wie geht das Spiel dann weiter? Demnächst ist dann das Eintrittsalter 71 Jahre, 73 Jahre…? Ziel erreicht? Mitnichten – was ist mit denen, die das Alter zwar erreichen, aber schon seit einem Jahrzehnt nicht mehr in ihrem Beruf arbeitsfähig sind. Das ist das übliche Schachteldenken – diese Menschen erhalten deutlich weniger (zu wenig) aus dem Rentenversorgungssystem, und müssen dann aus anderen Quellen als dem Rentenversorgungssystem (meist unzureichend) aufgebessert werden und haben aber bei diesen Quellen keine Lobby. D.h. im Klartext: eine Renteneintritt mit 69 Jahren entlastet vordergründig und kurzfristig das Rentensystem, reduziert aber nicht die Last der Gesellschaft, die in der Pflicht steht, diesen Menschen ein menschenwürdiges Leben zu garantieren.
Die logische Folgerung kann nicht sein, am alten Rentensystem mit seiner schwindenden Bemessungsgrundlage herumzudoktern; stattdessen müssten sich die Fachleute Gedanken für ein neues Alterssicherungssystem machen, das eben nicht auf die Lohneinkünfte einer immer kleiner werdenden „Community“ abzielt. Ich höre schon die Marktradikalen, die das System natürlich privatisieren wollen – die also dafür sorgen wollen, dass vor der eigentlichen Altersversorgung des Bürgers noch schnell ein privater Gewinn für eine dubiose Institution entsteht, die dann, wenn es schwierig wird, Insolvenz anmeldet und das ehemals als attraktiv angesehene Paket dem Staat vor die Füße legt. Das System muss sicher sein und darf sich nicht über die Börse refinanzieren wollen. Wenn die Finanzierung wegen des inhärenten Börsenrisikos nicht klappt, sehen die „Versorgten“ verdammt alt aus.
Erste Ansätze kommen über das bedingungslose Grundeinkommen. Dabei sollten sie skeptisch sein, wenn hier soziale Gesichtspunkte betont werden. Das bedingungslose Grundeinkommen wird von Seiten der Wirtschaft unterstützt. Diese Kreise verschenken doch nichts ohne Hintergedanken. Wenn immer mehr Menschen in den kommenden Jahrzehnten durch die Schlagworte Globalisierung und Digitalisierung ihre Jobs verlieren, wer konsumiert dann noch? Wir sind jetzt wieder da, wo die Industrialisierung angefangen hat: Damals hat man irgendwann (schweren Herzens) begriffen, wenn wir die Arbeiterschaft nicht ordentlich bezahlen, können wir unsere Produkte auch nicht verkaufen – denn von was sollte denn der Arbeiter das Produkt bezahlen, wenn er in der Verelendung steckt? Durch die mühsam erzielte Erkenntnis, dass nur angemessen bezahlte Arbeitskräfte die Produktion kaufen können, ist das entstanden, was wir heute Wohlstand nennen. Wenn wir jetzt eine Mehrzahl von Menschen aus den Wirtschaftsprozessen hinausdrängen, müssen sie zumindest weiter konsumieren können, sonst kollabiert unser Wirtschaftssystem in ganz kurzer Zeit. Die Lösung, die heute auf dem Tisch liegt und hinter verschlossenen Türen heiß diskutiert wird, ist das bedingungslose Grundeinkommen. Dabei sind hier viele Varianten denkbar, aber eines ist klar: der Konsum darf aus der Sicht der Wirtschaft nicht einbrechen. Über alles andere kann man reden. Die Finanzierung ist nicht einfach, aber durchaus darstellbar. Eine Finanztransaktionssteuer scheint als praktikabel erkennbar. Man muss möglicherweise auch anfangen, Gewinnanteile der oberen 10 Prozent als Verfügungsmasse anzusehen, denn auch für die Vermögenden gilt: besser ein wenig bluten (ein bisschen teilen) als alles verlieren. Und sie haben im Gegensatz zu über 50 Prozent der Bevölkerung, die nichts zu verlieren haben, viel zu verlieren.
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